Pseudolinke auf pro-imperialistischer Werbetournee für den Krieg

Seit dem 3. September befinden sich vier Personen aus dem Umfeld des pablistischen Internationalen Sekretariats und ihres Sprachrohrs International Viewpoint auf einer Tournee durch die USA, um für eine Eskalation des Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine zu werben. Die Tournee läuft unter dem Titel „Widerstand gegen den russischen Imperialismus: Der Kampf der Ukraine für Selbstbestimmung“.

Es nehmen folgende Personen daran teil: Ilja Budraitskis und Ilja Matwejew, zwei führende Persönlichkeiten der pablistischen Sozialistischen Bewegung Russlands (RSM), die heute von der UC Berkeley aus agieren, der Physikprofessor Denys Bondar von der Universität Tulane, und Hanna Perechoda von der Schweizer Universität Lausanne. Bondar und Perechoda sind Mitglieder der ukrainischen Sozialnjy Ruch (Soziale Bewegung), die von der WSWS letztes Jahr als eine Einrichtung des US-Außenministeriums und der CIA entlarvt wurde, von denen sie erhebliche Finanzmittel erhalten hat.

Sowohl Sozialnij Ruch als auch die RSM unterhalten enge Beziehungen zu den Democratic Socialists of America (DSA), einer pseudolinken Fraktion innerhalb der Demokratischen Partei, und zu International Viewpoint, der internationalen Publikation des pablistischen Internationalen Sekretariats, das in der Nachkriegszeit als revisionistische Tendenz mit dem Ziel entstand, die trotzkistische Bewegung in die stalinistische Bürokratie zu liquidieren. Die Tournee wurde vom so genannten Solidaritätsnetzwerk der Ukraine organisiert, das auf Twitter weniger als 120 Follower hat und dessen Führung und Ursprünge obskur sind.

Sie begannen ihre Vortragsreihe Anfang September auf der DSA-nahen Konferenz „Socialism 2023“. Seither haben sie an der Loyola University in Chicago, einem LGBTQ-Zentrum in New York City und am 13. September an der University of California (UC) in Berkeley gesprochen. Budraitzkis und Perechoda wurden außerdem auf Democracy Now! und von Ashley Smith für The Nation interviewt. Smith, die heute den DSA angehört, spielte eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Operationen des US-Imperialismus in Syrien, als sie noch Mitglied der mittlerweile aufgelösten International Socialist Organization (ISO) war.

Hanna Perechoda und Ilja Budraitzkis bei Democracy Now! am 7. September 2023

Um die wichtigste Schlussfolgerung gleich vorwegzunehmen: Die Vortragsreihe hat nichts mit Aufklärung über die Ursprünge und Gefahren des Kriegs zu tun. Ebenso wenig fordert sie seine Beendigung. Im Gegenteil, sie ist eine Propagandaveranstaltungen für den Krieg. Ihr Hauptzweck besteht darin, die ins Stocken geratene US-Kriegspropaganda vom „unprovozierten“ Einmarsch des Putin-Regimes in die Ukraine zu stärken und für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine zu werben, d.h. für eine Ausweitung des Blutbads.

Eines der deutlichsten Anzeichen für den kriegsbefürwortenden Charakter der Tournee ist, dass die schreckliche Realität dieses Krieges völlig vertuscht wird. Keiner der Redner erwähnte auch nur bei einem seiner Auftritte die erschütternde Zahl der Todesopfer in diesem Krieg – Schätzungen zufolge sind es inzwischen mehr als 350.000 oder sogar 400.000. Das bedeutet, dass die Zahl der Verwundeten in die Millionen geht. Die Ukraine ist zu dem am stärksten verminten Land der Welt geworden, noch bevor die Biden-Regierung begann, Streumunition in das Kriegsgebiet zu schicken – eine der brutalsten Waffen der modernen Kriegsführung.

Angesichts dieses Blutbads lautet die Hauptforderung von Perechoda, Budraitskis, Matwejew und Bondar: noch mehr Waffen. Hanna Perechoda erklärte dazu auf der Konferenz „Socialism 2023“: „Wir fordern eine Verstärkung der militärischen, finanziellen und diplomatischen Unterstützung für den ukrainischen Staat.“ Alle ihre Behauptungen und Erklärungen zur Rechtfertigung dieser Forderung sind Lügen und Verzerrungen der politischen und historischen Tatsachen. Wir können nur auf einige der wichtigsten eingehen.

