Am Montag fanden in Detroit, Philadelphia, Los Angeles und anderen Städten der USA Veranstaltungen zum Labor Day statt, dem amerikanischen Tag der Arbeit. Gerade mehren sich die Streiks in den USA, und die Militanz unter Arbeitern wächst: Seit Monaten streiken Drehbuchautoren und Schauspieler, und 170.000 Autoarbeiter der USA und Kanadas stehen bereit, bei GM, Ford und Stellantis in Streik zu treten.
Obwohl große Unterstützung für einen gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse besteht, hat der Labor Day nicht viele Arbeiter angezogen. In Detroit waren es nur ein paar Tausend. Dabei läuft die Frist für einen Streik der Autoarbeiter in weniger als zehn Tagen ab. Detroit, die „Motor City“, gilt nach wie vor als Zentrum der nordamerikanischen Autoindustrie. In den großen Produktionsanlagen und Zulieferbetrieben schuften hier Zehntausende.
Die globalen Autokonzerne nutzen die Transformation auf Elektrofahrzeuge, um allein in den USA Zehntausende von Arbeitsplätzen abzubauen. Allerdings ist der Präsident der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW), Shawn Fain, weit davon entfernt, den Arbeitern eine Strategie für den Kampf dagegen vorzuschlagen.
Fain nutzte die Kundgebung vom Montag, um für das Bündnis der UAW-Bürokratie mit den Demokraten zu werben. Zu den Hauptrednern gehörte die Kongressabgeordnete Haley Stevens, die als Mitglied der Auto Task Force der Obama-Regierung während der GM- und Chrysler-Sanierung im Jahr 2009 an der Zerstörung von Arbeitsplätzen und der Lohnkürzung für Autoarbeiter mitwirkte.
In Philadelphia nutzte Präsident Joe Biden den Labor Day als Plattform, um seine Unterstützung für die Gewerkschaften (in Wirklichkeit die wirtschaftsfreundliche Gewerkschaftsbürokratie) zu bekunden und seinen Wahlkampf für eine zweite Amtszeit im Jahr 2024 zu eröffnen. Im Philadelphia Convention Center wiederholte Biden vor 2.000 Zuhörern sein mittlerweile bekanntes Mantra: „Ich bin stolz, der laut Experten gewerkschaftsfreundlichste Präsident in der Geschichte Amerikas zu sein.“
Und das von einem Präsidenten, der für eine weitere drastische Verschlechterung des Lebensstandards der Arbeiter verantwortlich ist! Biden hat enormen Kürzungen der Sozialausgaben zugestimmt, um den Krieg gegen Russland in der Ukraine zu finanzieren. Die versammelten Gewerkschaftsführer feierten Biden, obwohl er letztes Jahr daran beteiligt war, den Streik von 110.000 Eisenbahnern zu verbieten und ihnen einen Tarifvertrag aufzuzwingen, den sie zuvor abgelehnt hatten.
Nach der Veranstaltung erklärte Biden vor der Presse, er rechne nicht mit einem Streik in der Autoindustrie. Im Klartext heißt das: Biden vertraut darauf, dass die UAW-Bürokratie den explosiven Widerstand der Arbeiter unter Kontrolle halten kann. Wörtlich erklärte Biden, er mache sich „keine Sorgen über einen Streik ... Das wird nicht passieren“.
Fain, der zweifellos täglich mit Vertretern der Biden-Regierung konferiert, tat so, als sei er über die Äußerungen des Präsidenten schockiert. Er erklärte: „Er muss etwas wissen, was wir nicht wissen. Vielleicht wollen die Autokonzerne nachgeben und unsere Forderungen erfüllen.“ Er fügte hinzu: „Was wir wollen ist nicht ein Streik: Wir wollen einen fairen Tarifvertrag.“
Dieser Schlagabtausch war politisches Theater, das den Autoarbeitern Sand in die Augen streuen soll. Tatsächlich bewegen sich Fain und Biden auf einer Linie: Beide sind entschlossen, den Kampf der Autoarbeiter für eine Rücknahme von jahrzehntelangen Zugeständnissen zu sabotieren und einen arbeitgeberfreundlichen Tarifvertrag durchzusetzen, der den Arbeitern die Kosten für die Umstellung auf Elektrofahrzeuge aufzwingen wird.
