Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA vom Montag in der Rechtssache Trump gegen die Vereinigten Staaten verändert den Charakter der amerikanischen Regierung, wie sie seit der Amerikanischen Revolution besteht. Die grundlegende Änderung besteht darin, dass diese nun gültige Rechtsauffassung den Präsidenten über das Gesetz stellt und den „Oberbefehlshaber“ effektiv in einen Diktator verwandelt, der ungestraft Verbrechen begehen kann.
In einer vom Obersten Richter John Roberts verfassten Stellungnahme erklärte die rechtsextreme Mehrheit des Gerichts, dass ein US-Präsident „Immunität“ für „Amtshandlungen“ genieße und dass Ex-Präsident Donald Trump daher „immun“ gegen eine Strafverfolgung für die meisten seiner Handlungen im Zusammenhang mit dem Putschversuch vom 6. Januar 2021 sei. Das Gericht verweist den Fall zurück an die untere Instanz. Sie soll prüfen, ob andere Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Staatsstreich - einschließlich Trumps Bemühungen, Vizepräsident Mike Pence zu zwingen, in US-Bundesstaaten, in denen Trump verloren hat, alternative Wahlleute aufzustellen - als „Amtshandlungen“ gelten. In der Praxis bedeutet dies, dass Trump nicht vor der US-Präsidentschaftswahl am 5. November für den Aufstand vom 6. Januar verurteilt werden kann.
In den Worten der abweichenden Richterin Sonia Sotomayor „spottet“ die Mehrheitsentscheidung der Richter „dem Grundsatz unserer Verfassung und unseres Regierungssystems, dass niemand über dem Gesetz steht.'
Obwohl das Wort „Diktator“ weder im Schriftsatz der Mehrheitsmeinung noch in der abweichenden Meinung vorkommt, wird ein Chef der Exekutive, der „über dem Gesetz“ steht, als Diktator bezeichnet - dies ist genau das, was eine Präsidialdiktatur bedeutet.
„Das Gericht schafft eine gesetzesfreie Zone um den Präsidenten herum und stört damit den Status quo, der seit der Gründung des Landes besteht“, schreibt Sotomayor. „Wenn der Präsident seine Amtsbefugnisse in irgendeiner Weise nutzt, ist er nach der Argumentation der Mehrheit nun vor Strafverfolgung geschützt. Er befiehlt dem Seal Team 6 der Marine, einen politischen Rivalen zu ermorden? Immun. Organisiert er einen Militärputsch, um sich an der Macht zu halten? Immun. Nimmt er Bestechungsgelder an, um danach eine Begnadigung auszusprechen? Immun. Immun, immun, immun.“
„Die Beziehung zwischen dem Präsidenten und dem Volk, dem er dient, hat sich unwiderruflich verändert“, schreibt Sotomayor. „Bei jeder Ausübung der Amtsgewalt ist der Präsident jetzt ein König, der über dem Gesetz steht.“
In einer separaten abweichenden Meinung deutet Richterin Ketanji Brown Jackson an, dass es dem Präsidenten nun freisteht, andere Staats- und Regierungsvertreter ungestraft zu ermorden. „Der Präsident mag zwar die Befugnis haben, beispielsweise den Generalstaatsanwalt abzusetzen“, schreibt sie, „aber die Frage ist hier, ob der Präsident die Möglichkeit hat, den Generalstaatsanwalt abzusetzen, indem er ihn beispielsweise vergiftet“.
Die Entscheidung vom Montag ist ohne Beispiel in der amerikanischen Geschichte. 1977, drei Jahre nach seinem unehrenhaften Rückzug aus dem Weißen Haus, sagte der ehemalige US-Präsident Richard Nixon dem Journalisten David Frost: „Wenn der Präsident es tut, bedeutet das, dass es nicht illegal ist.“ Jahrzehntelang wurde diese Erklärung nicht als Erläuterung der amerikanischen Verfassungsrechtsprechung betrachtet, sondern als Beweis für den kriminellen Charakter von Nixon gewertet.
