Großdemonstration in Colombo fordert den Rücktritt des sri-lankischen Präsidenten Rajapaksa

Am vergangenen Wochenende beteiligten sich zehntausende Menschen aus ganz Sri Lanka an Großdemonstrationen am Galle Face Green, der Uferpromenade von Colombo in der Nähe des Hafens. Sie forderten den Rücktritt des Präsidenten Gotabaya Rajapaksa und seiner Regierung, die sie verantwortlich machen für die katastrophalen Preiserhöhungen, den Mangel an Treibstoff und lebensnotwendigen Gütern sowie tägliche, stundenlange Stromausfälle.

Demonstranten auf der Galle Face Road (Foto: WSWS)

Bei den Protesten am Galle Face Green handelt es sich um die größte Demonstration der letzten zwei Wochen, die überwiegend in den sozialen Medien unter dem Hashtag #GoHomeGota2022 organisiert wurde.

Singhalesische, tamilische und muslimische Arbeiter, Jugendliche, Studenten, Fachkräfte und Hausfrauen protestierten gemeinsam und riefen Parolen wie: „Wir brauchen eine verantwortungsvolle Regierung“, „Gebt uns unser gestohlenes Geld zurück“, „Verhaftet die korrupten Politiker“, „Unsere Kinder brauchen eine bessere Zukunft“ und „Genug ist genug“.

Am Samstagabend versammelten sich rund 20.000 Demonstranten auf einer Länge von etwa zwei Kilometern entlang der Galle Face Green. In einem verzweifelten und erfolgslosen Versuch, die Demonstration zu blockieren, hatte die Regierung am Freitag ein Verbot für öffentliche Treffen am Galle Face Green ausgesprochen.

Polizisten versuchen Demonstranten davon abzuhalten, in Hochsicherheitsbereiche wie den Präsidentenpalast einzudringen (Foto: WSWS)

Einige der Protestierenden organisierten Demonstrationszüge, andere beteiligten sich an Straßentheateraufführungen oder Protestgesängen. Die Polizei und das Militär, ausgestattet mit Wasserwerfern und Tränengas, wurden mobilisiert, um die Demonstranten davon abzuhalten, in den nahegelegenen Amtssitz des Präsidenten einzudringen.

Die Demonstration wurde auch nachts fortgeführt und vergrößerte sich am Sonntagmorgen nochmals um weitere Gruppen. Verschiedene Organisationen und einzelne Personen boten am Samstagabend und Sonntagmorgen Speisen und Getränke an, während passierende Autofahrer hupten, um ihre Unterstützung auszudrücken.

Als einzige politische Partei traten Mitglieder der Socialist Equality Party Sri Lanka (SEP) sowie die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) mit eigenen Forderungen auf: „Nieder mit der Rajapaksa-Regierung!“, „Schafft die Exekutivpräsidentschaft ab!“, „Bekämpft das Sparprogramm der Regierung!“, „Baut Aktionskomitees auf!“, „Lehnt die Übergangsregierung ab!“ und „Lehnt die Auslandsverschuldung ab!“.

Mitglieder der SEP und der IYSSE auf der Demonstration am 9. April in Colombo (Foto: WSWS)

Die Mitglieder der SEP verteilten hunderte Flyer mit dem Programm der Partei und erhielten enthusiastische Reaktionen von Demonstranten. Viele von ihnen führten lange Diskussionen über die darin enthaltene Perspektive.

Eine junge Frau mit einem Plakat, auf dem sie sich für die Abschaffung der Exekutivpräsidentschaft aussprach, kam auf die Mitglieder der SEP zu. Sie beschloss sich ihnen anzuschließen, nachdem sie von den Forderungen der SEP erfahren hatte. Die Abschaffung der Exekutivpräsidentschaft sei für den aktuellen Kampf von entscheidender Bedeutung, erklärte sie.

Sisira Chandra, ein pensionierter Bankangestellter aus Ratnapura, das etwa 140 Kilometer von Colombo entfernt liegt, sagte: „Ich habe mich dazu entschieden hierher zu kommen, weil ich meine Not nicht mehr ertragen kann. Rajapaksa und seine Regierung sollten gestürzt werden. Aber dann habe ich überlegt, welche Regierung anschließend an die Macht kommen würde. Selbst wenn eine von der Regierung unabhängige Partei im Parlament an die Macht kommt, wird wieder dasselbe passieren. Selbst wenn eine Übergangsregierung etabliert wird, hat der Präsident die Macht Minister auszuwählen und zu entlassen.“

Sisira Chandra (Mitte) (Foto: WSWS)

Die Mitglieder der SEP wiesen darauf hin, der Präsident könne auch Ausgangsperren und Anordnungen für wesentliche Arbeitsbereiche verhängen sowie das drakonische Anti-Terror-Gesetz anwenden. Sie warnten, dass Rajapaksa Zeit schinde und später versuchen könnte, die Massenbewegung mit diesen Mitteln zu unterdrücken.

