Nach Absage des Nato-Gipfels in Ramstein:

Selenskyj reist durch Europa, um Waffen für die Ukraine zu beschaffen

Am Donnerstag und Freitag unternahm der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Blitzreise nach London, Paris, Rom und Berlin, um dort Geld und Waffen für den Krieg gegen Russland zu erbitten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird am 11. Oktober 2024 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue in Berlin empfangen. [AP Photo/Ebrahim Noroozi]

Selenskyj besuchte Europa als Kopf eines diskreditierten Regimes, das hunderttausende Menschenleben geopfert hat, im eigenen Land mit explosiver Opposition konfrontiert ist und an allen Fronten Boden verliert. Washingtons Absage des Nato-Gipfels in Ramstein diesen Monat hat ihn erschüttert. Auf dem Gipfel sollte eigentlich die Eskalation der Nato gegen Russland diskutiert werden, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin gewarnt hatte, dass Nato-Angriffe auf Russland einen Atomkrieg zur Folge hätten. Zudem wächst die Unsicherheit darüber, welche Auswirkungen die US-Präsidentschaftswahl im nächsten Monat auf die Kriegspläne der Nato haben wird.

Die Nato-Politik stößt auf überwältigende Opposition in der Arbeiterklasse. Laut einer Umfrage der Eurasia Group aus diesem Jahr lehnen 91 Prozent der Befragten in Nordamerika und 89 Prozent in Westeuropa eine Eskalation des Kriegs gegen Russland ab. Dennoch versprachen europäische Regierungsvertreter trotz der zunehmenden Wirtschaftskrise und der sich in ganz Europa ausbreitenden Massenentlassungen, Selenskyj weiterhin mit Milliarden zu stützen.

Selenskyj begann seine Reise am Donnerstagmorgen mit einem Treffen in London mit dem Labour-Premierminister Sir Keir Starmer und dem ehemaligen niederländischen Ministerpräsidenten und jetzigen Nato-Generalsekretär Mark Rutte. Starmer erklärte später, das Treffen sei eine Gelegenheit gewesen, „den Plan durchzugehen und detaillierter zu besprechen“.

Selenskyj drängte auf die Genehmigung zum Einsatz von „Storm Shadow“-Langstreckenraketen, um den Beschuss russischer Städte, Ölraffinerien und Militärstützpunkte zu verschärfen. Danach twitterte er: „Während meines Treffens mit dem Premierminister des Vereinigten Königreichs habe ich die Details unseres Siegesplans skizziert. Wir waren uns einig, dass wir gemeinsam mit unseren Verbündeten daran arbeiten werden. Der Siegesplan hat das Ziel, die richtigen Bedingungen für ein gerechtes Ende des Kriegs zu schaffen. Ich danke dem Vereinigten Königreich für seine anhaltende Unterstützung bei der Verteidigung unseres Landes, auch mit Langstreckenwaffen.“

Starmers offizieller Sprecher bestätigte jedoch nicht, dass Selenskyj Storm Shadows für Angriffe auf Russland einsetzen dürfe: „Bisher wurde noch kein Krieg mit einer einzelnen Waffe gewonnen. ... Bei den Gesprächen zwischen Großbritannien, der Ukraine und unseren internationalen Partnern geht es um die gesamte Bandbreite der Unterstützung, die wir der Ukraine in den bevorstehenden entscheidenden Wintermonaten bieten können.“

Rutte, der Angriffe auf Russland mit Langstreckenwaffen befürwortet, wies Selenskyj ebenfalls zurück, sagte aber zu, die Nato werde den Krieg um jeden Preis fortsetzen. „Zunächst einmal ist das Sache der Verbündeten, der einzelnen Verbündeten, darüber zu entscheiden, wie die Waffen, die sie der Ukraine liefern, benutzt werden dürfen“, erklärte er. „Das gesamte Bündnis ist daran beteiligt, und wir sollten uns nicht auf ein System, auf ein Waffensystem konzentrieren. Nicht ein einzelnes Waffensystem wird die Entscheidung bringen.“

Rutte fügte hinzu, der Krieg in der Ukraine werde weitergehen, egal ob Trump oder die derzeitige demokratische Regierung die Wahlen in den USA gewinnen würden. Über Trump sagte er: „Ich weiß, dass er es völlig versteht und mit mir einer Meinung ist, dass es in diesem Kampf in der Ukraine nicht nur um die Ukraine geht, sondern auch um die Sicherheit und die künftige Sicherheit der Vereinigten Staaten. Er weiß das. ... Also sollten wir wirklich aufhören, uns um eine Präsidentschaft Trumps Sorgen zu machen.“

In Paris, wo die Regierung von Präsident Emmanuel Macron eine Brigade ukrainischer Soldaten ausbildet und ausrüstet, sah sich Selenskyj gezwungen, Berichte darüber zu dementieren, dass er über einen Waffenstillstand mit Russland diskutiere. „Das ist nicht das Thema der Gespräche“, erklärte er und machte „Desinformation in den Medien“ für entsprechende Berichte verantwortlich. Allerdings beklagte Selenskyj eine „schwierige Lage im Osten“ der Ukraine für seine Truppen und einen „großen Mangel“ an militärischer Ausrüstung.

Die rechtsextreme italienische Ministerpräsidentin Georgia Meloni erklärte bei einem Treffen mit Selenskyj in Rom, ihre Regierung plane einen Ukraine-Gipfel am 10. und 11. Juli 2025. Sie erklärte außerdem, Italien werde die Ukraine „so lange wie nötig“ unterstützen.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz gab bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskyj in Berlin ein ähnliches Versprechen ab: „Deutschland steht weiterhin fest an der Seite der Ukraine.“ Er kündigte an, Deutschland und seine europäischen Verbündeten würden der Ukraine weitere 1,4 Milliarden Euro Militärhilfe zur Verfügung stellen. Deutschland selbst habe zuletzt Waffen im Wert von 600 Millionen Euro an die Ukraine übergeben.

