Millionen Arbeiter in Frankreich demonstrieren gegen Rentenkürzungen, Macron und Krieg

Am Dienstag fanden in ganz Frankreich zum zweiten Mal Proteste gegen die Rentenkürzungen der Regierung statt. Präsident Emmanuel Macron will das Mindestrentenalter auf 64 Jahre sowie die Beitragsjahre auf 43 Jahre erhöhen. Eisenbahner und Arbeiter der Verkehrsbetriebe, Energiekonzerne, Raffinerien und des öffentlichen Diensts traten in den Streik. Sie kritisierten auch die übrige Politik der Macron-Regierung, darunter Frankreichs verstärkte Rolle im Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine.

Bereitschaftspolizisten in Kettenformation auf einer Kundgebung gegen die geplante Heraufsetzung des Rentenalters in Paris, Esplanade des Invalides, 31. Januar 2023 [AP Photo/Thibault Camus]

Die Proteste waren größer als die Demonstrationen vom 19. Januar, an denen zwei Millionen Menschen teilnahmen. Laut den Gewerkschaften, die zu landesweiten Aktionen aufgerufen hatten, demonstrierten in Marseille 205.000 Menschen, 80.000 in Toulouse, 28.000 in Nantes, 25.000 in Nizza und 18.000 in Toulon. In Rennes, wo 23.000 Menschen demonstrierten, ging die Polizei mit Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor. Die Confédération générale du travail (CGT) sprach von 500.000 Demonstranten in Paris, d.h. 100.000 mehr als am 19. Januar.

Premierministerin Elisabeth Borne, die vor Beginn der Proteste angekündigt hatte, die Erhöhung des Rentenalters sei „nicht verhandelbar“, mobilisierte 11.000 Polizisten in ganz Frankreich, 4.000 davon in Paris.

Der landesweite Streik ist Teil eines breiteren Aufschwungs des Klassenkampfs in ganz Europa und weltweit. Am Dienstag protestierten türkische Raffineriearbeiter, die „Dienst nach Vorschrift“ machten, in Spanien streikten die Fluglotsen und in Brüssel demonstrierten 12.000 Arbeiter, darunter Verkehrsarbeiter, Lehrer und Beschäftigte des Gesundheitswesens, gegen sinkende Reallöhne und Inflation sowie für bessere Arbeitsbedingungen.

Am 1. Februar gab es Streiks in Großbritannien und Finnland. Die finnischen Gewerkschaften haben in mehreren Branchen Lohnerhöhungen von fünf Prozent gefordert, obwohl die Inflation mit über zehn Prozent viel höher liegt. Die Streiks sollen den ganzen Monat andauern.

In Großbritannien wird mit einer halben Million Streikenden gerechnet, da Lehrer, Eisenbahner, Beamte, Universitätsdozenten, Busfahrer und Sicherheitspersonal in den Streik treten. Aus der Downing Street, dem Amtssitz des britischen Premiers, hieß es, der Mittwoch werde „sehr schwierig“ werden.

In ganz Europa und weltweit geht die Arbeiterklasse als internationale Kraft in die Offensive gegen nicht nationale, sondern globale Probleme: Inflation, Sparmaßnahmen, die Gesundheitskrise und Krieg. In Frankreich wurde der wachsende Widerstand gegen Krieg und Militärausgaben am Dienstag besonders deutlich, nachdem Macron einen riesigen Militärhaushalt von 400 Milliarden Euro angekündigt hat.

Die Streiks werfen grundlegende Fragen der politischen Perspektive auf: Wie können die Arbeiter die Hindernisse überwinden, die ihnen die regierungstreuen Gewerkschaftsbürokratien in den Weg legen? Wie können sie die Arbeiterklasse über nationale Grenzen hinweg vereinen und die Politik der Macron-Regierung bekämpfen, die gemeinsam mit den Gewerkschaften ausgehandelt wird? Es ist von entscheidender Bedeutung, die Arbeiterklasse gegen die rücksichtslose Eskalation des Nato-Kriegs gegen Russland zu vereinen, die von der französischen CGT-Gewerkschaftsbürokratie offiziell unterstützt wird.

Demonstranten in Amiens mit Schildern, auf denen steht: „Für Krieg ist immer Geld da, für Frieden nie.“

Valérie, die an einer Behindertenschule arbeitet und am Protest in Paris teilnahm, äußerte gegenüber der WSWS ihre Befürchtung, dass die Lieferung von Panzern an die Ukraine durch Macron und die anderen Nato-Mächte einen globalen Konflikt provozieren könnte: „Es stimmt, dass das ein reales Risiko ist. Ich habe vor all dem Angst. Aber wir sind hier, ich stehe morgens auf und sage mir, dass ich für mich, meinen Sohn und für meine Kinder kämpfe, wir kämpfen immer.“

Die WSWS sprach auch mit Maxime, der in einer Buchhandlung arbeitet. Er erklärte, er sei gekommen, „um gegen Macrons Rentenkürzungen zu protestieren und dagegen zu kämpfen, dass ich möglicherweise zwei Jahre länger für eine Rente arbeiten muss, die in jedem Fall sehr gering sein wird... Und in einem Buchladen verdient man nicht viel. Wenn man in einem Buchladen arbeitet, muss man mit wenig Geld auskommen. Das Einzige, was wir bisher wirklich wissen, ist, dass wir erst mit 64 in Rente gehen sollen. Tatsächlich wissen die meisten von uns, dass sie eher mit 67, 68 oder sogar 70 Jahren in Rente gehen werden.“

