„Generalsanierung“: Die Deutsche Bahn wird weiter kaputtgespart

Einmal mehr hat Bahn-Chef Richard Lutz dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn im September ein „Generalsanierungsprogramm“ vorgelegt. Mit dem Programm „S3“ soll das marode deutsche Bahnsystem innerhalb von drei Jahren in insgesamt drei Bereichen – Infrastruktur, stabiler Bahnbetrieb und Wirtschaftlichkeit – wieder flott gemacht werden.

Schweißarbeiten bei der Bahn [Photo by to.wi / flickr / CC BY-NC-SA 2.0]

Die Details des 110-seitigen Plans „S3“ sind nicht bekannt. Er steht nur ausgewählten Medienredaktionen zur Verfügung. Die Süddeutsche Zeitung kommentiert, er sei „weder neu noch realistisch“. Lutz habe dieselben Versprechungen bereits vor fünf Jahren für 2024 gemacht, aber nicht gehalten.

Im Zentrum des Bemühens steht offenbar das dritte Ziel: die Wirtschaftlichkeit. Bis 2027 soll die Bahn aus den roten Zahlen herauskommen, profitabel sein und ein operatives Ergebnis von zwei Milliarden Euro erwirtschaften. Um dies zu erreichen, wird weiter gespart, ausgegliedert und Druck auf die Beschäftigten ausgeübt.

Bahn-CEO Lutz, der über ein Jahreseinkommen von 2,2 Millionen Euro verfügt, hatte im Frühjahr als erste Maßnahme schon den Abbau von 30.000 Stellen angekündigt. Nun bekräftigt sein neues Sanierungsprogramm ausdrücklich, dass bis 2027 10.000 bis 15.000 Vollzeitstellen und in den Jahren danach noch einmal mehr als 15.000 Stellen wegfallen sollen.

Dies allein macht deutlich, dass der neue Sanierungsplan die Angriffe auf die Belegschaft verschärft. Der Vorstand agiert im Interesse der Bundesregierung, der die Deutsche Bahn AG zu 100 Prozent gehört. Um die Schuldenbremse einzuhalten und ihre Aufrüstungs- und Kriegspläne zu finanzieren, dreht die Ampel die Sparschraube für die gesellschaftliche Infrastruktur immer weiter zu. Die Bahngewerkschaften EVG und GDL tragen den Personalabbau bei der Bahn mit.

Wie das Aktionskomitee Bahn seit langem warnt, wird der Abbau die Arbeitshetze weiter steigern, die Gesundheit der Beschäftigten ruinieren und die Gefahr katastrophaler Unfälle für Beschäftigte und Fahrgäste erhöhen. Schon bisher kommt es am Gleis immer wieder zu schweren, lebensbedrohlichen und auch tödlichen Arbeitsunfällen.

Der F.A.Z. erklärte Lutz am 20. September in einem Interview, dass der Sanierungsrückstau mittlerweile mehr als 90 Milliarden Euro betrage. Die Unpünktlichkeit sei „zu rund 80 Prozent auf den Zustand der In­frastruktur zurückzuführen“. In dieser Situation ist das neue „S3“-Programm, das die Grundlage für die Sanierung großer Schienenabschnitte und von Brücken, Knotenpunkten und Stellwerken darstellen soll, höchstens ein Tropfen auf den heißen Stein. Für die Sanierung hat Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) bis 2031, also für weitere sieben Jahre, gerade mal 27 Milliarden Euro in Aussicht gestellt.

Dabei ist der Bedarf enorm: Mehr als 200 Stellwerke sind marode, wie die Eisenbahnergewerkschaft EVG bestätigt hat. 41 viel befahrene Bahnstrecken müssen saniert werden. Lutz selbst räumte im Interview mit der F.A.Z. ein, dass „die Auslastung auf hochbelasteten Strecken und Knoten teilweise bei mehr als 125 Prozent“ liegt: da „sind wir bei ungeplanten Baustellen schnell im kritischen Bereich“. Deshalb komme es „ständig zu Staus und Überlastungen“.

Einige in dem Plan vorgesehene Maßnahmen sind schlicht Notbehelfe, um die akuten Probleme, die sich seit Jahren aufhäufen, einfach zu umschiffen. Laut dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sieht das Programm „S3“ vor, mehr Fernverkehrszüge aus den überlasteten Hauptbahnhöfen Frankfurt/Main und Berlin herauszuziehen und etwa am Frankfurter Flughafen oder in Berlin-Gesundbrunnen beginnen und enden zu lassen.

Eine brisante Sparmaßnahme ist in den rollenden Zügen zum Teil schon Realität: Neben dem Zugführer soll es generell nur noch eine einzige ICE-Begleiterin für über 900 Reisende auf 400 Metern Zuglänge geben.

Andere Maßnahmen sind schlicht kontraproduktiv. Um die Schuldenbremse einzuhalten, halten Regierung und DB AG am beschlossenen Verkauf von DB Schenker an den dänischen Logistik-Unternehmer DSV fest. Mit dem Verkauf sind neue Stellenstreichungen vorprogrammiert: Trotz der Zusage der DSV, die bestehenden Arbeitsverträge zwei Jahre lang zu respektieren, ist ein Kürzungsprogramm zum Abbau von rund 1000 Stellen bei Schenker bereits angelaufen. Bisher beschäftigt das Speditionsunternehmen in Deutschland 15.000 und weltweit mehr als 70.000 Mitarbeiter.

