Finanzkrise auf den europäischen Energiemärkten

Die anhaltende Eskalation des von den USA organisierten Nato-Stellvertreterkriegs gegen Russland in der Ukraine droht eine Finanzkrise auf den europäischen Energiemärkten auszulösen, die sich auch auf die Banken und andere Bereiche des Finanzsystems ausweiten könnte.

Der Außenpolitikbeauftragte der Europäischen Union, Josep Borrell (zweiter v.r.), beim Handschlag mit dem ukrainischen Finanzminister Sergej Martschenko (links) nach einer Unterzeichnungszeremonie am Rande des EU-Ukraine-Assoziationsrats beim Europäischen Rat. Brüssel, 5. September 2022 (AP Photo/Virginia Mayo) [AP Photo/Virginia Mayo]

Am Wochenende kündigten die Regierungen von Schweden und Finnland an, sie würden Energiekonzernen mit Liquiditätsproblemen Soforthilfe in zweistelliger Milliardenhöhe gewähren, da sie mit einer Verzehnfachung der Gaspreise und heftigen Schwankungen auf den Energiemärkten konfrontiert sind, die die Finanzierung ihrer Handelsgeschäfte zunehmend erschweren.

Die unmittelbare Ursache für die Entscheidung der schwedischen Regierung, den Energieversorgern Kredite in Höhe von bis zu 23 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen, ist die Entscheidung der Großmächte, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen.

Letzten Freitag einigten sich die Finanzminister der G7-Staaten (USA, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan und das Vereinigte Königreich) darauf, ihre Bemühungen voranzutreiben, um die Preise für russisches Öl zu deckeln. Damit sollen die Einnahmen der russischen Regierung geschmälert und „die Reichweite der bestehenden Sanktionen ausgebaut und verstärkt“ werden.

Russland erklärte daraufhin, es werde die Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 einstellen, angeblich weil die Sanktionen die Wartungsarbeiten behindert haben.

Es gab sofort empörte Proteste: Es wurde behauptet, Russland würde den Gasmarkt „als Waffe benutzen“, und Moskaus Vorgehen sei ein Beweis für Russlands „Zynismus“.

Die Äußerungen von schwedischen und finnischen Ministern sowie Vertretern der Industrie verdeutlichen das Ausmaß und die Tiefe der finanziellen Probleme, mit denen die Energieunternehmen aufgrund der Art und Weise, wie sie auf dem Gasmarkt handeln, konfrontiert sind.

Dazu gehört der Einsatz von Derivaten, um große Preisschwankungen auszugleichen, für die sie Kredite von den Banken und anderen Finanzinstituten aufnehmen müssen. Die Preise sind jedoch so hoch, und die Bewegungen so heftig geworden, dass das Geld, das sie bei ihren Gläubigern als Sicherheit hinterlegen müssen, einen Punkt erreicht hat, an dem der einst „normale“ Betrieb zusammengebrochen ist.

Die Financial Times zitierte einen europäischen Händler: „Die Geldbeträge, die man braucht, um auf diesen Märkten mitzuwirken, steigen auf ein unmögliches Niveau.“

Nachdem Russland Nord Stream 1 für geschlossen erklärt hatte, kündigte die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Anderrson die Maßnahme an und erklärte, ihre Regierung würde hunderte Milliarden Kronen für die Sicherheiten bereitstellen, die die Energieproduzenten brauchen, um ihre Geschäfte finanzieren zu können.

Anderrson erklärte bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem Leiter der schwedischen Finanzaufsichtsbehörde, dem Gouverneur der Zentralbank und dem Finanzminister, Russlands Entscheidung könne „nicht nur zu einem ,Kriegswinter‘ führen, sondern auch unsere finanzielle Stabilität bedrohen“.

Nach Schwedens Schritt kündigte die finnische Finanzministerin Annika Saarikko auf Twitter ähnliche Maßnahmen an: „Wir teilen die Sorgen. Ähnliche Vorbereitungen sind in Finnland bereits im Gange.“

Darauf folgte eine Pressekonferenz des finnischen Wirtschaftsministers Mika Lintilä, bei der er auf die Schärfe des Problems hinwies, das die Regierung veranlasst hat, ein Kredit- und Garantiepaket in Höhe von zehn Milliarden Euro anzukündigen.

