Ein Jahr ist vergangen seit Beginn des Völkermords in Gaza. Der Jahrestag wurde in den Vereinigten Staaten mit kurzen, heuchlerischen und völlig unaufrichtigen Erklärungen von US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris begangen.
Beide wiederholten die gewohnten antipalästinensischen Phrase des US-Außenministeriums, die von den US-Medien getreu übernommen wurden. Biden erklärte, der Angriff der Hamas-Kämpfer sei „der tödlichste Tag für das jüdische Volk seit dem Holocaust“. Harris bezog sich auf die völlig unbewiesenen Behauptungen von Massenvergewaltigungen und sagte: „Was die Hamas an diesem Tag getan hat, war das reine Böse - es war brutal und widerlich.“
Wenn man einen Vergleich zum Holocaust ziehen will, dann muss man vielmehr die Aktionen Israels im vergangenen Jahr in den Blick nehmen: zunächst und anhaltend im Gazastreifen, dann im Westjordanland und mittlerweise gegen andere propalästinensische Kräfte wie die Hisbollah im Libanon und die Huthis im Jemen.
Die Gesamtzahl der Todesopfer durch Bomben, Blockade, Hunger und Krankheiten im Gazastreifen wurde im Juli von der britischen medizinischen Fachzeitschrift The Lancet auf 186.000 geschätzt. Inzwischen dürfte diese Zahl weit über 200.000 liegen. Das bedeutet, dass die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) für jeden einzelnen der 1.200 Israelis, die am 7. Oktober starben, mindestens 167 Palästinenser getötet haben (wobei festzustellen ist, dass eine unbekannte Zahl von israelischen Opfern mutmaßlich von den IDF selbst getötet wurde, und zwar nach der „Hannibal-Doktrin“, die vorsieht, Israelis eher zu erschießen und zu töten als sie gefangen nehmen zu lassen).
Ständig wird das Gedenken an den Holocaust missbraucht, um die aktuellen Verbrechen des Staates Israel zu rechtfertigen. Dennoch ist es Israel, das die grausamen Methoden der Nazis offen kopiert. Nachdem der Gestapo-Chef Reinhard Heydrich 1942 von tschechischen Widerstandskämpfern getötet worden war, griffen die deutschen Truppen das Dorf Lidice an, nahmen 173 tschechische Männer fest und richteten sie kurzerhand hin. In der Tat hat die IDF im vergangenen Jahr jeden Tag drei Lidices im Gazastreifen durchgeführt und dabei weder Babys und Kinder, noch Frauen oder Männer verschont.
Weder in offiziellen US-Kreisen noch in den Medien, die das kolossale und entsetzliche Ausmaß des Massenmords in Gaza herunterspielen, werden solche Vergleiche gezogen.
Und wie immer ist die Prämisse aller Aussagen und Analysen, dass alles am 7. Oktober 2023 seinen Anfang nahm. Der Aufstand der Palästinenser im Gazastreifen wird als „unprovoziertes“ Abschlachten friedlicher israelischer Zivilisten dargestellt, ohne auf die vorangegangenen 70 Jahre der Enteignung, des zionistischen Terrors, der Massenvertreibung und der Errichtung der größten Gefangenenenklave der Welt mit 2,3 Millionen Insassen in Gaza einzugehen.
Die gesamte Darstellung ist von Anfang bis Ende eine Lüge. Harris' Erklärung lautet: „Der lange, außergewöhnliche Bogen der jüdischen Geschichte ist voll von Pogromen und Vorurteilen, Gemetzel und Trennung.“ Das ist richtig. Aber was ist mit dem „langen Bogen der Geschichte“ für die Palästinenser, einschließlich der Unterdrückung durch den britischen Imperialismus, der zionistischen Kolonisierung und der jahrzehntelangen Existenz als staatenlose Flüchtlinge?
Der kurze und oberflächliche Charakter der offiziellen Feierlichkeiten - Biden und seine Frau zündeten Kerzen an und lauschten drei Minuten lang einem hebräischen Gebet; Harris und ihr Mann pflanzten einen Baum vor ihrer offiziellen Residenz und verschwanden dann wieder im Haus - war praktisch ein Eingeständnis, dass die Weltbevölkerung die offiziellen Lügen durchschaut hat und sich von solchen Gesten nicht beeinflussen lässt.
Wie Ruth Marcus, die pro-zionistische Kolumnistin und stellvertretende Herausgeberin der Washington Post, am Montag zugab, „ist Israel ... weitgehend vom sympathischen Opfer zum internationalen Paria geworden - und hat dies, um es offen zu sagen, aus eigenen Kräften erreicht.“
In der Tat ist die öffentliche Meinung weltweit mit überwältigender Mehrheit auf der Seite der Palästinenser. Dazu gehört auch eine wachsende Zahl jüdischer Arbeiter und Jugendlicher, welche den israelischen Faschisten feindlich gegenüberstehen, die den Holocaust zur Rechtfertigung von Verbrechen monumentalen Ausmaßes benutzen.
