Am Freitagabend wurden bei einem Terroranschlag in der beliebten Moskauer Konzerthalle Crocus City Hall mindestens 137 Menschen getötet und über 180 verletzt, darunter auch mehrere Kinder. Laut den russischen Behörden könnte die Zahl der Toten durchaus noch steigen. Es handelt sich damit um den schwersten Terroranschlag in Russland seit zwei Jahrzehnten. Die afghanische islamistische Fundamentalistengruppe Islamischer Staat (IS) hat sich zu dem Anschlag bekannt.
Kurz vor Beginn eines Konzerts der populären Rockband „Piknik“ begann eine Gruppe von mindestens vier Bewaffneten um 20 Uhr Ortszeit in die fast 6.000-köpfige Menschenmenge zu schießen. In den sozialen Netzwerken fanden Videoaufnahmen des Anschlags große Verbreitung. Überlebende beschrieben gegenüber den Medien grauenhafte Szenen. Eine Frau namens Ewa erklärte gegenüber Gazeta.Ru: „Wir sahen zuerst etwas, das wie ein Feuerwerk aussah, dann hörten wir Schüsse, und die Leute riefen, wir sollen rennen. Natürlich waren sie in Panik. Die Leute im Crocus bauten Barrikaden und versuchten Fenster einzuschlagen.“
Der russische Geheimdienst FSB und die Nationalgarde stürmten das Gebäude. Doch laut Berichten dauerte die Rettungsaktion weit über eine Stunde. Russischen Medienberichten zufolge halfen Autofahrer, die an dem Gebäude vorbeikamen, bei der Evakuierung des Anschlagsorts.
Zusätzlich zum Maschinengewehrfeuer explodierten auch mehrere Sprengsätze, die die Konzerthalle in Brand setzten und zum Einsturz des Dachs führten. Erste russische Medienberichte gingen davon aus, dass sich das Feuer auf eine Fläche von fast 13.000 Quadratmetern ausbreiten könnte.
Bis zum Samstagmorgen dauerten die Löscharbeiten noch an und die russischen Behörden suchten weiter nach den Tätern. An den U-Bahnstationen in der Hauptstadt und den Flughäfen im Raum Moskau wurden erhöhte Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Alle für das Wochenende geplanten öffentlichen Großveranstaltungen in der Hauptstadt wurden abgesagt. Präsident Wladimir Putin hatte sich zunächst nicht öffentlich geäußert.
Vier Angreifer seien festgenommen worden, als „sie sich in Richtung Ukraine bewegten“, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin später in einer TV-Ansprache.
Der Terroranschlag ereignete sich, während die Spannungen zwischen der Nato und Russland, die sich in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg liefern, einen neuen Höhepunkt erreichen. Nur wenige Tage vor dem Anschlag wurde Wladimir Putin als Sieger der Präsidentschaftswahlen vom vorherigen Wochenende bestätigt. Vor den Wahlen hatte der französische Präsident Emmanuel Macron angekündigt, die Nato erwäge angesichts der schweren Krise, in der sich die von der Nato unterstützte ukrainische Armee befindet, die Stationierung von Truppen in der Ukraine. In den Tagen vor den Wahlen wurden bei einer Serie von Raketenangriffen in der Grenzregion Belgorod mindestens fünf Zivilisten getötet und Schulen und Einkaufszentren mussten geschlossen werden. Während der Wahlen waren russische Neonazi-Milizen mit Unterstützung der Ukraine und der Nato auf russisches Territorium eingedrungen. Dabei wurde das russische Staatsgebiet zum ersten Mal seit der Niederlage der Nazis gegen die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg mit Panzern angegriffen.
In den vergangenen zwei Jahren des Kriegs sind Terroranschläge, die meist auf prominente Unterstützer des Kremls im Krieg abzielten, Drohnenangriffe auf Moskau sowie auf russische Ölraffinerien und Häfen zu einer zentralen Komponente der Kriegsstrategie der Ukraine und der Nato geworden. Nur wenige Stunden vor dem Anschlag hatte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow den russischen Konflikt mit der Nato in der Ukraine erstmals als „Krieg“ bezeichnet, statt den offiziellen Begriff „militärische Spezialoperation“ zu verwenden. Peskaow erklärte: „Ja, es begann als militärische Spezialoperation. Doch sobald sich diese Bande entwickelte und der kollektive Westen begann, sich in dem Konflikt auf der Seite der Ukraine zu beteiligen, ist es für uns ein Krieg geworden.“
Wolodymyr Selenskyj und mehrere seiner Berater beeilten sich, die weit verbreiteten Spekulationen zu dementieren, die Ukraine stecke hinter den Terroranschlägen. John Kirby, der Koordinator für strategische Kommunikation des Nationalen Sicherheitsrats der USA, erklärte, die USA würden eine Beteiligung der Ukraine an dem Anschlag ausschließen.
Am 7. März hatte die amerikanische Botschaft in Moskau eine Sicherheitswarnung an amerikanische Staatsbürger herausgegeben. Sie sollten in den nächsten 48 Stunden belebte Plätze in der russischen Hauptstadt meiden, da Terroristen „unmittelbar“ planen würden, Anschläge auf große Menschenansammlungen, einschließlich Konzerte, zu verüben. Mehrere Botschaften westlicher Staaten wiederholten die Warnung. Am Dienstag wies Putin sie als „provokante Äußerungen“ und „Erpressung“ zurück, die das Land „destabilisieren“ sollten.