Lüge Nummer 1: Der Krieg wurde nicht von der Nato provoziert

Genau wie die wichtigsten Sprachrohre des amerikanischen Staats und der herrschenden Klasse – Wall Street Journal, New York Times und CNN – behaupten Perechoda, Matwejew, Budraitskis und Bondar, der Krieg in der Ukraine habe keine Vorgeschichte. Sie ignorieren die Tatsache, dass sich die Nato seit 1997 bis an Russlands Grenzen ausgedehnt hat, dass die USA und Deutschland 2014 in Kiew einen rechtsextremen Putsch organisiert haben, der einen Bürgerkrieg im Osten auslöste, dass die Ukraine in den darauf folgenden Jahren von der Nato bis an die Zähne bewaffnet wurde und dass die Nato unmittelbar vor der russischen Invasion mehrere hochgradig provokante, groß angelegte Militärübungen in der Schwarzmeerregion und Osteuropa durchgeführt hat. Perechoda erklärte im Interview mit Democracy Now! ausdrücklich: „Dieser Krieg ist keine Reaktion auf irgendeine äußere Bedrohung Russlands, die von der Nato ausgeht.“

Die Nato-Osterweiterung [Photo by glentamara / CC BY-SA 3.0]

Auf der Konferenz „Socialism 2023“ behauptete Perechoda sogar, die Nato könne nicht als „objektive Bedrohung für Russlands Sicherheit“ angesehen werden. Man könnte einwenden, dass dieses angeblich „nicht bedrohliche“ Militärbündnis alleine seit 1991 ein Dutzend Länder bombardiert hat, darunter den Irak mit bis zu einer Million Toten, Afghanistan, mehrere Länder des ehemaligen Jugoslawiens und Libyen – was etwas anderes vermuten lassen könnte.

Regierungsgebäude in Flammen während der schweren Bombardierung von Bagdad (Irak) durch US-geführte Streitkräfte, 21. März 2003 [AP Photo/Jerome Delay]

Budraitskis von der RSM ging mit seiner Unterstützung für die Nato sogar noch weiter. Er behauptete, für die baltischen Staaten, Polen und Georgien (das kein Nato-Mitglied ist) sei das Militärbündnis eine „Frage der Garantie für ihre unabhängige Existenz“ und forderte faktisch seine Erweiterung.

Oberflächlich betrachtet, besteht ein eklatanter logischer Widerspruch zwischen diesen beiden Behauptungen: Einerseits ist die Nato „keine äußere Bedrohung“ für Russland, andererseits ist die Nato-Erweiterung der einzig mögliche Garant für die „Unabhängigkeit“ gegenüber Russland. Doch die politische und die Klassenlogik hinter diesen Behauptungen ist durchaus schlüssig: Sie befürworten die vollständige Unterstützung der Nato, ein imperialistisches Bündnis aus Dieben und Mördern, das im Nahen Osten, in Nordafrika und Südosteuropa gewütet hat und jetzt die Hauptverantwortung für das schrecklichste Blutbad auf europäischem Boden seit dem Untergang des Naziregimes 1945 trägt.

Lüge Nummer 2: Die extreme Rechte spielt in der ukrainischen Politik und im Militär keine nennenswerte Rolle

Als sie von Democracy Now! nach dem Asow-Bataillon gefragt wurde, das seit seiner Gründung nach dem Putsch von 2014 an der Ausbildung amerikanischer und anderer Neonazis beteiligt war, betonte Perechoda, die extreme Rechte habe es nach 2014 „nicht geschafft, zu einem legitimen politischen Faktor in der institutionellen Politik [der Ukraine] zu werden. ... Im ukrainischen Parlament sind keine rechten Parteien vertreten. Sie waren es vor 2014, aber jetzt nicht mehr.“

Das sind eklatante Lügen. Der Regierung, die durch den Putsch im Februar 2014 an die Macht kam, gehörte auch die neofaschistische Partei Swoboda an, die sich offen in die Tradition der Nazi-Kollaborateure von Stepan Banderas Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) stellt. Die OUN war maßgeblich am Holocaust in der Ukraine beteiligt und von 1943–44 für Massaker an bis zu 100.000 Polen verantwortlich.

