11. Februar 1984
1. Die dreißigjährige Geschichte des Internationalen Komitees der Vierten Internationale ist ein Beleg für den ununterbrochenen Kampf der trotzkistischen Weltpartei, die Krise der revolutionären Führung zu lösen. Sie war eine Geschichte des Kampfs gegen all jene Kräfte – Stalinisten, Sozialdemokraten und Pablisten – durch die die Arbeiterklasse der Bourgeoisie untergeordnet wird. Das Internationale Komitee gründet sich auf die Traditionen und Prinzipien, die durch die theoretischen und organisatorischen Kämpfe aller vorhergehenden Generationen von Marxisten geschaffen wurden – und der Weg, auf dem diese Kontinuität mit den früheren Generationen durch das IK entwickelt wurde, war der Kampf gegen jede Spielart des Antimarxismus, die innerhalb der Arbeiterbewegung, besonders innerhalb der trotzkistischen Bewegung selbst, auftauchte. Die Form, die jeder dieser Kämpfe annahm, ist immer durch den jeweils aktuellen Inhalt des internationalen Klassenkampfs bestimmt gewesen. Gestützt auf die dialektische Methode und den historischen Materialismus hat das Internationale Komitee beständig dafür gekämpft, die Klassenkräfte, die in jedem dieser Kämpfe am Werk waren, aufzudecken und in jeder Erscheinungsform des Revisionismus die ideologischen Formen zu entlarven, durch die der Imperialismus versucht, den Marxismus zu zerstören.
2. In der gesamten Geschichte der revolutionären Bewegung sind immer dann solche ideologischen Angriffe auf den Marxismus aufgetaucht, wenn es rasche Veränderungen im Klassenkampf gab, die die Herrschaft der Bourgeosie direkt bedrohten. Das Bernsteinianertum tauchte mit der Entstehung des Imperialismus und zu Beginn der Epoche auf, in der die sozialistische Revolution auf die Tagesordnung kam (was sich in der russischen Revolution von 1905 deutlich zeigte). Der Stalinismus war der politische und theoretische Ausdruck des Drucks des Imperialismus auf den ersten Arbeiterstaat – die größte Herausforderung für die Herrschaft der Bourgeoisie bis dahin. Innerhalb der trotzkistischen Bewegung war der Zusammenhang zwischen dem Anwachsen des Revisionismus und den zwingenden Notwendigkeiten des Imperialismus sogar noch direkter. Es war nichts „Zufälliges“ an dem Auftauchen von Burnham und Shachtman zu Beginn des II. Weltkriegs – dem Augenblick der größten Krise des Imperialismus. Wir haben oft die historische Bedeutung des Pablismus betont, der innerhalb der trotzkistischen Bewegung unter den Bedingungen der Nachkriegskrise der stalinistischen Bürokratie auftauchte, in der sich die Gesamtkrise des Weltimperialismus widerspiegelte. Die Empfindlichkeit der Kader gegenüber dem Klassendruck, der gerade dann besonders mächtig wird, wenn die Widersprüche des Imperialismus sich extrem zuspitzen, ist mit grundlegenden Fragen der Methode verknüpft. Empiristen und Pragmatiker, wie Pablo und sein amerikanisches Gegenstück Clarke, die an die Stelle einer wissenschaftlichen Untersuchung der Klassenverhältnisse auf der Grundlage der dialektisch materialistischen Methode und des historischen Materialismus ihre oberflächlichen Impressionen setzen, verspüren das dringende Bedürfnis, den Trotzkismus zu revidieren und prinzipielle Positionen aufgrund der „Realität der lebendigen Ereignisse“ aufzugeben. Diejenigen, die an den Prinzipien festhalten, werden gewöhnlich als „linksradikal“ und „sektiererisch“ verleumdet. In jedem Stadium des Kampfs gegen den Pablismus hat es sich jedoch herausgestellt, daß die „neue Realität“ nichts weiter bedeutet, als eine unkritische Anpassung an die illusorische Stabilität des Imperialismus und an die politischen Kräfte, die innerhalb der Arbeiterbewegung und der nationalen Befreiungskämpfe gerade vorherrschen.
3. Der Kampf, den die Socialist Labour League (SLL) zwischen 1961 und 1964 gegen die SWP führte, brachte alle grundlegenden theoretischen und politischen Fragen des Kampfs, gegen den Pablismus ans Licht: die Zurückweisung der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse als Totengräber des Kapitalismus und Erbauer einer sozialistischen Gesellschaft; die Ablehnung der Diktatur des Proletariats; die Leugnung des Kampfs gegen Spontaneität und der Notwendigkeit eines bewußten Kampfs für die marxistische Theorie; die Ablehnung der historischen Rolle der Vierten Internationale. In seinem ersten Brief an die SWP warnte das Nationalkomitee der SLL:
Die größte Gefahr, vor der die revolutionäre Bewegung steht, ist das Liquidatorentum, das aus einer Kapitulation vor der Stärke des Imperialismus oder den bürokratischen Apparaten in der Arbeiterbewegung, oder vor beidem kommt. Deutlicher noch als 1953 verkörpert der Pablismus heute diese liquidatorische Tendenz innerhalb der internationalen marxistischen Bewegung. Für den Pablismus ist die fortgeschrittene Arbeiterklasse nicht länger die Vorhut in der Geschichte, der Mittelpunkt aller marxistischen Theorie und Strategie in der Epoche des Imperialismus, sondern ein Spielzeug „welthistorischer Faktoren“, das auf abstrakte Weise beobachtet und bewertet wird ... Hier wird jede historische Verantwortung der revolutionären Bewegung verneint und alles umfassenden Kräften untergeordnet; die Fragen der Rolle der Sowjetbürokratie und der Klassenkräfte in der kolonialen Revolution bleiben ungelöst. Das ist nur natürlich, denn der Schlüssel zu diesen Problemen ist die Rolle der Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen Ländern und die Krise der Führung in deren Arbeiterbewegung ...
