Wolfgang Weber (1949-2024): Ein revolutionärer Intellektueller und Kämpfer für den Trotzkismus

In den frühen Morgenstunden des 16. Novembers ist Wolfgang Weber nach fünf Jahren schwerer Krankheit im Alter von 75 Jahren gestorben.

Wolfgang Weber auf dem Parteitag der SGP im Jahr 2010

Wolfgang hatte über 50 Jahre seines Lebens dem Aufbau der trotzkistischen Partei gewidmet und unermüdlich politisch und theoretisch für die Unabhängigkeit der Arbeiterklasse gestritten.

Eine politische Würdigung von Wolfgangs Leben führt zu einer Einschätzung der grundlegenden historischen Fragen und Aufgaben, mit denen seine gesamte Generation konfrontiert war. Das war vor allem der Kampf für die Kontinuität des revolutionären Marxismus. Diese war durch Stalinismus, Faschismus und Pablismus derart angegriffen worden, dass sie, historisch gesprochen, am seidenen Faden hing. Verteidigt und weiterentwickelt wurde sie in den Jahren, in denen Wolfgang politisch bewusst wurde, nur durch das Internationale Komitee der Vierten Internationale, dessen führende Sektion damals die britische Socialist Labour League unter Führung von Gerry Healy war.

Wolfgangs Leben ist untrennbar mit dem Aufbau des IKVI und seiner deutschen Sektion verbunden, die vom Pablismus zerstört worden war. Als Kind der Nachkriegszeit zog er aus der Nazi-Herrschaft die Schlussfolgerung, dass die Arbeiterklasse vom lähmenden Einfluss der stalinistischen und sozialdemokratischen Bürokratie befreit werden musste, um eine erneute Katastrophe zu verhindern. Dieser Aufgabe widmete er sein Leben – und seine enorme intellektuelle Kapazität.

Jugend

Wolfgang wurde am 6. Juni 1949 in Schliersee südlich von München geboren, wo seine Eltern, Großeltern und die beiden älteren Brüder zusammen in einem beengten Sommerhaus wohnten, in das sie nach dem Krieg aus dem zerbombten München geflohen waren. Zwei Jahre nach seiner Geburt zog die Familie nach München und vier Jahre später nach Würzburg, wo Wolfgang seine gesamte Schulzeit verbrachte. Die bald sechsköpfige Familie konnte mit dem Gehalt seines Vaters, der ein einfacher Versicherungsangestellter, später Filialleiter war, keine großen Sprünge machen.

Die Schulzeit war vom unerträglichen Mief der Nachkriegszeit geprägt. Alte Nazi-Lehrer, die die Schüler auf einen neuen Revanchekrieg vorbereiten wollten, eine Kirche, in der sich seit dem Kriegsende nichts verändert hatte, und ein allgegenwärtiger Antikommunismus in kleinbürgerlichen Schichten prägten die Kindheit und Jugend. Wolfgang suchte den Kontrast dazu in der klassischen Literatur, las insbesondere Friedrich Schiller und Theodor Storm und genoss die Sendungen zu diesen Autoren im Radio der DDR, in die er auch verwandtschaftliche Verbindungen hatte.

Er war vom Humanismus der Klassik angezogen, und in dem Maße, wie sich die gesellschaftlichen Konflikte zuspitzten und sich der Mai 1968 anbahnte, wurden Schiller und Storm zunehmend durch Bertolt Brecht und Franz Kafka ergänzt. Wolfgang wandte sich von der Kirche ab und wurde bewusster Atheist. Wie so viele seiner Generation drängte ihn immer mehr die Frage, wie im Land der Dichter und Denker die Katastrophe des Faschismus möglich war, die jetzt von den herrschenden Eliten unter den Teppich gekehrt wurde.

Insbesondere der französische Dokumentarfilm „Nacht und Nebel“, der Originalaufnahmen aus mehreren Konzentrationslagern eindringlich zusammenbringt, hinterließ bei Wolfgang tiefe Spuren. Als eines der ersten politischen Ereignisse verfolgte er als Zwölfjähriger im Radio den Eichmannprozess und später die Auschwitzprozesse. Doch er fand in der Schule und in den gesäuberten Bibliotheken keine Antwort auf seine Frage. Die zahllosen misanthropischen oder sozialpsychologischen Erklärungsmodelle, die vorherrschten, empfand er als völlig unzureichend.