Und das nicht nur in Israel. Das zionistische Regime ist die Speerspitze des Imperialismus im Nahen Osten. Auch die Vereinigten Staaten sind ein internationaler Paria, der von der überwiegenden Mehrheit der Weltbevölkerung für das anhaltende Gemetzel von fast unvorstellbarem Ausmaß verantwortlich gemacht wird. Die amerikanische Regierung und ihre Verbündeten in der Nato unterstützen und verteidigen ganz offen den Massenmord.
Und das ist nur der Anfang dessen, was noch viel schlimmer werden könnte. Israel bombardiert den Libanon in einem Tempo, das mit der Zerstörung des Gazastreifens vergleichbar ist. Ein Angriff auf den Iran wird vorbereitet. Und sowohl israelische als auch amerikanische Streitkräfte haben letzte Woche den Jemen angegriffen, wo das Huthi-Regime öffentlich seine Solidarität mit der Bevölkerung des Gazastreifens erklärt hat. Die Weichen für einen totalen Krieg im gesamten Nahen Osten sind gestellt.
Laut einer am 7. Oktober veröffentlichten Studie des Projekts „Costs of War“ der Brown University haben die Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr mindestens 22,8 Milliarden Dollar für Israels Kriege und US-Militäroperationen im Nahen Osten ausgegeben. Nahezu 18 Milliarden Dollar werden in Form von Militärhilfe bereitgestellt, darunter bunkerbrechende Bomben, präzisionsgelenkte Waffen, Artilleriegranaten und unendlich viel Geld für den Kauf weiterer Waffen und Treibstoff. Damit beläuft sich die US-Militärhilfe für Israel seit 1959 inflationsbereinigt auf insgesamt 251,2 Milliarden Dollar, heißt es in dem Bericht.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Weitere 4,86 Milliarden Dollar wurden für US-Militäroperationen in der Region ausgegeben, wo im vergangenen Jahr zwischen 34.000 und 51.000 US-Truppen stationiert waren, je nach Größe der im Mittelmeer, im Roten Meer und im Arabischen Meer stationierten Seestreitkräfte.
Der Zionismus ist auch im eigenen Land zur Speerspitze der imperialistischen Reaktion geworden. Der Widerstand gegen den Völkermord im Gazastreifen ist auf eine harte staatliche Reaktion getroffen. Auf dem Campus vieler Hochschulen und Colleges in den USA herrscht derzeit eine nahezu polizeistaatliche Atmosphäre. Am 7. Oktober setzte die Polizei auf dem Diag, dem zentralen Platz des Campus der University of Michigan in Ann Arbor, Pfefferspray ein und nahm Demonstranten fest, die gegen den Völkermord protestierten.
US-Präsident Biden erklärte die Entschlossenheit seiner Regierung, gegen den „Antisemitismus“ vorzugehen. Gemeint ist damit jedoch nicht die tatsächliche antijüdische Gesinnung der faschistischen Rechten, welche die Republikanische Partei dominiert, sondern die linke Opposition gegen den imperialistischen Krieg und die Verbrechen seiner zionistischen Stellvertreter. Der Begriff „Antisemitismus“ wurde von der herrschenden Klasse jeglichen realen Inhalts beraubt und als Knüppel gegen jeden verwendet, der sich dem Massenmord widersetzt – somit auch gegen Juden.
Im offiziellen Spektrum der amerikanischen Politik haben die Gegner von Krieg und Völkermord keine Wahl. Auf der einen Seite steht die kalkulierte, rücksichtslose Kriegstreiberei von Biden, Harris und den Demokraten, die sich im Moment auf den Krieg mit Russland in der Ukraine und die Vorbereitung eines Krieges gegen den Iran konzentrieren. Auf der anderen Seite steht die faschistische Kriegstreiberei von Trump, Vance und den Republikanern. Sie greifen Bidens Kriegspolitik von rechts an, vom Standpunkt eines ebenso blutigen Militarismus, der sich stärker auf China als Hauptgegner konzentriert. Gleichzeitig versprechen sie noch heftigere Angriffe auf das demokratische Recht der amerikanischen Bevölkerung, sich dem imperialistischen Krieg zu widersetzen.
Der Kapitalismus drängt in seiner globalen Krise zum Dritten Weltkrieg und verursacht, dass sich die herrschenden Klassen aller großen kapitalistischen Länder diktatorischen Herrschaftsmethoden zuwenden. Es gibt nur einen Weg, diese Entwicklung zu unterbrechen und zu verhindern. Das ist die unabhängige politische Organisation der Arbeiterklasse und die volle Mobilisierung der großen sozialen Macht der Arbeiter gegen die Kriegstreiber und ihr System.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) warnt eindringlich vor jenen Kräften, die Druck auf Biden, Trump und anderen imperialistischen Herrscher ausüben und damit angeblich den Lauf der Dinge verändern wollen. Sie führen die arbeitende Bevölkerung in eine Sackgasse führen, mit verheerenden Folgen.
Nur der Aufbau einer revolutionären Massenbewegung der internationalen Arbeiterklasse, die sich für den Sturz des Weltkapitalismus und die Errichtung eines sozialistischen Systems einsetzt, bietet einen Weg nach vorn.