Er erklärte: „Auf den Märkten herrscht große Nervosität. Wir haben alle Zutaten für eine Version von Lehman Brothers im Energiesektor.“ Gemeint ist die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008, die eine globale Finanzkrise auslöste.

Die Äußerungen der Energiemarkt-Teilnehmer verdeutlichen das Ausmaß der finanziellen Gefahren.

Jean Francois Lambert, Gründer eines Rohstoffhandelsunternehmens und ehemaliger Leiter der Abteilung für Rohstoffhandelsfinanzierung bei der HSBC, erklärte gegenüber der FT, weitere Länder würden wahrscheinlich bald auf den Energiemärkten intervenieren.

Er erklärte: „Die Krise tritt ins nächste Stadium ein. Wenn einer der großen Energiekonzerne zusammenbricht, könnte das zu einem Dominoeffekt führen... Der Bedarf an Liquidität ist so groß, dass wir eines Tages ein Problem haben könnten, das dem ganzen Markt schadet.“

Der Gouverneur der schwedischen Zentralbank Riksbank, Stefan Ingfves, unterstützte die Maßnahmen der schwedischen Regierung und erklärte: „Wir müssen das auf einen Markt beschränken, damit es nicht den Finanzsektor ansteckt.“

Die Krise ist nicht auf die nordischen Staaten beschränkt, sondern betrifft den ganzen europäischen Kontinent und das Vereinigte Königreich.

Lambert erklärte, es gebe noch keine Finanzkrise, deutete aber an, die Situation könne sich zu einer entwickeln.

Er erklärte: „Die großen Banken in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien sollten in der Lage sein, dies zu verkraften. Aber wenn einer ihrer Großkunden sie in einen Liquiditätsengpass treibt, dann könnten sich alle Banken zurückziehen.“

Die Auswirkungen des eskalierenden Anstiegs der Gaspreise werden bereits spürbar. Im Juli kündigte die deutsche Regierung ein Rettungspaket in Höhe von 15 Milliarden Euro für Uniper an. Der europaweit größte Abnehmer von russischem Gas hat jeden Tag zweistellige Millionenbeträge verloren und mittlerweile weitere vier Milliarden Euro beantragt.

Der schwedische Finanzminister Max Elger äußerte sich gegenüber der FT zum Vorgehen seines Landes: „Das ist ein europaweites Problem... Liquidität ist in vielen Ländern ein Problem. Es könnte sein, dass andere Länder diesem Beispiel folgen müssen.“

Auch in Großbritannien hat die Krise schwere Folgen. Der stellvertretende Direktor der Handelsorganisation Energy UK, die etwa 100 Energieunternehmen vertritt, erklärte gegenüber der FT, die Stromproduzenten in Großbritannien seien „wirklich besorgt über die Lage hinsichtlich der Liquidität in diesem Winter“.

Er forderte die britische Regierung auf, das Ausmaß der Probleme der Unternehmen zu untersuchen und zu verstehen: „Grundsätzlich sind die Energiemärkte nicht dafür ausgelegt, mit einem solchen Maß an Marktvolatilität wie in den letzten Monaten fertig zu werden.“

Doch mit der Verschärfung des Kriegs gegen Russland und mit weiteren Wirtschaftssanktionen wird sich auch die Krise verschlimmern.

Der oberste russische Energiebeauftragte, Alexander Nowak, machte die EU für die Kürzung der Gaslieferungen verantwortlich. Er erklärte, wenn sie die Sanktionen nicht zurücknehme, würde sich die Lage bei weiter steigenden Preisen noch verschlimmern.

Er erklärte: „Sie sind für das ganze Problem verantwortlich. Ihre kurzsichtige Politik führt zu dem Zusammenbruch, den wir auf den europäischen Energiemärkten erleben. Das ist noch nicht einmal das Ende, weil wir uns immer noch in der warmen Zeit des Jahres befinden. Der Winter kommt, und viele Dinge sind schwer vorhersehbar.“

Berichten zufolge werden sich die europäischen Energieminister am Freitag zu einer Dringlichkeitssitzung treffen, um über ihre Reaktion auf die Krise zu beraten. Ein Vertreter der Elektrizitätsbranche hat bereits gewarnt, es sei nur „eine Frage von Tagen, bis nicht nur kleine, sondern auch große Stromerzeuger“ aufgrund von Liquiditätsproblemen zusammenbrechen würden.

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