Generalstreik in Griechenland für höhere Löhne und Gerechtigkeit für Tempi-Opfer

In Griechenland traten am Mittwoch die Arbeiter in allen Wirtschaftszweigen in einen Generalstreik, um angesichts der explodierenden Lebenshaltungskosten höhere Löhne und ein Ende der Sparmaßnahmen zu fordern. Zu dem Streik hatten die beiden größten Gewerkschaftsverbände aufgerufen.

Demonstranten beim landesweiten Generalstreik im Zentrum von Athen, Griechenland, 9. April 2025 [AP Photo/Petros Giannakouris]

Vorausgegangen war ein 24-stündiger Streik von Journalisten am Dienstag, zu dem die Panhellenische Vereinigung der Redakteursgewerkschaften aufgerufen hatte. Sie forderten unter anderem ein Einstiegsgehalt von 1.250 Euro für alle Medien.

Zehntausende Arbeiter demonstrierten am Mittwoch in der Hauptstadt Athen, der zweitgrößten Stadt Thessaloniki und anderen Großstädten.

Metro, Straßenbahn und die elektrische Bahn ISAP fuhren von 10 bis 17 Uhr, um die An- und Abreise zu den Protesten in Athen zu erleichtern. Ein Großteil des öffentlichen Verkehrs in der Hauptstadt kam zum Erliegen, der Zugverkehr, einschließlich der Stadtbahn (Proastiakos), wurde vollständig eingestellt. Die Seeleute unterstützten den Streik und ließen die Fähren in den Häfen. Auch die kommunalen Beschäftigten, Mitglieder der Gewerkschaft POE-OTA, unterstützten den Ausstand.

Die Schulen blieben geschlossen, weil die Lehrer der Primär- und Sekundarstufe streikten. Auch Studierende schlossen sich an, um gegen Bildungskürzungen, steigende Studiengebühren und die Privatisierung der Hochschulbildung zu protestieren.

Die Beschäftigten des Gesundheitswesens beteiligten sich ebenfalls, die öffentlichen Krankenhäuser liefen nur im Notbetrieb. Vorausgegangen war eine 24-stündige Arbeitsniederlegung von Mitgliedern der Panhellenischen Vereinigung der Beschäftigten in öffentlichen Krankenhäusern (POEDIN) am 19. März in öffentlichen Krankenhäusern in Athen.

Der Flugverkehr wurde unterbrochen, da sich die Fluglotsen dem Streik anschlossen. Auch Mitglieder der Panhellenischen Föderation der Arbeiter in der Lebensmittel- und Tourismusbranche (POEET) protestierten.

Auf den wichtigsten Plätzen Athens versammelten sich Tausende zu den Kundgebungen. Die größten Gewerkschaftsverbände hielten getrennte Kundgebungen auf dem Syntagma-Platz und dem Klafthmonos-Platz ab, während sich der Gewerkschaftsverband der stalinistischen Kommunistischen Partei, die Militante Arbeiterfront (PAME), auf den Propyläen versammelte. In Thessaloniki trafen sich die Streikenden an der Venizelos-Statue.

Die Hauptforderungen des Gewerkschaftsverbands ADEDY für den öffentlichen Sektor waren: „Maßnahmen zur Bewältigung der hohen Lebenshaltungskosten und der Wohnungskrise; sofortige angemessene Lohnerhöhungen im öffentlichen Sektor; die Regierung soll die Wiedereinführung des 13. und 14. Gehalts im öffentlichen Sektor gesetzlich verankern“. Die letztgenannte Forderung bezieht sich auf das Urlaubsgeld für Beschäftigte im öffentlichen Dienst, das die ADEDY-Gewerkschaften während der brutalen Sparmaßnahmen der letzten Jahre selbst geopfert hatten.

In dem Streikaufruf des Allgemeinen Verbands der griechischen Arbeiter im Privatsektor (GSEE) wird betont, dass Griechenland in der Europäischen Union an vorletzter Stelle stehe, was die Kaufkraft angeht. Ein großer Teil der Bürger gebe mehr als 40 Prozent des Einkommens für Wohnen und Heizen aus.

Während die ADEDY und die GSEE dafür sorgten, dass die Hauptforderungen des Streiks wirtschaftliche Themen betrafen, fand er nur 41 Tage nach dem Generalstreik vom 28. Februar und den Massenprotesten statt, die Gerechtigkeit für die 57 Opfer des Tempi-Zugunglücks von 2023 forderten.

Das waren die größten Streiks und Proteste in der Geschichte Griechenlands. In der Tempi-Bewegung entlud sich der Widerstand der Arbeiterklasse gegen 15 Jahre brutaler Sparpolitik der regierenden rechten Nea Dimokratia (ND) und der vermeintlichen Oppositionsparteien, der sozialdemokratischen PASOK und Syriza (Koalition der radikalen Linken).

In dieser beispiellosen Situation machte die ADEDY-Führung gleich am Anfang ihres Streikaufrufs deutlich, dass es ihr Hauptziel ist, eine Herausforderung des Kapitalismus durch die griechische Arbeiterklasse zu verhindern. Sie erklärte, Gerechtigkeit für die Tempi-Opfer, ein Ende der Vertuschung und die Bestrafung der Verantwortlichen für das Verbrechen seien „auch eine Forderung nach Rechtsstaatlichkeit, Beteiligung der Bürger an der Entscheidungsfindung, sozialer Kontrolle und Rechenschaftspflicht und letztlich einer Vertiefung der Demokratie“.