Jedes Abweichen von der Strategie der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und vom Aufbau revolutionärer Parteien wäre für die trotzkistische Bewegung ein Fehler von welthistorischem Ausmaß. (Trotskyism Versus Revisionism, Bd. 3, S. 48-49)
Als direkte Antwort auf die Bemühungen der SWP, den Trotzkismus auf der Grundlage zu revidieren, dass Castro dem US-Imperialismus eine Niederlage beigebracht hatte, schrieb die SLL im Mai 1961:
Zu den wesentlichen Bestandteilen des revolutionären Marxismus in dieser Epoche gehört die Theorie, dass die nationale Bourgeoisie in den unterentwickelten Ländern unfähig ist, den Imperialismus zu besiegen und einen unabhängigen nationalen Staat zu errichten. Diese Klasse hat Verbindungen zum Imperialismus und ist natürlich unfähig zu einer unabhängigen kapitalistischen Entwicklung. In nationalen Befreiungsbewegungen müssen Arbeiterorganisationen im Kampf gegen die ausländischen Imperialisten und ihre unmittelbaren Kollaborateure Lenins Losung folgen: ‚Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen‘. Marx folgend sagen wir: Unterstützt die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien insoweit, als sie dazu beitragen, gemeinsame Schläge gegen unseren Feind zu führen; stellt Euch bei jeder Gelegenheit gegen sie, bei der sie versuchen, ihre eigenen Existenzbedingungen und ihre Herrschaft zu stabilisieren ... Es ist nicht die Aufgabe von Trotzkisten, die Rolle solcher nationalistischer Führer größer darzustellen, als sie ist. Sie verfügen nur wegen des Verrats der Führung, der Sozialdemokratie und insbesondere des Stalinismus, über die Unterstützung der Massen, und dadurch werden sie zu Stoßdämpfern zwischen dem Imperialismus und der Masse der Arbeiter und Bauern. (ebd. S. 64-65)
4. Die Rede, die Jack Barnes am 31. Dezember 1982 hielt und in der ersten Ausgabe von New International veröffentlichte, ist eine machtvolle Bestätigung für den Kampf, den das Internationale Komitee geführt hat. Ungefähr 20 Jahre nach der Spaltung stellt die SWP jetzt eindeutig fest, dass sie die Theorie der permanenten Revolution und die programmatische Grundlage der Vierten Internationale ablehnt, wie sie 1938 im Übergangsprogramm ausgearbeitet wurde. Wir wollen etwas ausführlicher auf das eingehen, was Barnes geschrieben hat, weil die veröffentlichte Ausgabe ein weit ausführlicheres Bild gibt als die gekürzte Mitschrift, auf die die Workers League ihre Erklärung im vergangenen Sommer stützte.
5. Barnes behauptet, dass er die wichtige Rolle, die Trotzki im Kampf gegen Stalins Machtmissbrauch spielte, nicht leugne, und er lässt die Möglichkeit offen dass „Trozkis Beiträge ihren Platz im politischen Arsenal der internationalen kommunistischen Bewegung finden werden, wenn die Weltrevolution voranschreitet“. (S. 83) Diese „Beiträge“ müssten jedoch von Trotzkis Irrtum in der Frage der Theorie der permanenten Revolution befreit werden.
Der Gebrauch dieses Begriffs stellt uns das größte politische Problem, weil er Schwächen in unsere Bewegung hineingebracht hat, die mit den falschen theoretischen Auffassungen im Zusammenhang stehen, die Trotzki vor 1917 vertreten hat. Vor allem hat er zu einer Tendenz geführt, sich ausschließlich auf ein Bündnis des Proletariats mit den Landarbeitern und armen Bauern gegen die ländlichen Ausbeuter zu konzentrieren, zweifellos eine zentrale Aufgabe auf dem Lande, und dabei die zentrale Frage eines Bündnisses des Proletariats mit den breitest möglichen Schichten ländlicher Produzenten im Kampf gegen den Imperialismus und gegen die Regime der Grundbesitzer und Kapitalisten in der kolonialen Welt auszuklammern. Der weltweite Klassenkampf seit dem Zweiten Weltkrieg, in dieser Hemisphäre besonders seit 1959, sollte uns davon überzeugen, daß diejenigen, die als Trotzkisten identifiziert werden, die Tür für linksradikale Vorurteile und sektiererische politische Fehler öffnen, wenn sie sich auf diese Schwächen in Trotzkis Theorie der permanenten Revolution stützen.
Die permanente Revolution trägt heute nicht dazu bei, uns oder andere Revolutionäre zu bewaffnen, um die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten dahin zu führen, die Macht zu übernehmen und diese Macht zu gebrauchen, um die sozialistische Weltrevolution vorwärtszubringen. Als besonderer oder ausschließlicher Bezugsrahmen ist sie ein Hindernis dabei, unsere politische Kontinuität mit Marx, Engels, Lenin und den ersten vier Kongressen der Kommunistischen Internationale wieder anzuknüpfen. Sie hat unsere Bewegung daran gehindert, die Meister des Marxismus objektiv zu lesen, insbesondere die Schriften von Lenin.
Wenn wir das lernen wollen, was wir heute in der politischen Annäherung lernen können, die unter den proletarischen Revolutionären auf der Welt stattfindet, und wenn wir in diesen politischen Prozess Trotzkis großartige politische Beiträge einbringen wollen, dann muss unsere Bewegung die permanente Revolution aufgeben. (New International, Bd. 1, S. 12-13)
Was Barnes behauptet, ist, dass Trotzki den Klassenkampf des Proletariats auf Kosten einer richtigen Einschätzung des antiimperialistischen Kampfs, der die Arbeiterklasse und alle Teile der Bauernschaft miteinander verbinde, einseitig betont habe. Laut Barnes beweisen die Entwicklungen der Nachkriegszeit – allen voran die, die 1959 mit dem Sieg Castros begannen –, dass die antiimperialistische Bewegung als eine Kampfform, die alle Teile der Bevölkerung verbindet, weit größer sei, als Trotzki sie vorausgesehen habe, und dass die Beziehungen der Vierten Internationale mit solchen Bewegungen, sowie die Aussichten auf eine „Annäherung“ aller antiimperialistischen Kräfte, aufgrund der falschen Betonung der unabhängigen Rolle des Proletariats und des Klassenkampfs durch die Theorie der permanenten Revolution eingeschränkt worden seien.
