Fünf Wochen vor der Europawahl vom 6. bis 9. Juni bereiten sich führende Vertreter der Europäischen Union auf eine enge Zusammenarbeit mit rechtsextremen Parteien vor. Hatten bisher die Fraktionen der Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten – und teilweise auch der Grünen – wichtige Entscheidungen unter sich ausgemacht und Schlüsselposten unter sich verteilt, sollen die Rechtsextremen nach der Wahl sowohl im Europaparlament als auch in der EU-Kommission eine wichtige Rolle spielen. Die vielbeschworene „Brandmauer“ oder der „Cordon Sanitaire“ gegen die extreme Rechte, die schon immer eine Fiktion waren, sollen endgültig fallen.
Zwei Ereignisse der letzten Tage haben dies deutlich gemacht. Am letzten Wochenende traf sich in Budapest unter der Schirmherrschaft des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán das Who is who der internationalen extremen Rechten. Und am Montag brachte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine mögliche Zusammenarbeit mit den „Europäischen Konservativen und Reformern“ (EKR) ins Spiel, denen unter anderem die Fratelli d’Italia der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die spanische Vox, die polnische PiS und die Schwedendemokraten angehören.
Zur Konferenz des ungarischen Ablegers des „Conservative Political Action Committee“ (CPAC) waren 3000 Teilnehmer aus fünf Kontinenten nach Budapest gereist. Der Chef der spanischen Vox Santiago Abascal war da, ebenso Geert Wilders von der niederländischen Partei für die Freiheit (PVV) und Tom van Grieken vom belgischen Vlaams Belang. Für das französische Rassemblement National war der ehemalige Chef der EU-Grenzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, gekommen, der für die Partei Marine Le Pens zur Europawahl antritt.
Die italienische Lega und die Fratelli d’Italia hatten ebenfalls Vertreter geschickt. Deutschland war durch den ehemaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen vertreten, der mit der Werteunion eine eigene rechtsextreme Partei gegründet hat. André Ventura von der portugiesischen Chega und Ex-US-Präsident Donald Trump sandten Videobotschaften. Der brasilianische Ex-Präsident Jair Bolsonaro schickte seinen Sohn Eduardo.
Neben zwei amtierenden Regierungschefs, Orbán und dem Georgier Irakli Kobakhidze, nahmen drei ehemalige Premierminister teil: Mateusz Morawiecky aus Polen, Janez Janša aus Slowenien und Tony Abbot aus Australien. Aus Israel waren gleich zwei Minister gekommen: Amichai Chikli, zuständig für Diaspora-Angelegenheiten, und Geheimdienstministerin Gila Gamliel. Das Regime von Benjamin Netanjahu kann bei seinem Völkermord an den Palästinensern auf die bedingungslose Unterstützung der europäischen Rechtsextremen zählen, unter denen es von Antisemiten wimmelt.
Eingebettet in ein reaktionäres Mischmasch aus Lob für „Gott, Familie, Vaterland“ und Hetze gegen Wissenschaft, Abtreibung, LGBTQ, Liberalismus und Kommunismus präsentierte sich der Kongress als Stimme der Ordnung in Zeiten des „Chaos“.
„Die liberale Hegemonie hat die Welt zu einem schlechteren Ort gemacht. Sie hat Krieg angezettelt, wo Frieden herrschte, Chaos gebracht, wo Ordnung war, sie wollte Länder und Familien auslöschen und sie wollte unsere Nationen vom Erdboden tilgen“, erklärte Orbán in seiner Eröffnungsrede.
Er schwadronierte vom Anbrechen einer „souveränistischen Weltordnung“, in der „die nationalen Interessen die Bewegung der Staaten bestimmen“ und „jede unabhängige Nation auf der Grundlage ihrer eigenen nationalen Interessen handelt“. „Nicht alle möglichen NGOs, Großunternehmen, Medienzentren, verdächtige Experten und windige Akademiker werden dann sagen, was richtig ist und was getan werden muss, sondern vom Volk gewählte Vertreter und Politiker“. Das Wort „Führer“ wäre passender gewesen.
