Warum tritt die Socialist Equality Party gegen Andrew Feinstein an?

Unterstützer des parteilosen Kandidaten Andrew Feinstein haben Wahlkämpfern der Socialist Equality Party (SEP) vorgeworfen, die Opposition gegen den Völkermord im Gazastreifen und gegen Starmer zu spalten. Die SEP tritt unter anderem in den Londoner Wahlkreisen Holborn und St. Pancras zur Wahl an.

Die SEP lehnt solche begrenzten wahltaktischen Erwägungen ab, wie sie die Unterstützer Feinsteins vertreten.

Wir treten gegen Starmer und die Labour Party an, weil unsere politische Perspektive derjenigen Feinsteins diametral entgegengesetzt ist. Sein Standpunkt wird von zahlreichen Kandidaten geteilt, die zwar kritisieren, dass Labour-Chef Starmer den Völkermord unterstützt, aber entweder weiterhin für die Wahl der Labour Party eintreten oder die künftige Gründung einer von Labour unabhängigen Partei in Aussicht stellen.

Andrew Feinstein bei einer Wahlveranstaltung in Holborn und St. Pancras

Wie bei Feinstein geht dies oft mit Forderungen einher, der ehemalige Labour-Parteichef Jeremy Corbyn sollte eine solche noch zu gründende Partei anführen. Die programmatische Grundlage bilden dabei die minimalen Reformen, für die er in den Wahlen 2017 und 2019 eingetreten war.

Wir gehen in unserer Wahlerklärung direkt auf diese Fragen ein und haben die Kritik vorweggenommen, die jetzt gegen uns erhoben wird.

Die Wahlerklärung vertritt als Perspektive: „Nein zum Völkermord in Gaza und zum Nato-Krieg gegen Russland! Für eine sozialistische Alternative zu Starmers Labour Party! Baut eine sozialistische Antikriegsbewegung auf!“

Darin heißt es:

Die Socialist Equality Party lehnt es ab, politische Differenzen hintanzustellen, damit möglichst viele Proteststimmen gegen den Krieg in Gaza zustandekommen. Die „Stop the War Coalition“ und verschiedene pseudolinke Gruppen rufen unter dem Motto „No Ceasefire, No Vote“ zur Stimmabgabe für Kandidaten auf, die einen Waffenstillstand in Gaza befürworten. Das läuft darauf hinaus, dass einige Protestkandidaten unterstützt werden, während in allen anderen Fällen zur Abstimmung für Labour aufgerufen wird. Am Ende steht dann die Bildung einer Regierung, die Israel weiterhin unterstützt und die Kriege der Nato weiterführt…

Wenn Starmer am Ende in die Downing Street 10 einziehen kann, dann nur deshalb, weil Corbyn und seine Unterstützer, die 2015 mit überwältigender Mehrheit an die Spitze der Labour Party gewählt worden waren, die Forderungen nach dem Hinauswurf der rechten Blair-Anhänger zurückgewiesen haben. Corbyn kapitulierte in allen grundlegenden Fragen, einschließlich der Nato-Mitgliedschaft und der Atomwaffen, und trat die Parteiführung anschließend huldvoll an Starmer ab. Indem er der Lüge vom ‘linken Antisemitismus’ nicht entgegentrat, schuf er die Voraussetzungen für die Massenausschlüsse aus der Labour Party unter diesem Vorwand und auch für die anschließende groteske Darstellung der Proteste gegen den Gazakrieg, an denen auch Hunderte von Juden teilnahmen, als ‘Hassmärsche ‘.

Corbyn wurde Parteichef der Labour Party, weil sein Versprechen, für eine Alternative zur Blair-Fraktion zu kämpfen, die Arbeiterklasse zu verteidigen, und vor allem gegen den britischen Imperialismus und seine Kriege zu kämpfen, Arbeiter und Jugendliche in Massen zum Eintritt in die Partei animierte. Doch als Parteichef gab er jeden Widerstand gegen die Blair-Anhänger auf und ermöglichte ihnen einen Sieg nach dem anderen.

Während Feinstein und seine Gleichgesinnten behaupten, Corbyns Führung würde die Labour Party in ein Werkzeug zur Verwirklichung des Sozialismus verwandeln, übte die SEP umfassende Kritik an seinen politischen Rückziehern. Dazu gehörte, dass der SEP-Kandidat Tom Scripps bei den Parlamentswahlen 2019 gegen Starmer antrat, als dieser noch Corbyns Schatten-Brexit-Minister war.

Jeremy Corbyn (links) und Sir Keir Starmer bei einer Veranstaltung während der Parlamentswahlen 2019 (AP Photo/Matt Dunham) [AP Photo/Matt Dunham, File]

Uns wurde damals gesagt, wir sollten Corbyns Labour Party den Vortritt lassen. Im Grunde genommen wird jetzt dasselbe Argument vorgebracht: Wir sollten uns zurückziehen, damit Corbyn und seine Anhänger wie Feinstein als Opposition gegen Starmers Labour Party allein dastehen.