Die Schule schloss Wolfgang als bester Abiturient des Landes Bayern ab. Er erhielt deshalb das hochangesehene Stipendium des Maximilianeums, später auch eine Begabtenförderung der Studienstiftung des deutschen Volkes. Er studierte Jura in München, wo er erneut mit zahlreichen ehemaligen Nazis als Professoren konfrontiert war, und wechselte nach der Zwischenprüfung in die Wirtschaftswissenschaften.

Entwicklung zum Trotzkisten

Dort fing er an, Marx zu lesen, und verfolgte intensiv die wachsenden Kämpfe der Arbeiterklasse in ganz Europa. Doch eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage, wie der Nationalsozialismus möglich gewesen war, fand Wolfgang erst, als er während seines Studienaufenthalts in Großbritannien im Oktober 1971 die Socialist Labour League (SLL), die britische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), kennenlernte.

Eines der ersten Bücher, das er an einem Büchertisch der SLL erwarb, waren Leo Trotzkis Schriften über Deutschland, die im gleichen Jahr auch erstmals in Deutsch verlegt wurden. Trotzki erklärt den Faschismus als Reaktion der herrschenden Klasse auf die extreme Zuspitzung des Klassenkampfs. Der Faschismus ist die Mobilisierung des verlumpten Kleinbürgertums, um die Organisationen der Arbeiterklasse vollständig zu zerschlagen. Mit diesem Verständnis rückt in diesem Kampf um Leben und Tod die Frage der Führung der Arbeiterklasse ins Zentrum, um die Trotzki vehement gekämpft hatte.

„Hitler kam nicht an die Macht, weil das deutsche Volk in seiner Mehrheit von einem unbändigen Drang beseelt war, Juden zu töten. Er verdankte seinen Aufstieg der vernagelten und verräterischen Politik von SPD und KPD, welche die Arbeiterbewegung politisch lähmte und zunehmend auch ihre ideologischen Widerstandskräfte gegen das Gift des Rassismus und Antisemitismus unterhöhlte“, wie Wolfgang selbst 28 Jahre nach seiner ersten Lektüre von Trotzkis Schriften zu Deutschland im Vorwort zu einer Neuauflage feststellte.

In der folgenden Zeit widmete Wolfgang dem Verrat des Stalinismus an der Oktoberrevolution und seinen zahllosen Verbrechen einen erheblichen Teil seiner großen intellektuellen Fähigkeiten. Denn während seines Aufenthalts in Großbritannien hatte Wolfgang auch die enorme Kraft der Arbeiterklasse erlebt, die Massenstreiks gegen die konservative Heath-Regierung führte und das Land zeitweise lahmlegte. Er verstand, dass diese Kraft ihr Ziel nur erreichen konnte, wenn die Frage des Stalinismus geklärt wurde.

Im November 1971 hörte Wolfgang auf einer Versammlung der All Trades Union Alliance erstmals Gerry Healy sprechen, der die SLL führte und in den 20 Jahren zuvor die trotzkistischen Prinzipien gegen den pablistischen Revisionismus verteidigt hatte. Wolfgang war tief beeindruckt davon, wie Healy die Arbeiter ansprach und den Aufbau der revolutionären Partei in die historische Kontinuität des Bolschewismus und der trotzkistischen Bewegung stellte. In der Folge verschlang er die Texte der SLL zur Wiedervereinigung der SWP mit den Pablisten, zum Verrat der LSSP in Ceylon und zur ungarischen Revolution.

Die Entscheidung, die politischen Fragen zu klären, war für Wolfgang eine Entscheidung für die Arbeiterklasse. „Ich hatte viele sehr intelligente Kommilitonen, aber es kommt letztlich darauf an, was man daraus macht. Man muss eine Klassenentscheidung treffen“, bemerkte er einmal. Auf dieser Grundlage sagte er den verschiedenen kleinbürgerlichen Theorien den Kampf an, die, wie die Frankfurter Schule, die Arbeiterklasse als revolutionäre Kraft abschrieben oder, wie die Postmoderne, die geschichtliche Entwicklung überhaupt leugneten.