Am Tag nach dieser abstoßenden Konferenz erklärte sich Ursula von der Leyen, die eine weitere Amtszeit als Kommissionspräsidentin anstrebt, zur Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen bereit. Bei einer Debatte in Maastricht beantwortete sie die Frage, ob sie eine Zusammenarbeit mit der EKR-Fraktion ausschließe, nicht wie bisher üblich mit Ja, sondern erwiderte: „Es hängt stark davon ab, wie die Zusammensetzung des Parlaments ist und wer sich in welcher Fraktion befindet.“
Von der Leyen, die Spitzenkandidatin der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), wäre also bereit, sich mit den Stimmen der Rechtsradikalen wieder zur Kommissionschefin wählen zu lassen. Dass diese dafür einen Preis in Form politischer Zugeständnisse und wichtiger Posten in der EU verlangen werden, versteht sich von selbst.
Umfragen gehen von einer deutlichen Stärkung der extremen Rechten bei der Europawahl aus. Die beiden rechtsextremen Fraktionen „Europäische Konservative und Reformer“ (EKR) und „Identität und Demokratie“ (ID) rechnen mit einem Viertel der Mandate. Statt 126 im jetzigen Parlament können sie 165 der 710 Sitze gewinnen. Hinzu kommen zwölf Abgeordnete der ungarischen Regierungspartei Fidesz, die derzeit fraktionslos sind, sich aber möglicherweise der EKR anschließen werden.
Vor allem in Italien, wo die Rechtextremen unter Giorgia Meloni die Regierung bilden, in den Niederlanden, wo Geerd Wilders die letzte Parlamentswahl gewann, in Deutschland, wo die AfD in den Umfragen auf Platz zwei liegt, und in Frankreich wird mit einem deutlichen Zuwachs für die Rechtsextremen gerechnet. In Frankreich liegt das Rassemblement National in den Umfragen rund 14 Prozent vor der Partei Renaissance von Präsident Emmanuel Macron, den Marine Le Pen bei der nächsten Präsidentenwahl als Staatschef ablösen will.
Das RN, das mit 27 Abgeordneten rechnet, ist die stärkste Partei von ID. Außerdem gehören der Fraktion die deutsche AfD, die österreichische FPÖ, die italienische Lega sowie andere Parteien an. Da einige von ihnen eher russlandfreundlich sind und die EU ablehnen, ist eine Zusammenarbeit zwischen ihnen und den Konservativen weniger wahrscheinlich. Die Fraktionen könnten sich aber auch umgruppieren oder neu bilden. So gibt es Mutmaßungen, dass das Rassemblement National zu EKR wechseln oder eine eigene Fraktion gründen wird.
Wie können die Rechtsextremen gestoppt werden?
Die Verantwortung für das Anwachsen der extremen Rechten liegt voll und ganz bei den Parteien, die gegenwärtig die Politik der EU bestimmen. Die Vorstellung, man könne den Aufstieg der extremen Rechten durch die Stimmabgabe für diese Parteien – linke, grüne, sozialdemokratische, liberale und konservative – stoppen, ist eine gefährliche Illusion. In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall. Der Kampf gegen rechts ist keine Frage der Wahlarithmetik, sondern der Klassendynamik.
Die Gefahr eines dritten, nuklearen Weltkriegs war noch nie so groß wie heute. Um ihren Hunger nach Profiten, Rohstoffen und Märkten zu stillen, sind die EU und ihre Mitgliedsstaaten wieder zu den schlimmsten Verbrechen bereit. Sie haben mit 172 Milliarden Euro mehr Geld als die USA investiert, um den Ukrainekrieg gegen Russland zu befeuern. Sie unterstützen den furchtbaren Völkermord in Gaza und kreisen China gemeinsam mit den USA militärisch ein.
Die Kosten von Krieg und Militarismus wälzen sie auf die Arbeiterklasse und die Jugend ab. Während die Vermögen der Milliardäre explodieren, sinken Reallöhne und Sozialleistungen. Hunderttausende verlieren ihren Job. Bildung und Gesundheitsversorgung werden kaputtgespart, jeder Schutz gegen Covid 19 und andere Pandemien dem Profit geopfert. Die Umweltzerstörung schreitet mit Riesenschritten voran.
Millionen Arbeiter, Bauern und Jugendliche haben gestreikt oder sind auf die Straße gegangen, um gegen den Genozid in Gaza, steigende Benzinkosten, sinkende Einkommen und steigende Arbeitshetze zu protestieren. Doch Arbeitskämpfe und Proteste werden von den Gewerkschaften regelmäßig abgewürgt oder von pseudolinken Gruppen auf ohnmächtige Apelle an die Herrschenden beschränkt.