6. Fahren wir fort mit Barnes:
Die Komintern lehrte uns, dass die demokratische, antiimperialistische Agrarrevolution und die sozialistische Revolution in den unterdrückten Nationen miteinander verbunden sind. Sie legte einen Kurs fest, antiimperialistische Einheitsfronten aufzubauen und dafür zu kämpfen, sie unter proletarische Führung zu bringen. Sie lehrte uns, dass Kommunisten zwar jeden konkreten Kampf gegen den Imperialismus unterstützen müssen, ganz gleich wie begrenzt oder unter welcher Führung er geführt wird, dass sie aber unterscheiden müssen zwischen revolutionären nationalistischen Bewegungen, die sich auf die Arbeiter und Bauern stützen, und von der Bourgeoisie beherrschten nationalistischen Bewegungen, die ein Hindernis im Kampf der unterdrückten Werktätigen für ihre nationale Befreiung darstellen. (S. 33)
Trotzki stellte ein Bündnis des Proletariats mit der Bauernschaft als ganzer in Gegensatz zu einem Bündnis mit der armen Landbevölkerung. Lenin dagegen verfolgte einen Kurs, der darauf abzielte, die Arbeiterklasse in die Lage zu versetzen, die demokratische Revolution zu führen, und so in die stärkstmögliche Position zu kommen, um von dort zur Enteignung der Ausbeuter überzugehen. Anders als Trotzki lieferte Lenin eine Strategie für den Übergang von der demokratischen zur sozialistischen Revolution, die sich auf ein konkretes Verständnis der Klassenbündnisse gründete, die sich mit jedem Stadium dieses gigantischen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Wandlungsprozesses ändern. (S. 44)
7. Dadurch dass er diese große Betonung auf die demokratische Revolution als eine besondere Übergangsstufe legt – die er Arbeiter- und Bauernregierung nennt, die vor und getrennt von der Diktatur des Proletariats existiere –, wird die konterrevolutionäre Linie von Barnes absolut unmissverständlich. Es geht hier nicht einfach darum, dass Barnes eine Art theoretisches Tabu der trotzkistischen Bewegung in Frage stellt. Es geht hier um äußerst eindeutige politische Folgerungen. Das Wesentliche ist: Barnes lehnt die Diktatur des Proletariats als das Instrument ab, mit dem die demokratische Revolution erreicht wird. Er leugnet den Klassencharakter der Bauernschaft (was eine grundsätzliche Zurückweisung der Lehren Lenins bedeutet und zu einer reaktionären Vulgarisierung und Verfälschung der Konzeptionen über die demokratische Diktatur aus der Zeit vor 1917 führt), und er ignoriert alle Klassenunterschiede innerhalb der „antiimperialistischen“ Bewegung, oder behauptet, sie seien relativ unwichtig. Er legt eindeutig die Schlussfolgerung nahe, dass sich der Übergang vom „demokratischen“ zum „sozialistischen“ Stadium der Revolution ohne vorherige Errichtung der Diktatur des Proletariats friedlich und allmählich vollziehen könne. In Wirklichkeit hat die Geschichte immer wieder bewiesen, dass es kein friedliches „Hinüberwachsen“ von der Herrschaft einer Klasse zu der einer anderen ohne gewaltsame Revolution geben kann. Dies war der grundlegende Mangel, den Trotzki in Lenins Theorie von der demokratischen Diktatur vor 1917 entdeckt hatte. Auf der Grundlage einer Analyse des Charakters der Epoche sah Trotzki voraus, dass die bürgerlich-demokratischen Aufgaben der Bauernrevolution nur durch und unter der Führung der proletarischen Revolution erfüllt werden können.
All dies wird von Barnes in seiner Kritik an Trotzki geleugnet:
In seinem Kampf gegen Stalins rechte Irrtümer führte Trotzki 1928 einige linke Irrtümer ein. Trotzki stellte zwar nicht direkt die Strategie der Bolschewiki vor 1917 in Frage, wie sie in Russland angewandt wurde, ließ aber seine eigene Position aus der Zeit vor 1917 wiederaufleben, die darin bestand, ein Bündnis mit der Bauernschaft als ganzer für die demokratische Revolution abzulehnen. Er wandte diese Position jetzt auf China an und, implizit, auf andere Länder in der kolonialen Welt. In Trotzkis Dokument von 1928 gab es kein Konzept eines Übergangsregimes und einer Übergangsperiode auf der Grundlage eines solchen Arbeiter-Bauern-Bündnisses. Es schlug keine Strategie vor, die es den chinesischen Arbeitern ermöglicht hätte, Erfahrung zu sammeln und ihre zuverlässigsten Verbündeten, die Lohnarbeiter auf dem Land und die armen Bauern, bei der Enteignung der Ausbeuter und der Errichtung neuer Produktionsverhältnisse auf der Grundlage staatlichen Eigentums und staatlicher Planung anzuführen. (S. 53)
8. Schließlich fasst Barnes die Schlussfolgerungen zusammen, die er aus der Kritik an Trotzkis permanenter Revolution zieht.
Wir glauben, die Geschichte hat gezeigt, daß in unserer Epoche eine Arbeiter- und Bauernregierung aus einer erfolgreichen antikapitalistischen Revolution hervorgehen wird. Es ist die erste Form einer Regierung nach einem siegreichen Aufstand gegen die Bourgeoisie – es ist eine Regierung, die die Macht nicht an die Kapitalisten zurückgeben, sondern sie ihnen wegnehmen und sie dazu benutzen wird, den Weg für eine verstärkte Mobilisierung der Arbeiter und Bauern und für eine Enteignung der Ausbeuter zu ebnen.
Doch dies ist ein Prozess. In kolonialen und halbkolonialen Ländern sind die ersten Aufgaben der neuen revolutionären Regierung hauptsächlich diejenigen einer demokratischen Revolution – nationale Befreiung, Agrarreform, Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen und zur Ausweitung der Rechte der Arbeiterklasse und Bauernschaft ... Diese überaus wichtige Übergangsstufe, und die reichhaltige Konkretheit des Klassenkampfs und der proletarischen Führung gegenüber ihren Verbündeten während des Übergangs, wird außer acht gelassen, wenn die Arbeiter- und Bauernregierung abgelehnt wird.
Für uns ist die Arbeiter- und Bauernregierung (nicht die Diktatur des Proletariats; DN) die entscheidende Frage. (S. 76)
9. Barnes Position ist nicht wirklich originell; sie beruht auf den alten Konzeptionen des Stalinismus, die die Bürokratie heute unter der Parole des „nicht-kapitalistischen Wegs“ wieder vorbringt, um ihre prinzipienlosen Bündnisse mit bürgerlichen nationalistischen Regimen zu rechtfertigen. Die Stalinisten sind sehr eindeutig: es gibt einen „nicht-kapitalistischen Weg“ für unterentwickelte Länder, der es ihnen ermöglicht, ohne die Diktatur des Proletariats die demokratische Revolution zu vollenden und die Aufgaben eines sozialistischen Aufbaus anzupacken.