Wolfgang hatte enorme Achtung und Respekt vor der Geschichte der Arbeiterklasse und hat sich in diesem Sinne auch als Schüler der Arbeiterklasse verstanden. Er konnte wie nur wenige zuhören, war immer neugierig und offen für die Erfahrungen und Gedanken von Arbeitern und war sehr bedacht darauf, die Konzeptionen von Arbeitern gründlich zu analysieren, um sie dann auszukämpfen. Er hat in der Arbeiterklasse bei allen Problemen ihrer historischen Entwicklung die gesellschaftliche Kraft erkannt, die die Ideale der Aufklärung, des Sozialismus und des Humanismus, die seine Jugend so prägten, im Kampf für die Weltrevolution realisieren wird. Diese Haltung prägte auch seinen persönlichen Umgang mit Genossen.

Bund Sozialistischer Arbeiter

1973 kam Wolfgang voller Begeisterung, Energie und politischem Tatendrang nach Deutschland zurück. Er wurde sofort Mitglied im Bund Sozialistischer Arbeiter (BSA), der zwei Jahre zuvor, im Herbst 1971, gegründet worden war.

Wie in anderen europäischen Ländern tobten damals in Deutschland heftige Klassenkämpfe. Seit den 1960er Jahren hatte sich die Wirtschaftskrise verschärft. Dem amerikanischen Kapitalismus waren in Europa und Japan wirtschaftliche Rivalen erwachsen. Der Dollar geriet unter wachsenden Druck. 1966 erschütterte eine Rezession die Weltwirtschaft. 1971 kündigte die amerikanische Regierung die Gold-Bindung des Dollars auf und entzog damit dem Währungssystem den Boden, das die Grundlage des Nachkriegsbooms gebildet hatte. 1973 stürzte die Weltwirtschaft erneut in eine tiefe Rezession. Die Arbeiterklasse reagierte mit einer internationalen Offensive, die revolutionäre Ausmaße annahm.

Wolfgang nahm sein Ökonomie-Studium an der Münchner Universität wieder auf und lebte im Maximilianeum. Doch seine Hauptarbeit galt nun dem Aufbau von Ortsgruppen des BSA in München und später auch in Nürnberg.

Als ihn die Leitung des BSA 1977 fragte, ob er bereit wäre, hauptamtlich für die Partei zu arbeiten, brach Wolfgang ohne zu zögern sein Studium ab und widmete seine ganze Energie dem Aufbau der Partei. Er wurde in den Vorstand gewählt und leitete viele Jahre die Redaktion der Neuen Arbeiterpresse, des damaligen Zentralorgans des BSA.

Etwa um dieselbe Zeit begann seine Freundschaft mit Annie, die seine lebenslange Partnerin wurde und selbst leidenschaftlich am politischen Kampf teilnahm. Als später zwei Kinder zur Welt kamen, bemühten sich beide darum, ihnen trotz intensiver Parteiarbeit eine optimale Ausbildung zu ermöglichen.

In den 1970er Jahren spielte in den Diskussionen mit Arbeitern und Jugendlichen die Frage der SPD eine zentrale Rolle. Nach dem Generalstreik vom Mai/Juni 1968 in Frankreich und den September-Streiks der Stahlarbeiter in Deutschland, die gegen den Willen der Gewerkschaftsbürokratie eine hohe Lohnforderung erkämpften, wurde Willy Brandt mit der Regierung betraut, der sich als „demokratischen Sozialisten“ bezeichnete.

Brandt war in den 1930er Jahren Führungsmitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) gewesen und hatte in seinem norwegischen Exil eines Schlüsselrolle dabei gespielt, die Trotzkisten in der SAP-Jugendorganisation zu isolieren und den Anschluss der SAP an die Vierte Internationale zu verhindern.

Viele Arbeiter hatten Illusionen in Willy Brandt. Wolfgang beteiligte sich damals intensiv an den Diskussionen darüber, wie unter diesen Bedingungen am besten für ein sozialistisches Programm in der Arbeiterklasse gekämpft werden konnte. Die damalige Forderung des BSA, „Werft die FDP aus der Regierung und kämpft für eine SPD-Alleinregierung verpflichtet auf sozialistische Politik!“, war an Trotzkis Taktik im „Übergangsprogramm“ angelehnt und immer damit verbunden, den wahren Charakter der SPD zu entlarven.

