Sri Lanka: Hunderttausende Arbeiter beteiligen sich am Streiktag gegen staatliche Kürzungen

Hunderttausende von Beschäftigten des sri-lankischen öffentlichen Dienstes und der Privatwirtschaft protestierten am Mittwoch mit einem eintägigen Streik gegen die Kürzungsmaßnahmen und Angriffe auf demokratische Rechte. Sie widersetzten sich damit den Anweisungen der Wickremesinghe-Regierung, einen Minimalbetrieb aufrechtzuerhalten.

Lehrer bei einer Demonstration gegen die Kürzungsmaßnahmen der Regierung in Homagama, 15. März 2023

Ärzte und Pflegekräfte, Lokführer und Beschäftigte der Häfen, der Energiebetriebe, der Post und der Telekom beteiligten sich am Streik. Dazu kamen Angestellte der staatlichen und privaten Banken, Akademiker sowie Universitätspersonal und Lehrer. Dienstleistungsbetriebe wie Krankenhäuser, Schulen, Universitäten, die Post, das Telekommunikationswesen und die Elektrizitätswerke standen still.

Singhalesisch- und tamilischsprachige Arbeiter, darunter auch Einwohner der kriegswüsteten Stadt Jaffna im Norden des Landes, beteiligten sich und trotzten so den religiösen und ethnischen Spaltungen, die die herrschenden Eliten schüren.

Zu den vom Internationalen Währungsfonds (IWF) diktierten Maßnahmen gehören: eine neue Lohnsteuer, mit der Arbeiter stärker belastet werden, höhere Zinsen bei den Banken, höhere Beiträge für Strom und andere Versorgungsleistungen, die Kürzung der Überstundenzuschläge, die Privatisierung von Staatsbetrieben und der Abbau von Zehntausenden von Stellen im öffentlichen Dienst. Die Streikenden forderten die Rücknahme all dieser Maßnahmen und die Zahlung einer Unterstützung in Höhe von 20.000 Rupien (228 Euro) als Ausgleich für die hohen Lebenshaltungskosten.

Um den Streik zu verhindern, hatte Wickremesinghe am Dienstag die Verordnungen über den Minimalbetrieb in systemrelevanten Bereichen auf die Eisenbahn und das Postwesen ausgeweitet. Schon bisher sind Streiks im Energie-, Erdöl-, Hafen-, Gesundheits- und Verkehrsbereich verboten. Außerdem wurde den Postbeschäftigten der Urlaub gestrichen.

Im Vorfeld des landesweiten Ausstandes behauptete der Kabinettssprecher und Medien- und Verkehrsminister Bandula Gunawardhena, das Vorgehen der Arbeiter sei „Verrat“ und „Sabotage“ an den Verhandlungen mit dem IWF, bei denen es über einen Kredit in Höhe von 2,9 Milliarden Dollar geht. Er erklärte, wer gegen die Verordnungen zum Minimalbetrieb verstoße, werde „mit der vollen Strenge des Gesetzes“ bestraft.

Soldaten vor dem Hauptbahnhof bei Colombo Fort während des landesweiten Streiks am 15. März 2023

Obwohl die Regierung bewaffnete Soldaten an den Bahnhöfen und dem Hafen von Colombo stationiert hatte, um den Streik zu unterdrücken, legten die Arbeiter auch dort die Arbeit nieder. Als streikende Hafenarbeiter versuchten, das Hafengelände zu verlassen, stellten sich Soldaten ihnen in den Weg und verursachten eine angespannte Konfrontation.

Der Streik am Mittwoch hat nachdrücklich gezeigt, dass die Arbeiter bereit sind, gegen die Kürzungsmaßnahmen der Regierung zu kämpfen. Ein solcher Kampf ist jedoch keineswegs das Ziel der Gewerkschaften, die zu dem Streik aufgerufen hatten. Dies betrifft vor allem das Trade Union Coordination Centre (TUCC), ein Kollektiv von Dutzenden von Gewerkschaften, darunter die Gewerkschaften des Gesundheitswesens, die Health Professionals Federation (HPF) und die Government Medical Officers Association, sowie die Trade Unions and Mass Organisations (TUMO).

Die Gewerkschaften versuchen verzweifelt, die wachsende Massenbewegung an die Oppositionsparteien im Parlament zu fesseln. Dabei stehen diese Parteien, die Samagi Jana Balawegaya (SJB) und die Janatha Vimukthi Peramuna (JVP), genauso hinter dem IWF-Diktat wie die Regierung .

Die Gewerkschaften der Pflegekräfte und der Energie- und Telekombranche beschränkten den Arbeitskampf auf einen Krankschreibungsstreik. Im Hafen von Colombo wies die dortige Gewerkschaft die Arbeiter an, zur Arbeit zu erscheinen, aber nicht zu arbeiten. Und in weiteren Fällen wurden Arbeiter angewiesen, zu Hause zu bleiben und nicht öffentlich zu protestieren.

