25.1. Im November 1987 veröffentlicht das IKVI eine umfassende Stellungnahme mit dem Titel „Die Lage in Sri Lanka und die politischen Aufgaben der Revolutionary Communist League“. Darin wird zum ersten Mal die Forderung nach den Vereinigten Sozialistischen Staaten Sri Lanka und Tamil Eelam erhoben. Diese Stellungnahme basierte auf der Theorie der Permanenten Revolution und betonte einstimmig, dass die demokratischen Rechte der Tamilen nur durch den Kampf der Arbeiterklasse für den Sozialismus realisiert werden könnten. Mit anderen Worten, die nationale Selbstbestimmung und andere demokratische Aufgaben können nicht von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Bewegungen gelöst werden, egal wie mutig oder kämpferisch sie sind. Diese Parole zeigte klar den Unterschied zwischen der Orientierung der RCL, welche die Arbeiterklasse (die singhalesische wie die tamilische) für die Verteidigung von demokratischen Grundrechten durch den Kampf für den Sozialismus mobilisiert, gegenüber allen Tendenzen, die die Partei auf die Rolle eines Unterstützers und politischen Beraters einer tamilischen Nationalregierung reduzierten, wie es auch die WRP zuletzt getan hatte.
25.2. Wie das IKVI in seiner Stellungnahme erklärte, konnte keiner der angeblich unabhängigen Staaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden, die demokratischen Forderungen und grundlegenden materiellen Bedürfnisse der Massen erfüllen. „Die vom Imperialismus zugestandene ‚Unabhängigkeit‘ bedeutete ausnahmslos die künstliche Errichtung von Staatsgebilden, in denen demokratische Prinzipien von vornherein nicht vorgesehen waren und mit Füßen getreten wurden. Die nationale Bourgeoisie trat dabei nicht als Befreierin der unterdrückten Massen auf, sondern als Teilhaberin an der imperialistischen Ausplünderung. Der Staatstypus, der auf diesem Wege geschaffen wurde, ist nichts weiter als ein Gefängnislager des verrotteten Kapitalismus, in dem keine Weiterentwicklung der Produktivkräfte möglich war. (...) Was diese Bedingungen allerdings hervorbringen, und zwar unter dem freudigen Beifall der Bourgeoisie, sind ethnische und religiöse Konflikte mit all ihren Schrecken. Diese Zustände können nicht geändert werden, solange die Bourgeoisie die Macht hat. Die Geschichte Indiens, Pakistans, Sri Lankas, Bangladeschs, Burmas seit ihrer Unabhängigkeit – ja, die Geschichte jedes ehemaligen Koloniallandes der Welt – beweist, dass die Bourgeoisie keine wirkliche nationale Einheit und politische Unabhängigkeit schaffen kann.“ [57]
25.3. Daher muss das Proletariat die demokratischen Aufgaben der Bourgeoisie übernehmen. Die Stellungnahme des IKVI verteidigte zwar das Recht auf Selbstbestimmung, bestand aber darauf, dass dieses nur durch die Strategie der sozialistischen Revolution erreicht werden könne, und daher dieser untergeordnet werden müsse. „Das Proletariat ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung verwirklichen kann; aber nicht als Anhängsel der nationalen Bourgeoisie, sonder als ihr unversöhnlicher Gegner. Es führt den Kampf um Selbstbestimmung mit seinen eigenen Waffen und auf der Grundlage seines eigenen Programms, und wird so zum Führer der unterdrückten Massen in den Dörfern und auf dem Lande. Die Selbstbestimmung ist ein Nebenprodukt der sozialistischen Revolution unter der Führung des Proletariats, das nach Errichtung seiner Diktatur allen unterdrückten Völkern ihre legitimen demokratischen Rechte garantiert. Als Rahmen für wirkliche Gleichberechtigung aller Nationen schlägt das Proletariat ein vereintes sozialistisches Staatenbündnis vor. Während die proletarische Diktatur im freiwilligen Zusammenschluss aller unterdrückten Nationen die beste Voraussetzung für ökonomischen und kulturellen Fortschritt sieht, verpflichtet sie sich, den Nationen, die sich loszutrennen wünschen, das Recht dazu zu geben. Das ist der Wesenskern des Programms der Revolutionary Communist League für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Tamil Eelam und Sri Lanka.“ [58]
25.4. Mit seiner Stellungnahme begann das IKVI auch, den Charakter der diversen nationalen Befreiungsbewegungen im Lichte der politischen Kapitulation der LTTE vor der indischen Bourgeoisie zu untersuchen. Im Gegensatz zu den antikolonialen Bewegungen, die vor und nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden waren und die Massen ohne Unterschied ihrer Sprache, Religion und Kaste stark anzogen, basierten Organisationen wie die LTTE auf einzelnen Nationalitäten. Wie Lenin warnte, war das die Perspektive der nationalen Bourgeoisie, die im Recht auf Selbstbestimmung nur ein Mittel sieht, ihre eigenen Privilegien und die Bedingungen für die Ausbeutung der Arbeiter und Bauern im eigenen „unabhängigen Staat“ zu schaffen. Im Falle der LTTE kam das Programm eines eigenständigen Staates Eelam direkt von der bürgerlichen TULF, die die Ziele der tamilischen Bourgeoisie in Sri Lanka repräsentierte. Sie bot weder den hunderttausenden tamilischen Plantagenarbeitern im Zentrum der Insel, noch den tamilischen Massen in Südindien eine Perspektive.
