„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“, erklärte Kaiser Wilhelm in seiner berüchtigten Reichstagsansprache am 4. August 1914, als Deutschland den Ersten Weltkrieg begann und die SPD den Kriegskrediten zustimmte. Der Aufruf von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für einen „Deutschlandpakt“ steht in dieser dunklen Tradition. Um ihren Spar- und Kriegskurs gegen die wachsende Opposition durchzusetzen, schließt die herrschende Klasse die Reihen.
„Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung. Lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln!“, erklärte Scholz in seiner Bundestagsrede am Mittwoch. Er wolle „deshalb gerne einen Pakt vorschlagen, sagen wir: einen Deutschlandpakt – einen Deutschlandpakt, der unser Land schneller, moderner und sicherer macht. Tempo statt Stillstand, Handeln statt Aussitzen, Kooperation statt Streitereien.“ Das sei „das Gebot der Stunde.“
Sein Vorschlag richte sich dabei nicht nur „ausdrücklich“ an die CDU/CSU als größte Oppositionsfraktion im Bundestag, sondern an alle Parteien und Organisationen – den „Bund, die Länder, Städte und Gemeinden, Unternehmen und Behörden, Verbände und Gewerkschaften“. Nur gemeinsam werde man „den Mehltau aus Bürokratismus, Risikoscheu und Verzagtheit abschütteln, der sich über Jahre und Jahrzehnte hinweg über unser Land gelegt hat“, rief Scholz.
Es ist klar, um was es dem Kanzler geht. Der Haushalt, der aktuell im Bundestag diskutiert wird, ist eine Kriegserklärung an die arbeitende Bevölkerung. Er sieht massive Kürzungen vor und zielt darauf ab, die größte Aufrüstungsoffensive seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ins Werk zu setzen. Nach den Plänen der Ampel-Koalition sollen im nächsten Jahr 85,5 Milliarden Euro ins Militär fließen. Das bedeutet eine Steigerung um ein Drittel gegenüber der geschätzten Zahl für 2023 von 65 Milliarden Euro.
Im neuen Etatentwurf für den Haushalt 2024 ist zwar nur eine Steigerung um 1,7 Milliarden auf 51,8 Milliarden Euro (plus 1,68 Prozent) ausgewiesen. Aber zusätzlich fließen 19,17 Milliarden aus dem insgesamt 100 Milliarden Euro schweren „Sondervermögen Bundeswehr“, das die Ampel bereits im vergangenen Jahr mit Unterstützung der Oppositionsparteien beschlossen hat. Und zahlreiche weitere Militärausgaben sind in anderen Etats versteckt. Allein für das Regime in Kiew hat die Ampel jährliche Militärhilfen in Höhe von fünf Milliarden Euro veranschlagt.
Scholz stellte in seiner Rede klar, dass die Aufrüstungsorgie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch verschärft werden wird. Man gebe „jetzt die 100 Milliarden Euro aus, damit die Bundeswehr ab dem nächsten Jahr zwei Prozent NATO-Quote an Finanzmitteln zur Verfügung hat.“ Und „schon heute“ sei „klar, dass wir allerspätestens ab 2028 zusätzliche 25 Milliarden, vielleicht auch fast 30 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus dem Bundeshaushalt direkt finanzieren müssen.“
Scholz rechtfertigte die permanente Militarisierung des Haushalts mit der bekannten Propaganda. Der „russische Angriffskrieg“ stelle eine „Zeitenwende“ und „Bedrohung“ für „die Sicherheitsarchitektur in Europa dar“ und werde Deutschland „nicht nur in dieser, sondern viele, viele Legislaturperioden beschäftigen“. Tatsächlich haben die führenden Nato-Mächte den reaktionären Einmarsch Putins in die Ukraine provoziert und eskalieren den Krieg nun immer weiter. Der deutsche Imperialismus, der bereits im 20. Jahrhundert zweimal in die Ukraine einfiel und versucht hat, Russland zu unterwerfen, verfolgt dabei auch das Ziel, sich zur dominierenden europäischen Militärmacht aufzuschwingen.
Um die deutsche Kriegsoffensive zu finanzieren, organisiert die herrschende Klasse einen historisch beispiellosen Sozialkahlschlag. „Dem Ernst der Lage“ dienten „nicht Rhetorik und Popanz“, mahnte Scholz, sondern „dass wir mit allem, was wir jetzt tun, dazu beitragen, dass wir in dem Jahr in der Lage sein werden, diese Haushaltsmittel auch aufzubringen.“
Bereits der aktuelle Haushaltsentwurf beinhaltet die heftigsten Kürzungen der Nachkriegsgeschichte. Allein der Gesundheitsetat wird um 33,7 Prozent von 24,48 Milliarden Euro auf 16,22 Milliarden Euro zusammengestrichen, nachdem er schon im Jahr zuvor sogar um fast 40 Milliarden Euro gekürzt worden ist. Auch für die Bildung und zahlreiche Sozialleistungen wird es weit weniger Geld geben. So sinken etwa die Ausgaben für das Müttergenesungswerk und Familienferienstätten um jeweils 93 Prozent, für Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätten um 77 Prozent, für die freie Jugendhilfe um 19 Prozent, für das BAföG um 24 Prozent und für das Wohngeld um 16 Prozent.