Tatsächlich war dies das erste Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, dass eine offen neofaschistische und antisemitische Partei einer europäischen Regierung beigetreten ist. Joe Biden – damals Vizepräsident unter Barack Obama – und führende deutsche Politiker wie der spätere Bundespräsident und damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier schüttelten dem Neonazi und Swoboda-Parteichef, Oleg Tjagnybok, die Hand.

Seither wurden die ukrainischen Neonazikräfte von den imperialistischen Mächten systematisch bewaffnet und ausgebildet. Infolgedessen überwiegt ihre Rolle im Staatsapparat und in der Politik bei weitem ihren Rückhalt in der Bevölkerung, aber das macht sie nicht weniger gefährlich. Im Parlament vertretene Parteien wie die Europäische Solidaritätspartei von Petro Poroschenko, dem Präsidenten der Ukraine von 2014 bis 2019, sind zwar nicht offen neofaschistisch, unterhalten aber umfangreiche Beziehungen zum Asow-Bataillon und anderen rechtsextremen Gruppierungen. Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, Waleri Saluschnnyj, ist ein offener Bewunderer von Stepan Bandera.

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Perechoda ist sich dieser Tatsachen bewusst, verheimlicht sie aber bewusst. Obwohl sie auf Democracy Now! als „Historikerin“ dargestellt wird, entlarvt ihre bisherige akademische Arbeit sie als Anhängerin der Ansichten und Geschichtsfälschungen rechtsextremer ukrainischer Nationalisten.

In ihrem vor kurzem veröffentlichten Buch bringt Perechoda es fertig, in einem Kapitel über die „Ukrainische Revolution von 1917-1920“ die Zeit des Bürgerkriegs in der Ukraine, der nach der russischen Revolution von 1917 ausbrach, und die Politik der ukrainischen Nationalisten zu diskutieren, ohne den Begriff „Antisemitismus“ zu erwähnen. Dass in diesen drei Jahren schätzungsweise 200.000 Juden ermordet wurden, vor allem von antibolschewistischen Kräften und ukrainischen Nationalisten, die meisten davon auf dem Staatsgebiet der heutigen Ukraine, ist für sie nicht von Bedeutung. Ebenso wenig hält sie es für erwähnenswert, dass der deutsche Imperialismus das Land besetzt hielt, bis die Novemberrevolution 1918 die deutschen Kriegsbeteiligung beendete.

Stattdessen behauptet Perechoda, die ukrainische Nationalbewegung habe den Bolschewiki ihre territoriale Vorstellung der Ukraine aufgezwungen: „Nicht die Bolschewiki haben die Ukraine ,erfunden‘: Seit Ende 1917 hat sich ihnen die Ukraine als neue politische Realität aufgezwungen, einschließlich ihrer territorialen Dimensionen.“ (Hanna Perechoda: „Die ukrainische Revolution, die Bolschewiki und die Trägheit des Reiches“, Die vielen Gesichter der Ukraine: Land, Leute und Kultur neu betrachtet, redigiert von Olena Palko und Manuel Férez Gil, Bielefeld: Transcript Verlag 2023, 159)

Diese Worte sind die einer rechtsextremen ukrainischen Ethnonationalistin und Antikommunistin. Im Mindesten steht Perechoda der unheilvollen Geschichte der ukrainischen Nationalisten völlig gleichgültig gegenüber, die ihre Zusammenarbeit mit den imperialistischen Mächten immer wieder, auch nach dem Ersten und während des Zweiten Weltkriegs, mit Massakern an ethnischen und religiösen Minderheiten und der brutalen Unterdrückung der ukrainischen Arbeiterklasse verbunden haben.

Lüge Nummer 3: „Die Ukrainer“ sind vereint in ihrer Entschlossenheit, um jeden Preis gegen Russland zu kämpfen

Bei der Konferenz „Socialism 2023“ betonte Bondar, der ebenfalls Mitglied von Sozialnij Ruch ist, dass die ukrainische Bevölkerung auch nach 18 Monaten Krieg noch immer in ihrem Verlangen vereint ist, gegen Russland zu kämpfen, selbst wenn dies Atomkrieg bedeutet. Er berief sich in seiner Rede auf eine Umfrage, laut der „89 Prozent der Befragten erklärten, wir sollten weiterkämpfen, selbst wenn Russland eine taktische Atomwaffe gegen eine ukrainische Stadt einsetzt. 89 Prozent, also werden die Ukrainer um nichts in der Welt den Kampf aufgeben, auf gar keinen Fall“ [großer Beifall].