Um den wachsenden Widerstand zu unterdrücken, brauchen die Herrschenden die Rechtsextremen und Faschisten. Sie erzeugen das reaktionäre politische Klima, in dem die braune Saat gedeiht, übernehmen das Programm der Rechtsextremen, setzen es in die Tat um und arbeiten dabei eng mit ihnen zusammen. Nirgends zeigt sich dies so deutlich, wie bei der brutalen Unterdrückung von Gaza-Protesten und der Verfolgung von Flüchtlingen. Hier werden die Voraussetzungen für den Aufbau eines Polizeistaats geschaffen, der sich gegen die gesamte Arbeiterklasse richtet.
Kommissionschefin Von der Leyen arbeitet seit langem eng mit Giorgia Meloni zusammen, die auch Vorsitzende der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) ist. Gemeinsam mit Meloni besuchte sie Tunesien, um den autoritären Herrscher Kais Saied zu bestechen, damit er Flüchtlinge gewaltsam an der Ausreise hindert. Die jüngste Verschärfung des europäischen Asylrechts, gegen das es einige Dutzende Gegenstimmen aus dem eigenen Lager gab, setzte sie mithilfe Melonis durch.
Der Fraktions- und Parteivorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, ein Mitglied der bayrischen CSU, hatte bereits 2022 den Wahlkampf seines Parteifreunds Silvio Berlusconi in Italien – und damit die Wahl Melonis – unterstützt. Inzwischen pflegt er beste Kontakte zur italienischen Regierungschefin und versucht, sie für eine Zusammenarbeit von EKR und EVP zu gewinnen. Die einzigen Bedingungen, die er den Rechtsextremen stellt, sind: Für die EU, für die Ukraine und für „Rechtstaatlichkeit“, worunter er den Aufbau eines Polizeistaats versteht.
Eine besonders üble Rolle beim Anwachsen der Rechten spielen die Gewerkschaften und die pseudolinken Parteien der wohlhabenden Mittelklasse. Die Gewerkschaften stehen uneingeschränkt hinter der Kriegspolitik der EU. Angesichts wachsender Klassenkonflikte sehen sie ihre Hauptaufgabe darin, den „sozialen Frieden“ zu bewahren – d.h. den Klassenkampf zu unterdrücken. So lähmen sie die einzige gesellschaftliche Kraft, die den Faschisten entgegentreten kann.
Die Pseudolinken haben sich überall dort, wo sie durch eine Welle der Opposition in Regierungspositionen gespült wurden, als entschiedene Gegner der Arbeiterklasse erwiesen. Das gilt für die griechische Syriza ebenso wie für die spanische Podemos und die deutsche Linke.
Als Syriza 2015 die Wahl gewann, weil sie das Spardiktat der EU ablehnte, und mit Alexis Tsipras den Regierungschef stellte, musste sie sich zwischen dem Willen der Wähler und dem Diktat der EU entscheiden. Sie entschied sich für die EU und verwirklichte ein drakonisches Sparprogramm in einer Koalition mit den extrem rechten Unabhänigen Griechen (Anel) das Millionen in bittere Armut trieb und der konservativen Nea Dimokratia (ND) den Weg zurück an die Macht bahnte.
Yanis Varoufakis, der damals griechischer Finanzminister war, tritt jetzt mit der Partei DiEM25 (oder MERA25) zur Europawahl an. Er drischt einige radikale Phrasen und verspricht die „Demokratisierung“ Europas. Was für ein Hohn! Die EU lässt sich nicht „demokratisieren“. Die Interessen der Mehrheit sind nicht mehr mit der Profitgier und den imperialistischen Begierden der herrschenden Klasse vereinbar.
Die Massen müssen unabhängig ins politische Geschehen eingreifen, die Macht der Banken und Konzerne brechen und sie unter demokratische Kontrolle stellen. Die EU muss abgeschafft und durch Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa ersetzt werden. Kein großes gesellschaftliches Problem kann gelöst werden, ohne das kapitalistische System zu beseitigen und durch ein sozialistisches zu ersetzen, in dem die Bedürfnisse der Gesellschaft Vorrang vor den Profitinteressen der Superreichen haben.
Für dieses Programm tritt die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) in der Europawahl ein. Sie kämpft für die Entwicklung einer klassenbewussten, sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse. Als deutsche Sektion der Vierten Internationale arbeitet sie dabei eng mit ihren Schwesterorganisation in Europa und auf der ganzen Welt zusammen.