Wolfgang schrieb mehrere Artikel dazu, die das Schwergewicht auf das geschichtliche Verständnis der Rolle der SPD legten. In der Artikelserie „Ruhrkampf 1928 – Seine Geschichte und seine Lehren“, die in der Neuen Arbeiterpresse und später auch in der Marxistischen Rundschau, dem damaligen theoretischen Organ des BSA erschien, schrieb er:

Die Rolle, die die SPD-Führung bei der Aussperrung 1928 spielte, fand ihre konsequente Fortsetzung in den folgenden Jahren mit der Unterstützung des Brüning-Regimes und seiner Notverordnungen bis hin zum Aufruf der Gewerkschaftsführer, gemeinsam mit den Faschisten unter dem Hakenkreuz zu marschieren, um die positive Haltung der Gewerkschaften gegenüber dem nationalsozialistischen Staat zum Ausdruck zu bringen.

Nur eine halbe Autostunde von München entfernt liegt Dachau mit seiner Gedenkstätte an das erste Konzentrationslager, das schon vor Hitlers Machtantritt errichtet worden war und als Modell für alle folgenden diente. Der BSA und seine Jugendorganisation Sozialistischer Jugendbund (SJB) besuchten die Gedenkstätte immer wieder mit Gruppen von Jugendlichen und Arbeitern. Damals konnte man noch mit Überlebenden sprechen, und Wolfgang nutzte sein Wissen, um nachzuweisen, warum man den Faschismus nicht verstehen kann, ohne den Stalinismus zu verstehen.

Doch die Arbeit der jungen Partei wurde aufgrund der zunehmenden Degeneration der Workers Revolutionary Party, wie sich die britische Sektion mittlerweile nannte, immer schwieriger. Die WRP, die sich zunehmend an den linken Flügel der Labour- und Gewerkschaftsbürokratie sowie an die nationalen Regimes im Nahen Osten anpasste, setzte die deutsche Sektion unter Druck, das Gleiche zu tun. Sie sabotierte systematisch die politische und theoretische Arbeit des BSA und drängte die Genossen in opportunistische Großkampagnen. Die Marxistische Rundschau wurde nach nur vier Ausgaben auf Druck der WRP eingestellt.

Die Spaltung mit der WRP

Als Wolfgang 1985 die marxistische Kritik an der Linie der WRP kennen lernte, die David North und die amerikanische Workers League vorgelegt hatten, reagierte er begeistert. Jahre später schrieb er in einem Brief: „Als Peter [Schwarz] mir Ende September 1985 die Dokumente von David North’ Kampf gegen den nationalistischen Opportunismus der WRP-Führung und gegen ihre Verfälschung des historischen Materialismus und der marxistischen Dialektik übergeben und den Ausschluss Healys mitgeteilt hat, war dies ein gewaltiger Ansporn für mich, mich am Kampf gegen die Renegaten zu beteiligen.“

Und genau das tat er. So schrieb er eine Artikelserie unter der Überschrift „Leo Trotzki und die Oktoberrevolution“. Er nahm eine Rede, die Healy im August 1987 in London hielt, zum Anlass, die große Bedeutung Trotzkis in der Vorbereitung, Leitung und Verteidigung der Oktoberrevolution zu erklären. Healy hatte in seiner Rede Gorbatschow gepriesen und einige der abscheulichen stalinistischen Lügen gegen Trotzki wiederholt. Wolfgang widerlegte nicht nur Healys Lügen und erklärte die reaktionäre Rolle von Perestroika, er arbeitete vor allem die Bedeutung der politischen Lehren aus der Oktoberrevolution für heute heraus.

Etwa um dieselbe Zeit entwickelte er in einer weiteren Artikelserie den Kampf gegen den Pablismus und seinen deutschen Ableger, die Gruppe Internationaler Marxisten (GIM). Die GIM hatte sich mit der maoistischen KPD zur „Vereinigten Sozialistischen Partei“ (VSP) zusammengeschlossen. Er betonte, wie wichtig der Kampf gegen den Pablismus für den Aufbau der Partei in der Arbeiterklasse sei, und stützte sich dabei auf die Lehren aus der Spaltung von der WRP und auf die internationale Perspektivresolution des IKVI von 1988 „Die kapitalistische Weltkrise und die Aufgaben der Vierten Internationale“.

Er schrieb:

Die entscheidende Lehre, die aus den strategischen Erfahrungen des Proletariats während der Nachkriegsperiode, insbesondere während der Jahre 1968-1975, für die kommenden Klassenkämpfe gezogen werden muss, ist folgende: Die Vereinigung des internationalen Proletariats durch den Aufbau des IKVI als Weltpartei der sozialistischen Revolution, die allein seinen Sieg sicherstellen kann, erfordert einen kompromisslosen und unnachgiebigen Kampf gegen den Opportunismus und alle Formen des Nationalismus.

