Am frühen Montagmorgen griffen israelische Truppen eine Zeltstadt in Deir al Balah im Zentrum von Gaza an. Hier waren auf dem Gelände des Al-Aqsa-Märtyrer-Krankenhauses Patienten und vertriebene Palästinenser untergebracht. Eine Explosion, die durch einen Luftangriff ausgelöst wurde, setzte das Gelände in Brand, und mehr als 50 Zelte brannten nieder.
Ersten Berichten zufolge sind durch den Überraschungsangriff mindestens vier Menschen getötet und 70 weitere, auch Frauen und Kinder, verwundet worden.
Bilder von Menschen, die nach dem Angriff in Flammen standen, gingen durch die sozialen Medien und Nachrichtensender und lösten eine Welle von Schock und Entsetzen aus.
Die Aufnahmen zeigen Szenen mit Patienten, die noch einen intravenösen Zugang am Arm haben, die von sengenden weißen Flammen verschlungen werden. Selbst nach einem Jahr unablässiger brutaler Grausamkeit gegen die unbewaffnete Bevölkerung von Gaza, deren Opfer zumeist Kinder sind, löst dieser sinnlose Angriff Abscheu und berechtigte Verachtung aus und ruft Erinnerungen an das Massaker von My Lai oder den Einsatz von Napalmbomben bei US-Luftangriffen in Vietnam wach.
Mosab Abu Toha, der palästinensische Poet, Gelehrte und Gründer der Edward Said-Bibliothek, der selbst im Flüchtlingslager Al-Shati in Gaza geboren wurde, schrieb auf seinem Social Media-Account, nachdem er gesehen hatte, wie das Lager niederbrannte: „Nie wieder????? Ich habe zugesehen, wie mein Volk in Flammen steht und in verkohlte Teile zerlegt wird. Das ist das einzige, was mich mein ganzes Leben lang verfolgen wird. Nichts sonst, nichts aus den Fotoalben und Geschichten anderer Leute.“
Tohas Worte geben der Hilflosigkeit der Menschen eine Stimme, die zusehen mussten, wie die Flammen in dem Lager wüteten, und nichts anderes tun konnten, als den schrecklichen Anblick mit ihren Handys zu dokumentieren. Diese Aufnahmen sind ein weiterer Beweis für den ununterbrochenen und ungehinderten Völkermord, den das israelische Regime – mit voller Unterstützung der USA und der europäischen imperialistischen Mächte – an den Palästinensern verübt. Es gab nicht einmal Wasser, um die Flammen zu löschen.
Die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) veröffentlichten eine Standard-Propagandaerklärung, laut der sich ihre Truppen an internationale Vorschriften hielten, um Gewalt gegen die Zivilbevölkerung einzuschränken. Weiter hieß es, sie hätten eine Kommandozentrale der Hamas angegriffen. Allerdings gab sogar die New York Times zu, dass diese Behauptung nicht überprüfbar sei.
Oberstleutnant Nadav Shoshani erklärte wahrheitswidrig vor der Presse: „Wir stellen sicher, dass wir die Zivilisten außer Gefahr bringen, wenn wir gegen diese Terrorzellen in Dschabaliya vorgehen... Das Krankenhaus und seine Funktionsfähigkeit wurden durch den Angriff nicht beeinträchtigt.“ Und wie üblich erklärte ein Sprecher des israelischen Militärs zum Schluss, die IDF wolle den Vorfall weiter untersuchen – ein Euphemismus dafür, dass der Fall abgeschlossen ist.
Nur einen Tag vor diesen Ereignissen wurden bei Artilleriebeschuss auf eine Schule im Flüchtlingslager Nuseirat, in der vertriebene Palästinenser untergebracht waren, laut Verantwortlichen vor Ort mindestens 22 Menschen getötet, darunter 15 Kinder. Die UN wollten dort am gleichen Tag Polioimpfungen verabreichen.
Am Morgen nach dem Angriff, bei dem das Zeltlager vor dem Al-Aqsa-Märtyrer-Krankenhaus durch Brandbombern zerstört wurde, beschoss das israelische Militär eine Lebensmittelausgabestelle im Flüchtlingslager Dschabaliya, wobei zehn Menschen getötet und 30 weitere verwundet wurden. Ein Sanitäter vor Ort erklärte, eine Drohne habe das Feuer auf Dutzende Bewohner von Gaza eröffnet, die für Lebensmittel anstanden.
Wie üblich haben die IDF Evakuierungsbefehle für die 300.000 bis 500.000 Menschen ausgegeben, die noch in den Ruinen des nördlichen Gazastreifens verblieben sind, während sie gleichzeitig eine Militäroffensive entfesseln, wie sie allein in der letzten Woche mindestens mehrere hundert Opfer gefordert hat.
Die Bevölkerung muss eine Reihe von Kontrollpunkten passieren, um schließlich al-Mawasi zu erreichen, das mehr als 32 Kilometer weiter südlich am Mittelmeer liegt. Für die meisten von ihnen, darunter Schwerverletzte, ältere Menschen, schwangere Frauen mit ihren kleinen Kindern, ist dies eine gefährliche Reise zu Fuß, ohne ausreichende Lebensmittel und Wasser, um sich zu versorgen.
