Bundesweite Razzia gegen Klimaaktivisten der „Letzten Generation“

Am Dienstagmorgen durchsuchten schwerbewaffnete Polizeieinheiten in einer bundesweiten Razzia die Wohnungen von elf Mitgliedern der Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“. Die Staatsanwaltschaft im brandenburgischen Neuruppin hatte die Hausdurchsuchungen angeordnet.

Oberstaatsanwalt Cyrill Klement gab bekannt, die Ermittlungen würden von der politischen Abteilung seiner Staatsanwaltschaft geführt. Ermittelt werde wegen „des Verdachts auf Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, Störung öffentlicher Betriebe, Hausfriedensbruch und Nötigung“.

Carla Hinrichs vom "Aufstand der Letzten Generation" wird im Februar 2022 bei einer Blockade der A100 in Berlin weggetragen. [Photo by Stefan Müller / wikimedia / CC BY 2.0]

Hintergrund der Ermittlungen sind offenbar mehrere Protestaktionen der Klimaaktivisten gegen den brandenburgischen Raffineriebetrieb PCK Schwedt im Frühjahr dieses Jahres. Damals hatten Mitglieder der Gruppe unter anderem Notfallventile einer Rohöl-Pipeline zugedreht, die von Rostock nach Schwedt führt. Die Aktion unterbrach lediglich vorübergehend den Betrieb, schädigte aber niemanden. Sie war eine Form des zivilen Ungehorsams, aber keine kriminelle Straftat.

Die Polizeiaktion fand nur wenige Tage nach der Großrazzia gegen ein umfassendes rechtes Terrornetzwerk der so genannten Reichsbürger statt, das tief in die Bundeswehr, den staatlichen Sicherheitsapparat und die gesellschaftlichen Eliten hinein reicht.

Die Hausdurchsuchungen bei den Klimaaktivisten sollen friedlichen Protest kriminalisieren und vom Ausmaß der faschistischen Gefahr in Deutschland ablenken. Sie zeigen, dass sich die Verschärfung der Gesetze zur inneren Sicherheit nicht gegen die Rechten, sondern gegen oppositionelle Jugendliche und Arbeiter richtet. Friedlicher Protest, ziviler Ungehorsam und andere Formen des Widerstands sollen kriminalisiert und eingeschüchtert werden.

Carla Hinrichs, eine der Sprecherinnen der Klimaprotestgruppe, bestätigte, dass unter anderem ihre Wohnung durchsucht wurde. Auf einer spontanen Demonstration in Berlin-Kreuzberg sagte sie am Dienstagabend, es sei schon „sehr beängstigend, wenn die Polizei deinen Kleiderschrank durchwühlt“. Ihr mache das Angst, aber sie werde sich davon nicht einschüchtern lassen. „Was ich nicht hinnehmen kann ist, dass unsere Regierung versucht, uns mundtot zu machen“, sagte Hinrichs der Deutschen Presse-Agentur. „Die Kriminalisierung von friedlichem Protest ist ein Angriff auf uns alle“, betonte sie.

Im Gegensatz dazu erklärte die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag und ehemalige Polizeibeamtin Irene Mihalic zur Razzia gegen die Klimaaktivisten: „Die im Raum stehenden Vorwürfe nehmen wir sehr ernst, und sie müssen rückhaltlos aufgeklärt werden. Die zuständige Staatsanwaltschaft und die Polizei müssen nun entsprechend ermitteln. Wir werden uns zu einem geeigneten Zeitpunkt sicherlich auch im Innenausschuss mit dem Thema befassen.“

Das Vorgehen gegen die Gruppe „Letzte Generation“ erinnert an die Zustände in der Weimarer Republik, als die Justiz Kriegsgegner wie Carl von Ossietzky und Kommunisten rücksichtslos verfolgte, während rechte Gewalttäter und Nazis – wie die Mörder Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts und Hitler nach dem gescheiterten Putsch von 1923 – verschont wurden oder mit Bagatellstrafen davonkamen.

Der Paragraph 129 StGB, auf den sich die Verfolgung der Klimaschützer stützt, steht selbst in dieser Tradition. Von 1871 bis 1945 hatte er sich noch gegen eine „staatsfeindliche Verbindung“ gerichtet. Die politische Stoßrichtung wurde schon im Namen deutlich. Verfolgt wurden damit unter Bismarck die Sozialdemokratie und nach dem Ersten Weltkrieg die Kommunistische Partei (KPD). In den 1950er Jahren wurden KPD-Mitglieder, die erst wenige Jahre zuvor aus den Konzentrationslagern der Nazidiktatur freigekommenen waren, wieder mit diesem Paragraphen konfrontiert. Er wurde in den 1950er und 1960er Jahren genutzt, um Gegner der Wiederaufrüstung und tatsächliche oder vermeintliche Unterstützer der 1956 verbotenen KPD zu verfolgen.