Selbst wenn man die fragwürdigen Ursprünge dieser Umfrage außen vor lässt: Wie sieht die Realität aus, die Bondar und sein jubelndes Publikum bei „Socialism 2023“ ignorierten?

Seit Beginn dieses Kriegs wurden 13 Oppositionsparteien, darunter mehrere linke Parteien wie die Vereinigung der Linken Kräfte – für einen neuen Sozialismus!, die den Krieg ablehnten, verboten und gewaltsam verfolgt. Menschen können mittlerweile willkürlich und ohne Beweise oder Gerichtsverfahren zu „Staatsverrätern“ erklärt und ins Gefängnis geworfen werden. Zehntausende junger Männer haben sich an Universitäten eingeschrieben, und Hunderttausende sind aus dem Land geflohen, um nicht zum Militär eingezogen zu werden. Um die rapide schrumpfenden Reihen aufzufüllen, ist das ukrainische Militär bereits vor Monaten dazu übergegangen, Männer praktisch von der Straße zu entführen. Und dazu kommt die staatlich geförderte Propagierung einer bösartigen antirussischen Stimmung, u.a. das Verbot russischer Literatur und Kultur und die systematische Geschichtsfälschung.

Die Gründe für Bondars „Auslassungen“ sind klar genug: Ein Blick auf sein Profil an der Tulane University und sein persönliches Linkedln-Profil zeigt, dass der Mann, laut dem Millionen von Ukrainern bereitwillig auf die Schlachtbank gehen, seit fast zehn Jahren vom US-Militär finanziert wird.

Drei der fünf Auszeichnungen, die Bondar seit 2016 erhalten hat, kamen vom US-Militär. Im Jahr 2016 war er Teil des Air Force Young Investigator Research Program. Im Jahr 2018 beteiligte er sich am Defense University Research Instrumentation Program, das vom Air Force Office of Scientific Research gesponsert wird. Im Jahr 2019 erhielt er den Young Faculty Award der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) des US-Verteidigungsministeriums. Laut dem US Army Magazine arbeitete sein Labor auch für das Army Research Laboratory des US Army Combat Capabilities Development Command und hat studentische Hilfskräfte beschäftigt, die ihre Ausbildung in seinem Labor mit Mitteln des Army Educational Research Program finanziert haben.

Denys Bondars Linkedln-Profil mit Ehrungen und Auszeichnungen (Screenshot vom 23. September 2023)

Bondars Äußerungen sind verabscheuenswerte Kriegspropaganda. Sie stammen von einem Mann, der auf der Gehaltsliste des gleichen US-Militärs steht, das Millionen von Irakern, Afghanen, Syrern, Vietnamesen und zahllose weitere Zivilisten in anderen Teilen der Welt ermordet hat. Nicht die ukrainische Bevölkerung, sondern der US-Imperialismus fordert die Fortsetzung des Kriegs „bis zum letzten Ukrainer“.

Lüge Nummer 4: Die größte Bedrohung für das Putin-Regime geht von der russischen Nato-freundlichen Opposition in der Oligarchie und dem Kleinbürgertum aus

Die Behauptung, das Putin-Regime reagiere mit seiner Entscheidung, diesen Krieg zu beginnen, nicht auf eine äußere, sondern eine „innere Bedrohung“, ist von zentraler Bedeutung für die Position der Pablisten bei dieser Kriegstournee. Damit meinen sie die Bedrohung durch die russische „Zivilgesellschaft“ seit den Protesten von 2011–2012 sowie die „Demokratisierungstendenzen“, die eine „demokratische“ und „wohlhabende“ Ukraine an Russlands Grenzen begünstigen könnte. So erklärte Perechoda auf der Konferenz „Socialism 2023“:

Dieser Krieg ist eine Reaktion auf eine subjektive und interne Bedrohung für den Putin-Clan, der die Kontrolle über den Staatsapparat und alle natürlichen Rohstoffe dieses Landes an sich gerissen hat. Es ist nicht leicht, in einem Land an der Macht zu bleiben, in dem ein Prozent der Bevölkerung 75 Prozent des Gesamtvermögens besitzt. Deshalb tut das Regime, was es kann, um demokratische Tendenzen in den Nachbarstaaten und im eigenen Land zu unterdrücken.

