Neue Warnstreiks im öffentlichen Dienst

In dieser Woche wird erneut der öffentliche Dienst bestreikt. Hunderttausende haben schon die Arbeit niedergelegt, und praktisch alle Bundesländer sind betroffen. Wie sich zeigt, wird in den Kitas, Krankenhäusern, Stadtwerken, Verkehrsbetrieben und Verwaltungen bei grassierender Personalnot und Reallohnsenkung längst am Limit gearbeitet.

In wachsendem Maß steigt auch die Wut über die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die keine gemeinsame, effektive Streikbewegung will. Die Verdi-Funktionäre halten zwar große Reden über das „unseriöse“ Angebot der Gegenseite, bereiten aber hinter den Kulissen einen Ausverkauf vor, wie das Beispiel Post zeigt.

Die Postler haben in der Urabstimmung mit 86 Prozent für einen unbefristeten Streik gestimmt, aber Verdi hat sich danach innerhalb weniger Stunden mit dem Postvorstand geeinigt. Die Verdi-Verhandlungskommission hat ein Tarifabkommen akzeptiert, das genauso schlecht ist wie das erste, abgelehnte Angebot.

„Unterbezahlt, unterbesetzt, überfordert, überlastet“, diese Sozialarbeiterin aus Hessen drückt die Stimmung im ganzen öffentlichen Dienst aus

„Unterbezahlt, unterbesetzt, überfordert, überlastet“ – mit diesem Plakat brachte eine Sozialarbeiterin aus Hessen die allgemeine Stimmung auf den Punkt. Für eine grundsätzliche Verbesserung ihrer Lage streikten auch am gestrigen Mittwoch Sozialarbeiter, Erzieherinnen, kommunale Angestellte, Pflegekräfte der städtischen Krankenhäuser, Seniorenheime und der Behindertenpflege, wie auch Müllwerker, Straßenbahnfahrer und viele weitere.

Während in Sachsen schon am Montag gestreikt wurde, rief Verdi in Bayern und NRW für den Dienstag zum Streik auf. An drei Kundgebungen in Gelsenkirchen, Mönchengladbach und Köln beteiligten sich rund 30.000 Streikende. Weitere 20.000 nahmen am Mittwoch in Baden-Württemberg an Warnstreiks teil, und in Leipzig soll es am Freitag weitere Aktionen und eine zentrale Kundgebung geben.

In Berlin waren am Mittwoch Angestellte der Arbeitsagentur und der Jobcenter im Ausstand, daneben Beschäftigte der beruflichen Ausbildung und der Studierendenwerke. Am Donnerstag werden erneut die Berliner Krankenhäuser Charité, Vivantes und die Vivantes-Töchter, sowie das Jüdische Krankenhaus bestreikt.

Die Beschäftigten der Stadtreinigung und der Wasserbetriebe sind am Donnerstag und Freitag im Streik. Am Warnstreik nehmen heute auch Azubis verschiedener städtischer Betriebe und des Nahverkehrs BVG teil. Fahrer versuchen, für den 27. März gemeinsam mit Eisenbahnern der EVG zu streiken, die ebenfalls im Tarifkampf sind.

In Hamburg blieb am Mittwochmorgen der größte Hafen Deutschlands für große Schiffe gesperrt, da die Lotsenversetzer noch bis zum Freitag streiken. Weiter soll am Freitag erstmals auch der Nord-Ostsee-Kanal (NOK) an den Schleusen in Kiel und Brunsbüttel bestreikt werden.

Kundgebung von Streikenden vor dem Sitz des Arbeitgeberverbandes (KAV) in Frankfurt/Main

In Frankfurt beteiligten sich am Mittwoch mehrere tausend Beschäftigte der Stadtwerke, der Kitas, der AWO-Pflegeheime, von Mainova (Strom- und Gasversorgung) und der Städtischen Verkehrsbetriebe. Die Stadt wirkte sehr ruhig, da keine Straßenbahn oder U-Bahn fuhr und die kommunalen Ämter geschlossen waren. Etwa 2000 Streikende aus der Stadt und dem Umland beteiligten sich an der zentralen Kundgebung in der Innenstadt, vor dem Sitz des Arbeitgeberverbandes (KAV).

Viele von ihnen waren der Meinung, dass Verdi zu wenig fordere, während andere erwarten, dass mindestens die offizielle Forderung diesmal durchgesetzt wird. Sie beträgt 10,5 Prozent Lohnerhöhung bei einer Laufzeit von einem Jahr, mindestens aber 500 Euro monatlich und 200 Euro für die Auszubildenden.

Doch die öffentlichen Arbeitgeber in Bund und Kommunen haben auch in der zweiten Runde den Sockelbetrag abgelehnt, der besonders den Niedrigverdienern zugutekommt. Sie bieten im Ganzen 5 Prozent für 27 Monate, plus eine zusätzliche Einmalzahlung von 2500 Euro. Dies gleicht die Lohneinbußen durch die Inflation und die Sparrunden der letzten Jahre nicht annähernd aus.

