In weiten Teilen Berlins wird es in diesem Jahr verboten sein, mit sowjetischen Fahnen an die Befreiung vom Faschismus zu erinnern. Betroffen sind unter anderem Ehrenmale, Gedenkorte und historische Bauwerke, an denen Überlebende des Holocaust und des Vernichtungskriegs und ihre Angehörigen sowie Kriegsgegner traditionell Andachten abhalten.
Wie aus einer Allgemeinverfügung der Berliner Polizei vom 4. Mai hervorgeht, handelt es sich konkret um den Zeitraum vom 8. Mai um 6 Uhr früh bis zum 9. Mai 22 Uhr und Areale in den Bezirken Treptow-Köpenick, Friedrichshain-Kreuzberg, Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Mitte, Reinickendorf, Pankow und Spandau. Die Liste der Gedenkorte und Bereiche, an denen das Verbot gilt, füllt in der polizeilichen Verfügung zweieinhalb DIN-A4-Seiten aus.
Die Implikationen sind atemberaubend. Angesichts dessen, dass deutsche Panzer wieder gegen Russland rollen und die Gefahr eines dritten Weltkriegs täglich wächst, untersagt der rot-rot-grüne Senat von Berlin Holocaust-Überlebenden, die Fahne ihrer Befreier zu zeigen. Weltkriegsveteranen wird verboten, die Flagge zu tragen, unter der sie ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus eingesetzt haben.
Gegenüber der Zeitung junge Welt behauptete ein Sprecher der Berliner Polizei, das Verbot solle „Provokationen und Konflikte“ vermeiden, und fügte in orwellscher Manier hinzu, dass „das Erinnern im Vordergrund stehen“ solle.
Doch tatsächlich wird jede politische Erinnerung an den Weltkrieg und seine Opfer kriminalisiert: Das Verbot erstreckt sich sogar auf militärische Uniformteile und Sankt-Georgs-Bändchen, die etwa von Veteranen der Roten Armee getragen werden. Auch russische und ukrainische Militärlieder sowie „Fahnen und Flaggen mit russischem oder ukrainischem Bezug“ sind verboten, sofern diese nicht Bestandteil von Kränzen und Gebinden sind.
Die Berliner Polizei behauptet sogar, das „Zeigen der Flagge der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR)“ sei „geeignet, den Russland-Ukraine-Krieg zu verherrlichen“. Das stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. In der Roten Armee haben russische und ukrainische Rotarmisten unter unvorstellbaren Opfern gemeinsam gegen die Wehrmacht der Nazis gekämpft.
Das Verbot des Gedenkens an die Soldaten der Roten Armee mit Fahnen der Sowjetunion geht direkt auf den Senat aus SPD, Grünen und Linkspartei in Berlin zurück. Nur einen Tag vor Verhängung des Verbots hatte der Senat beschlossen, das Kriegsende „still und nichtöffentlich zu begehen“, d.h. keinerlei Gedenkveranstaltungen für die historischen Ereignisse an diesem Tag abzuhalten.
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) erklärte, sie werde am Sonntag „öffentlich nur bei einer Solidaritätsveranstaltung für die ukrainische Gemeinschaft teilnehmen“. Das Ende des Holocaust, der Sieg über die Nazis in Berlin, die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht – all das soll nach dem Willen der Regierung aus dem öffentlichen Andenken getilgt werden.
In den letzten Wochen war es schon mehrfach zur Schändung von Ehrenmalen der Roten Armee in Berlin gekommen, zu deren Schutz und Pflege sich die Bundesrepublik bei der Wiedervereinigung eigentlich verpflichtet hatte. Besonders übel war ein Angriff auf das Ehrenmal im Treptower Park, das mit rassistischen und rechtsextremistischen Parolen wie „Tod allen Russen“ beschmiert worden war. Die anwesende Polizei will davon nichts mitbekommen haben.
Nun kann es am Tag der Befreiung dazu kommen, dass die gleichen Polizisten ehemalige KZ-Häftlinge oder Veteranen der Roten Armee gängeln, wenn sie Fahnen der Sowjetunion tragen.
