Museum Berlin-Karlshorst: Bilder aus dem besetzten Osteuropa 1941/42

In Brand gesetztes Gebäude April 1942 in Krasnyj, davor Wehrmachtsangehörige [Photo by Museum Berlin-Karlshorst / Albert Dieckmann]

„Was erzählen Fotografien“ – lautet der Untertitel einer kleinen, aber nachdenklichen Ausstellung im Museum Karlshorst, dem Ort der Kapitulation Nazideutschlands. Sie wurde am 22. Juni zum 82. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion eröffnet und ist noch bis zum 17. Dezember zu sehen.

Gezeigt werden rund 40 Farbfotografien aus einer privaten Sammlung von 380 Dias, die der Wehrmachtsarzt Albert Dieckmann während seines Einsatzes im besetzten Belarus, Russland und Polen hinter der vorrückenden Wehrmacht gemacht hat. Sein Sohn Wolfgang hat sie 2007, zusammen mit privaten Feldpostbriefen an seine Mutter, dem Museum übergeben.

Albert Dieckmann (1896-1982), der aus einer Arztfamilie stammte, nahm schon am Ersten Weltkrieg als Soldat teil. Im Juli 1941 wurde er als Stabsoffizier in die kurz zuvor von der Wehrmacht besetzten osteuropäischen Gebiete versetzt. Nach seiner Rückkehr Mitte 1942 arbeitete er bis Kriegsende als Militärarzt, und auch nach dem Krieg war er als Arzt tätig.

Das Radfahr-Wachbataillon 48 (B), in dessen Stab Albert Dieckmann als Arzt eingesetzt war, gehörte zu den „Korück“-Einheiten, die hinter den Frontlinien der vorrückenden Wehrmacht für die Absicherung des Nachschubs, die Verwaltung und Aufrechterhaltung der Ordnung, die Bewachung und den Abtransport von Kriegsgefangenen verantwortlich waren. Auch die Durchsetzung des Hungerplans der Nazis im Rahmen des „Generalplans Ost“ [1] und die Zwangseintreibung der Ernteerträge gehörte zu ihren Aufgaben.

Selbst der Kuratorin der Ausstellung, Babette Quinkert, die bereits lange den Vernichtungsfeldzug der Wehrmacht im Osten erforscht und die Ausstellung „Dimensionen eines Verbrechens“ von 2021 entwickelt hat, waren diese Einheiten der Wehrmacht kaum bekannt.

Albert Dieckmann, Gshatsk, Januar 1942 [Photo by Museum Berlin-Karlshorst / Fotograf unbekannt]

Albert Dieckmann war leidenschaftlicher Amateurfotograf und hatte schon früh mit Farbfotografien experimentiert. Generell zeigen seine Bilder, die qualitativ erstaunlich gut komponiert sind, keine Szenen von Unterdrückung, Zwang und Mord. Ohne die zusätzlichen Zitate, Statistiken, Erläuterungen, aufbereitet mit Graphic-Novel-Elementen für die junge Generation, könnte man die Schönheit mancher Landschaftsaufnahmen, die sensiblen Porträts und Gruppenaufnahmen von Dorfbewohnern, oder die interessanten Architekturfotos bewundern oder auch genießen.

Am Ende verlässt man jedoch beklommen das Haus. Hinter den Fronten der deutschen Truppen tobte schon in den ersten Monaten des Einmarschs eine Mordmaschinerie, ausgeführt von speziellen Wehrmachtseinheiten in Zusammenarbeit mit SS-, SD- und Gestapo-Einheiten. Sie waren für viele Verbrechen an der Zivilbevölkerung, sowohl der jüdischen als auch nichtjüdischen, verantwortlich.

Die Haltung Albert Dieckmanns zum Nazi-Terror lässt sich nicht direkt aus seinen Fotografien ableiten. Sein Sohn berichtete, nach dem Krieg habe sein Vater den Kindern nichts über seine Erlebnisse erzählt. Krieg und alles Militärische seien in der Familie ein absolutes Tabu gewesen. Er habe seinen Vater als ernsten und eher bedrückten Menschen erlebt, der selten lachte und vor allem nie wieder fotografierte.