Ärzte ohne Grenzen (MSF) haben in einer eindringlichen Botschaft erklärt, dass Tausende von Palästinensern im Flüchtlingslager Dschabaliya festsitzen. Die Projektkoordinatorin der internationalen Organisation, Sarah Vuylsteke, erklärte: „Niemand darf rein oder raus – jeder, der es versucht, wird erschossen.“
Haydar, ein Fahrer von Ärzte ohne Grenzen, schildert in einem Bericht eindringlich die ernste Lage der Bevölkerung im nördlichen Gazastreifen:
Am Abend des 6. Oktober waren die Geräusche von Bomben und Kampfhandlungen zu hören. Die Lage wurde sehr ernst. Wir hatten große Angst. Die Lage eskalierte von Tag zu Tag. Letzten Endes beschlossen wir, wegzugehen. Wir kamen zu dem Schluss, dass die Lage schwierig war und das Lager Dschabaliya eingekesselt wurde. Wir konnten nicht raus, also blieben wir im Yemen-Alsaeed-Krankenhaus. Am 9. Oktober bombardierten israelische Truppen das jemenitische Krankenhaus und setzten die Zelte in Brand. Mehr als 20 Menschen wurden bei dem Angriff getötet, andere verletzt. Ich habe sechs Kinder; mein Sohn hat sechs Kinder, von denen eines gestorben ist. Ich bin jetzt hier. Ich weiß nicht, was ich tun soll; ich habe keine Wahl. Ich bin besorgt, angespannt, sehr wütend und habe Angst vor dem Terror, in dem wir leben. Ich könnte jederzeit sterben. Ich könnte verletzt werden, wie auch meine Familie, und wir könnten alle sterben.
Meine Frau braucht einen Rollstuhl; sie kann sich nur mit Mühe bewegen und ist krank. Selbst wenn ich weg wollte, wäre es sehr schwer. Die Leute hungern; es gibt keine Nahrungsmittel, kein Wasser und kein Trinkwasser. Ich habe Angst zu bleiben, und ich habe Angst zu gehen. Jeder Ort im Norden ist diesen Gefahren ausgesetzt; jeder Ort ist gefährdet. Es gibt keinen einzigen sicheren Ort. Ich weiß nicht, wie ich diese Gefühle beschreiben soll – sie sind mit schrecklicher Angst gemischt, mit Tränen, und ich umarme die kleinen Kinder, wenn sie weinen, weil sie dieses Elend miterleben.
Mitarbeiter des Gesundheitswesens haben objektive Zeugenaussagen dafür vorgelegt, dass Zivilisten in Gaza und besonders Kinder immer wieder Opfer extremer Gewalt werden. Die jüngste Kolumne von Dr. Feroze Sidhwa in der New York Times verdeutlicht, wie die Lage für die Palästinenser wirklich aussieht, und zeigt die Komplizenschaft der Biden-Regierung an Israels Völkermord.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Sidhwa schrieb: „Ich habe vom 25. März bis zum 8. April als Unfallchirurg in Gaza gearbeitet. Ich war Freiwilliger in der Ukraine und Haiti und bin in Flint (Michigan) aufgewachsen. Ich habe Gewalt erlebt und in Konfliktzonen gearbeitet. Aber von den vielen Dingen, die bei der Arbeit in einem Krankenhaus in Gaza besonders auffielen, hat mich eines besonders mitgenommen: Ich habe fast jeden Tag ein neues Kleinkind mit Schüssen im Kopf oder der Brust gesehen, und fast alle starben. Insgesamt waren es 13.“
Und während israelische Truppen den Angriff auf den nördlichen Gazastreifen intensivieren, wird den Rettungsteams, die die Verwundeten aus dem Gemetzel evakuieren wollen, der Zugang verwehrt, sodass sich die genaue Zahl der Toten unmöglich feststellen lässt.
Die derzeitige Offensive entspricht weitgehend dem „Plan des Generals“, der von dem ehemaligen israelischen Generalmajor Giora Eiland ausgearbeitet wurde. Er sieht die ethnische Säuberung des Gazastreifens vor, den Eiland als „unverhohlenen Terrorstaat“ bezeichnet und damit alle Einwohner der Enklave als Komplizen des Widerstands der Hamas einstuft. Er hat vorgeschlagen, den Einwohnern des nördlichen Gazastreifen eine Woche Zeit zu geben, diesen zu verlassen; danach sollten alle noch verbliebenen Einwohner als berechtigte militärische Ziele gelten.
Meron Rapoport, der Herausgeber des Local Call, erklärte in der Sendung Democracy Now: „Der Plan des Generals (so wird der Plan des Ex-Generalmajors Giora Eiland genannt) sieht vor, den Palästinensern in Nord-Gaza, nördlich des Netzarim-Korridors – d.h. Gaza-Stadt und Umland – eine Woche zu geben, um nach Süden zu ziehen in den sogenannten humanitären Bereich in der Nähe von Mawasi und Deir al-Balah im zentralen Gazastreifen. Nach einer Woche würde der nördliche Gazastreifen vollständig belagert – was bedeutet: keine Nahrungsmittel, kein Wasser, kein Strom, keine Medizin, nichts. Und nach einer Woche werden alle, die noch dort sind, als Terroristen eingestuft und können angegriffen werden. Die Idee ist, dass die Zivilbevölkerung das Gebiet verlässt und nur die Hamas-Kämpfer bleiben, so dass Israel das Gebiet säubern kann. Das ist der Plan von General Eiland.“
Obwohl der Plan offiziell nur in Erwägung gezogen wird, wie Associated Press erklärt, hat eine anonyme Quelle aus Israel eingeräumt, dass „Teile des Plans bereits umgesetzt werden“. Der Plan würde Gaza in zwei Hälften teilen, wobei Israel auf unbestimmte Zeit die vollständige Kontrolle über den Norden behalten und ihn gleichzeitig vollständig von allen noch verbliebenen Palästinensern säubern würde.