Das Vorgehen des rot-rot-grünen Senats ist eine beispiellose Schändung des Gedenkens an die Befreiung vom Faschismus durch die Rote Armee. Allein in der Schlacht um Berlin sind etwa 80.000 Rotarmisten und Verbündete gefallen 280.000 wurden verletzt. Insgesamt sind dem Vernichtungskrieg der Nazis 27 Millionen Sowjetbürger zum Opfer gefallen.
Dass diesen Opfern und den Befreiern nicht mehr würdig gedacht werden darf, hat nichts mit der reaktionären Invasion Russlands in der Ukraine zu tun, sondern mit der Aggression des deutschen Militarismus. Die Nato-Mächte haben den Krieg systematisch provoziert und nutzen ihn jetzt für eine beispiellose Eskalation auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung.
Angesichts der Entsendung von Panzern und Haubitzen gegen Russland und der größten Aufrüstung der Bundeswehr seit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, wird das Gedenken an die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte und ihre Beendigung durch die Rote Armee abgesagt und verboten.
Zur gleichen Zeit werden die Verbrechen des deutschen Imperialismus systematisch verharmlost. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte am Freitag bei einer Rede in Hamburg, dass Russland einen „Vernichtungskrieg“ führe und in „zivilisatorischer Hinsicht einen Bruch“ vollziehe, also einen Zivilisationsbruch begehe. Beide Begriffe wurden bisher für die historisch beispiellosen Verbrechen der Nazis, insbesondere die geplante Vernichtung von 30 Millionen Slawen und die industrielle Tötung von sechs Millionen Juden verwendet.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Diese Begriffe nun für den russischen Einmarsch in die Ukraine zu verwenden, bedeutet diese Menschheitsverbrechen in unsäglicher Weise zu verharmlosen. Der russische Krieg basiert auf giftigem Nationalismus, aber er hat nicht die Vernichtung der ukrainischen Bevölkerung zum Ziel und auch nicht ansatzweise die Ausmaße der Verbrechen der Nazis.
Er ist die reaktionäre Antwort des Putin-Regimes auf die systematische Aggression der Nato. Schon 2014 unterstützte die Bundesregierung zusammen mit den USA den Putsch gegen den prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch, um das Land unter eigenen Einfluss zu bringen. Von Anfang an arbeitete sie dabei eng mit Faschisten zusammen, die sich in der Tradition des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera sehen.
Schon damals ging das „Ende der militärischen Zurückhaltung Deutschlands“, wie es der damalige Bundespräsident Joachim Gauck formulierte, mit der Fälschung der deutschen Geschichte einher.
„Es lässt sich kaum eine verantwortliche Politik in Europa betreiben, wenn man die Vorstellung hat: Wir sind an allem Schuld gewesen. Bezogen auf 1914 ist das eine Legende“, erklärte etwa der damalige Professor an der Humboldt-Universität, Herfried Münkler, Anfang 2014 in der Süddeutschen Zeitung.
Sein Kollege Jörg Baberowski ging noch einen Schritt weiter und zweifelte die Grausamkeit der Nazis und ihres Führers Hitler an. „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“ Den Holocaust verglich er mit Erschießungen im russischen Bürgerkrieg und erklärte: „Im Grunde war es das Gleiche: industrielle Tötung.“ An anderer Stelle hatte er der Kriegsführung der Roten Armee die Verantwortung für die zivilen Opfer des Vernichtungskriegs gegeben.
Der rot-rot-grüne Senat spielte bei dieser Geschichtsfälschung von Anfang an eine zentrale Rolle. Vertreter aller drei Senatsparteien stellten sich hinter den rechtsradikalen Professor. und der Senat deckte ihn immer wieder, wenn er seine rechtsradikalen Positionen vertrat und Geschichtsfälschung betrieb.
Zuletzt hatte der Senat sogar eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die damalige Präsidentin der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, negativ bescheiden lassen. Kunst hatte es für „menschlich verständlich“ erklärt, dass der rechtsradikale Professor Studierende tätlich angriff und ihnen drohte: „Soll ich Dir was in die Fresse hauen?“ Zuvor hatte sie seine Ausführungen zu Hitler und dem Vernichtungskrieg als „nicht rechtsradikal“ bezeichnet und verteidigt. Für SPD, Grüne und Linkspartei, die jetzt das Gedenken an die Rote Armee verbieten, war das schon im letzten Herbst keine dienstliche Verfehlung.