Die Taktik und Strategie der Kommunisten muss eine zuverlässige Zusammenarbeit mit national-revolutionären. und revolutionären Demokraten beinhalten: dies ist eine wesentliche Bedingung für den Erfolg aller antiimperialistischen Kräfte, die nicht den Kapitalismus als Heilmittel gegen jahrhundertealte Rückständigkeit betrachten. Unter diesen Bedingungen bedeutet die Parole, die zu einem Übergang zum nicht-kapitalistischen Weg aufruft, in Wirklichkeit eine Orientierung hin auf eine Klassenverschiebung nach links, die konsequent demokratische Kräfte an die Macht bringen wird. Sie werden ihre Aufgaben nicht erfüllen können ohne ‚Schritte in Richtung Sozialismus’ zu unternehmen, doch werden sie nur auf der Grundlage von ‚Linksblock’-Taktiken in der Lage sein, solche Schritte zu machen. Praktisch bedeutet dies oft, Massendruck auf die bürgerliche Demokratie zu organisieren, um ihr so zu helfen, ihre progressiven Möglichkeiten zu realisieren, und gleichzeitig demokratische Forderungen aufzustellen, die ihr konsequentester Flügel erfüllen kann, der Flügel, der revolutionär-demokratisch geworden ist oder in der Lage ist, es zu werden. ... Die Annahme des nichtkapitalistischen Wegs ist so also ein Prozess in Phasen, und die Kommunisten, die an ihm mehr als irgendwer sonst interessiert sind, können eine solche Veränderung nicht willkürlich herbeiführen. ... Man muss auch unbedingt daran denken, dass das Eintreten für die Parole des nicht-kapitalistischen Wegs auf keinen Fall bedeutet, auch zu einer sozialistischen Revolution aufzurufen, für die Errichtung der Volksdemokratie und die Machtergreifuung durch die Kommunisten; denn das würde auf die Behauptung hinauslaufen, daß nur eine proletarische Machtübernahme in der Lage sei, die Probleme der demokratischen Revolution zu lösen. Indem sie die Parole aufstellen, die dazu aufruft, den nicht-kapitalistischen Weg einzuschlagen, wollen die Kommunisten die demokratischen, antiimperialistischen Umgestaltungen vertiefen und sie gleichzeitig auf den Sozialismus hin ausrichten. (Ulyanovsky, National Liberation, Progress Publishers, S. 51-53, meine Hervorhebung.)
10. Die Entwicklung des Revisionismus bestätigt vollkommen die Feststellung, die das IK 1972 in der Perspektiv-Resolution des 4. Weltkongresses getroffen hatte:
In den kolonialen und halbkolonialen Ländern unterstützte der Revisionismus wiederum direkt die stalinistische Bürokratie und die nationalistischen Führer als revolutionäre Vertreter der Massen. Sie lehnten den Kernpunkt von Lenins Position und der Theorie der permanenten Revolution vollkommen ab: den Aufbau unabhängiger proletarischer Parteien, die die Arbeiterklasse an der Spitze der unterdrückten Bauernschaft führen, die einzige Kraft, die fähig ist, die Aufgaben der demokratischen Revolution zu lösen und über sie hinauszugehen zur Arbeitermacht, als Teil der internationalen sozialistischen Revolution. (Trotskyism versus Revisionism,Bd. 1, S. 32.)
11. Der Bankrott von Barnes’ Position: die „Modelle“, die er als Beispiele für „Arbeiter- und Bauernregierungen“ anführt oder als Kräfte, aus denen heraus sich die neue Gruppierung von „Kommunisten“ entwickeln werde, sind das New Jewel Movement, die Sandinistas, Farabundo Marti und der Castroismus. In jedem dieser Fälle hat die Entwicklung der Weltkrise des Imperialismus zu verheerenden Auswirkungen geführt – und dies zeigt, zu welchen Verrätereien Barnes̓Position führen muss. Jedenfalls stützt sich unsere Position nicht auf die Kräfteverhältnisse in einem einzelnen Land – ob die unmittelbaren Voraussetzungen für einen Sieg aufständischer Kräfte günstig erscheinen –, sondern auf die Perspektive der internationalen sozialistischen Revolution. Dies ist die Grundlage, auf der wir darangehen, die Krise der Führung zu lösen – ohne uns jemals an die gerade vorherrschenden politischen Tendenzen innerhalb der nationalistischen Bewegung anzupassen. Darüber hinaus sollten wir nicht vergessen, dass der Sturz eines reaktionären Marionetten-Regimes in einem halbkolonialen Land die Probleme an sich noch nicht löst. Wie Lenin und Trotzki herausgestellt haben, tauchen in solchen Ländern nach der erfolgreichen Revolution noch viel größere Probleme als die Eroberung der Macht selbst auf. Dies hat sich sicherlich in Nicaragua und Kuba so gezeigt, ganz zu schweigen von Simbabwe, Mosambique, Angola, Kenia, Nigeria usw..
12. Das IK hat sich durch den Kampf gegen den Revisionismus entwickelt. Dieser Kampf, dokumentiert in den sechs während der 70er Jahre veröffentlichten Bänden, ist die theoretische Grundlage für das Training unserer Kader, ebenso wie die Schriften Trotzkis aus den 20er Jahren die Grundlage für die politische Erziehung der ersten Kräfte der Vierten Internationale bildeten. Die jüngste Attacke von Barnes auf den Trotzkismus muss diese gesamte Geschichte gerade deshalb wieder ins Bewusstsein bringen, weil das Internationale Komitee immer anerkannt hat, dass solche entscheidenden Entwicklungen innerhalb der Reihen der Revisionisten unweigerlich wichtige neue Abschnitte in der weltweiten sozialistischen Revolution ankündigen. Mehr noch: wir betrachten den Revisionismus nicht als eine Art Bakterien, die in einem Reagenzglas existieren, sicher aufbewahrt in einem Labor. Gerade weil der Revisionismus materielle Wurzeln in der tatsächlichen Entwicklung des Klassenkampfs hat, von dem wir selbst ein Teil sind, gerade weil er den Druck feindlicher Klassenkräfte auf die Arbeiterklasse und ihre revolutionäre Führung widerspiegelt, findet unsere Reaktion auf den Revisionismus ihren höchsten Ausdruck in der Analyse unserer eigenen politischen Etwicklung.
13. Aus diesem Grund glauben wir, dass die Zeit gekommen ist, die gesamte Entwicklung des IK während des vergangenen Jahrzehnts zu untersuchen. Wir sind der festen Uberzeugung, dass wir uns immer mehr von Positionen abgewandt haben, für die wir mehr als 20 Jahre lang, seit der Spaltung mit Pablo, hart gekämpft haben. In einem Brief an Genossen Banda vorn 23. Januar 1984 habe ich vorgeschlagen, daß es Zeit sei, über die ganze Erfahrung des IK hinsichtlich der nationalen Befreiungsbewegungen Bilanz zu ziehen. Ich denke, dass eine solche Bilanz notwendig ist, weil in Wirklichkeit noch keine objektive Untersuchung unserer Erfahrung – als Weltpartei – mit den verschiedenen nationalistischen bürgerlichen Regimen und Befreiungsbewegungen, mit denen wir Beziehungen angeknüpft haben, stattgefunden hat. Wir glauben, dass ernsthafte Kritik an der vergangenen Arbeit angebracht ist, um die Kontinuität des IK zu verteidigen und die Kader in jeder Sektion zu trainieren. Wir wollen hier keine Vorwürfe machen, sondern für die Entwicklung des IK als Weltpartei der Sozialistischen Revolution arbeiten.