Hierbei handelt es sich um ein verwirrendes Amalgam aus Verzerrungen und Halbwahrheiten. Zweifellos ist das russische Regime ein Oligarchenregime, das ukrainische jedoch ebenfalls. Vor dem Krieg herrschten in der Ukraine keineswegs „Wohlstand“ und „Demokratie“, in Wirklichkeit wurde das Land von einem Haufen korrupter und krimineller Oligarchen regiert und zählte, neben Moldau, zu den ärmsten Ländern Europas. Was die Behauptung über die Ukraine als angebliche „Speerspitze der Demokratie“ an der Grenze zu Russland angeht, so reicht es aus, daran zu erinnern, dass dort im Jahr 2014 ein Putsch stattfand, der in großem Umfang von den imperialistischen Mächten unterstützt wurde. Unter diesen Bedingungen konnten rechtsextreme Kräfte wie das Asow-Bataillon ungehindert ethnische Minderheiten wie Sinti und Roma und Gegner der Nato und des ukrainischen Regimes terrorisieren.

Die Kräfte, die die Protestbewegung von 2011–2012 beherrschten, genauso wie das, was Perechoda und Budraitskis als „russische Zivilgesellschaft“ bezeichnen, sind nicht demokratischer als die rechten nationalistischen Tendenzen, die die Maidan-Proteste in Kiew dominierten, die zum Putsch von 2014 führten. Gesellschaftlich wurden beide Protestbewegungen von privilegierten Schichten des Kleinbürgertums in Kiew, Moskau und St. Petersburg dominiert. Wie die WSWS dokumentiert hat, war Alexei Nawalny, die wichtigste Figur der von der Nato unterstützten Opposition in Russland seit den Protesten von 2011–2012, ein Mitorganisator rechtsextremer Demonstrationen. Er hat zudem umfangreiche Beziehungen zu Teilen der russischen und amerikanischen herrschenden Klasse.

Alexei Nawalny beim rechtsextremen „Russischen Marsch“ im Jahr 2012. Auf dem Transparent hinter ihm steht: „Russland gehört uns“ (Screenshot)

Die Pablisten der RSM haben sich unter der Führung von Budraitskis und Matwejew seit über zehn Jahren darauf orientiert, Nawalny und sein Bündnis mit der extremen Rechten und diversen stalinistischen Kräften zu unterstützen. Statt die Klassenherrschaft der Oligarchie zu bekämpfen, lehnen diese Kräfte lediglich die Herrschaft einer bestimmten Fraktion der Oligarchie ab – diejenige von Putin und seinen Verbündeten. Sie streben eine Umverteilung des Reichtums des obersten einen Prozent an andere Fraktionen der Oligarchie an, die von Putin entmachtet wurden, sowie an Teile des gehobenen Kleinbürgertums, die größere Privilegien anstreben, als sie bisher haben.

Viele Angehörige dieser Schicht, darunter Budraitskis und Matwejew selbst, sind seit Beginn des Kriegs aus Russland geflohen und setzen ihre Karrieren an Universitäten in Nato-Staaten fort. Sie betrachten den Krieg nicht unter dem Gesichtspunkt der zerstörten Menschenleben oder der Gefahr der atomaren Vernichtung des Planeten, sondern als Gelegenheit für Buchverträge, Gastdozentenstellen, Redeauftritte und andere sehr reale Karrieremöglichkeiten, die ihnen der Imperialismus bietet.

Auf diese gesellschaftlichen Kräfte setzt der US-Imperialismus bei seinen anhaltenden Bestrebungen, einen Regimewechsel in Russland herbeizuführen. Tatsächlich ist eines der Hauptziele in diesem Krieg, dafür zu sorgen, dass Putins Regime durch ein anderes ersetzt wird, das direkt den außenpolitischen und wirtschaftlichen Interessen der Nato untertan ist.

Ilja Budraitskis, Ilja Matwejew und ihre RSM sprechen für eine gesellschaftliche Schicht, die von dieser Operation und einer imperialistischen Aufteilung Russlands in eine Reihe von Kleinstaaten profitieren will. Das meinen sie mit „Zivilgesellschaft“ und der „Demokratisierung“ Russlands.