Selenskyjs Rundreise zeigt, wie wenig sich die europäischen Regierungen von der tiefen Opposition in der Bevölkerung gegen den Eskalationskurs der Nato gegen Russland beeindrucken lassen. Seitdem Moskau letzten Monat seine Nukleardoktrin geändert hat, um Atomschläge als Reaktion auf ukrainische Angriffe mit Langstreckenwaffen zu erlauben, wenn Atommächte wie die USA, das Vereinigte Königreich oder Frankreich die Ukraine dabei unterstützen, wurde vollkommen klar, dass die Nato den Ausbruch eines Atomkriegs in ganz Europa riskiert.

In den fast drei Jahren seit Beginn des Ukrainekriegs zwischen der Nato und Russland haben die europäischen Mächte ihrer Wirtschaft hunderte Milliarden Euro entzogen, um sie für einen verheerenden Krieg zu verschwenden. Selbst hochrangige Nato-Vertreter räumen mittlerweile immer mehr ein, dass die Ukraine den Krieg in seiner gegenwärtigen Form nicht gewinnen kann – es sei denn, die Nato-Mächte verpflichten sich zu einem massiven Einsatz ihrer eigenen Streitkräfte in der Ukraine, der eine enorme Eskalation des Konflikts auslösen würde.

Doch angesichts der zunehmenden Befürchtungen in den herrschenden Kreisen Europas, nach einem Sieg Trumps könnten sich die Geld- und Waffenlieferungen an Selenskyj verlangsamen, ist ihre Kriegspolitik zunehmend von Panik und Desorganisation geprägt. Gewisse Stimmen fordern auch, mögliche Friedensverhandlungen zu sondieren, während gleichzeitig die Ausgaben für Krieg und Militär erhöht werden.

Das Kieler Institut warnte: „Ab dem nächsten Jahr könnten der Ukraine … wichtige Hilfen fehlen“, wenn die künftige US-Regierung die finanzielle Unterstützung für die Ukraine kürzen und auf Friedensverhandlungen drängen sollte. Bei „gleichbleibenden Anstrengungen der westlichen Geber im nächsten Jahr“ würden 2025 zwar 113 Milliarden Euro für den Ukraine-Krieg zusammenkommen, doch das Kieler Institut fordert höhere Ausgaben. Andernfalls könnte sich die Unterstützung halbieren, je nach den Entscheidungen in Washington und Berlin:

Ohne neue Hilfspakete der USA würden die militärischen Hilfen auf rund 34 Milliarden Euro und die finanziellen Hilfen auf rund 46 Milliarden Euro sinken. Sollten auch europäische Geber ihre Hilfe reduzieren und der Ankündigung Deutschlands folgend ihre Beiträge halbieren, lägen die Militärhilfen nur noch bei 29 Milliarden Euro, die Finanzhilfen bei knapp 27 Milliarden Euro. In diesem Fall würden sich die Hilfen an die Ukraine also auf etwa 55 Milliarden Euro halbieren.

Der ehemalige Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg stellte Anfang Oktober in einem Interview mit der Financial Times sogar die Möglichkeit in den Raum, die Ukraine könnte einen Waffenstillstand mit Russland aushandeln: „Nach den [US]-Wahlen wird es eine Art neuen Schwung, eine neue Initiative geben, um zu versuchen, etwas zu bewegen. Das könnte auch Wege einschließen, eine Kombination der Bewegungen auf dem Schlachtfeld mit Bewegung am Verhandlungstisch zu erreichen.“

Stoltenberg forderte eine Eskalation der Kämpfe, damit sich Selenskyjs Regierung „mit den Russen zusammensetzen und etwas Akzeptables erreichen kann... etwas, bei dem sie als unabhängiger Staat überleben…“, und schlug eine Einigung nach dem Vorbild des Winterkriegs zwischen Finnland und der Sowjetunion 1939 vor: „Der Krieg endete damit, dass [Finnland] zehn Prozent des Territoriums aufgab, aber dafür eine sichere Grenze bekam.“

Dieses Argument entlarvt jedoch die Nato-Mächte. Kurz nach Beginn des Kriegs im Jahr 2022 hatten russische und ukrainische Vertreter in der Türkei einen weitgehend ähnlichen Waffenstillstand ausgehandelt. Allerdings griff der damalige britische Premierminister Boris Johnson in die Verhandlungen ein und wies die ukrainischen Vertreter an, das Angebot abzulehnen und für die Rückeroberung aller russischsprachigen Gebiete der Süd- und Ostukraine zu kämpfen. Seither sind knapp eine halbe Million Ukrainer und Russen gestorben – nicht weil Frieden für die ukrainische und russische Bevölkerung inakzeptabel war, sondern weil er für die Nato inakzeptabel war.

Es besteht nach wie vor enorme Unsicherheit darüber, welche Art von Eskalation die Nato-Mächte in den kommenden Wochen gegen Russland zu organisieren versuchen. Doch während das von den USA unterstützte israelische Regime seinen Völkermord in Gaza ausweitet und den Libanon und Syrien bombardiert, wo russische und iranische Truppen stationiert sind, ist offensichtlich, dass die Nato nicht auf Frieden abzielt, sondern auf neue und größere Kriege. Die dringendste Aufgabe besteht darin, die Arbeiterklasse in ganz Europa und weltweit zu mobilisieren, um diese Eskalation zu bekämpfen und ein Ende des Kriegs zu erzwingen.

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