Als er auf die Warnung der US-Botschaft vom 7. März angesprochen wurde, erklärte John Kirby am Freitag: „Ich glaube nicht, dass es da einen Zusammenhang zu diesem konkreten Anschlag gab.“
Kurze Zeit später übernahm die Gruppe Islamischer Staat-Khorasan, ein in Afghanistan operierender Ableger der islamistischen Terrororganisation IS, in den sozialen Netzwerken die Verantwortung für den Anschlag. US-Regierungsvertreter bestätigten die Behauptung und erklärten gegenüber der New York Times, sie hätten im März Geheimdienstinformationen über einen bevorstehenden Anschlag gesammelt. Laut der New York Times, die regelmäßig als Sprachrohr der US-Geheimdienste agiert, hatten US-Regierungsvertreter „russischen Beamten in Privatgesprächen die Informationen mitgeteilt, die auf einen drohenden Anschlag hinwiesen“.
Bis zum Samstagmorgen hatten sich die russischen Behörden noch nicht zu den Behauptungen der USA oder des IS-Khorasan geäußert. Im Februar gab der russische Geheimdienst FSB bekannt, er habe eine Zelle des IS in der Stadt Kaluga südwestlich von Moskau zerschlagen und zwei IS-Mitglieder aus Zentralasien getötet. Anfang März meldete der FSB, er habe eine weitere IS-Zelle in der Region Kaluga „liquidiert“, die aus militanten Islamisten aus Afghanistan bestanden habe.
Der Anschlag von Freitag war der tödlichste in Russland seit dem Angriff islamistischer Fundamentalisten auf eine Schule in Beslan im Jahr 2004. Damals wurden mindestens 334 Menschen getötet, etwa die Hälfte davon Kinder. Es war außerdem der tödlichste Anschlag in der russischen Hauptstadt seit dem Angriff auf ein Moskauer Theater im Jahr 2002, bei dem mehr als 170 Personen getötet wurden.
Diese Angriffe waren Teil einer Serie von islamistischen Terroranschlägen, die Russland vor allem zu Beginn der 2000er-Jahre erschütterten. Auch im letzten Jahrzehnt gab es mehrere islamistische Terroranschläge, die jedoch fast alle im überwiegend von Muslimen bewohnten Nordkaukasus stattfanden.
Diese Welle von Terroranschlägen fand im Kontext von zwei brutalen Kriegen statt, die der Kreml in Tschetschenien und gegen eine islamistisch-separatistische Aufstandsbewegung zwischen 1994 und 2009 geführt hatte. Das Ziel war, die Abspaltung der überwiegend muslimischen Nordkaukasus-Republik von der Russischen Föderation zu verhindern. Laut Schätzungen wurde in diesen Kriegen bis zu einem Zehntel der tschetschenischen Bevölkerung getötet.
Vor allem in den 1990er-Jahren wurden die tschetschenischen Separatisten vom US-Imperialismus unterstützt, der seit langem versucht hatte, im russischen Vielvölkerstaat separatistische, ethnische und religiöse Spannungen zu schüren, um Russland zu destabilisieren und aufzuspalten. In Russland leben etwa 14 Millionen Muslime, die rund zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Es ist bekannt, dass islamistische Separatisten aus dem Nordkaukasus enge Beziehungen zu al-Qaida, dem IS und den Taliban, die Afghanistan seit dem Abzug der US-Truppen im Jahr 2021 regieren, aufgebaut haben. Andere radikale Islamisten aus Tschetschenien haben sich den von den USA unterstützten islamistischen Milizen angeschlossen, die im Bürgerkrieg in Syrien gegen die von Russland unterstützte Assad-Regierung kämpfen.
Für den Kreml sind die engen Beziehungen zwischen tschetschenischen islamistischen Separatisten und verschiedenen islamistisch-fundamentalistischen Gruppen in ganz Zentralasien und dem Nahen Osten – von denen viele Beziehungen zu den USA haben – seit Jahren von zentraler Bedeutung.
Das Wall Street Journal berichtete im Jahr 2021, dass sich US-Geheimdienstmitarbeiter und Elitetruppen zur Aufstandsbekämpfung, die während der 20-jährigen US-Besatzung Afghanistans von der CIA und dem Pentagon ausgebildet worden waren, dem Islamischen Staat Khorasan angeschlossen – der Gruppe, die jetzt die Verantwortung für den Anschlag in Moskau übernommen hat. Wie die WSWS damals erklärte, ist die CIA „eng verbunden mit dem Entstehen des IS“. Die CIA hatte in den 1980er-Jahren auch Osama bin Laden und andere künftige al-Qaida-Führer ausgebildet und zwar im Rahmen des von den USA finanzierten Guerilla-Kriegs der Mudschaheddin in Afghanistan gegen die Sowjetunion.
Unabhängig davon, wer für den Terroranschlag am Freitag unmittelbar verantwortlich war, steht fest, dass er eindeutig im Kontext des eskalierenden und sich ausweitenden Kriegs der imperialistischen Mächte gegen Russland stattfand. Dieser Konflikt hat sich bereits von der Ukraine auf den Nahen Osten und andere Teile der Welt ausgedehnt. Er hat die gesamte ehemalige Sowjetunion und große Teile Zentralasiens und Osteuropas destabilisiert. Zu den Kräften, die durch diesen wachsenden globalen Konflikt entfesselt wurden, gehören nicht nur russische und ukrainische Neonazis, sondern auch islamistische Milizen, die durch die jahrzehntelangen Raubkriege der USA im Nahen Osten herangezüchtet wurden.