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Trotz der Versuche der Gewerkschaftsbürokratie, das Tempi-Thema weitgehend auszuklammern, war es während des Generalstreiks am Mittwoch in aller Munde. Arbeiter und Jugendliche brachten selbstgebastelte Plakate mit, um Gerechtigkeit für die Opfer zu fordern. Die Zeitung To Vima titelte: „Massenstreik in Griechenland: Löhne, Inflation, Tempi im Mittelpunkt“.

Sie zitierte die Äußerungen von Kostas, einem Arbeiter im Bildungswesen, mit den Worten: „Ich bin nicht bereit, eine Regierung von Mördern zu sehen, die zwei Jahre nach Tempi diese zerstörerische Politik fortsetzt, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Und das spiegelt sich in den Reaktionen der Menschen wider, in den Demonstrationen, vor allem in den Demonstrationen vom 28. Februar. Und der heutige Generalstreik ist eine Fortsetzung dieses Streiks.“

Die Arbeiter machten ihrer zunehmenden Verzweiflung über die soziale Krise Luft. Die Inflation liegt weiterhin bei etwa 3 Prozent – höher als im europäischen Durchschnitt – und Millionen Menschen leiden unter Reallohnverlusten. Eine Vertreterin der Beschäftigten in der Privatwirtschaft, Dina, sagte gegenüber Reuters auf der Demonstration auf dem Syntagma-Platz in Athen: „Das Gehalt der Arbeiter reicht nur bis zum 10. oder 15. des Monats, es deckt nicht die Grundbedürfnisse wie Wohnung und Nahrung, Bildung und Gesundheit.“

Im Januar gehörte der griechische Mindestlohn nach Angaben von Eurostat zu den niedrigsten in der Europäischen Union (EU) hinter Portugal und Litauen.

Kathimerini berichtete: „Mit 1.342 Euro pro Monat liegt der durchschnittliche Bruttolohn laut Daten des Arbeitsministeriums immer noch 10 Prozent unter dem Niveau von 2010, als Griechenland sein erstes [Spar-]Rettungspaket unterzeichnete.“ Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis „hat versprochen, den Mindestlohn bis 2027 auf 950 Euro anzuheben, um ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt von 1.500 Euro zu erreichen, das näher am EU-Durchschnitt liegt. Aber die monatlichen Ausgaben für Lebensmittel, Dienstleistungen und Wohnen sind schnell gestiegen.“

Jeder Arbeiter weiß, dass dies ein Hirngespinst ist. Der Mindestlohn wurde im April von 830 Euro pro Monat auf immer noch mickrige 880 Euro für angestellte Arbeiter erhöht. Der Tageslohn stieg von 37,07 Euro auf 39,30 Euro.

Das Gehalt einer Krankenschwester mit Hochschulabschluss beträgt nur 863,82 Euro im Monat und ist damit gegenüber 2011 (803,92 Euro) kaum gestiegen. Für eine Pflegekraft liegt es nur bei 736,61 Euro – und damit sogar unter dem Gehalt von 2011 (757,74 Euro). Griechenlands Krankenhäuser, die unter der Last der Sparmaßnahmen zusammenbrechen, benötigen weitere 45.000 Mitarbeiter, um ordnungsgemäß zu funktionieren.

Der Aufschwung des Klassenkampfs ist auch mit einer wachsenden Opposition gegen den Militarismus der herrschenden Klasse im eigenen Land und in ganz Europa verbunden. Griechenland gehört seit langem zu den Ländern mit den höchsten Militärausgaben in der Nato. Mit 3,5 Prozent des BIP liegt es weit über der von den Nato-Mitgliedern erwarteten Quote von 2 Prozent für Militärausgaben. Nach Angaben der britischen Denkfabrik International Institute for Strategic Studies haben die griechischen Regierungsparteien in den letzten 16 Jahren brutaler Sparpolitik (2008–2024) sage und schreibe 112 Milliarden Euro für das Militär verpulvert.

Nur wenige Tage vor dem Generalstreik am Mittwoch hatte die Regierung angekündigt, die Militärausgaben in den nächsten zehn Jahren um 25 Milliarden Euro aufzustocken – was noch brutalere Angriffe auf die Arbeiterklasse erfordern wird.

Die wachsende oppositionelle Stimmung fasste der Arbeiter Vangelis zusammen, der auf einer der Kundgebungen in Athen gegenüber To Vima sagte: „Wir streiken für all die Arbeiter, die aufgrund der 300 [und mehr] Arbeitsunfälle im letzten Jahr nicht nach Hause gehen konnten, wir streiken gegen die zunehmende Krise der Lebenshaltungskosten, wir streiken für bessere Löhne und wir streiken gegen das, was ‚Kriegswirtschaft‘ genannt wird, bei der im Grunde Geld von uns genommen wird, um Kriege bzw. ihre Profite zu finanzieren.“