Die Arbeiterklasse in Großbritannien und der Welt steht vor enormen Gefahren. Labour hat sich hinter den Krieg gegen Russland sowie den Völkermord in Gaza gestellt und erklärt, die „wirtschaftsfreundlichste“ Regierung in der britischen Geschichte stellen zu wollen. Labour arbeitet mit der Tory-Regierung zusammen, um die Proteste gegen Krieg und Völkermord durch Gesetze gegen „Hassreden“ zu kriminalisieren.

Ein solches Vorgehen wurde Starmer durch Corbyn erst ermöglicht. Noch während Starmer versuchte, Labour als selbsterklärte „Partei der Nato“ auf die Regierungsverantwortung vorzubereiten, klammerte sich Corbyn verzweifelt an die Partei, bis er endgültig hinausgeworfen wurde. Auch heute noch setzen sich seine engsten Verbündeten unter den Labour-„Linken“ wie Diane Abbott und John McDonnell für eine Starmer-Regierung ein. Letzterer ist ein begeisterter Befürworter des Nato-Kriegs in der Ukraine.

Es ist bemerkenswert, dass diejenigen, die sich am stärksten über die Kandidatur der SEP in Holborn und St. Pancras ereifern, diesen so genannten „Linken“ gegenüber viel nachsichtiger sind. Feinstein, der bis zu diesem Jahr noch Mitglied der Labour Party war, hat die neue Organisation Collective gegründet, die mehrere parteilose Kandidaten unterstützt. Die Organisation erklärt außerdem ausdrücklich, sie werde „auch weiterhin die meisten Labour-Kandidaten der Socialist Campaign Group unterstützen“.

Collective wurde erst im Mai gegründet, nachdem Corbyn erklärt hatte, er werde im Wahlbezirk Islington North gegen Labour antreten. Die Organisation fordert Corbyn auf, eine neue Partei anzuführen. Doch vorerst handelt es sich dabei um einen frommen Wunsch für die Zukunft. Denn selbst nach seinem Parteiausschluss weigert sich Corbyn, die Labour Party auf nationaler Ebene herauszufordern – er inszeniert sich selbst als historischer Kandidat für Islington North, während er gleichzeitig die Wahl einer Labour-Regierung unter Starmer unterstützt.

Feinstein und andere Mitglieder von Collective richten ihre Forderungen pflichtbewusst an Corbyns weiterhin Labour-freundlicher Agenda aus. Genau wie sein Mentor verbindet auch Feinstein die Kritik an Labours Unterstützung für den Völkermord in Gaza und andere rechte Politik mit Formulierungen, die jedem Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse eine Absage erteilen.

Sein Wahlprogramm, das „Volks-Manifest für Camden“, sieht vor, die von örtlichen Erwägungen bestimmte Politik eines „kommunalen Abgeordneten“ zur Grundlage eines neuen Systems der „repräsentativen Demokratie“ zu machen, die „der Bevölkerung vor Ort dienen sollte, nicht Parteiapparaten oder den Interessen der Wirtschaft“. Das ist die abgedroschene Rhetorik so vieler populistischer und pro-kapitalistischer Tendenzen, die sich auf die weit verbreitete Feindschaft gegenüber den Parteien des Großkapitals stützen, um dem Kampf für eine sozialistische politische Vertretung der Arbeiter entgegenzutreten.

Was bedeutet eine solche Beschwörung der Einheit aller Klassen beispielsweise unter Bedingungen, in denen die herrschende Klasse in allen Ländern mit Unterstützung aller großen Parteien Israel entweder ausdrücklich unterstützt und mit Waffen beliefert oder lediglich symbolische Aufrufe für einen Waffenstillstand vorgebracht hat?

Feinstein versucht, diese Tatsachen zu umgehen, indem er erklärt, „viele Einwohner von Camden“ seien nicht mit Starmer einverstanden, da Camden „nach einer besseren Lösung für Palästina und Gaza verlangt“. Und was würde passieren, wenn Starmer – wie erwartet – in Camden gewählt wird? Soll man das als den ausdrücklichen Wunsch der dortigen „Bevölkerung“ akzeptieren?

Feinstein plädiert für die Rückkehr zu einer Art „kommunalem Sozialismus“, der schon durch die Gründung der Labour Party seinen historischen Platz verlor. Zwar war die Labour Party auch damals nicht sozialistisch, doch vertrat sie ein nationales Reformprogramm. Feinstein argumentiert, er leiste auf lokaler Ebene Pionierarbeit für ein System, das schließlich in eine landesweite Strategie für „Volksmacht“ münden wird. Doch auch dies ist ein lange ausgetretener Weg zu Verrat und Niederlage.