Um einen angemessenen historischen Vergleich anzustellen, ist es notwendig, auf die faschistische Rechtsprechung zu verweisen. Das Ermächtigungsgesetz von 1933 gab Hitler beispielsweise die Macht, einseitig gegen die Weimarer Verfassung zu verstoßen, ohne dass er anderen Staatsorganen rechenschaftspflichtig war. In ähnlicher Weise erklärt die Mehrheit des Obersten Gerichtshofs am Montag, dass der US-Präsident juristische Immunität genießen muss, um frei zu sein, „mutig und ohne Zögern zu handeln“.
Nach dem vom Obersten Gerichtshof verkündeten neuen Rechtsrahmen für die Präsidialdiktatur hätte Augusto Pinochet völlige Straffreiheit für seine Verbrechen genossen, da er den Massenmord an linken politischen Gegnern als „Amtshandlung“ zur „Bekämpfung von Terrorismus und Subversion“ und zur „Rettung des Landes vor dem Kommunismus“ bezeichnet hatte.
Um ein unmittelbares Beispiel zu nennen: Im Mai wurde vom Republikaner Andy Ogles aus Tennessee im US-Repräsentantenhaus ein Gesetzentwurf eingebracht, der bei Studierenden, die gegen den Völkermord demonstrieren, die Abschiebung nach Gaza vorsieht. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom Montag wäre ein Präsident, der eine solche Politik umsetzt, immun, solange es sich um eine „Amtshandlung“ handelt.
Mit dieser Entscheidung wird die so genannte „amerikanische Regierungstheorie“ abgeschafft, nach der es keinen „Souverän“ nach Art eines Königs oder Fürsten gibt. Stattdessen, so erläutert es die von der Mehrheit abweichende Richterin Jackson, „ist das Volk der Souverän, und die Rechtsstaatlichkeit ist unsere erste und letzte Sicherheit“. Die amerikanischen Revolutionäre nannten die Vorstellung, dass jemand über dem Gesetz stehen könnte, „Tyrannei“. In den Worten der Unabhängigkeitserklärung heißt es, wenn eine Bevölkerung einem solchen Regime unterworfen ist, „so ist es ihr Recht, ja ihre Pflicht, solche Regierung abzuwerfen, und sich für ihre künftige Sicherheit neue Gewähren zu verschaffen“.
Ungeachtet der Stellungnahmen von abweichenden Richtern, in denen die monumentale historische Bedeutung der Entscheidung erläutert wird, spielen die meisten etablierten Medien in den USA die Entscheidung am Montag herunter. Die New York Times, ein Sprachrohr der Demokratischen Partei, deutete sogar einen positiven Effekt des Urteils an, weil die Staatsanwälte in den unteren Instanzen „einen Großteil ihrer Beweise gegen Donald Trump vor einem Bundesrichter und der Öffentlichkeit detailliert darlegen können“.
Biden trat am Montagabend kurz in den Medien auf, um das Urteil zu verurteilen. „Jeder Präsident, einschließlich Donald Trump, kann sich nun über das Gesetz hinwegsetzen“, sagte Biden. Er nannte das Urteil „ein grundlegend neues Prinzip und einen gefährlichen Präzedenzfall“, da jegliche Beschränkung der Befugnisse des Präsidenten nun „vom Präsidenten selbst auferlegt“ werde. Als Reaktion auf das Urteil rief Biden jedoch lediglich dazu auf, dass „das amerikanische Volk ein Urteil über Donald Trumps Verhalten fällen soll“, indem es bei den Wahlen 2024 Biden anstelle von Trump wählt.
Die Diktatur des Präsidenten ist nicht etwas, das nur dann droht, wenn Trump gewählt wird. Dank der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom Montag, gegen die keine Berufung eingelegt werden kann, ist es bereits das „oberste Gesetz des Landes“. Biden argumentiert im Wesentlichen, dass die Bevölkerung verhindern sollte, dass ein bösartiger Diktator an die Macht kommt, indem sie stattdessen einen anderen Diktator wählt, der dieselben Befugnisse hat, sie aber angeblich „verantwortungsvoller“ ausüben wird.
Biden hat keine Vorschläge gemacht, wie die Errichtung einer Präsidialdiktatur verhindert werden kann. Zumindest 1937 drohte Präsident Franklin D. Roosevelt damit, den Widerstand des Obersten Gerichtshofs gegen den New Deal durch die Ernennung weiterer Richter zu überwinden - eine Maßnahme, die Biden unter den Bedingungen eines historischen Korruptionsskandals am Gericht leicht hätte rechtfertigen können.