Die geringe Beteiligung an der Labor-Day-Parade in Detroit stand in auffälligem Kontrast zur Militanz der Arbeiterklasse. Die Autoarbeiter haben bereits durch ihr Votum von 97 Prozent für einen Streik gegen die Detroiter Autokonzerne ihre Kampfbereitschaft gezeigt.
In diesem Jahr hat sich die Zahl der Streiks deutlich erhöht. Die Arbeiter sind entschlossen, Lohnerhöhungen durchzusetzen, die den Niedergang der Reallöhne durch die Rekordinflation ausgleichen und frühere Zugeständnisse rückgängig machen sollen. Jahrzehntelang hat das Management solche Zugeständnisse mit aktiver Unterstützung der Gewerkschaftsbürokratie von den Arbeitern erpresst.
Weiter haben in den letzten Monaten auch schon 50.000 studentische Hilfskräfte an der University of California, 65.000 Lehrkräfte in Los Angeles und tausende Schauspieler und Drehbuchautoren gestreikt, und der Arbeitskampf der letzteren hält noch immer an.
Vor Jahrzehnten zog die Labor-Day-Parade in Detroit noch Zehntausende an. Die aktuelle geringe Beteiligung ist der Tatsache geschuldet, dass die Gewerkschaften einen großen Teil ihrer Mitgliedschaft eingebüßt haben. Ihre Autorität unter Arbeitern schwindet.
In den letzten 40 Jahren war die UAW für den Verlust von mehr als einer Million Arbeitsplätzen in der Auto- und Zuliefererindustrie mitverantwortlich, was verheerende soziale Folgen für Städte wie Detroit, Flint, Dayton (Ohio) und zahlreiche kleinere Gemeinden hatte.
Symbolisch für die Einbindung der Gewerkschaften in die Unternehmensstrukturen war die Entscheidung der AFL-CIO von Detroit, die Kundgebung vor dem alten Bahnhof Michigan Central abzuhalten, der sich heute im Besitz der Ford Motor Company befindet. Das einstmals baufällige Gebäude ist als Teil des Campus für Mobilitätstechnologie aufwändig saniert worden. Das Projekt wurde teilweise durch massive Steuererleichterungen der Stadt Detroit und des Bundesstaates Michigan finanziert.
Trotz des großen Aufgebots an Gewerkschaftsfunktionären und Politikern der Demokraten am Labor Day spiegelte sich die militante Stimmung in der Arbeiterklasse auch unter den anwesenden Arbeitern wider.
Ein Team der WSWS sprach auf der Detroiter Kundgebung mit Arbeitern und verteilte Kopien des Autoworker Newsletter mit der Perspektive „Der Labor Day 2023 und der Ausbruch des Klassenkampfs“. Viele Arbeiter nahmen den Newsletter voller Interesse und sprachen mit den Reportern.
Ein junges Paar, das im GM-Fertigungswerk in Flint arbeitet, äußerte seine Bereitschaft, für ein Ende des Zweistufensystems und der Ausbeutung von Zeitarbeitern zu kämpfen. Auf die Frage, wie Arbeiter ihrer Meinung nach den Arbeitskampf kontrollieren könnten, sagte einer der beiden: „Wir haben für Will Lehman gestimmt, als er als UAW-Präsident kandidierte. Aber die UAW hat die Arbeiter nicht über die Wahl informiert, und Will kam nicht in die zweite Runde.“ Der Arbeiter erklärte, dass sie Lehmans Forderung nach dem Aufbau von Aktionskomitees, um dem UAW-Apparat die Macht zu entreißen, unterstützten.