Auch wenn seine Fotos nicht direkte Gewaltszenen zeigen, so gibt es doch immer wieder Bilder von Zerstörungen, brennenden Gebäuden und auch vom entwürdigenden Umgang mit Kriegsgefangenen. Als Arzt muss Dieckmann viel Grausames hautnah erlebt haben, Dinge, die er nicht fotografieren und auch nicht seiner Frau in Briefen berichten durfte.

Letztere sind betont nüchtern abgefasst, wie sein Brief vom 20. September 1941, in dem er tatsächlich einmal von Erschießungen berichtet. Die Tätigkeit seiner Kompanie, schreibt er, bestehe „jetzt z.Zt. vielfach darin, ‘Partisanen‘ aufzustöbern in Wäldern und Dörfern. Da die Zeit abgelaufen ist, bis zu der sie sich straflos stellen konnten, werden sie jetzt aus den Verstecken und Häusern herausgeholt und gleich erschossen.“

Natürlich gab es nicht die Möglichkeit, sich „straflos zu stellen“. Wie der begleitende Text erläutert, gab es zum Zeitpunkt des Briefs außerdem noch keine Partisanen-Struktur, die erst 1942 entstand. Vielmehr jagte das Radfahr-Wachbataillon, in dem Dieckmann Dienst tat, versprengte Soldaten der Roten Armee. Zehntausende von „Versprengten“ und „Ortsfremden“, die der Gefangennahme entgangen waren und sich in den Wäldern versteckt hatten oder als Landarbeiter untergetaucht waren, wurden im Spätsommer und Herbst 1941 erschossen.

Ernteeinsatz, bei Orscha, August 1941. Ausstellungsausschnitt [Photo by Museum Berlin-Karlshorst, Grafik: Matthias Lehmann]

Manch ein Foto könnte die Illusion eines friedlichen Dorfleben vermitteln, so eine Gruppe Frauen beim Ernteeinsatz, fotografiert im August 1941 bei Orscha. Die Ausstellungstafel deckt die optische Täuschung auf: Dieckmanns Radfahr-Wachbataillon war in die Ausplünderungs- und Sicherungspolitik eingebunden. Teile des Bataillons übernahmen, wie es heißt, den „Streifen- und Sicherungsdienst beim Ernteeinsatz“. Sie kontrollierten die Bevölkerung und suchten nach Verdächtigen. Wohl deshalb zeigen sich die Frauen auf Dieckmanns Foto besonders eifrig bei der Arbeit. Ein Bericht hält die „Ergebnisse“ eines Einsatzes fest: „Festnahme und Einlieferung von 84 Gefangenen (Partisanen), Erschießung eines Freischärlers.“

Mit Zwangsarbeit und Requirierung von Ernteerträgen wollten die Nazi-Planer die Versorgung der Truppe organisieren und weite Teile Osteuropas als „Lebensraum im Osten“ kolonisieren. Der „Generalplan Ost“ rechnete über 30 Millionen Hungertote ein.

Auf einigen Fotos zeigt Dieckmann die moderne Architektur der Sowjetunion in Städten wie Minsk, die manch eingefleischten Nazi und viele Soldaten überrascht haben mag, nachdem sie tagein tagaus die Propaganda über das „halbasiatische“ Sowjetrussland gehört hatten, das von „Barbarei und Stagnation“ beherrscht werde. Dies trifft wohl auch auf den Fotografen selbst zu, der auf einem Foto sehr gut den Kontrast zwischen traditionellen Hütten und Neubauten in Minsk – und indirekt damit den Fortschritt seit der Oktoberrevolution – aufzeigt.