Die Gewerkschaften der Erdölindustrie weigerten sich, an dem landesweiten Ausstand teilzunehmen. Asoka Ranwala, der Vorsitzende der JVP-nahen Petroleum General Employees Union, erklärte auf die Frage der World Socialist Web Site, warum sich die Gewerkschaft nicht am Streik beteilige, andere Gewerkschaften würden mit der Regierung verhandeln, daher werde es keine Streiks geben.

Trotz alledem schlossen sich am Mittwoch Tausende von Arbeitern aus zahlreichen Gewerkschaften den landesweiten Streiks an.

Ranwalas Haltung ergibt sich aus der pro-kapitalistischen Politik der JVP und ihrer Unterstützung für die Forderungen des IWF. So hat JVP-Parteichef K.D. Lal Kantha, der auch Präsident des JVP-geführten National Trade Union Centre ist, am Montag auf einem Treffen von Gewerkschaften und Fachverbänden erklärt, sein Verband lehne die Pläne für einen dauerhaften Streik nach dem 15. März ab.

Die Gewerkschaften fürchten den wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse nicht weniger als die Regierung, und sie tun ihr Bestes, um diese Bewegung zu unterdrücken.

Am 2. März, einen Tag nach dem letzten landesweiten Streik, räumte Ravi Kumudesh, Präsident der Gewerkschaft der Pflegekräfte (HPF), offen ein: „Wenn wir die Arbeiter zu einem gemeinsamen Kampf aufriefen, würden alle auf die Straße gehen. Wir halten die Leute zurück und sagen ihnen, zu derartigen Streiks könnten wir nicht aufrufen.“

Die Wickremesinghe-Regierung steckt in einer immensen Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich durch die Corona-Pandemie und den anhaltenden Nato-Krieg gegen Russland noch weiter verschärft hat. Sie ist entschlossen, den Arbeitern und der armen Landbevölkerung die volle Last dieser Krise aufzubürden. Während die Gewerkschaften behaupten, mehr Druck auf die Regierung könne diese umstimmen, betont Wickremesinghe immer wieder, dass er das Programm des IWF bis zum letzten Komma umsetzen werde.

Mitglieder der Socialist Equality Party (SEP) und Arbeiter der Aktionskomitees verteilten am Mittwoch eine gemeinsame Erklärung mit dem Titel: „Baut Aktionskomitees in allen Betrieben auf! Für einen gemeinsamen Kampf gegen die Austeritätsmaßnahmen der sri-lankischen Regierung!“ Darin heißt es:

Der Kampf zur Verteidigung unserer demokratischen und sozialen Rechte darf nicht in den Rahmen der Gewerkschaften eingezwängt bleiben ... Wenn die Gewerkschaften, die mit tausend Fäden an das kapitalistische System gebunden sind, unsere Kämpfe weiterhin kontrollieren, werden sie uns mit Sicherheit verraten. Wir müssen den Kampf für unsere Rechte selbst in die Hand nehmen. Das ist nur durch den Aufbau von Aktionskomitees der Arbeiter in allen Betrieben, Fabriken, Plantagen und unseren Stadtvierteln möglich, die unabhängig von den Gewerkschaften und allen kapitalistischen Parteien handeln können.

Weiter heißt es darin, die SEP-Forderung nach einem sozialistischen und demokratischen Kongress der Arbeiter und ländlichen Massen müsse die Grundlage für eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse schaffen, um eine Arbeiter- und Bauernregierung, gestützt auf ein sozialistisches und internationalistisches Programm, zu errichten.

Im Gespräch mit der SEP äußerten streikende Arbeiter ihre Wut auf die Regierung und die Gewerkschaften.

Eine Gruppe von etwa 200 streikenden Lehrern aus mehreren Schulen in Homagama, etwa 22 Kilometer von Colombo entfernt, protestierte ab 10 Uhr morgens eine Stunde lang in der Innenstadt. Sie trugen Plakate mit folgenden Forderungen: „Schluss mit den unbezahlbaren Lebenshaltungskosten“, „Korrigiert die ungerechte Steuerpolitik“ und „Beseitigt die Anomalie bei Lehrer- und Schulleitergehältern“.