25.5. In einer Stellungnahme der RCL, die in dem Dokument zitiert wurde, heißt es: „Aber eine Bewegung, die sich auf eine ausschließlich nationale Perspektive zur Gewinnung ihrer Rechte gründet, kann die nationale Befreiung nicht erkämpfen. In unserer Epoche wird sich eine solche Bewegung in einer isolierten Lage inmitten kapitalistischer Nationen wiederfinden, und wenn sie eine noch so große Massenbewegung mobilisiert. Eine Befreiungsbewegung einer einzelnen unterdrückten Nation kann nur vorwärts gehen als Teil einer Bewegung, die für die völlige und uneingeschränkte Demokratie kämpft. Ausschließlich nationale Perspektiven hindern den nationalen Befreiungskampf, Teil einer solchen Bewegung zu werden. Der Grund hierfür ist, dass hinter ausschließlich nationalen Perspektiven letzten Endes das Bestreben der nationalen Bourgeoisie steht, die Arbeiter und Bauern im eigenen Land auszubeuten. Hier liegt die Quelle für die politische Ohnmacht der Liberation Tigers of Tamil Eelam.“ [59] Die Stellungnahme des IKVI war die Grundlage, auf der die bisherige Unterstützung der marxistischen Bewegung für das Selbstbestimmungsrecht genauer untersucht werden konnte.
25.6. Kurz nach der Veröffentlichung dieser Stellungnahme starb Keerthi Balasuriya unerwartet und tragisch am 18. Dezember 1987 an einer Koronarthrombose. Er wurde nur 39 Jahre alt und hatte, seit er erwachsen war, sein Leben dem Kampf für den Trotzkismus gewidmet. Im Alter von neunzehn Jahren nahm Balasuriya inmitten der politischen Verwirrung durch den Verrat der LSSP die gewaltige Verantwortung auf sich, die RCL zu führen und dabei die Bande zwischen der srilankischen Arbeiterklasse und der internationalen trotzkistischen Bewegung neu zu knüpfen. Er stellte sich gemeinsam mit der ganzen RCL gegen die radikale Welle in der Mittelschicht und gegen den Kult des „bewaffneten Kampfes,“ dem Bewegungen wie die LTTE und die JVP in den späten 1960er und 1970er Jahren frönten. Er verteidigte die Theorie der Permanenten Revolution, als sie nicht nur von den Stalinisten und ihren pablistischen Verteidigern, sondern auch von den WRP-Führern innerhalb des IKVI angegriffen wurde. Damit leistete Balasuriya einen unauslöschlichen Beitrag zum Kampf der Trotzkisten in Asien und der ganzen Welt.
25.7. In seiner Rede zu Balasuriyas Beerdigung erklärte David North: „Genosse Keerthi war zutiefst überzeugt von der wissenschaftlichen Gültigkeit der Perspektive, für die Trotzki gekämpft hatte. Und während die kleinbürgerlichen Radikalen sich von den ‚Erfolgen‘ eines Mao Tse-tung, Ho Chi Minh und Fidel Castro beeindrucken ließen, bestand Genosse Keerthi darauf, dass die politische Orientierung eines Marxisten auf das Proletariat ausgerichtet sein muss, der einzigen konsequent revolutionären Kraft der Welt. (...) In der unmittelbar bevorstehenden Periode werden Arbeiter nicht nur in Asien, sondern auf der ganzen Welt die Schriften von Genossen Keerthi lesen und studieren. Und wir sind zuversichtlich, dass nicht die Mao Tse-tungs, Ho Chi Minhs und Castros die Lehrer der Jugend sein werden. Nein, von Keerthi Balasuriya, der Revolutionary Communist League und dem Internationalen Komitee werden die fortgeschrittenen Arbeiter und Jugendlichen ihre revolutionären Lektionen lernen.“ [60]
25.8. Balasuriyas früher Tod war für die RCL, das IKVI und die internationale Arbeiterklasse ein schwerer Schlag. Er kam zu einem kritischen Zeitpunkt, als der Prozess zur Klärung und Konsolidierung der RCL, unmittelbar nach dem Bruch von den Abtrünnigen der WRP noch in vollem Gange war. Es spricht für Balasuriya und die Prinzipien, für die er kämpfte, dass die Kader, an deren Ausbildung er maßgeblich beteiligt war, seinen Verlust überlebten, sich unter der Führung von Wije Dias neu formierten und trotz des eskalierenden Bürgerkrieges einen konsistenten Kampf für den sozialistischen Internationalismus führen konnten.