Auf einem anderen Foto blickt eine Familie in Smolensk in die Kamera, ärmlich gekleidet, beladen mit Hausrat, riesigem Wäschepaket und drei kleinen Kindern. Man spürt ihre Anspannung, ihr Misstrauen. Neben dem Foto liest man Dieckmanns Brief an seine Frau vom 4. September 1941: „Ich war auch neulich in S. wieder in einigen von den wenigen noch vorhandenen Wohnungen von Russen, um da kennenzulernen, wie die Leute leben. Dies alles macht schon Eindruck.“

Smolensk, August 1941 [Photo by Museum Berlin-Karlshorst / Albert Dieckmann]

Der Blick auf die weißrussische Familie zeigt Empathie des Fotografen. Hier sieht man nicht eine Gruppe „slawischer Untermenschen“, sondern eine Arbeiterfamilie, die ihre Wohnung verloren hat und bepackt mit gerettetem Hab und Gut auf der Straße steht, mit ihren Kindern, die sie liebevoll an der Hand hält, auf den Arm nimmt und beschützt. Nicht viel anders würde eine Arbeiterfamilie nach einem Bombenangriff in Berlin oder in irgendeinem anderen europäischen Land der damaligen Zeit aussehen.

Dieckmann sucht die Nähe zur Zivilbevölkerung, fotografiert Kinder, Alte, Frauen und zeigt sie als liebenswerte Menschen.

Erschütternd sind seine Bilder von Kriegsgefangenen. Wie in der Ausstellung „Dimensionen eines Verbrechens“ [2] von 2021 beeindruckend vermittelt wird, hat die Nazi-Führung die sowjetischen Kriegsgefangenen im Vergleich zu anderen Ländern besonders brutal behandelt.

Gefangenen-Sammelstelle Orscha, August 1941 [Photo by Museum Berlin-Karlshorst / Albert Dieckmann]

Neben einer unendlich langen Kolonne von sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Marsch in ein Lager lesen wir folgendes Zitat aus einem abgehörten Gespräch in einem britischen Gefangenenlager am 27./28. August 1944.

Dort sagte der Generalleutnant der Wehrmacht Friedrich Freiherr von Broich: „Dann marschierten wir die Straße runter, da ging eine Kolonne von 6000 völlig wankenden Gestalten, völlig ausgemergelt, sich gegenseitig stützend. Alle 100 bis 200 m blieb einer bis drei liegen. Nebenher fuhren Radfahrer, Soldaten von uns, mit der Pistole; jeder, der liegen blieb, kriegte einen Genickschuss und wurde in den Graben geschmissen. Alle 100 m war das.“

Viele Zehntausend Gefangene wurden auf diese Weise ermordet. Diejenigen, die die Lager erreichten, hatten kaum Überlebenschancen. Von etwa drei Millionen bis Ende 1941 gefangen genommenen Rotarmisten ließ die Wehrmacht bis zum Frühjahr 1942 mehr als zwei Millionen verhungern. Bis Kriegsende starben von insgesamt etwa 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen mehr als drei Millionen!

In den späteren Monaten seines Einsatzes fangen Dieckmanns Fotos zunehmend die Schrecken des Vernichtungskriegs ein. Häuser, ganze Dörfer brennen, Rauchwolken bedecken den Horizont. Auf der Rückkehr von seinem Ost-Einsatz machte Dieckmann auch verstörende Bilder von jüdischen Ghettos in Polen.

Die Heeresgruppe Mitte der Wehrmacht hatte im Frühjahr 1942 begonnen, vermeintliche „Partisanendörfer“ auszuplündern, niederzubrennen und die Bewohner zu ermorden. Bis Kriegsende wurden auf diese Weise etwa 500.000 Zivilisten umgebracht. Die Überlebenden wurden vor Ort als Zwangsarbeiter eingesetzt oder als „Ostarbeiter“ ins Deutsche Reich verschleppt, wo sie schlimmer als Sklaven behandelt wurden.

Eines widerlegt die Ausstellung erneut: Die Behauptungen, es habe eine „saubere Wehrmacht“ gegeben und Verbrechen seien nur von SS, SD und Gestapo verübt worden, waren gelogen. Die Korücks und deren Radfahr-Wachbataillone waren Einheiten der Truppe.