14. Im Sommer 1976 diskutierte das IK zum ersten Mal darüber, aktivere Beziehungen zu nationalen Befreiungsbewegungen – vor allem der PLO – zu beginnen. Damals wurden unzweideutig die Gefahren betont, die in einer solchen Arbeit steckten. Es wurde gesagt, daß solche Bewegungen einen heterogenen Charakter hätten und dass in ihnen die Imperialisten und Stalinisten aktiv arbeiten würden. Diese Herangehensweise war korrekt und prinzipiell. Weitere Diskussionen haben auf dem 7. Kongress des IK im Mai 1977 stattgefunden, wo die Arbeit durch die kurz zuvor veröffentlichten Protokolle des 2. Kongresses der Kommunistischen Internationale angeleitet wurde. Im Anschluss an den Kongress sandte das IK eine Delegation in den Libanon. Im Juli 1977 unterzeichnete die WRP ein Bündnis mit der Libyschen Jamahiriya. Dann wurden Beziehungen mit der Arabischen Sozialistischen Ba’ath-Partei des Irak entwickelt. Spätestens seit Mitte 1978 entwickelte sich eindeutig eine allgemeine Ausrichtung hin zu Beziehungen mit nationalistischen Regimen und Befreiungsbewegungen, ohne eine entsprechende Perspektive für den tatsächlichen Aufbau unserer eigenen Kräfte innerhalb der Arbeiterklasse. In unserer Presse begann sich immer offener eine völlig unkritische und unrichtige Einschätzung breitzumachen, die die Kader und die Arbeiterklasse dazu aufforderte, diese bürgerlichen Nationalisten als „antiimperialistische“ Führer zu betrachten, denen politische Unterstützung gegeben werden müsse.
15. Irak – Wir haben eine zunehmend unkritische Haltung gegenüber dem Regime von Saddam Hussein eingenommen und ihn dabei in seinem Kampf gegen die irakische Kommunistische Partei politisch unterstützt, einschließlich der Hinrichtung von 21 ihrer Mitglieder.
Tatsache ist, dass die KP-Mitglieder aufgrund rnilitärischer Gesetze hingerichtet wurden, die die irakische KP selbst diskutiert, für gut befunden und mit getragen hat. Bis zum heutigen Tag hat die irakische KP noch nicht gefordert, daß diese Gesetze, die den Aufbau geheimer Zellen in der Armee verbieten, zurückgenommen werden. Kein einziges Mal hat sie in Zweifel gezogen, daß die verhafteten Offiziere der Vergehen schuldig sind, die ihnen zur Last gelegt werden.
Es liegt auf der Hand, dass Moskau hier versuchte, Zellen in den irakischen Streitkräften aufzubauen, um das Regime zu untergraben. Jetzt muss es die Folgen tragen ... Es ist ein trotzkistisches Prinzip, dass wir alle Arbeiter, seien es Stalinisten, Revisionisten oder Sozialdemokraten, gegen Angriffe des kapitalistischen Staates verteidigen. Aber das hat, wie die Tatsachen beweisen, mit den Ereignissen im Irak nichts zu tun. (News Line, 8. März 1979).
Diese Position ist niemals berichtigt worden, obwohl sie in der trotzkistischen Bewegung einmalig ist. Wir haben einfach ignoriert, was Trotzki über die Rolle der Gewerkschaften – deren Führer unter den Opfern von Husseins Säuberungen waren – in den unterentwickelten Ländern schrieb. Unsere Lobpreisungen Husseins wurden unvermindert fortgesetzt. Im Sommer 1980 veröffentlichten wir eine sechsteilige Serie, in der die Arabische Sozialistische Ba’ath-Partei und Saddam Hussein überschwenglich gelobt wurden. Diese Artikel wurden als Broschüre neu aufgelegt und sind niernals verworfen worden.
Die Artikel sind am Vorabend der Invasion des Irak in den Iran erschienen. Es ist wichtig, auf unsere Reaktion auf diese Entwicklung einzugehen. Unsere eigenen Beziehungen mit den Irakern waren so wohlbekannt, dass unsere eigenen Erklärungen die Zweideutigkeiten in unserer Position widerspiegelten. Wir stellten uns korrekterweise gegen den Krieg, doch wir brandmarkten den Irak nicht dafür, dass er stellvertretend für den Imperialismus handle. In der Erklärung des Politischen Komitees der WRP hieß es vielmehr:
Wir rufen zur vollen Unterstützung für die nationalen revolutionären Bewegungen, einschließlich der Arabischen Sozialistischen Ba’ath-Partei und der Iranischen Revolution, in ihrem Kampf gegen den Imperialismus auf. (News Line, 25. September 1980)
16. Wir stellten uns weiterhin gegen den Krieg und riefen zur Einstellung der Feindseligkeiten auf. Dann, nach einer iranischen Offensive, die in den Irak übergriff, veröffentlichte die News Line vom 16. Juli einen Leitartikel, in dem es hieß:
Die iranische Invasion des Irak ist ein schlechter Dienst für die bedrängten palästinensischen und libanesischen Kämpfer in Beirut und für die iranische Revolution selbst, und muss daher verurteilt werden.
17. Bis zum September 1983 hatte sich unsere Linie vollkommen verändert. Ohne eine ernsthafte Analyse und Erklärung waren wir zu einem Standpunkt gelangt, der für einen militärischen Sieg des Irans über den Irak eintrat. Als Reaktion auf den Verkauf von Exocet-Raketen an den Irak erklärte die News Line:
Das irakische Regime ist militärisch besiegt und ganz und gar als Werkzeug des Imperialismus entlarvt. Es muss ohne Verzögerung von den irakischen Massen gestürzt werden. Seine fortdauernde Existenz gibt dem Imperialismus einen militärischen Stützpunkt und einen Vorwand für seine Kriegspläne.
18. Das war dann weiterhin unsere Linie – eine unkritische Haltung gegenüber der Islamischen Republik, die im direkten Gegensatz zur einzigen vom IK – vor fünf Jahren – verfassten Analyse über die iranische Revolution steht. In der IK-Erklärung vom 12. Februar 1979 – veröffentlicht in der News Line vom 17. Februar 1979 – hieß es klar und unzweideutig:
Die Wahrheit ist, dass die Massen durch Klassenfragen und nicht durch religiöse Fragen in Bewegung gebracht wurden. Durch das Fehlen einer organisierten revolutionären Führung und aufgrund der feigen Klassenkollaborationspolitik des iranischen Stalinismus in der Tudeh-Partei jedoch konnten der Ayatollah Khomeini und andere religiöse Führer der schiitischen Sekte ein regelrechtes politisches Monopol über die Oppositionskräfte aufbauen. ...