Ein junger Arbeiter, der gerade bei Detroit Diesel westlich von Detroit angefangen hat, erklärte: „Sie haben die Kollegen des Motorenwerks und des Radachsenwerk gespalten: Es gibt zwei verschiedene Tarifverträge. Im Dieselwerk werden höhere Löhne gezahlt.“
Er erklärte, er sei ebenfalls der Meinung, dass die UAW-Bürokratie abgeschafft werden sollte: „Die Bürokratie ist unnötig. Die UAW wurde von Arbeitern aufgebaut. Jetzt ist sie zu sehr wie ein Unternehmen. Wir machen die Arbeit, wir wissen was Sache ist, wir sollten die Entscheidungen treffen.“
Er äußerte sich zu einigen der Themen, die er für wichtig hält: „In vielen Betrieben haben die Zeitarbeiter große Probleme. Wir kämpfen für Löhne, Arbeitsplatzsicherheit und Zusatzleistungen. Wenn die Autokonzerne viel Geld machen, wozu nutzen sie es? Jedenfalls nicht, um die Arbeiter besser zu bezahlen.
Wir müssten eigentlich Verbesserungen feststellen. Man die Werke komplett erneuern. Wenn ich unser Werk anschaue, sehe ich Arbeiter, die seit 50 Jahren hier schuften. Das ist falsch.“
Ein Arbeiter bei Sodecia im Detroiter Vorort Centerline erklärte: „Sie stellen Arbeiter mit 15 Dollar Anfangslohn ein, und es dauert drei Jahre bis man 18 Dollar verdient. Als ich hier angefangen habe, waren die Löhne alle gleich, man musste sich nicht erst hocharbeiten.
Manche brauchen heute zwei Jobs, um über die Runden zu kommen. Eine vierköpfige Familie zahlt heute 100 Dollar pro Woche allein für die Krankenversicherung. Einige zahlen 22 bis 24 Prozent ihrer Löhne dafür.“
Ein UAW-Mitglied bei Bridgewater Interiors erklärte: „Wir arbeiten 12 bis 13 Stunden am Tag und stellen 400 Sitze für das Ford-Modell Mustang her. Die Anfangslöhne liegen bei 17,50 Dollar pro Stunde.“ Über das drohende Arbeitsplatzmassaker bei der Umstellung auf Elektrofahrzeuge erklärte er: „Es ist sehr beängstigend.“ Auf die Frage, was er von einem gemeinsamen Kampf der Arbeiter in der Auto- und Zuliefererindustrie halte, antwortete er: „Das wäre großartig, wenn wir uns alle zusammenschließen würden. Gemeinsam sind wir stark.“
In Los Angeles beteiligten sich Kontingente von Schauspielern und Drehbuchautoren an einer Labor-Day-Demonstration. Etwa 76.000 Mitglieder der SAG-AFTRA und der Writers Guild streiken seit vier Monaten gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Bei einer Aktion anlässlich des Labor Day nahe des Krankenhauses Kaiser Permanente von Los Angeles wurden 23 Beschäftigte des Gesundheitswesens verhaftet. Zu der Aktion hatte die SEIU-United Healthcare Workers West aufgerufen. Am 30. September läuft der Tarifvertrag für 85.000 Pflegekräfte aus.
Ein Mitglied der Matrosengewerkschaft Sailors Union of the Pacific sagte der WSWS: „Die meisten dieser Leute, welche die Gewerkschaften leiten, sind so etwas wie Bonzen. Sie haben völlig vergessen, worum es bei einer Gewerkschaft geht. Sie haben gute Jobs. Die Basis zum Kampf zu organisieren, ist eine sehr gute Idee.“
In Detroit lud die AFL-CIO, die zur Demonstration aufgerufen hatte, keinen einzigen Arbeiter dazu ein, auf der Kundgebung zu sprechen. Wer stehen blieb, um sich die Reden anzuhören, musste die Ergüsse einer Reihe von Demokraten aus Michigan über sich ergehen lassen. Zu den Rednern gehörten: die Senatorin Debbie Stabenow, die Kongressabgeordnete Debbie Dingell, die CIA-Demokratin Elisa Slotkin, die demokratische Abgeordnete Haley Stevens, die Abgeordnete der Democratic Socialists Rashida Tlaib, der Abgeordnete für Detroit Shri Thanedar und die Justizministerin von Michigan Dana Nessel.