Ben, Stadtwerker aus Bad Nauheim, mit Kollegen

Ben, der bei den Stadtwerken von Bad Nauheim arbeitet, ist mit seinen Kollegen nach Frankfurt gekommen. „Vor allem brauchen wir mehr Geld“, sagt Ben. „Daran hängt alles. Wie brauchen die zehn Prozent für ein Jahr definitiv, dafür kämpfen wir, und das müssen wir auch erreichen.“ Der geringe Lohn bewirke, dass sich kaum einer für den Beruf interessiere, und Personalnot sei die Folge.

Das bestätigten auch Kirsten, Merle und Anna, drei Erzieherinnen aus einem städtischen Hort in Mühlheim. „Verbesserte Rahmenbedingungen, bessere Löhne, mehr Personal und gute Ausbildungsbedingungen – dann könnte man weitersehen, das wäre ein Anfang. Momentan sind wir alle erschöpft, weil Personal fehlt, und es wird immer schlimmer.“

Dagegen findet Horst, der bei der Stadt Offenbach arbeitet, dass Verdi viel zu wenig verlange. „Für jeden monatlich tausend Euro mehr, das wäre mal ein Anfang“, sagt Horst. „Warum ist unsre Arbeit weniger Wert als die von IT-Spezialisten und Bankern?“ Er hat aber kein Vertrauen, dass Verdi das durchsetzen wird: „Was Verdi sich bei der Post geleistet hat, war ein Vertrauensbruch: Sie hätten streiken müssen.“

Auch ein Beschäftigter des Jugendamts Kreis Offenbach stimmt zu: „Das ist eine Unverschämtheit, was da bei der Post gelaufen ist.“ Aber keiner spreche darüber. „Da haben 86 Prozent für Streik gestimmt, und dann wird ganz schnell abgeschlossen.“ Er vermute, dass Verdi gar keinen großen Streik wolle. „Warum streiken wir nicht alle gemeinsam? Wir könnten wirklich was erreichen.“

Beschäftigte des Jugendamtes, Kreis Offenbach

Viele reagierten entsetzt auf die Informationen über den überstürzten Abschluss bei der Post, wie auch Steve, ein Sozialarbeiter aus dem Kreis Frankfurt. „Wir kämpfen doch hier für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.“ Momentan sei die Lage so angespannt, dass gar keine Zeit für eine vernünftige Vor- und Nachbearbeitung bleibe. „Das wirkt sich auch auf die Kinder und Jugendlichen aus. Der Personalmangel wirkt sich auf alles aus, das hat sich über Jahrzehnte aufgebaut.“

Steve meint, dass die Gewerkschaftsführung die Lage „verschlafen“ habe. Er selbst hat Sozialarbeit studiert, hat einen Hochschulabschluss, „aber im Vergleich zu Ingenieuren und allen anderen Abschlüssen verdiene ich deutlich weniger. Das macht doch keinen Sinn. Warum ist es mehr Wert, ein Haus oder eine Brücke zu bauen, als sich um die Kinder und um die Gesellschaft zu kümmern?“

Wie viele andere meint auch Steve, er verstehe nicht, „warum wir hier so zahm sind“. Dabei werde in Frankreich gerade richtig gestreikt.

Sehr viele waren der Meinung, dass man auf keinen Fall zulassen dürfe, dass Verdi einem Abschluss für zwei Jahre zustimme. Einer sagte: „Wer weiß denn, was in einem Jahr alles passiert? In der Ukraine herrscht Krieg, und mehrere Banken sind – wie die Credit Suisse – schon zusammengebrochen.“

Erzieherinnen aus Hessen fordern: „Bildung statt Aufbewahrung“. Sie klagen an: „Wir können gar nicht so schlecht arbeiten, wie wir bezahlt werden“

Die Warnstreiks lassen erahnen, welche Macht die Arbeiter entfalten könnten, um die Bedingungen wirklich zu ändern. 2,5 Millionen öffentliche Beschäftigte in Bund und Kommunen sind von der aktuellen Lohnrunde betroffen, die sich auch auf die kommunalen Auftragnehmer, die gemeinnützigen Vereine und die Beamten auswirkt.

Doch die öffentlichen Arbeitgeber in Bund und Kommunen werden auch in der kommenden Woche keine akzeptable Lösung anbieten. Besonders nach dem Ausverkauf bei der Post vertrauen sie auf Verdi und hoffen, dass es der Dienstleistungsgewerkschaft – wie bisher jedes Mal – auch diesmal gelingen werde, den Arbeitskampf abzuwürgen und einen neuen Ausverkauf durchzusetzen.

Um dies zu verhindern, müssen Arbeiter ihren Kampf unabhängig von Verdi führen und – so wie bei der Post – auch im öffentlichen Dienst unabhängige Aktionskomitees aufbauen. Diese Komitees werden als Teil der Internationalen Arbeiterallianz (IWA-RFC) die Kämpfe im öffentlichen Dienst mit denen bei der Post, bei den Eisenbahnen und in der Privatwirtschaft koordinieren und sich mit Arbeitern weltweit vernetzen. Die Tarifauseinandersetzungen in Deutschland sind Teil eines europaweiten und weltweiten Aufschwungs des Klassenkampfs. Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei unterstützen den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees und erklären, dass der Kampf um gute Löhne und Arbeitsbedingungen direkt mit dem Kampf gegen Militarismus und Krieg verbunden werden muss und ein sozialistisches Programm erfordert.

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