Die Politik Chomeinis spiegelt den widersprüchlichen und doppeldeutigen Charakter der Basarhändler und anderer Elemente der iranischen Kapitalistenklasse und Kleinbourgeoisie wider. ...
Aber sie können und werden die kapitalistische Staatsmacht im Iran nicht antasten ... Die Stalinisten und Zentristen aller Schattierungen werden sich mit der Begründung gegen die Strategie des Fortschreitens zur sozialistischen Revolution im Iran wenden, dass es sich in erster Linie um eine bürgerliche Revolution handle, d.h. um eine Revolution für demokratische Forderungen, zur Abschaffung feudaler und halbfeudaler Unterdrückung und zur Ermöglichung der freien Entfaltung eines nationalen Kapitalismus und von Demokratie. Sie werden sagen, es sei ‚sektiererisch‘, eine Politik für die Arbeiterklasse zu vertreten, die unabhängig und gegen die Bourgeoisie gerichtet ist.
19. Seither wurde keine weitere Klassenanalyse der Entwicklung der iranischen Revolution mehr angefertigt. Unsere Linie war schließlich, trotz wachsender Verfolgung jeder einzelnen linken Organisation im Iran, einfach die bedingunslose Unterstützung Chomeinis. Aufgrund des Fehlens einer marxistischen Analyse der Entwicklung dieser Revolution fand allmählich eine offensichtlich nicht-trotzkistische und revisionistische Linie ihren Weg in unsere internationale Presse – am auffälligsten in den Artikeln, die Genosse Savas nach seiner Reise in den Iran geschrieben hat, einer Reise, die zur selben Zeit stattfand, als Führer der Tudeh-Partei verhaftet und vor Gericht gestellt wurden. Der Tenor dieser Serie wurde schon im ersten Artikel deutlich, der überschrieben war: „Die Herrschaft der Entrechteten“. Zu den ersten Feststellungen gehörte folgendes:
Einem Besucher aus dem Westen, besonders aus einem Land wie Griechenland, wo jahrzehntelang rechte Polizeistaaten und Diktatur herrschten, fällt eine Tatsache sofort auf: nirgendwo sieht man einen Polizisten.
Uns hat betroffen gemacht, dass eine im Grunde identische Beobachtung von Mary-Alice Waters von der SWP nach ihrer Rückkehr aus Nicaragua gemacht worden war:
Das erste, was man wahrnimmt, ist, dass man keine Angst hat vor der Polizei. Armee, Milizen, Polizei, sie sind überall. Aber man fühlt sich wohl dabei, genau wie jeder andere auch. Wirklich jeder. Die „Kräfte der Unterdrückung“ lachen alle, lächeln und scherzen mit den Hunderten von gewöhnlichen arbeitenden Leuten, die herumlaufen. (Edueation for Socialists, Dezember 1980, S. 5)
Aus der Abwesenheit von Polizei auf die Abwesenheit von Unterdrückung schließend, kam der Artikel zu folgender Aussage:
Wenn wir das Ausmaß der Unterstützung des Volkes als ein grundlegendes Kriterium für die politische Stabilität eines Regimes anlegen, dann ist das islamische Regime in Teheran ohne Zweifel außerordentlich stabil. Seine Grundlage sind die Massen. Zwischen den Massen und ihrer Führung, insbesondere Imam Chomeini, bestehen mächtige, im Feuer der Revolution geschmiedete Bande. Der Einfluss des Islam auf die Massen spielte und spielt eine wichtige Rolle dabei, diese außerordentlich festen Bande zu schmieden. Deshalb ist es kein Zufall, daß die westlichen Imperialisten und auch die stalinistische Propaganda besonders dagegen wüten.
20. Dieser Artikel ist von außerordentlicher Bedeutung für das IK, und er verdient, dass er in jeder Sektion einer sehr aufmerksamen und unbarmherzigen kritischen Analyse unterzogen wird. Nicht nur hat die Reise des Genossen Savas, der zu einer Zeit, als Masverhaftungen stattfanden, im Fernsehen auftrat, das IK in den Augen der Arbeiterklasse ernsthaft kompromittiert. Sondern in diesen Artikeln zeigt sich auch eine Methode, die sehr klar die wirkliche Fehlorientierung innerhalb des IK und seiner Führung enthüllt. Wir haben hier ein hervorragendes Beispiel für die vollständige und unverfrorene Ersetzung des Marxisus durch Impressionismus. Klassenkräfte gibt es nicht mehr. Alles hat sich in „die Massen“ verwandelt – eine Kategorie, die nichts über die Klassendynamik und Widersprüche im Iran erklärt. Analyse wird auf gelegentliche Beobachtungen reduziert: „Ich sehe keine Polizisten, also gibt es den Staat nicht mehr!“ Die Methode des historischen Materialismus, die danach strebt, die materiellen Grundlagen aller politischen Entwicklungen aufzudecken, wird durch das Auge des Journalisten ersetzt. Wie Trotzki einmal schrieb: „Empirismus und sein Stiefbruder Impressionisrnus herrschen überall vor“.
21. Es ist nicht einfach die Schuld des Genossen Savas. Ein Fehler, der nicht korrigiert wird, führt unweigerlich zu weiteren Fehlern. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zu den Dutzenden von Artikeln, die zwischen 1977 und 1983 in der News Line über die Libysche Jamahiriya erschienen und in denen nie auch nur eine einzige Einschätzung der Klassenbeziehungen in Libyen und des Klassencharakters des libyschen Regimes gegeben wurde. Auf dem Höhepunkt unserer Beziehungen mit dem Gaddafi-Regime erschien folgende Feststellung in einer Erklärung des Politischen Komitees der WRP mit Datum vom 12. Dezember 1981:
Als Gaddafi und die Offiziere der ‚Freien Union‘ 1969 die Volksmacht ergriffen, brachten sie Libyen auf den Weg der sozialistischen Entwicklung und Expansion ... Gaddafi hat sich politisch in Richtung des revolutionären Sozialismus entwickelt und die Paläste und Harems einiger anderer arabischer Führer gemieden.
Seit der Invasion Israels im Libanon ist unser Verhältnis zu Gaddafi nicht mehr so begeistert wie früher. Doch während der jüngsten Kämpfe in Tripoli vermieden wir geflissentlich eine direkte Kritik an Gaddafis Rolle in der Verschwörung gegen Arafat.