Die Spaltung von der WRP und die bewusste Aufarbeitung der Geschichte der Vierten Internationale – zusammengefasst in David Norths „Das Erbe das wir verteidigen“ – schufen die Grundlage für eine enorme politische Entwicklung der Partei und bildeten die entscheidende Vorbereitung auf den folgenden Zusammenbruch der stalinistischen Regime.

Wolfgang Weber im September 1991 auf einer Versammlung im polnischen Slubice

In seiner Studie „Solidarnosc und die Perspektive der politischen Revolution“ untersuchte Wolfgang nicht nur die Entwicklung der gewaltigen Eruption des Klassenkampfs in Polen, sondern beleuchtete den Verrat der politischen Führung sowie die Rolle der Pablisten und der Renegaten der WRP, diesen abzudecken. Das Buch ist eine Streitschrift für die politische Revolution gegen den Stalinismus und die sozialistische Weltrevolution:

Im Zusammenhang mit der Krise des stalinistischen Regimes mögen in kleinbürgerlichen Schichten und auch in Arbeiterkreisen die verschiedensten oppositionellen Strömungen entstehen, sich durch Mut und radikale Forderungen gegenüber dem herrschenden Regime auszeichnen – solange sie nicht für die Perspektiven und Prinzipien des Trotzkismus, für die Strategie der Weltrevolution und die politische Revolution als Teil davon entscheiden, werden sie unter dem vereinten Druck der stalinistischen Bürokratie und des Imperialismus zwangsläufig ebenso kapitulieren wie Kuron und Modzelewski und wie sie am Ende mit ihren beschränkten Perspektiven ein Hindernis für den Kampf der Arbeiterklasse bilden.

Das Ende der DDR

Als sich in Osteuropa und der DDR 1989 Massendemonstrationen entwickelten, reagierte Wolfgang mit großer Begeisterung. Sein Artikel „Der Hintergrund der Massenflucht aus der DDR – Vorbote von Arbeiteraufständen“ im August 1989 bildete den Auftakt für ein intensives Eingreifen in der DDR. Wenig später schrieb der BSA seinen Aufruf „Stürzt die SED-Bürokratie! Baut Arbeiterräte auf!“

Als die Aufstandsbewegung im Herbst 89 wuchs, beteiligte sich Wolfgang aktiv am Eingreifen in der Arbeiterklasse der DDR. Ende Oktober richtete der BSA in der Wohnung eines Genossen in West-Berlin eine politische Einsatz-Zentrale ein. Noch stand die Mauer und jeder Grenzgänger wurde genau überwacht. Dennoch gelang es dem BSA, ein Dutzend Genossen und Tausende von Aufrufen zur politischen Revolution über die Grenze zu schmuggeln und auf der Berliner Großdemonstration am 4. November zu verbreiten, an der sich über eine Million beteiligten.

Wolfgang war begeistert. Zum ersten Mal war es möglich, mit der DDR-Arbeiterklasse Kontakt aufzunehmen und Trotzkis Perspektive der politischen Revolution gegen die stalinistische Bürokratie bekannt zu machen und zu diskutieren. Als Oskar Hippe unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg versucht hatte, in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), aus der später die DDR hervorging, eine trotzkistische Organisation aufzubauen, war er sofort verhaftet worden und blieb acht Jahre im Stasigefängnis Bautzen eingekerkert.

Wolfgang hatte Oskar Hippe und seine Frau Gertrud im Frühjahr 1989 persönlich kennengelernt. Er besuchte die trotzkistischen Veteranen gemeinsam mit Bill und Jean Brust, die beide jahrzehntelang eine Schlüsselrolle im Kampf für den Trotzkismus in den USA gespielt hatten, sowie mit anderen BSA-Mitgliedern.

Oskar Hippe konnte viel erzählen. Er hatte mehrfach Trotzki getroffen und mit ihm diskutiert. Er unterstützte den Kampf des BSA in der DDR, warnte aber vor zu viel Euphorie. Der Schaden, den der Stalinismus im Bewusstsein der Arbeiterklasse angerichtet habe, könne nicht von heute auf morgen überwunden werden, betonte er.

