In den Arbeitervierteln von Paris, die in der Präsidentschaftswahl mehrheitlich für Jean-Luc Mélenchon gestimmt haben, wächst die Wut. Arbeiter und Jugendliche stehen jetzt vor einer Stichwahl zwischen den rechten Kandidaten Macron und Marine Le Pen. Mélenchons Aufruf zur Wahl von Macron, dem „Präsidenten der Reichen“, überzeugt seine Wähler nicht, und viele von ihnen erwägen, sich zu enthalten.
Reporter der WSWS sprachen mit Arbeitern und Jugendlichen über einen aktiven Boykott des zweiten Wahlgangs. Für diese Perspektive kämpft die Parti de l’égalité socialiste, die französischen Sektion des Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI).
Michel arbeitet als Computertechniker in einem Pariser Vorort. Er sagte der WSWS, dass er den Aufstieg der Rechtsextremen und die Gefahr eines größeren Kriegs befürchte. Michel sagte:
„Die politische Lage in Frankreich bereitet mir große Sorgen. Wenn es so weitergeht wie jetzt, ist klar, dass in Zukunft für uns einfache Menschen und unsere Kinder alles noch schlimmer wird. In den letzten fünf Jahren unter Macron sind die Preise in die Höhe geschossen, vor allem für Benzin und Diesel. Deshalb haben sich auch die Preise für alle Grundgüter erhöht. Ich fahre jeden Tag 45 Kilometer zur Arbeit, und der Benzinpreis hat sich verdoppelt. Die Preise für Rohstoffe haben sich wegen der steigenden Kraftstoffpreise ebenfalls verdoppelt.“
Michel erklärte auch, er lehne den Krieg in der Ukraine und die Intervention Frankreichs und der Nato gegen Russland ab: „Der Krieg in der Ukraine hat die Lage noch deutlich verschlimmert (…) Auch die französischen Kriegsvorbereitungen gegen Russland sind gefährlich. Unsere Regierenden denken nicht über die Zukunft unserer Kinder nach; ihnen geht es nur darum, sie auszubeuten.“
Michel unterstrich seine Enttäuschung über Mélenchons Aufruf zur Wahl von Macron: „Ich dachte, diese Partei wäre gegen Macron und die Rassistin Le Pen. Mélenchon hat nur ganz knapp verloren. Jetzt müssen sich Millionen Menschen wie ich in der Stichwahl zwischen den zwei schlimmsten Kandidaten entscheiden. Mélenchon hat 22 Prozent der Stimmen bekommen, aber er hat weder den Mut, noch das Programm, um für das Land einen Schritt vorwärts zu bewirken (…) Mélenchon hat uns zur Wahl Macrons aufgerufen.“
Michel erklärte, die Perspektive der SEP bringe ihn „zum Nachdenken: Egal wer gewinnt, das Land wird an den Rand der Katastrophe gedrängt. Deshalb werde ich in der Stichwahl für keinen von beiden stimmen. Macron will unser Rentenalter auf 65 erhöhen und uns noch viele andere Sachen aufzwingen. Le Pen ist gegen Immigranten und Muslime, und sie wird Sparmaßnahmen durchsetzen (…) Die Zukunft wird gefährlich für uns sein.“
Rajesh, ein Lieferfahrer, erklärte der WSWS, warum er für Mélenchon gestimmt hat: „Ich habe eine Familie und zwei Kinder, die von mir abhängig sind. Seit mehreren Jahren muss ich zum Ende des Monats aufs Geld schauen. Das Département Seine Saint-Denis [ein Arbeitervorort nördlich von Paris], in dem ich lebe, ist sozial zersplittert, die Armut nimmt immer weiter zu, und die globale Pandemie und die Inflation haben die Lage noch weiter verschlimmert.“
Rajesh erklärte, er wünschte, dass die Wahlen „einfachen Leuten wie mir Hoffnung geben. Wir haben gehofft, dass uns die Linke aus dem Elend führt. Diese Hoffnung auf Veränderungen in unserer derzeitigen Demokratie hat mich dazu gebracht, für Jean-Luc Mélenchon zu stimmen. Aber jetzt haben wir einen zweiten Wahlgang zwischen einem Kandidaten, der angeblich weder links noch rechts ist, aber rechte Politik durchsetzt (…) und andererseits einer Partei, die aus Rassismus und Ausländerhass entstanden ist.“
Rajesh verwies auf die schwere wirtschaftliche Belastung der arbeitenden Bevölkerung durch die katastrophale Reaktion der EU auf die Pandemie, sowie auch jetzt durch die Gefahr eines Kriegs zwischen der Nato und Russland.
„Vor Corona habe ich auf dem Markt jede Woche ein Kilo Tomaten für 1,20 Euro gekauft. Heute gehe ich nicht mehr so oft auf den Markt, um Tomaten zu kaufen, weil der Preis auf über vier Euro angestiegen ist. Das ist nur eins von vielen Beispielen (…) Die Krise verschont die Reichen, aber wir, die Arbeiterklasse und die Mittelschicht, sind die Opfer von Macrons sozialer Zerstörung. Ich stimme euch zu: Wir brauchen eine andere Politik.“
Die WSWS sprach außerdem mit mehreren Jugendlichen, die für Mélenchon gestimmt hatten, um Macrons Politik der letzten fünf Jahre wieder rückgängig zu machen.
Der Student Julin erklärte, wenn Le Pen Macrons einzige Gegnerin sei, habe er keine andere Wahl, als seine Ablehnung durch einen leeren Stimmzettel zu äußern: „Ich gebe lieber einen leeren Stimmzettel ab, als für Marine Le Pen zu stimmen, weil ich ihr Programm für völlig rassistisch halte. Sie will ein Frankreich ohne Zuwanderer.“
Die Studentin Valantina erklärte, sie habe das erste Mal gewählt und für Mélenchon gestimmt: „Aber leider hat er es nicht in die Stichwahl geschafft, weil ihm etwas mehr als ein Prozent gefehlt hat. Seit seiner Niederlage ruft er für Emmanuel Macron auf.“
Sie äußerte ihre Verwunderung und ihr Missfallen über Mélenchons Aufruf zur Wahl von Macron: „Es hat mich persönlich schockiert und verwundert“, sagte sie, „weil Jean-Luc Mélenchon angeblich links sein soll, während Emmanuel Macron doch rechts ist. Wie kann er uns sagen, wir sollen für jemanden stimmen, der nicht mal auf der gleichen politischen Seite steht? Er hat kein Recht dazu, uns zur Wahl von Macron aufzurufen (…) Wir haben ihn gewählt, weil wir ihn für einen Linken gehalten haben, der die sozialen Probleme lösen würde. Aber stattdessen fordert er uns auf, die Rechte zu wählen. Er ist genau wie alle anderen, wir hätten ihm nicht vertrauen dürfen.“
Valantina erklärte, sie könne sich weder vorstellen, für Macron, noch für Le Pen zu stimmen: „Ich möchte keinen von beiden wählen. Mit dem aktuellen Präsidenten haben wir viele Probleme, wie die „Gelbwesten“-Krise, erlebt. [Macron] ist mit sehr großer Brutalität gegen die Demonstranten vorgegangen.“
Über den Aufruf der PES für einen aktiven Boykott der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen erklärte Valantina: „Ich teile eure Meinung über den aktiven Boykott. Ich will keinen von beiden wählen. Wir müssen eine Partei aufbauen, die die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung vertritt.“