Und all das ist nur der Anfang. In Politik und Medien läuft bereits eine Kampagne für noch heftigere Einsparungen. Eine Kolumne im Spiegel mit dem Titel „Der Rollback des Sozialstaats hat begonnen“ preist die Bundesregierung dafür, dass sie die ursprünglichen Wünsche der grünen Familienministerin Petra Paus „nach neuen Milliarden für bedürftige Kinder drastisch gestutzt“ hat. Nun werde bereits „gefordert, arbeitsfähige Empfänger des Bürgergelds gemeinnützig tätig werden zu lassen, und als Nächstes dürfte es der ‚Rente mit 63‘ an den Kragen gehen.“ Für die herrschende Klasse sind die aktuell noch mit 172 Milliarden im Haushalt veranschlagten Ausgaben für das Arbeits- und Sozialministerium schlicht inakzeptabel und müssen in Zukunft dem Rotstift zum Opfer fallen – mit verheerenden Auswirkungen für Millionen Arbeiter und ihre Familien.
Die gezielte Verarmung der Bevölkerung im Namen von Aufrüstung und Krieg geht Hand in Hand mit massiven Angriffen auf demokratische Rechte und Flüchtlingshetze im Stile der AfD. In seiner Rede lobte Scholz den Beschluss der Ampel, „Georgien und Moldau als sichere Herkunftsländer einzustufen“ als „wichtige[n] Fortschritt im Kampf gegen die irreguläre Migration.“ Er sei Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) „sehr dankbar dafür, dass sie den Ländern auch in Sachen Rückführung bei der Ausweitung der Abschiebehaft und an vielen anderen Stellen ganz konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht hat.“ Auch dies müsse „Teil des Deutschlandpaktes sein“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Arbeiter und Jugendliche müssen den „Deutschlandpakt“ als Kriegsdrohung verstehen. Hinter den offiziellen Phrasen von „Sicherheit“, „Digitalisierung“ und „Bürokratieabbau“ geht es um Aufrüstung, Krieg, Sozialkahlschlag und die Errichtung einer de facto Diktatur gegen die Bevölkerung. Dabei arbeiten all Parteien und Organisationen der herrschenden Klasse bereits jetzt auf das Engste zusammen. In acht Bundesländern regieren die Ampelparteien mit der CDU und in dreien mit der Linkspartei. Auf kommunaler Ebene paktieren alle Regierungsparteien längst auch ganz offen mit der rechtsextremen AfD, die auch auf Landes- und Bundesebene über die Ausschüsse in die politische Arbeit integriert ist.
Die Gewerkschaften sind Teil dieser Allparteienverschwörung. Verdi, IG Metall und der gesamte DGB haben bereits im vergangenen Jahr einen Pakt mit der Regierung geschlossen, die sogenannten „Konzertierte Aktion“. Sie unterstützen die Kriegspolitik und spielen eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung der Angriffe. Im Öffentlichen Dienst, bei der Post und jüngst auch bei der Bahn setzten sie in enger Zusammenarbeit mit der Regierung und den Unternehmen massive Reallohnsenkungen und eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch.
Doch dagegen wächst der Widerstand. Das zeigt die massive Opposition in den Betrieben, die zunehmend im Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees ihren Ausdruck findet. Die Ampel selbst ist zur Halbzeit der Legislatur verhasst. Dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend zufolge sind nur noch 19 Prozent der Bevölkerung mit der Arbeit der Regierung zufrieden. Hinter Scholz’ Deutschlandpakt verbirgt sich vor allem auch die Furcht vor einem gesellschaftlichen Sturm, der sich unter der Oberfläche zusammenbraut. In ihren Reden im Bundestag beschworen der Kanzler und viele andere Redner immer wieder den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“.
Um sich auf die bevorstehende Klassenkonfrontation vorzubereiten und die reaktionäre Offensive der herrschenden Klasse zurückzuschlagen, brauchen Arbeiter ihre eigenen Organisationen und eine klare politische Perspektive. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) unterstützt den Aufbau von Aktionskomitees, die den Kampf gegen den Sozialkahlschlag und die Aufrüstungs- und Kriegspolitik unabhängig von allen kapitalistischen Parteien und den Gewerkschaften organisieren und sich international zusammenschließen.
„Die einzige gesellschaftliche Kraft, die einen weiteren Weltkrieg verhindern kann, ist die internationale Arbeiterklasse – also die große Mehrheit der Weltbevölkerung, die heute zahlreicher und vernetzter ist als je zuvor“, schreibt die SGP in ihrem Wahlaufruf für die Europawahl. Und sie betont: „Die SGP baut zusammen mit ihren Schwesterparteien in der Vierten Internationale eine weltweite sozialistische Bewegung gegen Krieg und seine Ursache, den Kapitalismus, auf.
- Stoppt den Nato-Krieg in der Ukraine! Keine Sanktionen und Waffenlieferungen!
- Zwei Weltkriege sind genug! Stoppt die Kriegstreiber!
- 100 Milliarden für Kitas, Schulen und Krankenhäuser statt für Rüstung und Krieg!“