Ukraine macht Jagd auf „Kollaborateure“

Die ukrainische Regierung verschärft ihre Jagd auf prorussische „Kollaborateure“. Hunderte oder sogar Tausende ihrer eigenen Staatsbürger werden deshalb angeklagt, vor allem in Regionen, die seit kurzem wieder unter der Kontrolle von Kiew stehen. Den Angeklagten drohen Haftstrafen, hohe Geldstrafen, die Beschlagnahmung von Eigentum und der Verlust weiterer Rechte. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft, die kürzlich veröffentlicht wurden, hat die Regierung mehr als 18.000 Verfahren wegen „Verbrechen gegen die nationale Sicherheit“ eingeleitet, darunter wegen Hochverrats, Sabotage, „Begünstigung des Aggressorstaats“ und „Beeinträchtigung der territorialen Integrität und Unverletzlichkeit der Ukraine“.

Die ukrainische Regierung, die im Westen als Inbegriff von Freiheit und Demokratie gepriesen wird, führt nicht nur Krieg gegen einen anderen Staat, sondern auch gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung.

Ende Oktober wurde der Direktor einer Sekundarschule in Charkiw der Kollaboration mit dem Feind beschuldigt, weil er den Lehrkräften erklärt hatte, sie würden die Schule wieder öffnen, den Unterricht auf Russisch abhalten, russische Lehrbücher und russische Bildungsstandards verwenden. Eine Woche zuvor wurde der Leiter des städtischen Straßenreparaturbetriebs in Balaklja wegen verräterischen Verhaltens angeklagt, weil er den russischen Streitkräften Geräte aus öffentlichem Besitz zur Verfügung gestellt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Charkiw von Russland besetzt.

In zahlreichen Fällen werden Einzelpersonen verfolgt, nur weil sie in irgendeiner Form politische Unterstützung für Russland geäußert haben. RBK-Ukraine veröffentlichte vom 8. bis zum 25. Oktober Artikel, die berichten, dass den folgenden Personen in irgendeiner Form eine Anklage wegen Kollaboration droht: einem Einwohner von Juschnje, der Bekannte davon überzeugen wollte, dass die Ausweitung der russischen Souveränität auf ukrainisches Gebiet gerechtfertigt sei; einer Frau, die mehr als einmal mit einer Gruppe von Menschen darüber diskutiert hat, dass die unabhängige Existenz der Ukraine falsch sei; und einem Einwohner von Charkiw, der die russische „Propaganda“ verbreitet hat, laut der Moskaus Einmarsch gerechtfertigt sei. Außerdem wurde ein Nachrichtensprecher des prorussischen Pressedienstes Luhansk 24 darüber informiert, dass gegen ihn wegen Kollaboration ermittelt wird.

Weitere derartige Anklagen stehen bevor. Die Website Ukr.net berichtete am 15. Oktober: „Die Strafverfolgungsbehörden sind weiterhin dabei, Unterstützer der Politik des Kremls unter der ukrainischen Bevölkerung ausfindig zu machen“.

Auch Personen, die anscheinend nur versucht haben, ihre Gemeinden in Kriegszeiten am Leben zu erhalten, drohen Anklagen wegen „Begünstigung des Feinds“. In Charkiw wird ein 32-Jähriger angeklagt, weil er während der Besatzung angeblich freiwillig eine Apotheke und ein Depot mit humanitären Hilfsgütern bewacht hat. Der Vorsteherin des winzigen Dorfs Walenkowe droht eine Anklage, weil sie „auf Anweisung von Vertretern der Russischen Föderation Daten und Anträge von Einwohnern gesammelt hat, um organisatorische und humanitäre Fragen zu klären“.

Weitere Tatbestände, für die Haftstrafen von über 15 Jahren drohen, sind die Beteiligung an anti-ukrainischen Partisanenkräften, die Weitergabe von Informationen über Standorte der ukrainischen Truppen an das russische Militär, Weitergabe von Informationen über „patriotische“ Ukrainer und die Bereitstellung wirtschaftlicher und anderer Mittel an die russische Seite. Ein Verhafteter, der unter dem Vorwurf gefangen genommen wurde, für eine „Volksmiliz der Besatzer“ tätig gewesen zu sein, starb angeblich bei einem Fluchtversuch, weil er auf eine russische Mine trat und sich dabei selbst in die Luft sprengte.