Der Afrikanische Nationalkongress (ANC), dessen Abgeordneter Feinstein war, hatte seine eigene „Freiheitscharta“. Unter der ideologischen Führung der Kommunistischen Partei Südafrikas demobilisierte der ANC die revolutionäre Massenbewegung der schwarzen Arbeiterklasse und handelte von 1990 bis 1994 mit den alten Parteien des Apartheid-Staats ein Abkommen zur Rettung des Kapitalismus aus. Dieses beruhte auf der Behauptung, die Mehrheitsherrschaft sei eine notwendige Etappe, bevor der Sozialismus in Erwägung gezogen werden könnte.

Südafrikas Präsident F.W. de Klerk (links) und ANC-Anführer Nelson Mandela beim Handschlag auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 1992 die Hand. (Foto: Weltwirtschaftsforum/ CC BY-SA 4.0) [Photo by World Economic Forum / CC BY-SA 4.0]

Diese Perspektive machte es schließlich möglich, dass sich eine Schicht von schwarzen Kapitalisten etablierte, deren Regime Feinstein heute als korrupt bezeichnet. Gleichzeitig bietet er keinerlei Erklärung dafür an, wie dies mit dem bürgerlichen Klassencharakter dieses Regimes zusammenhängt.

Jetzt will er, dass die Arbeiter im Vereinigten Königreich unter einer Neuauflage von Corbyns katastrophaler Führung der Labour Party die bitteren Erfahrungen wiederholen, die beim Aufbau „breiter linker“ Organisationen wie der griechischen Syriza schon gemacht wurden. Mit Syriza wurde eine solche Organisation geschaffen, die dann den Kampf gegen das Spardiktat des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Union sabotierte.

Dass Corbyn sich als unfähig erwiesen hat, wirksamen Widerstand gegen den Rechtsruck der Labour Party zu leisten, ist nicht einfach das Ergebnis schlechter Führung.

Die Entstehung der transnationalen Produktion und die globale Integration von Finanzwelt und Industrie hat den alten Gewerkschaften und stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien, die in das nationalstaatliche System eingebettet waren, auf dramatische Weise den Boden entzogen. Darauf reagierten sie geschlossen, indem sie ihre früheren reformistischen Programme aufgaben.

Die Labour-„Linke“ teilt das nationalistische und prokapitalistische Programm des rechten Flügels und unterscheidet sich von ihm nur durch ihr Eintreten für einige Reformen, welche der ehemalige Labour-Premier Tony Blair und seine Anhänger aufgegeben haben.

Heute bietet nur ein sozialistisches und internationalistisches Programm der Arbeiterklasse einen fortschrittlichen Weg.

Jedes grundlegende Problem, vor dem die Arbeiter stehen, hat seine Ursache in der sich vertiefenden Krise des Weltkapitalismus. Vor allem die Gefahr eines neuen Weltkriegs ergibt sich aus den grundlegenden Widersprüchen des Kapitalismus – zwischen der Entwicklung eines global vernetzten Produktionssystems einerseits und der Aufteilung der Welt in antagonistische Nationalstaaten andererseits, die auf der Aufrechterhaltung des Privateigentums an den Produktionsmitteln basieren.

Unsere Wahlerklärung unterstreicht, dass die internationale Arbeiterklasse die einzige gesellschaftliche Kraft ist, die den offenen Ausbruch eines Weltkriegs verhindern kann. Die gleichen Widersprüche, die den Imperialismus zu globalen Eroberungskriegen treiben, liefern auch die objektive Grundlage für die soziale Revolution, indem sie die Arbeiter, die den gesamten gesellschaftlichen Wohlstand schaffen, in einem globalen Produktionssystem vereinen. Dabei steht ihnen ein gemeinsamer Feind in Form der riesigen transnationalen Konzerne und Banken gegenüber, die die Politik aller nationalen Regierungen diktieren.

Die SEP kämpft bei diesen Wahlen für den Aufbau einer internationalen, antikapitalistischen und sozialistischen Massenbewegung gegen Völkermord und Krieg, die sich auf die Arbeiterklasse stützt.

Unser Ziel ist es, diesen Kampf mit den zunehmenden Kämpfen gegen Ungleichheit, Armut und die Angriffe auf Löhne, Arbeitsplätze, das Gesundheits- und Bildungswesen und alle sozialen Rechte der Arbeiterklasse zu verbinden. Wir wollen eine neue sozialistische Führung aufbauen, die völlig unabhängig von allen Parteien und Organisationen der kapitalistischen Klasse ist und ihnen als Gegner gegenübersteht, vor allem der Labour Party.

Das unterscheidet uns von Feinstein und seinen politisch Gleichgesinnten.

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