Ihre Falschbehauptungen verschleiern nicht nur die politischen und sozialen Interessen der RSM und des US-Imperialismus in diesem Krieg, sondern auch den Charakter des Putin-Regimes selbst. In Wirklichkeit haben das Putin-Regime und die von der Nato unterstützte Fraktion der Oligarchie um Nawalny die gleichen historischen Ursprünge und Klasseninteressen. Genau wie die ukrainische ging die russische Oligarchie aus der Zerstörung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie im Jahr 1991 hervor. Die größte Bedrohung für beide Oligarchien ist nicht irgendeine amorphe „Zivilgesellschaft“ aus Teilen der Oligarchie und privilegierten Schichten des Kleinbürgertums, sondern die russische, ukrainische und internationale Arbeiterklasse. Auf dieser Klasse muss jeder echte Widerstand gegen diesen Krieg basieren.

Lüge Nummer 5: Widerstand gegen den Nato-Krieg in der Ukraine bedeutet Unterstützung für das Putin-Regime und den „russischen Imperialismus“

Die Grundlage aller Argumente, die diese Gruppen vorbringen, lautet, jeder Widerstand gegen den Krieg der Nato in der Ukraine würde das Putin-Regime und das, was sie den „russischen Imperialismus“ nennen, unterstützen. Der Hauptzweck dieser Lüge ist, echten linken Widerstand gegen diesen Krieg einzuschüchtern und zu diskreditieren.

Die trotzkistische Bewegung hat die russische Invasion von Anfang an von einem sozialistischen, linken, nicht von einem rechten imperialistischen Standpunkt abgelehnt. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale erklärte in seiner ersten Stellungnahme zum Krieg, die am 24. Februar 2022 veröffentlicht wurde:

Ungeachtet der Provokationen und Drohungen der USA und der Nato-Mächte muss der Einmarsch Russlands in die Ukraine von Sozialisten und klassenbewussten Arbeitern abgelehnt werden... Die Rückkehr zur Außenpolitik des Zarismus aus der Zeit vor 1917 ist keine Lösung. Stattdessen muss der sozialistische Internationalismus, der die Oktoberrevolution von 1917 inspirierte und zur Gründung der Sowjetunion als Arbeiterstaat führte, in Russland und der ganzen Welt zu neuem Leben erweckt werden. Der Einmarsch in die Ukraine, wie auch immer er vom Putin-Regime gerechtfertigt wird, dient nur dazu, die russische und ukrainische Arbeiterklasse zu spalten, und spielt den Interessen des US-amerikanischen und europäischen Imperialismus in die Hände.

Letzten Herbst hatten die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) und ihre Schwesterorganisation, die Junge Garde der Bolschewiki-Leninisten in Russland und der Ukraine, eine Kampagne zum Aufbau einer globalen Bewegung der Jugendlichen und Arbeiter gegen diesen Krieg ins Leben gerufen. Seither hat die IYSSE ein Online-Webinar mit Rednern aus der ganzen Welt abgehalten und im Frühjahr eine Reihe von internationalen Veranstaltungen gegen den Krieg auf fünf Kontinenten organisiert.

Dabei haben wir eine konsequente sozialistische und marxistische Haltung gegenüber den imperialistischen Mächten und den oligarchischen Regimes in Russland und der Ukraine entwickelt. Allerdings betonten wir auch, dass Arbeiter und Jugendliche die Behauptung zurückweisen müssen, Russland sei ein „imperialistisches“ Land. Dies ist historisch und wirtschaftlich betrachtet falsch und soll das Vorgehen des Imperialismus politisch decken.

Das heutige Russland ist aus der Wiedereinführung des Kapitalismus in der UdSSR hervorgegangen, dem Höhepunkt der jahrzehntelangen Reaktion der stalinistischen Bürokratie gegen die Oktoberrevolution. Damals unterstützten die Pablisten, aus denen die RSM hervorging, diese soziale Konterrevolution, die zur Zerstörung aller Errungenschaften von 1917 führte. Doch die Wiedereinführung des Kapitalismus brachte weder „Frieden und Wohlstand“, noch führte sie zu irgendeiner nennenswerten Entwicklung Russlands zu einer wirtschaftlichen „Weltmacht“. Vielmehr führte die Wiedereinführung des Kapitalismus in Russland und der Ukraine zur Entstehung krimineller Oligarchien, die das Vermögen der Gesellschaft plünderten, aber keine Grundlage für eine echte wirtschaftliche Entwicklung schaffen konnten. Die Haupteinkommensquelle der russischen Oligarchen sind die Ausbeutung der Arbeiterklasse und der Verkauf von Rohstoffen an andere Länder.