22. Jetzt haben wir die Reise (des PLO-Vorsitzenden Arafat; Anm. der Red.) nach Ägypten. Diese wird ohne irgendeine Analyse oder Bezugnahme zu früheren Erklärungen bejubelt. Wir desorientieren unsere Kader und die Arbeiterklasse. Wir provozieren Zynismus gegenüber unserer politischen Linie. Die ständigen Veränderungen in unserer politischen Linie, wobei keine Analyse eine neue Schlussfolgerung mit der alten verbindet, die sie ersetzt und der sie zugleich widerspricht, sind das Kennzeichen von Pragmatismus. Wie Trotzki über Burnham und Shachtmann sagte:
Die Oppositionsführer trennen die Soziologie vom dialektischen Materialismus. Sie trennen Politik von Soziologie. Im Bereich der Politik trennen sie unsere Aufgaben in Polen von unserer Erfahrung in Spanien, unsere Aufgaben in Finnland von unserer Stellung zu Polen. Geschichte wird in eine Reihe von außerordentlichen Zufällen, Politik in eine Reihe von Improvisationen verwandelt. Wir haben hier, im wahrsten Sinne des Wortes, die Auflösung des Marxismus, die Auflösung des theoretischen Denkens, die Auflösung der Politik in ihre einzelnen Bestandteile. (Verteidigung des Marxismus, S. 141)
23. Wir bringen diese Fragen nicht deshalb auf, weil wir diese oder jene inkorrekte Formulierung in einem nebensächlichen Artikel bemerkt haben. Jede Sektion macht ihre Fehler. Doch wenn Fehler über eine lange Periode nicht korrigiert werden, verwandeln sie sich in eine Tendenz, und diese Tendenz macht sich zwangsläufig auf jedem Gebiet unserer politischen Arbeit bemerkbar. So wie die Wende der SWP zurück zum Pablismus ihren Ausdruck in einer immer offeneren Orientierung auf zentristische und kleinbürgerlich radikale Elemente in den Vereinigten Staaten fand, machen wir uns Sorgen, dass sich dieselbe Tendenz in der Arbeit der WRP in Großbritannien manifestiert.
24. Die Positionen der Partei zum Malvinen-Krieg – die ursprüngliche Linie war absolut falsch: „Dies ist nicht unser Krieg“. Doch innerhalb des IK wurde diese Position niemals analysiert.
25. Wir sind der Ansicht, dass unsere Beziehungen zu Livingstone, Knight und dem GLC überhaupt erklärt werden sollten. Was ist unsere politische Einschätzung dieser Kräfte? Glauben wir, dass die Labour-Gruppe, die den GLC führt, das vorbehaltlose politische Vertrauen verdient, das ihr von der News Line entgegengebracht worden ist? Wir machen uns große Sorgen, daß die WRP durch künftige Aktionen dieser Sozialdemokraten ernsthaft kompromittiert wird. Wir befürchten, daß wir dieselben opportunistischen Fehler machen, die 1926 zum Verrat des Generalstreiks geführt haben. Wir haben uns große Mühe gegeben, Livingstone zu schmeicheln und die Vorstellung zu erwecken, daß er sich von anderen Sozialdemokraten grundlegend unterscheide. Wir sind der Ansicht, dass es zwar korrekt ist, die kommunale Selbstverwaltung gegen die Tories zu verteidigen, doch sollten wir keinerlei Vertrauen in Livingstone setzen. Wir sind beunruhigt darüber, dass weder News Line noch Labour Review das Interview mit Livingstone kommentierten, das in der New Left Review vom Juli-August 1983, veröffentlicht worden war. Das Interview wurde von niemand anderem als Tariq Ali geführt. Nichts in diesem Artikel lässt die Vermutung aufkommen, Livingstones „Sozialismus“ sei irgendetwas mehr als ein eklektischer Mischmasch aus kleinbürgerlicher Protestpolitik, Pazifismus, linker Sozialdemokratie und einigen Brocken marxistischer Phraseologie. Er ist mit Sicherheit kein Trotzkist, und seine Haltung gegenüber sozialdemokratischen Verrätern ist, sie vollkommen zu rechtfertigen:
Man muss wirklich sicher sein, dass einer zur Politik reiner Karrieremacherei übergegangen ist, bevor man anfängt, auf ihm herumzuprügeln. Dies ist eine angeborene Schwäche der Linken. Ich würde sagen, angesichts der fast ununterbrochenen Geschichte des Verrats von einem Labour-Führer nach dem anderen ist es verständlich, dass die Leute sehr viel Zeit damit verbringen, zu warten, wann der nächste die Seiten wechselt. Auf der anderen Seite gibt es viele Fälle, wo wir Leute verloren haben, die wir vielleicht hätten halten können, wenn wir mit ihnen kameradschaftlich diskutiert, anstatt sie unkameradschaftlich denunziert hätten. Wenn man hauptsächlich damit beschäftigt ist, die eigene Mitgliedschaft aufzubauen, dann kommt man unvermeidlich dazu, endlose Attacken auf andere linke Gruppierungen zu führen. Mich hat immer erstaunt, wieviel Zeit linke Aktivisten damit verbringen, sich hysterisch an den Angriffen zu erregen, die ein Grüppchen gegen das andere schreibt. Wenn diese Organisationsmethode nicht geändert wird, wird es schwierig sein, die Linke zu vereinen.
Wir wollen hier nicht auf die idealistischen Ansichten eingehen, die Livingstone zur Frage der Frauenemanzipation vorträgt, einer Frage, die, wie er zugibt, einen ziemlich großen Einfluss auf seine Entwicklung gehabt hat („Ich war immer der Meinung, dass die beinahe ausschließliche Konzentration der Labour Party auf die männliche weiße Arbeiterklasse ein schwacher Punkt sei.“), auch nicht auf seine oberflächlichen Ansichten zum Charakter der Klassengesellschaft („Ich bin nicht aufgrund eines theoretischen marxistischen Hintergrunds zur linken Politik gekommen, sondern über ein Studium des Tierverhaltens und der Evolution.“). Kein Wunder, dass er von Tariq Ali interviewt wird! Doch das Problem ist, dass dieser Mann von der Workers Revolutionary Party eindeutig Reklame und bedingungslose und unkritische Unterstützung als Führer der Arbeiterklasse in London erhalten hat. Wir haben sowohl ihm als auch Knight eine Plattform verschafft. Wir verteidigen sie gegen Kritik von links. Über Knight wissen wir weniger – außer, dass ich bis ungefähr vor zwei Jahren seinen Namen nur im Zusammenhang damit gehört habe, dass er von der Partei desertiert sei, um sich den Sozialdemokraten der Labour Partei anzuschließen. Jetzt wird der Eindruck vermittelt, er sei unser Mann. Das ist, dessen bin ich sicher, nicht der Fall. Dass er uns 1963 verlassen hat, kann kein Zufall sein.