Im Kampf gegen die Zerschlagung der DDR-Betriebe und die Wiedereinführung kapitalistischer Ausbeutung schrieb Wolfgang viele Artikel, Reportagen und Berichte. Drei Jahre später leistete er mit seinem Buch „DDR – 40 Jahre Stalinismus“ einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Geschichte der DDR. Er begann das Vorwort mit den Worten:

Drei Jahre nach dem Ende der DDR ist der Jubel über den „Sieg des Westens“ und den „Triumph des Kapitalismus“ einem Gefühl dumpfer Ernüchterung gewichen. Im Osten Deutschlands ist an Stelle der versprochenen „blühenden Landschaften“ eine industrielle Wüste geschaffen worden. Die Hälfte der Beschäftigten im Gebiet der ehemaligen DDR hat ihren Arbeitsplatz verloren… Es wird Zeit, dass nach dem Wechselbad der Gefühle, nach blinder Euphorie, Schock und Betäubung, die seit 1989 von den sich überstürzenden Ereignissen ausgelöst worden sind, nun der Verstand und nüchterne Überlegungen wieder zu ihrem Recht kommen.

Dann analysierte er in neun Kapiteln die Entstehung und Geschichte der DDR. Er widerlegte die große Lüge, Stalinismus und Sozialismus seien dasselbe, die die Verbrechen des Stalinismus ausnutzt, um antikommunistische Stimmungen zu schüren. Er endete mit den Worten:

Die Bilanz der Geschichte der DDR bedeutet ein vernichtendes historisches Urteil, das sich der internationalen Arbeiterklasse unauslöschlich ins Gedächtnis eingaben muss: Der Stalinismus führt nicht zum Sozialismus, sondern zurück zum Kapitalismus! Der Stalinismus ist nicht ein „fehlerhafter Versuch“, nicht ein „falsches Modell“ des Sozialismus, sondern sein Totengräber.

Auch in späteren Jahren kam Wolfgang immer wieder auf diese Frage zurück. Er war felsenfest davon überzeugt, dass ein klares Verständnis des Stalinismus gerade in Deutschland, wo das stalinistische und das kapitalistische Regime nebeneinander existierten, von entscheidender Bedeutung ist, damit die Arbeiterklasse wieder an ihre große sozialistische Tradition anknüpfen kann.

Verteidigung der historischen Wahrheit

Als nach dem Ende der DDR und der Sowjetunion immer deutlicher wurde, dass der Bankrott des Stalinismus eine neue Epoche imperialistischer Kriege und heftiger Klassenauseinandersetzungen eingeleitet hatte, wie es das IKVI vorausgesehen hatte, begann eine neue Welle von Angriffen auf den Trotzkismus. In Großbritannien erschienen innerhalb von fünf Jahren nicht weniger als drei Trotzki-Biografien – von Ian Thatcher, Geoffrey Swain und Robert Service – die auf Lügen und Fälschungen beruhten und versuchten, den Trotzkismus zu verleumden. David North widerlegte sie gründlich in „Verteidigung Leo Trotzkis“.

Wolfgang spielte eine wichtige Rolle im Kampf des IKVI zur Verteidigung der historischen Wahrheit. Als die verleumderische Trotzki-Biographie von Robert Service in deutscher Sprache veröffentlicht werden sollte, ergriff er die Initiative. Er kontaktierte den bekannten und damals schon hochbetagten Historiker Professor Hermann Weber. Sein Interview mit Professor Weber, „Robert Service hat keine Streitschrift, sondern eine Schmähschrift verfasst!“, beeindruckt bis heute.

Wolfgang gewann zwölf namhafte Historiker und Intellektuelle dafür, gegen Service’ Schmähschrift Stellung zu nehmen, und der Suhrkamp Verlag sah sich gezwungen, die Veröffentlichung über ein Jahr zu verschieben.

Als der rechtsradikale Historiker Jörg Baberowski Service dann im Februar 2014 an die Humboldt-Universität einlud, um dessen lädierten Ruf zu retten, beteiligte sich Wolfgang an der Widerlegung seiner Geschichtsfälschungen und antisemitischen Stereotypen. Auf einer Veranstaltung, an der hundert Studierende teilnahmen, sprach er gegen das Traktat von Service.

Als Baberowski die kritische Öffentlichkeit gewaltsam aus der Veranstaltung mit Service ausschloss, wandte sich Wolfgang in einem offenen Brief an den damaligen Universitätspräsidenten Jan-Hendrik Olbertz. Er wies nach, dass die Verteidigung von Service durch Baberowski mit dessen eigener Geschichtsfälschung zusammenhing. Zeitgleich mit der Service-Veranstaltung hatte Der Spiegel Baberowski mit den Worten zitiert: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“

Wolfgang zog den Schluss:

Ein bestimmtes politisches Ziel erfordert entsprechende Methoden. Baberowskis Verhalten am 12. Februar hat gezeigt, dass sich eine solche Revision der Geschichte nur mithilfe von Einschüchterungsmaßnahmen und der Unterdrückung abweichender Meinungen verwirklichen lässt.