Fünf der sechs Richter, die den 340 Millionen Einwohnern der Vereinigten Staaten eine Diktatur auferlegt haben, wurden von Präsidenten ernannt, die nicht die Mehrheit aller Wählerstimmen erreicht hatten, allein drei davon wurden von Trump selbst ernannt (Neil Gorsuch, Amy Coney Barrett und Brett Kavanaugh). Mindestens zwei weitere Richter, Samuel Alito und Clarence Thomas, waren selbst in den versuchten Staatsstreich verwickelt.
Biden und die Demokraten sind gemeinsam mit den Republikanern für die von Trump ausgehende Bedrohung verantwortlich, da sie nach dem Aufstand vom 6. Januar 2021 die Republikaner dennoch als „starke Partei“ neben sich wünschten und rehabilitierten. Seit dem Putschversuch regieren sie effektiv in einer Koalition mit den Republikanern, um im Ausland Krieg zu führen und Völkermord zu decken sowie im Inland gleichzeitig Streiks und abweichende Meinungen zu unterdrücken.
Die Gefahr einer Diktatur geht jedoch nicht nur von Trump als Person oder gar von der faschistischen Republikanischen Partei im Allgemeinen aus. Auch der Putschversuch vom 6. Januar 2021 war kein isolierter Vorfall, sondern eine Episode in einem langwierigen und anhaltenden Prozess.
Dieser Prozess hat sich sowohl unter den Regierungen der Demokraten als auch der Republikaner vollzogen. Dazu zählte auch das Eingreifen des Obersten Gerichtshofs bei den Wahlen im Jahr 2000, um die Wahl für George W. Bush zu stehlen - die berüchtigte Entscheidung in der Rechtssache Bush gegen Gore. Eine andere wichtige Entscheidung betraf die Behauptung der Obama-Regierung, sie sei befugt, US-Bürger zu töten – anlässlich der Ermordung von Anwar Al-Awlaki im Jahr 2010. Dieser Fall wird von Richterin Barrett in der aktuellen Urteilsbegründung zustimmend zitiert.
Die Tendenz zur Diktatur ist dem kapitalistischen System in der imperialistischen Epoche inhärent. Diese ist gekennzeichnet durch die Dominanz des Finanzkapitals in der Wirtschaft und durch imperialistische Kriege um die Neuaufteilung des Zugangs zu Arbeit, Märkten und Rohstoffen. Der Drang zur Diktatur ist motiviert insbesondere durch die wachsende soziale Ungleichheit, den Krieg und die Notwendigkeit, aus Sicht der herrschenden Klasse eine grundsätzlich unpopuläre Politik durchzusetzen.
„Das Finanzkapital will nicht Freiheit, sondern Herrschaft“, konstatierte der österreichische Marxist Rudolf Hilferding, den Lenin in seinem Werk Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1916) zitiert. Demokratie ist unvereinbar mit einer Gesellschaft, in der Oligarchen wie Elon Musk ein Vermögen von 45 Milliarden Dollar einstreichen, während Hunderttausende Menschen obdachlos sind und Hunger leiden.
Die Demokratie ist auch unvereinbar mit dem imperialistischen Krieg, der die Einberufung von Massen junger Menschen als Kanonenfutter, die Streichung öffentlicher Gelder für soziale Zwecke und die Zerschlagung jeder Opposition erfordert. Die US-Nato-Allianz behauptet zwar, für „Freiheit und Demokratie“ sowie gegen den „Autoritarismus“ Russlands und Chinas zu kämpfen, doch es ist das amerikanische politische Establishment selbst, das autoritäre Herrschaftsformen im eigenen Land durchsetzt.
Der Kampf gegen die Auferlegung einer Präsidialdiktatur erfordert ein Verständnis ihrer Wurzeln in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und in der längst überholten Aufteilung der Welt in rivalisierende Nationalstaaten. Nur eine gesellschaftliche Kraft wird sich der Diktatur entgegenstellen, die demokratischen Rechte verteidigen und das kapitalistische System herausfordern: Dies ist die internationale Arbeiterklasse, wenn sie als Klasse organisiert ist und unabhängig von allen kapitalistischen Parteien für den Sozialismus kämpft.