Mit dieser Fotoausstellung knüpft das Museum Karlshorst an seine kontinuierliche Arbeit an, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die ungeheuren Verbrechen des deutschen Imperialismus in den besetzten Gebieten der ehemaligen Sowjetunion und damit auch der Ukraine, des Baltikums und Polens wachzuhalten.

Das Museum, das am Ort der endgültigen Kapitulation Nazi-Deutschlands entstanden ist und eine großartige Dauerausstellung enthält, steht seit dem Maidan-Putsch in Kiew 2014 und insbesondere seit Beginn des Ukraine-Kriegs unter großem Druck der offiziellen Politik. Hinter den Kulissen gibt es Bestrebungen von Regierungskreisen, die Zusammenarbeit mit der russischen Föderation in der Museumsleitung zu beenden, die durch eine völkerrechtlich bindende Vereinbarung nach der Wiedervereinigung festgelegt wurde.

Der Jahrestag der deutschen Kapitulation hätte auch eine größere Ausstellung gerechtfertigt, die die Verbrechen in Osteuropa an den Pranger stellt. Das hätte vermutlich wütende Reaktionen von ukrainischen Nationalisten hervorgerufen, die Nazi-Kollaborateure wie Stepan Bandera heute als Helden feiern.

Angesichts der anhaltenden Angriffe auf das Museum ist die jetzt präsentierte kleine Ausstellung umso bedeutsamer.

Zur Eröffnung erklärte Museumsdirektor Jörg Morré, er sehe es als seine Aufgabe, das Museum „auf Kurs zu halten“ und an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion zu erinnern. Er wolle sich dies nicht „ausreden lassen“ mit dem Argument, es sei nicht mehr „opportun“.

Mit Dieckmanns Bildern verfolge das Museum das Ziel einer „quellenkritischen“ Beurteilung von Fotografien, erklärte Kuratorin Babette Quinkert. Dies sei gerade heute bedeutsam, bemerkte sie schon bei der Pressevorführung. Auch der Historiker Michael Wildt, bis 2022 Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, befasste sich in seinem Eröffnungsvortrag mit dieser Frage. Er verwies auf das Beispiel propagandistischer Inszenierung der Nazis durch manipulative Bilder. Er nannte Leni Riefenstahls Film über die Olympiade 1936, mit ihren schönen Sportaufnahmen. Bilder können im Widerspruch zur Realität stehen.

Die politische Aktualität liegt auf der Hand, flimmern doch Tag für Tag Aufnahmen aus dem Ukraine-Kriegsgebiet über die Bildschirme, die man angeblich „nicht überprüfen kann“. Sie werden für Forderungen nach Kriegseskalation gegen Russland genutzt. Muss man solche Bilder nicht ebenfalls hinterfragen? Wird die hochgerüstete deutsche Armee, die nun an den Grenzen zu Russland trainiert, nicht wieder auf Verbrechen vorbereitet?

So werden die sorgfältig und objektiv präsentierten Fotografien des Arztes Dieckmann zu einer Mahnung vor einem neuen barbarischen Krieg.

Anmerkungen

[1] Der „Generalplan Ost“ wurde vor dem Einmarsch in die Sowjetunion und währenddessen unter anderem an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität (heute Humboldt-Universität) unter Leitung von Agrarwissenschaftler Konrad Meyer entwickelt. Meyer war Direktor des Instituts für Agrarwesen an der Universität, sowie Leiter des Planungsamtes des RKF, des „Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums“. Auftraggeber war Heinrich Himmler, ein alter SS-Kamerad von Meyer. Siehe auch „Der Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Sowjetunion„.

[2] D­ie Ausstellung Dimensionen eines Verbrechens, die zuerst 2021 im Museum Karlshorst zu sehen war, ist als Wanderausstellung sehr erfolgreich, wie Kuratorin Babette Quinkert mitteilte, und bis 2025 ausgebucht. Derzeit ist sie in Münster zu sehen.

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