Auch beim Transformationsprozess von DB Cargo laufen die Pläne, die sich auf Empfehlungen des Unternehmensberaters Roland Berger stützen, auf einen verheerenden weiteren Kahlschlag hinaus.

Das deutschlandweit gültige 49-Euro-Ticket („Deutschlandticket“), das ursprünglich für 9 Euro zu haben war, soll in Zukunft 58 Euro kosten. Es wird nicht nur ständig teurer und schließt Bedürftige damit aus; mittlerweile gibt es das Deutschlandticket auch nicht mehr als Plastik-Chipkarte, was alle ausschließt, die nicht über ein E-Ticket-taugliches Handy verfügen. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie der Bahnvorstand und die Bundesregierung positive Errungenschaften des umweltfreundlichsten Verkehrsmittels wieder abschaffen.

Was die Digitalisierung bei der Bahn betrifft, so leistet sich der Bahnvorstand hier einen wahren Schildbürgerstreich. Dazu hat der SWR am 6. September ein internes Papier ans Licht gebracht. Demzufolge will die Bahn Geld sparen, indem sie bis 2028 auf die Ausrüstung mit digitaler Stellwerktechnik verzichtet. Ausgenommen ist nur der neue Stuttgarter Bahnhof, der ausschließlich über digitale Technik verfügt.

In dem internen DB-Papier heißt es dazu, bei den „fehlerhaften Altstellwerken“ sei einstweilig vorgesehen, dass sie mit herkömmlicher und daher „schnell verfügbarer“ Technik aus den 1990er Jahren ausgerüstet werden. Das bedeutet gleichzeitig, dass Züge, die über Stuttgart fahren, künftig mit beidem – digitaler sowie auch analoger Technik – ausgerüstet sein müssen.

Eine solche Entscheidung wirft auch ein Licht auf das beschränkte nationalistische Herangehen des Vorstands und der Bundesregierung. Denn Stuttgart ist mittlerweile schon auf das European Train Control System (ETCS) ausgerichtet. Dieses System soll als europaweit einheitliches Zugleitsystem mehr als 20 verschiedene Zugsysteme in Europa koordinieren. Vor zwei Jahren hat der Bahnvorstand extra im Hinblick auf das ETCS einen besonderen Digitalisierungsbeauftragten eingestellt. Jetzt jedoch will die Bahn für alle Bereiche außer Stuttgart auf ETCS verzichten. Ihren Digitalisierungsbeauftragten hat sie offenbar vor kurzem wieder entlassen.

Die F.A.Z. stellte kürzlich in einem höhnischen Kommentar zur Deutschen Bahn die Frage: „Ist der Verkehrsinfarkt überhaupt noch abzuwenden?“ Die Frustration habe „histo­rische Ausmaße angenommen“ und werde „wegen der kürzungsbedingt ja kaum weniger werdenden Überlastung weiter wachsen“. Die Zeitung, die Einsparungen beim Personal befürwortet, weist auf den Widerspruch hin, dass die Bahn einerseits im Namen der Digitalisierung Personal abbaut, aber die moderne Technik gar nicht zur Verfügung stellt.

Sie beleuchtet damit die großen Gefahren, vor denen Lokführer, Eisenbahner und andere Mitarbeiter stehen: Jeder mögliche Fortschritt wird auf den Kopf gestellt und ins Gegenteil verkehrt. Moderne Technik, die es eigentlich ermöglichen würde, schwere und gefährliche Arbeitsabläufe zu erleichtern, lange Arbeitszeiten zu reduzieren und den Eisenbahnerberuf wieder attraktiv zu gestalten, wird zynisch genutzt, um alles noch schlimmer zu machen.

Zehntausende Eisenbahner, Lokführer und andere Bahnbeschäftigte sind bereit, den Kampf gegen die Angriffe auf Löhne und Arbeitsbedingungen aufzunehmen. In Frankreich hat am Dienstag ein Eisenbahnerstreik diese grundsätzliche Bereitschaft erneut gezeigt. Aber die Eisenbahner sind nicht nur mit dem Bahnvorstand und der Regierung, sondern auch mit deren Lakaien in den Gewerkschaftsspitzen konfrontiert: in Deutschland mit der EVG und der GDL, die alle Angriffe der letzten Jahre erst ermöglicht haben.

Deshalb müssen Bahnbeschäftigte die Dinge selbst in die Hand nehmen. Notwendig sind unabhängige Aktionskomitees, die die Bevormundung der Gewerkschaften durchbrechen und sich international vernetzen, um Löhne und Bedingungen gemeinsam und prinzipiell zu verteidigen. Und alle, die an einer funktionierenden Bahn interessiert sind, müssen die Eisenbahner dabei unterstützen!

Wir rufen alle Eisenbahnerinnen und Eisenbahner und all diejenigen, die sich am Aufbau unabhängiger Aktionskomitees beteiligen wollen, dazu auf, uns Berichte über die Zustände in ihrem Bereich zu schicken und mit uns Kontakt aufzunehmen: Meldet euch per Whatsapp unter +49-163-337 8340, registriert euch über das unten stehende Formular oder schreibt an die World Socialist Web Site.

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