Eine Lehrerin beschrieb die unerträglichen Bedingungen, unter denen ihre Familie und mehrere ihrer Schüler leben. Sie können sich nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln und anderen lebensnotwendigen Dingen wie Kleidung und Medikamenten versorgen. Sie sagte: „Mein Problem ist, dass diese Streiks nicht konsequent organisiert werden. Schaut euch diese Protestveranstaltung an, die die Gewerkschaften auch schnell beenden werden, ohne dass man weiß, was wir als nächstes tun sollen.“

Ruchira Madhava

Ruchira Madhava, Lehrer an einer anderen großen Schule, hatte im Vorfeld des Arbeitskampfs an einem Treffen des Lehrer-Schüler-Eltern-Aktionskomitee teilgenommen. Er sagte: „Ich unterstütze diesen Streik uneingeschränkt. Er muss Teil eines vereinten Kampfes gegen das kapitalistische System sein. Aber wir Arbeiter müssen definitiv mit den Gewerkschaften brechen und einen unabhängigen Kampf führen.“

Er fuhr fort: „Die Arbeiter in Sri Lanka sind mit dem globalen Finanzkapital konfrontiert. Deshalb haben wir keine Chance, innerhalb des kapitalistischen Systems etwas an dieser Situation zu ändern, wie es die Gewerkschaften behaupten. Die Politik des IWF kann nur durch einen internationalen Kampf gegen das kapitalistische System gestoppt werden.“

In Bandarawela, 193 Kilometer von Colombo entfernt, berichtete ein Postangestellter, wie die Gewerkschaften versucht hatten, den Kampf zu sabotieren:

„Ich hörte, es werde um 10 Uhr Protestaktionen im Stadtzentrum geben. Wir gingen um die Zeit hin, aber es war niemand da. In anderen Meldungen hieß es, es würde um 13 Uhr Proteste geben, also ging ich wieder hin. Einige Leute waren da, aber ich sah keine Gewerkschaftsführer. In Wirklichkeit wollen sie uns demoralisieren und diesen Kampf beenden. Es stimmt, was die SEP sagt: Dieser Kampf macht noch deutlicher, dass wir in unseren Betrieben Aktionskomitees als eigene Organisationen aufbauen müssen.“

Matugama, ein Angestellter der Bank of Ceylon in Pelawatta, sagte, die meisten Kollegen hätten sich an den Streiks beteiligt, obwohl die Personalabteilung mit Disziplinarverfahren gedroht habe.

Er erklärte: „Die derzeitige Krise betrifft alle unterdrückten Teile der Gesellschaft, deshalb wollen alle Widerstand gegen die Angriffe der Regierung leisten. Es ist durchaus möglich, einen vereinten Kampf zu organisieren. Wie ihr erklärt habt, können wir einen solchen vereinten Kampf aber nur führen, wenn wir unabhängig von den Gewerkschaften Aktionskomitees aufbauen.“

Protest nichtakademischer Mitarbeiter der Universität Moratuwa, 15. März 2023

Ein Angestellter der Universität Moratuwa kritisierte, dass die Gewerkschaften einen vereinten Kampf ablehnen: „Mit diesen Gewerkschaften sollen wir einen vereinten Kampf führen? Die Akademikergewerkschaften haben bereits zugestimmt, die Steuern zu zahlen. Ihre einzige Forderung ist, dass sie gesenkt würden. Nichtakademisches  Personal wird zu schlecht bezahlt, um Steuern zu zahlen, aber wir müssen gemeinsam die Abschaffung der neuen Steuerpolitik und einen Lohn fordern, der unsere Lebenshaltungskosten deckt.“

Er bezeichnete den Vorsitzenden der Government Nursing Officers Union, Saman Ratnapriya, der das Kürzungsprogramm der Regierung verteidigt hatte, als „das beste Beispiel dafür, wie die Gewerkschaften die Arbeiter verraten“.

In Jaffna schlossen sich Beschäftigte der Universität den streikenden Lehrern an, die am zentralen Busterminal protestierten. Sie trugen selbst geschriebene Plakate mit Parolen wie: „Abschaffung aller Steuern“, „Keine Beteiligung der Eltern an den Stromkosten der Schulen“, „Für eine Lösung des Beförderungsproblems“ und „Zuschüsse für Schulleiter und Lehrer“.

Lehrerdemonstration in Jaffna gegen die Austeritätsmaßnahmen der Regierung, 15.März 2023

Ein Lehrer erklärte: „Als Beschäftigter der Regierung kann ich nicht für meine Familie sorgen, weil alle Preise so beispiellos stark angestiegen sind. Wir brauchen Gehaltserhöhungen, denn Beschäftigte im öffentlichen Dienst haben keine andere Möglichkeit, ihr Einkommen aufzubessern. Ich musste bereits den Schmuck meiner Frau verpfänden, und heute verpfände ich noch meinen Ring.“

Er fügte hinzu, die Wirtschaftskrise in Sri Lanka zwinge viele Lehrer, im Ausland zu arbeiten. „Das sorgt für einen Lehrermangel. An vielen Schulen fehlen Lehrer für wissenschaftliche Fächer auf Hochschulreife, auch für den Englischunterricht.“

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