Schon die ersten Sparmaßnamen der gerade vereidigten Berliner Koalitionsregierung aus SPD und PDS stoßen auf Widerstand. Ihre Absicht, das Benjamin-Franklin-Universitätsklinikum in ein Allgemeinkrankenhaus zu verwandeln und damit die Medizinerausbildung der Freien Universität zu beenden, hat zu zahlreichen Demonstrationen von Ärzten, Krankenschwestern und Studenten geführt. Professoren und Forschungsinstitute kündigten in Berliner Zeitungen ihren Widerstand an. Selbst konservative, den Sparplänen ansonsten nicht übelgesonnene Medien brachten ihren Unmut zum Ausdruck. Innerhalb von nur zehn Tagen gelang es einer von Professoren der Freien Universität initiierten Aktion, über 60.000 Unterschriften für den Erhalt des Klinikums zu sammeln.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) will dennoch an den Plänen festhalten. Nur falls die erhofften 97 Millionen Euro Einsparungen bei der Hochschulmedizin an anderer Stelle erbracht werden könnten, so lautet die neue Sprachregelung seit der Klausurtagung der SPD-Landtagsfraktion am vergangenen Wochenende, könne man über die Aufrechterhaltung des Universitätsklinikums reden. Mit anderen Worten: Die angekündigten "Grausamkeiten" würden nur an eine andere Stelle im sozialen Bereich verlagert.
Die Beendigung der Medizinerausbildung an der Freien Universität ist Bestandteil des Koalitionsvertrags zwischen SPD und PDS, in dem es wörtlich heißt, man wolle sich des Benjamin-Franklin-Klinikums "entledigen" - wie eines lästigen Anhängsels.
Eine Durchsetzung der Schließungspläne würde rund 2200 Entlassungen nach sich ziehen und hätte verheerende Folgen für Forschung und Lehre in der Bundeshauptstadt und in Brandenburg. 4200 Studienplätze für Medizinstudenten fielen weg - die zweite Berliner Universitätsklinik Charité der Humboldt-Universität könnte diesen Verlust an Ausbildungsmöglichkeiten kaum auffangen.
Auch Brandenburg wäre betroffen: Das Land verfügt über keine eigene Medizin-Universitätsfakultät. Kurz nach der Wende hatte Brandenburg auf den Bau eines eigenen Universitätsklinikums verzichtet, weil es in Berlin bereits zwei Kliniken gab. Zur Zeit werden rund 250 Studenten aus Brandenburg in Berlin ausgebildet. Auch kommen neun Prozent der Patienten des Benjamin-Franklin-Klinikums aus Brandenburg. Bei einer Schließung fiele die ohnehin schon strenge Zulassungsbeschränkung im Fach Medizin für Brandenburger Schulabgänger noch härter aus, da die z.T. für eine Studienbewerbung ausschlaggebende Wohnortsnähe an Universitäten außerhalb Berlin/Brandenburgs schwieriger zu begründen wäre.
In einem Artikel der Berliner Zeitung vom 18. Januar werden die Folgen für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in Berlin dargelegt: Die Anzahl der Betten in Universitätskliniken sänke von derzeit 0,6 Betten pro tausend Einwohner auf 0,39 - Berlin wäre damit Schlusslicht in Deutschland. Gerade Universitätskliniken sind jedoch aufgrund der großen Zahl von Spezialisten, die an ihnen arbeiten und lehren, von wichtiger Bedeutung für viele Patienten. Die Berliner Morgenpost legte am 15. Januar anhand eines Fallbeispiels dar, dass Patienten im Falle einer Schließung Hunderte von Kilometern reisen müssten, um eine gleichwertige Behandlung zu erhalten. Auch die fehlenden Bundeszuschüsse würden sich negativ auf die medizinische Situation insgesamt in Berlin und Brandenburg auswirken.
Zudem würde die medizinische Forschung in Berlin erhebliche Rückschläge erleiden. Die medizinische Fakultät der Freien Universität ist wichtiger Kooperationspartner von angesehenen Instituten wie dem Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch, oder dem Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Rehbrücke bei Potsdam. Eine Schließung der medizinischen Fakultät würde Forschungsstellen vernichten, die bislang von international angesehenen Spezialisten besetzt waren. Schon jetzt beginnen einige Wissenschaftler, sich nach neuen Arbeitgebern umzusehen.
Die Pläne der neuen Berliner Regierung sind entlarvend. Sowohl die SPD als auch besonders die PDS hatten sich im Wahlkampf bemüht, Hoffnungen zu wecken auf eine "sozial verträgliche Sparpolitik". In ihrem Wahlprogramm hatte die PDS noch betont, bei Kultur und Wissenschaft solle nicht gespart werden. Nun wird als eines der ersten Ressorts die Gesundheitspolitik zum Sparobjekt.