26. Unsere Beunruhigung über die Beziehungen mit Livingstone, Knight und dem GLC wird durch die Rolle vertieft, die die WRP vor kurzem beim NGA-Streik gespielt hat. Wir können nicht damit übereinstimmen, wie sich die WRP an den Rockzipfel der NGA-Führung gehängt, sie abgedeckt und keine unabhängigen Forderungen aufgestellt hat, und am Ende durch die Tatsache, dass diese die Geldstrafe bezahlte und die Demonstration in Warrington absagte, kompromittiert wurde. Die WRP-Erklärung, die diejenigen angriff, welche die NGA kritisierten, war wirklich beispiellos in der Geschichte der britischen Sektion:
Durch ihren entschlossenen Kampf für Prinzipien marschiert die NGA in den Fußstapfen jener Pioniere, die unter Bedingungen von Illegalität und staatlicher Unterdrückung dafür kämpften, unabhängige Gewerkschaften aufzubauen ...
Nachdem sie das politische Niveau der Arbeiterklasse auf diese entscheidende Weise angehoben hat, weigert sich die NGA jetzt, sich dem Diktat der Klassen-Kollaborateure im TUC (Gewerkschaftsdachverband) zu unterwerfen. Sie kämpft weiter und gründet sich selbst auf die unbesiegte Stärke der Arbeiterklasse.
Die Politik der NGA ist unzweideutig – wir gratulieren der NGA zu ihrer mutigen Aktion und stehen in völliger Solidarität zu ihrem Kampf, die Gewerkschaft gegen die gesetzliche Verschwörung de Tories zu verteidigen. ...
Die NGA hat zu Recht den Kampf mitten in den TUC hineingetragen und gezeigt, wer die Rechte der Gewerkschaften ausverkauft. Sie ist eine politisch gemäßigte Gewerkschaft. Sie ist keine revolutionäre Partei, wie die Revisionisten zu glauben scheinen. Und wir denken, dass sie ihre Sache unter den außergewöhnlichen Umständen staatlicher Verfolgung sehr gut gemacht hat.
Worin besteht die „politisch gemäßigte“ Haltung der NGA-Führer? Gibt es nicht Stalinisten und Sozialdemokraten unter ihnen? Diese Führer werden der Jahreshauptversammlung der Young Socialist als „Helden“ der Arbeiterklasse vorgeführt. Ist das die Art und Weise, wie junge Trotzkisten ausgebildet werden?
27. Während des Streikes hat die WRP eine wahrhaft unglaubliche Ansicht über den Charakter der Anti-Gewerkschafts-Gesetze entwickelt. Die Rede des Genossen Banda – wir zitieren News Line vom 7. Dezember 1983:
Doch was ist dieses Gesetz? fragte Banda. Normalerweise seien alle Gesetze dazu da, die Rechte von Individuen zu verteidigen (!), oder sie beträfen die Rechte von Individuen in Bezug auf das öffentliche Interesse (!!). Doch die Beschäftigungsgesetze der Tories seien einzigartig. Sie seien nicht einfach Gesetze (!), sondern grundlegende Verfassungsänderungen, weil sie das Verhältnis zwischen den Klassen zum Gegenstand hätten (!!) ... ‚Diese Gesetze sind von einem historischen Standpunkt und von einem politischen Standpunkt her absolut unrechtmäßig. Sie sind eine Kriegserklärung an die Arbeiterklasse‘.
Jetzt sind wir also gegen „schlechte“ Gesetze, die die Aktivitäten von Klassen regeln, und für „gute“ Gesetze, die die Rechte von Individuen schützen. Auch wenn auf diesem Treffen hier kein einziges anderes Zitat vorgelesen worden wäre, dieses alleine würde genügen, eine äußerst gründliche Analyse der politischen Linie der WRP zu rechtfertigen.
Die politische Linie der WRP wirft viele Fragen auf. Wie sehen wir nun die künftige Entwicklung der sozialen Revolution? Sollen politische Forderungen an die Labour Party und ihre Gewerkschaften gestellt werden? Was letztere betrifft, so warteten wir so lange wie nur möglich, bevor wir einen Generalstreik forderten. Wir forderten keine Neuwahlen und nicht, Labour an die Macht zu bringen. Unsere Parole einer revolutionären Arbeiter-Regierung ist unter Bedingungen, wo wir nicht die Führung auch nur eines wichtigen Teils der Arbeiterklasse erobert haben, sehr abstrakt. Sie sieht sehr „links“ aus, ist aber verbunden mit unkritischen Beziehungen zu rechten, „politisch gemäßigten“ Gewerkschaftsbürokraten. Wir stellen keine Forderungen an die Labour Party – als ob die Aufgabe, sie zu entlarven, schon erfüllt wäre.
28. Dies hat sich nicht über Nacht entwickelt – es handelt sich um einen langen Prozess der Anpassung an kleinbürgerliche Kräfte. Diese hat ganz bestimmte theoretische Wurzeln – eine empirische Methode, verkleidet in Hegelsche Phraseologie – eine Phraseologie, die jedoch absolut nichts mit Marxismus zu tun hat. Verherrlichung von sinnlicher Wahrnehmung und Zurückweisung des historischen Materialismus. Es muß eine ernsthafte Kritik an den Studien zur Dialektik durchgeführt werden.
29. Slaughters Brief ist von der Führung der Workers League als eine sehr schwere Warnung angesehen worden. Wir sind besorgt über die Tiefe der politischen und ideologischen Differenzen. Doch sind wir der Überrzeugung, dass die Probleme durch ernsthafte und ehrliche Diskussionen überwunden werden können. Was notwendig ist, ist eine wirkliche Diskussion innerhalb des IK und den Führungen der nationalen Sektionen. Dokumente sollten vorbereitet und in Umlauf gebracht werden. Dies ist die Art und Weise, wie vorgegangen werden muss. Das Internationale Komitee kann daraus nur gestärkt hervorgehen. Die Workers League ist sehr darauf bedacht, daran teilzunehmen und von dieser Diskussion zu lernen. Wir schätzen unsere Zusammenarbeit mit den britischen Genossen und mit jeder Sektion des IK. Lasst uns einen festen Zeitplan für diese Diskussion machen und auf dieser Grundlage auf eine Konferenz des IK hinarbeiten.