Maxime kritisierte, dass Macron so hohe Summen für Krieg und Polizei ausgibt, während der reichste Mann der Welt, Bernard Arnault, ein rasant wachsendes Privatvermögen von 213 Milliarden Euro hat: „Es gibt so viel Geld für die Armee, für die Polizei und die Sicherheitskräfte. Aber wenn man andererseits davon redet, die Löhne der Arbeiter zu erhöhen, Menschen zu helfen, dann ist nichts da, obwohl der reichste Mann der Welt heute ein Franzose ist. In Macrons zwei Amtszeiten hat er riesige und immer neue Summen an die Konzerne verteilt, während die Arbeiter die Zeche zahlen sollen.“

Maxime äußerte die Hoffnung, dass die Proteste eine soziale Explosion auslösen werden: „Ich glaube, in der Bewegung gegen die Rentenkürzungen kommt viel Frustration zusammen, über alles, was seit Macrons Wahl passiert ist... und eigentlich schon davor. Wir hoffen, dass [die Proteste] auch der Katalysator für andere Bewegungen sein werden, wie seinerzeit die ,Gelbwesten‘, die zu anderen Protesten geführt haben, zum Beispiel gegen das Sicherheitsgesetz und all das.“

Die WSWS sprach auch mit Gymnasiasten, die ebenfalls gegen die Erhöhung des Rentenalters protestierten. Einer von ihnen erklärte: „Die Leute sollen viel später in Rente gehen, obwohl einige Jobs viel härter oder komplizierter sind als andere. Also werden offensichtlich einige sterben, bevor sie in Rente gehen können, und wir wollen nicht vor der Rente sterben. Wir wollen das Leben genießen und so jung in Rente gehen, dass wir auch den Rest unseres Lebens erleben können.“

Jihan, ein Oberschüler, betonte die Bedeutung der Vereinigung von Schülern und Studenten mit der Arbeiterklasse: „Ich halte es für sehr gut, dass sich Gymnasiasten betroffen fühlen. Es ist besser aufzuwachen und gegen die Ungerechtigkeit zu kämpfen. Sobald wir mit der Schule fertig sind, werden wir zu arbeiten beginnen oder einen Job finden müssen, um unser Studium zu finanzieren. Deshalb stehen Schüler und Studenten den Arbeitern sehr nahe.“

Reporter der WSWS berichteten auch über die Proteste im nordfranzösischen Amiens, die mit 18.000 Teilnehmern und vielen Jugendlichen noch größer waren als diejenigen am 19. Januar. Sie sprachen mit der Schülerin Augustine, die erklärte: „Wir haben vor unserer Schule protestiert, damit die Leute nach Amiens kommen. Wir unterstützen die Älteren. Macrons Militäretat ist eine politische Entscheidung, um Kriege im Interesse des Systems zu unterstützen.“

Studenten protestieren in Amiens gegen die Rentenkürzungen. Auf dem Sarg steht: „1982–2023. Ruht in Frieden, unsere Renten ab 60 Jahren“

Rémi, der an der Jules-Verne-Universität Geschichte studiert, verurteilte die „Bedingungen, unter denen Arbeiter in dieser Zeit der Inflation leben“. Er erklärte: „Die Situation wird immer schlimmer. Wir müssen nutzlose Ausgaben wie den Militärhaushalt einstellen. Während der Pandemie haben sich die Bosse unablässig bereichert, jetzt haben die Leute Schwierigkeiten, sich ausreichend zu ernähren.“

Drei Studenten der Politikwissenschaften von der gleichen Universität erklärten, Macrons Kürzungen seien „illegitim“. Louise sagte: „Macron macht das Leben der jungen Leute prekär. Wir wollen unsere Jugend genießen, ohne uns darüber Sorgen machen zu müssen, was in 50 Jahren mit uns sein wird. Aber in diesem System haben wir keine Zukunft. Die Militärbudgets sind wirklich beängstigend. Wenn wir ums Überleben kämpfen, ist dies nicht der richtige Zeitpunkt für solche Maßnahmen.“

Mathieu erklärte gegenüber der WSWS: „Wir sind die Arbeiter von morgen, aber wir werden bespuckt. Unsere Schuljahre gelten nicht als Beitragsjahre zur Rente. Wir sehen, in welchem Gesundheitszustand unsere Eltern sind, wenn sie mit 60 in Rente gehen. Für uns wird es genauso sein! Wir kämpfen dagegen, aber die Regierung interessiert die Meinung der Menschen auf der Straße nicht.“

Die entscheidende Aufgabe ist die internationale Vereinigung der Arbeiter gegen den imperialistischen Nato-Krieg und die Austeritätsdiktate der Finanzoligarchie. Macrons Klassenkriegspolitik zielt vor allem darauf ab, hunderte Milliarden Euro einzusparen, um die Raubzüge der Nato zu finanzieren. Der Kampf der Arbeiterklasse gegen Krieg und Sparpolitik muss von einer bewussten internationalen Antikriegsbewegung der Arbeiterklasse und Jugend getragen werden.

Dies erfordert vor allem, den Gewerkschaftsbürokratien, die mit Macron und den anderen Nato-Regierungen verhandeln, die Kontrolle über den Kampf zu entreißen, und Aktionskomitees aufzubauen, die von den Gewerkschaftsbürokratien und ihren politischen Verbündeten unabhängig sind. Die Arbeiter können in dem Klassenkrieg, der gegen sie geführt wird, nur mit ihren eigenen Aktionskomitees siegen, gestützt auf eine sozialistische Perspektive, um die Macht in den Betrieben zu übernehmen, den Krieg zu beenden und die reaktionären Regierungen wie die von Macron zu stürzen.

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