Die PDS führt die Linie weiter, die sie bereits bei früheren Regierungsbeteiligungen in den ostdeutschen Bundesländern an den Tag legte. Mit sozialer Demagogie versucht sie, sich an die Spitze von Protesten zu stellen, solange sie sich in der Opposition befindet. Sobald sie jedoch an der Regierung beteiligt ist, wird sie zum Ordnungsfaktor und betreibt dieselbe Sparpolitik wie die anderen Parteien. Von der Verteidigung sozialer Standards bleibt nichts übrig. Diese Erfahrungen der PDS-Wähler in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern wiederholen sich jetzt in Berlin.
In der Frage des Benjamin-Franklin-Klinikums versucht die PDS, sich sogar noch kompromissloser als die SPD zu zeigen. So erklärte deren wissenschaftspolitischer Sprecher Benjamin Hoff, die PDS sei für alternative Sparmöglichkeiten offen, doch diese müssten "aus der Freien Universität selbst kommen". Ein Zurückrudern käme nicht in Frage.
Der Einschnitt in den Gesundheits-, Bildungs- und Forschungsetat Berlins wird damit gerechtfertigt, die Stadt liege finanziell danieder und müsse "saniert" werden - hierzu seien schmerzliche Einsparungen auf vielen Gebieten nötig.
Weder SPD noch PDS sprechen gegenwärtig darüber, woher die Hauhaltsmisere kommt, wer dafür verantwortlich ist und mit welch krimineller Energie die Berliner Staatskasse jahrelang geplündert wurde. Die Machenschaften der Großen Koalition, an der die SPD lange Zeit beteiligt war, sind noch in frischer Erinnerung. Nicht nur der ehemalige CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowski, der eine Schlüsselrolle bei den Milliardenverlusten der Berliner Bankgesellschaft spielte, kam ungeschoren davon. Zwar trat er als Vorstand zurück, erhält aber weitere zwei Jahre sein volles Jahresgehalt (700.000 Mark) und danach eine lebenslange Rente von knapp 30.000 Mark monatlich.
Das Land Berlin übernahm für die rund vier Milliarden D-Mark Verluste der Bankgesellschaft eine unbegrenzte Bürgschaft. Und die neue Landesregierung lädt nun die Last der Finanzkrise wie selbstverständlich auf die Berliner Bevölkerung ab. Wobei sie beweisen will, dass sie besser als alle früheren Regierungen in der Lage ist drastische Kürzungsmaßnahmen durchzusetzen. Wowereit erklärte jüngst, den Berlinern müsse "gezeigt werden, dass etwas passiert".
Das Benjamin-Franklin-Klinikum dient dabei als Testfeld. Inzwischen wurde bekannt, dass die geplante Einsparung von 97 Millionen Euro durch eine Rückforderung von bereits geleisteten Bundeszuschüssen mehr als wieder wettgemacht würde. Bernd Köppl von Bündnis 90/Die Grünen, der nach der Aufkündigung der Koalition vorübergehend den Wissenschaftssenator in Berlin gestellt hatte und jetzt gemeinsam mit der CDU auf der Oppositionsbank sitzt, rechnete in der Berliner Zeitung(18. Januar 02) vor, Zuschüsse vom Bund in Höhe von 60 Mio. Euro für nötige Modernisierungen am Benjamin-Franklin-Klinikum fielen weg, würde die Klinik als Universitätsklinik aufgegeben und als "Regionalklinik" weitergeführt. Auch müssten rund 173 Mio. Euro bereits geleisteter Bundeszuschüsse zurückbezahlt werden.
Laut Köppl paart sich der Wille, "eine Finanztrophäe vorzuweisen, mit Unkenntnis". Die Pressesprecherin des Bundesforschungsministerium, Sabine Baun, bestätigte in der vergangenen Woche die Rückforderungen der Bundeszuschüsse, sollte das Klinikum seinen Universitätsstatus verlieren.
Diese Tatsache macht deutlich, dass es der SPD-PDS-Koalition hier um ein Exempel geht: Auch wenn die Einsparsummen letztlich nicht so groß sind, will sie die Gelegenheit nutzen, einen gesundheits- und bildungspolitischen Kahlschlag durchzusetzen und den Weg zu noch härteren Sozialkürzungen freizumachen.
Was die Rolle der PDS angeht, so versucht sie von Anbeginn an, Befürchtungen seitens der Wirtschaft und der Bundespolitiker entgegenzutreten, sie stehe Angriffen auf die Bevölkerung im Wege. Eine "heilige Kuh" der Stadt Berlin gleich zu Beginn der Regierungszeit zu schlachten, soll ein deutliches Signal setzen.