Die Jagd auf Kollaborateure konzentriert sich auf die Teile der Ukraine mit hohem russischen Bevölkerungsanteil. Laut Pressorg.25 wurden die meisten der vor kurzem geschaffenen „Ermittlungsbüros in den Regionen Luhansk, Saporoschje, Donezk, Charkiw und Cherson eröffnet“. Die New York Times veröffentlichte im August einen Artikel über das Vorgehen pro-ukrainischer Milizen hinter den feindlichen Linien. Der Zeitung zufolge besteht eine ihrer Aufgaben neben der Tötung angeblicher Kollaborateure darin, Pädagogen zu überwachen, von denen angenommen wird, dass sie eine pro-russische Linie vertreten. In dem Artikel heißt es: „Partisanen werden [jedoch] keine Lehrer angreifen.“ Vielmehr „haben sie als Teil ihrer psychologischen Kriegsführung versucht, sie durch Flugblätter mit bedrohlichen Warnungen an Kollaborateure zu demütigen, die sie oft an Strommasten aufhängen“.

Die Ukraine hat vor kurzem sehr weit auslegbare Gesetze über Kollaboration erlassen. Sie umfassen u.a. „das öffentliche Leugnen der bewaffneten Aggression gegen die Ukraine, die Etablierung und Zustimmung zur vorübergehenden Besetzung eines Teils des ukrainischen Staatsgebiets ... öffentliche Aufrufe zur Unterstützung der Entscheidungen oder Handlungen des Aggressorstaats, bewaffneter Gruppierungen, der Besatzungsverwaltung des Aggressorstaats ... die Verbreitung von Propaganda des Aggressorstaats in Bildungseinrichtungen ... die freiwillige Besetzung einer nicht führenden Position (die nicht in Zusammenhang mit der Ausübung organisatorischer, administrativer oder wirtschaftlicher Funktionen verbunden ist) in illegalen Behörden, die im vorübergehend besetzten Gebiet eingerichtet wurde … und die Teilnahme an oder Organisation und Durchführung von Veranstaltungen politischer Art, die Durchführung von Informationsaktivitäten in Zusammenarbeit mit dem Aggressorstaat und/oder seiner Besatzungsverwaltung mit dem Ziel, den Aggressorstaat zu unterstützen und/oder seine Verantwortung für die bewaffnete Aggression gegen die Ukraine zu leugnen“.

Vor allem für die Bewohner von Gebieten, die im Verlauf des Kriegs besetzt wurden, ist es leicht, gegen Gesetze zu verstoßen, die im Grunde jede Verbindung zum russischen Militär oder politischen Behörden oder gar die Äußerung von politischen Ansichten verbieten, die der offiziellen Haltung der Kiewer Regierung widersprechen.

Die Strafen umfassen die Aberkennung des Rechts auf bestimmte Ämter oder Posten für bis zu 15 Jahren, die Beschlagnahme von Eigentum, eine Haftstrafe von bis zu sechs Monaten, Gefängnisstrafen von drei bis 15 Jahren oder gar lebenslänglich sowie bis zu zwei Jahre Zwangsarbeit.

Anklagen, Prozesse und Bestrafungen finden in hohem Tempo statt. Die Telegram-Kanäle der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft und anderer staatlicher Stellen sind nahezu täglich voll mit Fotos der neu Angeklagten. Unter den Bedingungen des Kriegsrechts, der Zerstörung der Infrastruktur und der Flucht von mehr als sieben Millionen Menschen – darunter zweifellos auch viele Anwälte – hat man keine Chance auf ein faires Verfahren, wenn man einmal in diesen Strudel geraten ist. Schuldsprüche und Urteile folgen schnell auf die Anklagen. Auf Bildern im Internet ist zu sehen, dass sich unter den Angeklagten auch ältere Menschen und Frauen befinden, von denen viele sichtlich arm zu sein scheinen.

Die Bilder von Angeklagten, die von staatlichen Stellen veröffentlicht werden, sind zwar verschwommen, aber oft noch identifizierbar. Das ukrainische Militär benutzt momentan die von den USA bereitgestellte Gesichtserkennungstechnologie, um sowohl die eigene Bevölkerung zu überwachen als auch die Familien toter russischer Soldaten zu quälen. Hierzu machen sie die Social-Media-Accounts von Angehörigen der Toten ausfindig und schicken ihnen Bilder der Leichen. Indem die Behörden Fotos der wegen Kollaboration Angeklagten in den sozialen Netzwerken veröffentlichen, schaffen sie Bedingungen, unter denen Freunde und Familienmitglieder der Angeklagten identifiziert und Opfer von Kollektivbestrafung werden können.

Gleichzeitig sind Bestrebungen im Gange, den Abgeordneten von Oppositionsparteien, die Präsident Selenskyj im Mai verboten hatte, ihre Sitze abzuerkennen, weil sie Russland positiv gegenüberstehen und aufgrund dieser Tatsache Kollaborateure sind.

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