Juristisch sind die Ermittlungen gegen die Klimaaktivisten haltlos. Legal Tribune Online zitiert den Tübinger Staatsrechtsprofessor Jochen von Bernstorff mit der Aussage, auch „störende Protestformen sind in der Regel vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt“. Von Bernstorff macht darauf aufmerksam, dass die Debatte nicht neu sei. Er erinnert an die Sitzblockaden gegen nukleare Wiederaufbereitungs- und Endlagerstandorte in den 1980er-Jahren und an Proteste vor US-Kasernen gegen die atomare Nachrüstung im sogenannten „heißen Herbst“ 1983.

Damals beteiligten sich führende Intellektuelle, wie die Schriftsteller Heinrich Böll, Günter Grass, Walter Jens, der Theologe Helmut Gollwitzer und der spätere Innenminister Otto Schily an Sitzblockaden gegen den Nato-Doppelbeschluss.

Doch seitdem wurde das Strafrecht systematisch verschärft. Bereits 1976 wurde der Paragraph 129 durch den Paragraphen 129a ergänzt, der Bildung, Mitgliedschaft und Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung“ sowie das Werben dafür unter Strafe stellt. Als Begründung dienten terroristische Anschläge der Rote-Armee-Fraktion (RAF) und der Bewegung 2. Juni.

Die mit dem Paragrafen 129a verbundenen Ausführungsbestimmungen der Strafprozessordnung stellen einen beispiellosen Eingriff in die demokratischen Rechte von Beschuldigten und Verteidigern dar. Sie erlauben Untersuchungshaft bei bloßem Verdacht, schränken den Besuchs- und Postverkehr von Inhaftierten ein, ermöglichen die Kontrolle des Postverkehrs zwischen Verteidiger und Mandanten und verbieten dem Verteidiger, mehrere Angeklagte gleichzeitig zu vertreten.

Nach einer Verurteilung nach Paragraf 129a kann Isolationshaft verhängt werden, was gegen die Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen verstößt und der BRD schon mehrfach Beschwerden von Amnesty International, dem Menschenrechtsausschuss der UNO und dem Europäischen Parlament eingebracht hat. Außerdem bietet der Paragraf 129a die Möglichkeit zu weitgehender polizeilicher Überwachung und Ausschaltung von Datenschutzbestimmungen.

Je heftiger sich der Widerstand in der Bevölkerung gegen Krieg, Inflation und soziale Verwüstung entwickelt, desto mehr wird der Polizeistaat aufgerüstet. In Bayern hat die Polizei Anfang November zwölf Klimaaktivisten in Vorbeugehaft gesperrt, weil sie sich auf dem Stachus in der Innenstadt festgeklebt und für anderthalb Stunden den Verkehr behindert hatten. An diesem Dienstag, zeitgleich mit der Razzia, bestätigten bayerische Richter den wochenlangen Präventivgewahrsam.

Das Vorgehen gegen die Gruppe „Letzte Generation“ gibt einen Eindruck, mit welcher Rücksichtslosigkeit die Herrschenden gegen Widerstand vorgehen werden, der ihre Interessen wirklich gefährdet. „Letzte Generation“ vertritt äußerst beschränkte politische Forderungen, die das kapitalistische Profitsystem, die Ursache der Umweltzerstörung, nicht in Frage stellen: Ein generelles Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung, ein bundesweites 9-Euro-Ticket.

Die Gruppe wendet sich nicht an die arbeitende Bevölkerung, die von den verheerenden Folgen des Klimawandels am meisten betroffen ist, sondern an die Regierungen. Mit spektakulären Protestaktionen, die möglichst viel Medienaufmerksamkeit hervorrufen sollen, will sie diese unter Druck setzen. Zu ihren Forderungen gehört ausdrücklich auch ein Gespräch mit der Bundesregierung.

Die Gruppe entstand vor einem Jahr, als Aktivisten während der Bundestagswahl im Regierungsviertel einen Hungerstreik durchführten. Sie forderten ein Gespräch mit den drei Kanzlerkandidaten von CDU, SPD und Grünen und „Sofortmaßnahmen gegen die Klimakrise“.

Inzwischen ist „Letzte Generation“ mit ähnlichen Gruppen in anderen Ländern vernetzt, die neben Straßenblockaden auch spektakuläre Angriffe auf Kunstwerke und andere kostbare Objekte durchführen, die, wie die WSWS in einem früheren Artikel aufzeigte, „in mehrfacher Hinsicht fehlgeleitet und reaktionär“ sind.

Kritik an den Methoden von „Letzte Generation“, die einer Verbindung von Verzweiflung über das verheerende Ausmaß der Klimakrise und politischer Fehlorientierung entspringen, rechtfertigt aber nicht deren Verfolgung durch den Staat. Im Gegenteil, ihr demokratisches Recht auf freie Meinungsäußerung und Protest muss energisch verteidigt werden.

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