Keine dieser Oligarchien war je, oder könnte je von den imperialistischen Mächten unabhängig sein. Während die Ukraine von einer Fraktion der Oligarchie regiert wird, die das Land in ein Aufmarschgebiet für ein von den imperialistischen Mächten provoziertes Blutbad verwandelt hat, beruht die gesamte Kriegsstrategie des Putin-Regimes auf der verzweifelten und bankrotten, vom Stalinismus ererbten Vorstellung, es könne mit begrenztem militärischem Druck Bedingungen für ein Abkommen aushandeln, das eine „friedliche Koexistenz“ mit dem Imperialismus ermöglicht.

Aber die imperialistischen Mächte wollen nicht verhandeln, sondern sich die ganze Region unterwerfen, und damit einige der weltweit größten Energievorkommen und Bestände seltener Erden und kritischer Mineralien. Die Behauptung, Russland sei „imperialistisch“, soll die wirklichen wirtschaftlichen und geopolitischen Kriegszeile der imperialistischen Mächte und ihre Strategie zur Aufteilung des Landes in eine Reihe von Kleinstaaten vertuschen, deren Energie- und Rohstoffvorkommen vom Imperialismus direkt ausgebeutet werden können. Diese Strategie birgt nicht nur das Risiko einer Reihe von Kriegen und Bürgerkriegen, sondern auch die sehr reale Gefahr eines Atomkriegs.

Wenn das wie eine Übertreibung klingt, sollte man sich daran erinnern, welche Strategie und Brutalität der imperialistischen Politik im ehemaligen Jugoslawien in den 1990ern zugrunde lag. Die imperialistischen Mächte haben Teile der korrupten Eliten, die aus der Wiedereinführung des Kapitalismus hervorgegangen sind, und offen faschistische Kräfte wie die Anhänger der kroatischen Ustascha benutzt, um bewusst ethnische und religiöse Konflikte zu schüren. Die darauf folgende Serie von Bürgerkriegen und Nato-Bombenangriffen haben die Region in eine sozioökonomische Einöde verwandelt. Eine Wiederholung dieses Szenarios in der ehemaligen Sowjetunion, die nach den USA das größte Atomarsenal auf der Welt besitzt, wäre noch verheerender und noch gefährlicher.

Auch ein weiteres Element der Kriege in Jugoslawien in den 1990ern sollte im Gedächtnis bleiben: Während dieser Kriege begann eine ganze Schicht von kleinbürgerlichen Ex-Linken, und besonders die Pablisten, offen die Nato zu unterstützen. Dies taten sie auf der Grundlage der betrügerischen Propaganda von „humanitären Interventionen“ und vom „Recht auf nationale Selbstbestimmung“. Das IKVI betonte in seiner Analyse dieses Phänomens die Klassengrundlage für diesen Rechtsruck:

Eine ganze Schicht jener Leute, die durch die Erfahrungen des Vietnamkriegs, die Ereignisse vom Mai-Juni 1968 in Frankreich und durch die militanten Arbeitskämpfe der späten sechziger und frühen siebziger Jahre radikalisiert worden waren, hat im Verlauf der vergangenen zwei Jahrzehnte ihre Opposition gegen den Imperialismus aufgegeben und sich wieder in das Leben der Mittelklasse eingefügt. Nicht wenige dieser Ex-Radikalen haben ihre materiellen Einkünfte durch den Börsenboom der neunziger Jahre vervielfacht. Das Ergebnis war eine durchgreifende politische Umorientierung.

Ein Vierteljahrhundert, viele Kriege und Millionen von Toten später sind die sozialen Privilegien dieser Schicht noch viel größer, und ihre Einbindung in den Staat und die Kriegsmaschinerie viel weiter fortgeschritten. Die von den DSA unterstützte Kriegs-Tournee von RSM und Sozialnjy Ruch, die zweifellos vom Militär gesponsert und mit der CIA abgesprochen wurde, ist ein klarer Ausdruck davon. Sie bestätigt erneut, dass die grundlegendsten Klasseninteressen und ein Strom von Blut diese Tendenzen von der Arbeiterklasse und der trotzkistischen Bewegung trennen. Arbeiter und Jugendliche müssen diese Lakaien des Imperialismus mit der ihnen gebührenden Verachtung behandeln.

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