Chandra antwortete: „Die Forderung der SEP nach der Abschaffung der Exekutivpräsidentschaft ist jetzt sehr aktuell. Das Land befindet sich in großer Not, nicht weil sie [die Regierung] Kredite an die Bevölkerung ausgegeben hat. Soweit ich weiß, wurde der größte Kredit für den Krieg gegen die Tamilischen Befreiungstiger (LTTE) ausgegeben und eine weitere große Summe für die Schaffung von Infrastrukturen für internationale Investoren. Wir sollten nicht für die Entscheidungen anderer büßen müssen. Die Forderung der SEP, dass alle Auslandsanleihen abgelehnt werden müssen, ist völlig richtig.“

Bishan Esith, ein junger Arbeiter aus einem privaten Unternehmen in Colombo, sagte: „Unsere Löhne reichen nicht aus, um in dieser Situation, in der die Preise so schnell steigen, zu überleben. Das Grundproblem ist der Mangel an lebenswichtigen Gütern, aber keiner dieser ‚Gota Go Home‘-Proteste hat eine Perspektive, die darauf hinweist, wie all diese Probleme zu lösen sind.“

Bishan Esith (zweiter von rechts) (Foto: WSWS)

Weiter sagte er: „Selbst, wenn Rajapaksa aus dem Amt gejagt wird, frage ich mich, was danach passieren wird. Bei den Wahlen 2015 hat die Bevölkerung die vorherige Regierung Mahinda Rajapaksa gestürzt und damit den Weg für eine weitere kapitalistische Regierung geebnet. Zunächst dachte ich, gute Politiker ins Parlament zu schicken wäre eine Lösung für unsere Probleme. Aber daran glaube ich jetzt nicht mehr.“

„Es ist, wie ihr sagt: Diese Regierungen sind kapitalistische Regierungen. Ich stimme euch vollkommen zu, dass egal welche kapitalistische Regierung an die Macht kommt, eine Politik umgesetzt wird, die die Profite der Kapitalisten schützt“, erklärte Esith.

In den Diskussionen erklärten die Mitglieder der SEP außerdem, dass die Krise nicht einfach das Ergebnis von Korruption und Betrug sei, wie die Janatha Vimukthi Peramuna-Partei (Volksbefreiungsfront, JVP) behauptet, sondern aus dem Profitsystem selbst resultiert.

Esith stimmte dem zu und ergänzte: „Der Kapitalist arbeitet nicht in der Fabrik, sondern zieht seinen Profit aus der Arbeitskraft der Arbeiter. Es ist sehr logisch, dass die Produktionsmittel in die Hände der Arbeiterklasse gelegt werden müssen. Sie sind die eigentlichen Produzenten.“

„Auch wenn viele bereits davon gesprochen haben, dass ein Systemwechsel notwendig ist: In dieser Diskussion habe ich gelernt, dass ein wahrer Systemwechsel die Abschaffung des kapitalistischen Profitsystems bedeutet. Ich möchte mich diesem Kampf anschließen“, so der junge Arbeiter.

Esith sagte, er sei am Kampf der SEP für Aktionskomitees interessiert, um die Arbeiterklasse auf den Sturz der kapitalistischen Herrschaft vorzubereiten.

„Der Unterschied zwischen der Kampagne der SEP und den Rufen nach ‚Gota Go Home‘ wird durch die Forderungen der Partei sehr deutlich“, sagte er und beschloss sich den Mitgliedern der SEP auf der Demonstration anzuschließen.

Suresh Silva, ein privater Englisch-Lehrer, sagte: „Ich habe mich diesen Protesten angeschlossen, um dabei zu helfen, Gotabaya Rajapaksa zu stürzen. Ich dachte, das sei das einzig Richtige. Nach meiner Diskussion mit euch ist mir klar geworden, dass der Sturz von Rajapaksa und die Bildung einer Regierung, die unsere Probleme lösen wird, nicht voneinander zu trennen sind.“

Suresh Silva (Foto: WSWS)

„Ich denke, dass diese Krise durch den Missbrauch öffentlicher Gelder durch die Rajapaksas und ihre Bande verursacht wurde. Jetzt stimme ich mit dem überein, was ihr erklärt – nämlich, dass die Probleme, vor denen wir stehen, eine Folge der Krise des kapitalistischen Weltsystems sind.“

Silva sagte, er wisse einiges über die Globalisierung der Produktion und glaube nicht daran, dass die heutigen Probleme innerhalb nationaler Grenzen gelöst werden können. „Wir müssen gegen das globale Kapital kämpfen, deswegen stimme ich damit überein, dass unser Kampf als internationale Bewegung geführt werden muss“, sagte er.

Malinga, der im zweiten Jahr an der Universität von Kelaniya studiert, fragte, warum die SEP an den Protesten beteiligt sei, obwohl politische Parteien nicht eingeladen sind.

Proteste am Galle Face Green (Foto: WSWS)

Die Mitglieder der SEP erklärten, dass sie nicht wie die kapitalistischen Parteien sind, die im Parlament sitzen und versuchen, die Proteste für ihre eigenen politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Die SEP biete eine Perspektive für die Arbeiterklasse, um für ihre eigenen Klasseninteressen zu kämpfen.

Nachdem er die Erklärung gelesen hatte, sagte Malinga: „Früher dachte ich, dass politische Parteien versuchen, die Massen zu ihrem eigenen Vorteil in die Irre zu führen. Wenn ich das Programm der SEP lese wird mir klar, dass es einen großen Unterschied gibt. Ich denke, dass die Forderungen in dieser Erklärung für unseren Kampf relevant sind.“

Es brauche eine Partei, die wirklich die Interessen der Menschen vertritt, sagte er abschließend.

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