IGM-Warnstreiks in Leipzig und Stuttgart: „In Wirklichkeit wären 18 Prozent mehr Lohn nötig“

Am Montag und Dienstag fanden erneut mehrere Warnstreik-Kundgebungen von insgesamt vielen tausenden Metallarbeitern statt. Reporter der World Socialist Web Site sprachen mit Arbeitern des Leichtbau-Metallherstellers GF Casting Solutions und des BMW-Werks in Leipzig sowie mit Arbeitern in Stuttgart Feuerbach.

Arbeiter aller Unternehmen befürworteten einen gemeinsamen Kampf und kritisierten die Lohnforderung der IG Metall, die inmitten historischer Preissteigerungen eine massive Reallohnsenkung bedeutet.

Demonstration von Metallarbeitern in Stuttgart-Feuerbach, 14.11.2022 [Photo by Julian Rettig]

Die WSWS hilft Arbeitern weltweit, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, die sich aus vertrauenswürdigen Kolleginnen und Kollegen zusammensetzen und sich international zusammenschließen. „Das ist eine gute Idee!“, äußerten viele Arbeiter zu dieser Perspektive.

Alle Befragten waren sich einig, dass eine nominelle Lohnerhöhung von acht Prozent „zu wenig“ wäre, um den Lebensstandard zu halten. Unter Arbeitern herrscht ein wachsendes Misstrauen gegenüber der IG Metall, die in den letzten Jahren immer wieder Nullrunden und Reallohnsenkungen gegen die Belegschaften durchgesetzt hat.

BMW Leipzig

An der einstündigen Warnstreik-Aktion in der BMW-Automobilfabrik im Norden Leipzigs beteiligten sich am Montag der IG Metall zufolge rund 1800 Arbeiter der Nachtschicht.

Celine, die seit 2019 bei BMW arbeitet, ist erst seit Februar dieses Jahres festangestellt und sagt: „Ich habe definitiv weniger Geld zur Verfügung als früher. Ich muss mir dreimal überlegen, ob ich tanken kann oder schon anfangen soll, meine Wohnung zu heizen. Man muss jetzt schon auf alles achten – und dabei ist ja davon auszugehen, dass alles weiter teurer wird. Im Hinterkopf habe ich immer die Frage: Wird das Geld im Winter reichen?“

Eine Kollegin von Celine zeigt sich fassungslos, dass der Gesundheitsetat und die Sozialleistungen inmitten der Pandemie um Milliarden Euro zusammengestrichen werden, während die Bundeswehr über Nacht ein „Sondervermögen“ über 100 Milliarden Euro erhält: „Man fragt sich immer, wo das Geld herkommt!“

„In Wirklichkeit wären 18 Prozent mehr Lohn nötig, damit unser Lebensstandard nicht sinkt“, sagt ein weiterer langjähriger Arbeiter bei BMW: „Ich denke aber, dass es nicht einmal acht Prozent geben wird – mit viel Glück werden es eher fünf Prozent.“

Der BMW-Konzern hatte in den letzten Jahren aufgrund der Lohnzurückhaltung seiner Belegschaft und seines rücksichtslosen Vorgehens gegen Zulieferer Milliardenprofite eingefahren. Allein im ersten Halbjahr 2022 vermeldete die BMW Group 16.2 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern bei einer Profitmarge von 24,5 Prozent.

Dass die nominelle Lohnsteigerung von acht Prozent, mit der die IG Metall in die nicht-öffentlichen „Verhandlungen“ mit den Arbeitgebern geht, viel zu niedrig ist, wird von der überwältigenden Mehrheit der streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter geteilt. Die Gewerkschaft tut dies, obwohl sie selbst zugibt, dass die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie die gestiegenen Energiepreise „an ihre Kunden weiterreichen“ konnten und „ihre Erzeugerpreise seit Januar 2021 um 13,7 Prozent erhöht“ haben.

Ein Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der gestern veröffentlicht wurde, spricht von „ausgequetschten Automobilzulieferern“ und einem „drohenden Kahlschlag“. Als der BMW-Zulieferer BIA Forst in diesem September seinen Betrieb einstellte, bedeutete dies das Aus für 154 Mitarbeiter, die unter anderem auch Kühlergrills für BMW produziert hatten. „Die Hersteller, die aktuell Rekordgewinne machen, nehmen das billigend in Kauf“, stellt das wirtschaftsfreundliche Blatt beunruhigt fest.

Doch weit davon entfernt, eine Offensive gegen diese Profitorgie zu organisieren, nutzt die IG Metall das „Ausquetschen der Zulieferer“ durch BMW und andere Großkonzerne als Argument gegen Lohnerhöhungen. Unter der Überschrift „8 Prozent – Warum so wenig?“ anerkennt die Gewerkschaft auf ihrer Website, dass „die Inflation nach Prognose der Ökonomen die Preise auch 2023 noch weiter treiben“ werde. Auf die Frage „Warum fordert die IG Metall dann nur 8 Prozent?“ antwortet die IGM, dass die „ernste Situation“ bei „manchen kleinen und mittleren Betrieben“ keine höheren Forderungen zulasse.

In der Tat berichteten mehrere Arbeiter bei BMW in Leipzig den WSWS-Reportern, die IG Metall lasse verbreiten, dass die Diskrepanz zwischen dem Absahnen von Konzernen wie BMW und dem Bankrott ihrer Zulieferer es unmöglich mache, einen gemeinsamen Kampf von Arbeitern der gesamten Metall- und Elektroindustrie zu führen. Andere berichteten, die Gewerkschaft erkläre sogar, dass eine „Lohn-Preis-Spirale“ – d.h. eine Anpassung der Löhne an die gestiegenen Preise – in jedem Fall verhindert werden müsse.