Die Redner lobten die Aufhebung des reaktionären „Right-to-Work“-Gesetzes in Michigan, das die vorherige republikanische Regierung eingeführt hatte, um den Unternehmern Streikbruch zu erleichtern. Allerdings hat die demokratisch kontrollierte Legislative dieses Anti-Streikgesetz für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen beibehalten. Auf dieses faktische Streikverbot hat die Gewerkschaft Detroit Federation of Teachers sich berufen, um einen Streik von 4.200 Lehrkräften im August abzusagen.
Während die Republikaner die „Right-to-Work“-Gesetzgebung und ähnliche Maßnahmen nutzen, um Gewerkschaften und Demokraten finanziell zu schwächen, stützen sich die Demokraten auf die Gewerkschaftsbürokratie, um den Widerstand der Arbeiterklasse gegen Sparmaßnahmen und soziale Ungleichheit zu unterdrücken. Wenn die Demokraten jetzt das „Right-to-Work“-Gesetz wieder abschaffen, dann hauptsächlich deshalb, weil sie Arbeiter im Zusammenhang mit den Tarifverhandlungen zwingen können, Mitgliedsbeiträge an den Gewerkschaftsapparat zu zahlen, auch wenn dieser sie schon x-mal verraten hat.
Eine Rednerin, die darauf einging, war die multimillionenschwere Abgeordnete Dingell, eine ehemalige GM-Führungskraft, die sich heute als Verteidigerin der Autoarbeiter inszeniert. Hinsichtlich der Autoarbeiter, die angewidert von den endlosen Verrätereien der UAW keine Mitgliedsbeiträge zahlen, erklärte sie: „Wenn Sie ein Autoarbeiter sind und Ihre Gewerkschaftsbeiträge nicht zahlen ... dann können Sie mich mal!“ So etwas kommt von einer Demokratin, die (wie praktisch alle auf der Tribüne) Bidens Verbot des Eisenbahnerstreiks unterstützt hat.
Ein Demokrat nach dem anderen lobte absurderweise die Gewerkschaften, die in Michigan angeblich Arbeitsplätze für die „Mittelschicht“ geschaffen hätten. In Wirklichkeit sind sie für die Senkung des Lebensstandards der Arbeiter verantwortlich. Die Kongressabgeordnete Stevens, die als Mitglied der Auto Task Force des Weißen Hauses die Halbierung der Löhne für neu eingestellte Autoarbeiter unterstützt und für das Verbot des Eisenbahnerstreiks gestimmt hatte, ging in ihrer Demagogie wohl am weitesten: „Man klopft mir auf die Schulter und fragt: ,Wie baut ihr Weltklasse-Autos, wie zahlt ihr den Arbeitern gute Löhne für großartige Jobs?‘ ... Das liegt daran, dass wir eine Arbeiterbewegung des 21. Jahrhunderts haben.“
Fain, der zum Schluss sprach, schlug keine konkrete Strategie zur Durchsetzung der UAW-Forderungen vor. An diesen Forderungen fällt auf, dass sie die massive Bedrohung von Arbeitsplätzen durch die Transformation zur E-Mobilität vollkommen ausklammern. Fain lobte den faulen Tarifvertrag, der zehntausenden studentischen Hilfskräften aufgezwungen worden war, was als deutliche Warnung vor dem bevorstehenden Verrat verstanden werden muss. Er lobte auch die „großen Verbesserungen“ bei den Zulieferern.
Zu diesen Zulieferern gehören auch die Clarios-Batteriearbeiter in Holland (Ohio), die zweimal gegen einen von der UAW vorgelegten Ausverkaufsvertrag gestimmt hatten, ehe die UAW sie regelrecht aushungerte und ihren Streik isolierte und sabotierte, sodass die Arbeiter schließlich zur Zustimmung gezwungen waren.
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