Wenn es noch eines Belegs bedurft hätte, dass die Kampagne gegen Roger Waters zutiefst reaktionär ist und darauf abzielt, unter dem falschen Vorwurf des Antisemitismus jede Opposition gegen Unterdrückung und Krieg mundtot zu machen, dann hat ihn FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube geliefert.
In einem Kommentar mit dem zynischen Titel „Recht auf Unsinn“ beschimpft Kaube den bekannten Rockmusiker als „Verrückten“ und „Antisemiten“ und echauffiert sich über seine kritische Haltung zum Ukrainekrieg. Dann jubelt der FAZ-Mann, dass nach Berlin, Köln und München nun auch in Frankfurt die Forderung laut werde, „das Konzert des Musikers und BDS-Unterstützers Roger Waters abzusagen“.
Kaube weiß, dass seine Forderung durch und durch antidemokratisch und autoritär ist. „Doch wer versuchen würde, die Auftritte des Mondanbeters [Waters] zu untersagen, träfe auf die Kunst- und Meinungsfreiheit“, stellt er sichtlich erbost fest.
Sein Vorschlag, um die Zensur dennoch durchzusetzen: Die Stadt Frankfurt und das Land Hessen sollten als Anteilseigner der Messe, wo das Konzert am 28. Mai stattfinden soll, „darauf dringen, dass in die Verträge mit Künstlern künftig entsprechende Gesichtspunkte [also das Verbot jeder kritischen Äußerung] aufgenommen werden. Oder die Messe sollte solche Verträge einfach nicht abschließen.“
Der Vorsitzende der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site, David North, hat bereits in einem Tweet festgestellt, dass die Denunziation von Waters als Antisemit „nicht nur eine Lüge“ sei. Gerade aus dem Mund von Kaube sei sie „auch absolut zynisch“.
International ist Kaube vor allem als Verteidiger des rechtsradikalen Humboldt-Professors Jörg Baberowski bekannt. Anfang 2014 hatte dieser im Spiegel erklärt: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“ Im gleichen Artikel hatte sich Baberowski als Anhänger des mittlerweile verstorbenen Nazi-Apologeten Ernst Nolte geoutet und erklärt: „Nolte wurde unrecht getan. Er hatte historisch recht.“
Außenpolitisch trommelt Baberowski für völkerrechtswidrige Kriegseinsätze und -methoden. Im Oktober 2014 sagte er auf einer Podiumsdiskussion im Deutschen Historischen Museum (DHM) zum Thema „Interventionsmacht Deutschland?“ zu den westlichen Militäreinsätzen in Zentralasien und im Nahen und Mittleren Osten: „Und wenn man nicht bereit ist, Geiseln zu nehmen, Dörfer niederzubrennen und Menschen aufzuhängen und Furcht und Schrecken zu verbreiten, wie es die Terroristen tun, wenn man dazu nicht bereit ist, wird man eine solche Auseinandersetzung nicht gewinnen, dann soll man die Finger davon lassen.“
Als die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei diese schockierenden Aussagen kritisierten und damit der enormen Opposition von Arbeitern und Studierenden gegen Faschismus und Krieg Ausdruck verliehen, sprang Kaube Baberowski bei. Am 1. Dezember veröffentlichte er im Feuilleton der FAZ einen Schmutzartikel unter dem Titel „Mobbing trotzkistisch“, der die Kritik an Baberowskis rechtsextremen und militaristischen Standpunkten als „Diffamierung“ darstellte. Tatsächlich war es Kaube, der „diffamierte“. Wie die SGP in ihrer Replik aufzeigte, bediente sich Kaube einer herabsetzenden Sprache, Fälschungen und offener Lügen.
Mit der gleichen Methode geht Kaube nun gegen Waters vor. Die Behauptung, Waters sei Antisemit, ist genauso eine dreiste Lüge wie die Behauptung, er sei ein Unterstützer der russischen Invasion in der Ukraine.
„Ich bin nichts von alledem. Ich war es nie und werde es nie sein“, schreibt Waters in einem aktuellen Post auf Facebook. Er sei „jedoch als leidenschaftlicher Unterstützer von Friedensbewegungen im Allgemeinen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ... im Besonderen bekannt“ und setze sich „für gleiche Menschenrechte für alle meine Brüder und Schwestern auf der ganzen Welt ein, ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität“.
Waters aktuelle Tour This Is Not a Drill, die nach zahlreichen erfolgreichen Aufführungen in Nordamerika mit einer Million begeisterten Fans im Frühjahr 2023 auch nach Europa und Deutschland kommen wird, ist ein politisches Statement. Wie die WSWS in ihrer Besprechung der Tournee schrieb, befasst sich nahezu jeder Song „mit den drängenden Fragen unserer Zeit: imperialistischer Krieg, Faschismus, das Gift des Nationalismus, die Not der Flüchtlinge, die Opfer staatlicher Unterdrückung, weltweite Armut, soziale Ungleichheit, der Angriff auf demokratische Rechte und die Gefahr der nuklearen Vernichtung“.