Nach kaum einer Stunde beendete der IG-Metall-Sprecher den „Warnstreik“, indem er ein mitgebrachtes Tischfeuerwerk knallen ließ und alle Arbeiter wieder zurück ins Werk schickte. Als WSWS-Reporter auf dem Rückweg zum Werk erklärten, dass die IG Metall keine Absicht habe, eine Lohnerhöhung von acht Prozent durchzusetzen, kamen viele Arbeiter auf sie zu und verlangten ebenfalls nach einem Flugblatt.

GF Casting Solutions

Zum Warnstreik bei der Leichtbau-Metallgießerei GF Casting Solutions in Leipzig versammelte die IG Metall rund 50 bis 60 Arbeiter, laut der übereinstimmenden Aussage mehrerer Arbeiter kaum 20 Prozent der Belegschaft. Innerhalb weniger Minuten nahmen alle Arbeiterinnen und Arbeiter ein Flugblatt der WSWS, das über die wachsende Unterstützung für einen Vollstreik in der Metall- und Elektroindustrie berichtet.

Ein Rentner, der lange bei GF Casting Solutions gearbeitet hat, berichtete der WSWS: „Wir haben in den letzten Jahren immer nur eine Lohnerhöhung um die drei Prozent bekommen – das war immer weit unter der Inflation. Dazu kam eine Einmalzahlung, die aber schnell wieder weg war.“ Ein anderer erklärte: „Die Diäten der EU-Abgeordneten werden immer automatisch an die Inflation angepasst, warum nicht auch bei uns?“

Auch bei GF Casting Solutions war der „Warnstreik“ der IG Metall nach höchstens einer Stunde wieder beendet. Funktionäre kamen jedoch bereits nach wenigen Minuten auf die WSWS-Reporter zu, um sie vom Verteilen von Flugblättern und der Diskussion mit Arbeitern abzuhalten. Ein älterer Bürokrat verunglimpfte die WSWS-Reporter als „Agenten“ und forderte sie in vulgärer Sprache auf, die Demo zu verlassen.

Ein weiterer IGM-Funktionär verlangte, dass keine Interviews mehr mit Arbeitern geführt werden, verfolgte die Reporter minutenlang und versuchte, Arbeiter einzuschüchtern, die mit den Reportern sprachen. Doch weder die WSWS-Reporter noch die Arbeiter ließen sich davon beeindrucken, sie blieben und diskutierten bis zum Schluss.

Warnstreik Stuttgart Feuerbach

Die IG-Metall organisierte eine Demonstration und eine Kundgebung in Feuerbach, einem traditionellen Stuttgarter Industriebezirk, in dem mehrere tausend Arbeitnehmer beschäftigt sind.

Etwa 2000 Beschäftigte der Robert Bosch GmbH sowie von Coperion, Mahle, Koenig & Bauer MetalPrint, Voith, Lapp und vielen anderen Werken nahmen daran teil. Die Bereitschaft der Arbeiter, in einen Vollstreik zu gehen, war allgegenwärtig, und die Bürokraten waren nervös bemüht, die Situation zu kontrollieren und eine solche Entwicklung zu verhindern.

Während des Demonstrationszuges verteilte die IG-Metall Luftballons, die auf der Kundgebung mit der Forderung nach 8% Lohnerhöhung in den Himmel steigen sollten. Die meisten Beschäftigten weigerten sich, die Luftballons anzunehmen. Als der Redner „Acht Prozent“ rief, riefen die Arbeiter „Zehn Prozent“ oder mehr.

Die meisten Arbeiter sind den Verhandlungen gegenüber misstrauisch, die hinter verschlossenen Türen geführt werden. Mehrere sagten, sie hätten gehört, dass der Arbeitgeberverband Kürzungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld fordere, und die Gewerkschaft sei nicht bereit, darüber Auskunft zu geben.

WSWS-Reporter verteilten hier ebenfalls das Flugblatt „Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie: Arbeiter fordern Vollstreik“. Als die Arbeiter die Flugblätter entgegennahmen, sagten sie spontan „Vollstreik, ja, das brauchen wir“.

Sinan, auf der Kundgebung in Stuttgart-Feuerbach

Auch Sinan, der seit vier Jahren bei Bosch arbeitet, sagte, dass er für einen Vollstreik sei. Nachdem er das Flugblatt erhalten hatte, schickte er es sofort per WhatsApp an eine Gruppe von Arbeitern mit der Aufforderung, dass jeder dies lesen müsse.

„Erstens ist die Forderung nach acht Prozent bei der ständig steigenden Inflation nicht genug. Die Forderung hätte bei 15 Prozent liegen müssen“, erklärte er. „Das ist nicht nur mein Vorschlag, das sagen viele Kollegen, die ich kenne. Wir alle wissen, dass die IG-Metall nicht einmal über 15 Prozent nachdenken würde. Was hier passiert, ist kein echter Kampf. Wir können unsere Forderungen nur durch einen richtigen Streik durchsetzen.“

Martin, der auch seit 35 Jahren bei Bosch arbeitet, sagte, dass die 3000 Euro vom Arbeitgeber eine Provokation seien. Wenn man rechne, seien das weniger als 10 Euro für einen Tag. Er wisse seit Jahren, dass die Verhandlungen nicht mit dem Erreichen der anfangs gestellten Forderung enden würden. „Diesmal sind die Verhandlungen anders und finden in einer in jeder Hinsicht sehr angespannten Situation statt. Ich glaube nicht, dass die Kollegen einfach irgendwelche Kompromisse akzeptieren würden“, sagt er.

Loading