Baberowskis Angriff auf elementare demokratische Rechte und akademische Freiheiten dient Interessen, die die Humboldt-Universität in ein Zentrum für rechte und militaristische Propaganda verwandeln möchten. Baberowski pflegt bekanntlich enge Beziehungen zur Hoover Institution an der Stanford University, die ein akademisches Zentrum der politischen Rechten in den USA ist.

Wolfgang Weber im August 2024

Auch als er vor fünf Jahren erfuhr, dass er Krebs im Endstadium hatte und die Ärzte ihm wenig Hoffnung machten, setzte Wolfgang seine politische Arbeit fort. Der Kampf gegen die Krankheit war hart, aber Wolfgang wich ihm nicht aus. Er kämpfte gern, weil er das Kämpfen als treibendes Moment des Lebens und des gesellschaftlichen Fortschritts verstand.

Er konzentrierte sich in den letzten Jahren insbesondere darauf, junge Genossen in geschichtlichen Fragen auszubilden und stritt unermüdlich für das historische Erbe des Trotzkismus. Er hatte sich immer als Teil eines kollektiven und internationalen Kaders verstanden, der in der Erarbeitung und Anwendung des historischen Erbes der trotzkistischen Bewegung entwickelt wird.

Im November 2023 beantwortete er auf einer Veranstaltung der Sozialistischen Gleichheitspartei gegen das Massaker in Gaza die Fragen junger Palästinenser, die wissen wollten, warum es notwendig sei, eine Partei aufzubauen. Wolfgangs Antwort ist keine schlechte Zusammenfassung seines politischen Lebens:

Wolfgang Weber spricht auf der SGP-Veranstaltung "Stoppt das Massaker in Gaza" am 14.11.2023 in Berlin

In Russland hatte die Arbeiterklasse tatsächlich die Macht erobert. In Deutschland nicht. Warum? Weil ihr eine Partei gefehlt hat, wie sie in Russland aufgebaut wurde, die über Jahre hinweg die Arbeiter aufgeklärt hat, die über Jahre hinweg einen Kader aufgebaut hat, der vorbereitet ist, wenn die objektive Krise ausbricht, die auch heute wieder begonnen hat. Die Arbeiterklasse muss wissen, dass sie nicht auf Tricks und Manöver hereinfallen und keinen Teil oder Flügel der Bourgeoisie unterstützen darf, der sich fortschrittlich gebärdet, wie das die Grünen eine Zeit lang getan haben, sondern dass sie eine unabhängige Partei aufbauen muss, die für die Machteroberung der Arbeiterklasse kämpft.

Wolfgang hatte die Vierte Internationale und ihre marxistische Perspektive der sozialistischen Weltrevolution in einer Zeit verteidigt, als die Sozialdemokratie die Arbeiterbewegung dominierte und in „linken“ Kreisen antimarxistische Theorien vorherrschten. Er hatte sie nach dem Zusammenbruch der DDR und der Sowjetunion verteidigt, als überall das „Scheitern des Sozialismus“ verkündet wurde.

In seinen letzten Lebensjahren konnte er erleben, wie wichtig und bedeutsam seine Arbeit war. Der Kapitalismus steckt weltweit in der Todeskrise, er bringt nur noch Krieg, soziale Ungleichheit, kulturellen Niedergang und Faschismus hervor. Und die internationale Arbeiterklasse ist umfangreicher und enger vernetzt als je zuvor. Es braut sich ein gewaltiger Sturm zusammen, in dem sie im Trotzkismus die entscheidende Waffe für den Sieg der sozialistischen Weltrevolution finden wird.

Wir werden Wolfgang vermissen, und sein Tod ist ein schwerer Verlust für das Internationale Komitee der Vierten Internationale in Deutschland und auf der ganzen Welt. Aber sein unermüdlicher Kampf für die Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und für die sozialistische Weltrevolution lebt in der Partei fort, die er mit aufbaute, und seine Zuversicht, die ihn bis zu seinem letzten Atemzug durchdrang, ist uns Inspiration.

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