Und genau hierin liegt der Grund für Kaubes Hetze. Waters tritt all dem entgegen, wofür Kaube, die FAZ und letztlich die gesamte herrschende Klasse stehen. Parallel zur scharfen Rechtsentwicklung der offiziellen Politik hat sich unter Kaubes Herausgeberschaft auch die traditionell rechts-konservative FAZ in den letzten Jahren in ein aggressives Sprachrohr für Militarismus, Krieg und rechtsextreme Ideologie entwickelt. Wenn Kaube nach Beispielen für Antisemitismus und Hetze sucht, braucht er nur sein eigenes Blatt zu lesen.
Hier einige ausgewählte Beispiele, die die WSWS teilweise bereits kommentiert hat:
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Am 14. September 2015 griff Baberowski auf den Seiten der FAZ „das Gerede von der Willkommenkultur“ und die Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel von rechts an und gab den Ton für die Hetzkampagne vor, die zum Wachstum der AfD führte. Er lehnte die Aufnahme von Flüchtlingen mit der rassistischen Begründung ab: „Die Integration von mehreren Millionen Menschen in nur kurzer Zeit unterbricht den Überlieferungszusammenhang, in dem wir stehen und der einer Gesellschaft Halt gibt und Konsistenz verleiht.“
Am 6. Oktober 2018 veröffentlichte die FAZ einen Gastbeitrag des damaligen AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland, der sich in weiten Teilen auf eine Rede stützte, die Adolf Hitler am 10. November 1933 vor Siemens-Arbeitern in Berlin gehalten hatte. Wolfgang Benz, eine Autorität auf dem Gebiet der Nationalsozialismus- und Antisemitismusforschung, warnte nach der Lektüre des Gastbeitrags, man müsse „wohl doch vermuten, dass derselbe Geist weht wie einst 1933“.
Die FAZ wirbt auf ihren Seiten regelmäßig für deutsche Atomwaffen. Der letzte Beitrag dazu erschien am 29. Oktober unter dem Titel „Braucht auch Deutschland die Bombe?“ Der Autor des Artikels und FAZ-Mitherausgeber Berhold Kohler beantwortet die Frage mit einem klaren „Ja“. Falls sich die USA von Europa abwendeten, müsse sich Deutschland „wie sein Nachbar“ Frankreich „einen eigenen Atomschirm anschaffen“. „Die deutsche Bombe würde, weil man nicht mehr auf die Opferbereitschaft befreundeter Nuklearmächte angewiesen wäre, das Glaubwürdigkeitsproblem der erweiterten Abschreckung beseitigen.“ Putin ließe sich schließlich nicht „mit Windrädern und abgeschalteten Atomkraftwerken … abschrecken“.
Bei der Kriegshetze gegen Russland spielt die FAZ eine besonders üble Rolle. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Kaube, Kohler und Co. nicht mehr deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine fordern und für ein aggressiveres Auftrumpfen der Nato gegen Moskau trommeln. Die Kampagne geht einher mit antirussischem Rassismus und der Förderung rechtsextremer Kräfte. Wiederholt gab die FAZ dem früheren ukrainischen Botschafter in Deutschland Andrej Melnyk eine Plattform. Melnyk ist ein bekennender Verehrer des ukrainischen Faschisten, Antisemiten und Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera.
Die Rehabilitierung offen faschistischer und antisemitischer Kräfte durch die FAZ beschränkt sich dabei nicht auf Deutschland und die Ukraine. In den letzten Wochen promotete das Blatt die neue italienische Regierung unter Führung der Faschistin Giorgia Meloni. „Meloni ist nicht die Teufelin“, kommentierte die FAZ gleich in ihrem ersten Meinungsartikel zur Wahl am 26. September. Vielmehr sei Italien mit der Wahl „zur politischen Normalität zurückgekehrt“.
Deutlicher könnten es Kaube und die FAZ nicht sagen. Für die herrschende Klasse gehören Faschismus, Krieg und Autoritarismus zur „Normalität“. Jeder, der das nicht akzeptiert – vor allem wenn er das so ausdrucksstark und massenwirksam tut wie Roger Waters – ist ein Gegner, der mundtot gemacht werden muss. Es spricht für Waters, dass er sich von dem rechten Medienmob nicht einschüchtern lässt, sondern in die Offensive geht.
Am Ende seines bereits erwähnten Facebook-Posts schreibt er: „Eure herrschende Klasse und eure Medien wollen mir verbieten, meine Botschaft der Liebe, des Friedens und der Revolution zu verbreiten, um euer Leben zu bereichern. Nun, ich werde kommen, und gemeinsam werden wir dieser Scharade ein Ende setzen.“ Auch die WSWS und die SGP werden Waters weiter verteidigen und die enorme Opposition von Arbeitern und Jugendlichen gegen die rechte Kampagne in den Medien mobilisieren.