Am gestrigen Montag stimmten Parteitage der SPD, der CDU und der CSU dem Vertrag für eine Große Koalition zu, der zwei Tage zuvor der Öffentlichkeit vorgestellt worden war. Er trägt den Titel: "Gemeinsam für Deutschland - mit Mut und Menschlichkeit". Sein Inhalt kommt einer Kriegserklärung an die arbeitende Bevölkerung gleich - und zwar nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch.
Sowohl SPD als auch CDU/CSU wehrten erste Kritik an den Vereinbarungen mit dem Hinweis ab, man habe "Kompromisse" schließen müssen. So sei dies nun einmal in einer Großen Koalition. Aufgrund des Wahlergebnisses habe es keine andere Möglichkeit gegeben. Das ist, schlicht gesagt, die Unwahrheit. Im Koalitionsvertrag haben die zwei Wahlverlierer ein rechtes, unsoziales Programm vereinbart, das am 18. September von der überwiegenden Mehrheit der Wähler eindeutig zurückgewiesen wurde.
Symptomatisch ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer ab 2007 um drei Prozentpunkte auf dann 19 Prozent. Die CDU hatte im Wahlkampf angekündigt, die Mehrwertsteuer um zwei auf 18 Prozent zu erhöhen, und daraufhin in den Umfragen massiv an Unterstützung eingebüßt. Die SPD hatte auf die von der Union geplante Erhöhung mit einer Wahlkampagne gegen die "Merkelsteuer" ("Merkelsteuer, das wird teuer") reagiert. Nun haben sich beide auf eine Erhöhung auf 19 Prozent geeinigt!
Für die rund 38 Millionen Haushalte in Deutschland bedeutet die Mehrwertsteuererhöhung bei gleichem Kaufverhalten Mehrkosten von durchschnittlich 350 Euro im Jahr, wenn der Handel die Erhöhung voll auf die Verbraucher umlegt.
Das gesetzliche Renteneintrittsalter wird ab 2012 schrittweise von 65 auf 67 Jahre im Jahr 2035 erhöht. Angesichts der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit von Älteren - derzeit sind nur 40 Prozent der über 55jährigen in Arbeit - besagt dies nichts anderes als weitere Rentenkürzungen. Für die Renten sind darüber hinaus, wie schon in den letzten Jahren, auch in den nächsten vier Jahren keine Erhöhungen vorgesehen. Bei einer Teuerungsrate von jährlich mindestens 2 Prozent bedeutet dies eine zusätzliche saftige Realsenkung.
Die Große Koalition einigte sich auch darauf, zahlreiche Steuervorteile zu streichen. Nächstes Jahr sind es gut 600 Millionen Euro, die gekürzt werden, 2009 dann schon sieben Milliarden Euro. Als erstes soll bereits zu Beginn des nächsten Jahres die Eigenheimzulage wegfallen. Gestrichen werden zum 1. Januar 2006 zudem die Freibeträge für Abfindungen und Übergangsgelder.
Im Jahr 2007 wird die Pendlerpauschale von 30 Cent pro Kilometer erst ab dem 21. Kilometer bis zur Arbeitsstätte gewährt. Der Sparerfreibetrag wird für Verheiratete auf 1.500 Euro und für Ledige auf 750 Euro halbiert. Auch die Freibeträge für Bergmannsprämien sowie Heirats- und Geburtshilfen, die der Arbeitgeber zahlt, werden 2007 ersatzlos gestrichen.
Über die Vereinbarung zum Abbau der Kohle-Subventionen existieren unterschiedliche Interpretationen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung aus CDU und FDP interpretiert den Vertrag so, dass sie die Subventionen stärker als bislang geplant abbauen und einem "Auslaufbergbau" entgegensteuern kann. Das Ziel der NRW-Regierung, bis 2010 rund 750 Millionen Euro im Kohlebereich einzusparen, sei nun verwirklichbar, erklärte der dortige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU).
Die Entscheidung über weitere Kürzungen hat die Große Koalition vorerst vertagt. Das gilt insbesondere für das Gesundheitssystem. Im nächsten Jahr sollen die Kranken- und die Pflegeversicherung umgebaut werden. Beide Seiten wollen "vorurteilsfrei" die verschiedenen Modelle prüfen. Sie haben sich aber schon jetzt darauf verständigt, dass zumindest in der Pflegeversicherung künftig "kapitalgedeckte Elemente" (sprich: eine stärkere private Vorsorge) berücksichtigt werden sollen.
Arbeitsmarktpolitik
Am offensten ist die Schlagrichtung des Koalitionsvertrags in der Arbeitsmarktpolitik. Die Probezeit bei Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses wird auf zwei Jahre verlängert. Da der Unternehmer in der Probezeit die Möglichkeit hat, das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen innerhalb von zwei Wochen zu beenden, ist einem "Heuern und Feuern" Tür und Tor geöffnet.
In der aktiven Arbeitsmarktpolitik zeichnet sich ein Abbau der Förderung ab. "Die Vielzahl unterschiedlicher Förder-Instrumente [bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik] ist für die Menschen kaum noch überschaubar", heißt es im Koalitionsvertrag. "CDU, CSU und SPD werden daher alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auf den Prüfstand stellen. Das, was unwirksam und ineffizient ist, wird abgeschafft."
Die von der alten rot-grünen Bundesregierung beschlossene Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I für über 55-Jährige ab dem 1. Februar 2006 bleibt bestehen. Für sie verkürzt sich der Anspruch auf Arbeitslosengeld I von bislang 32 Monate auf dann nur noch 18 Monate. Ältere Arbeitslose, die 30 Jahre oder mehr gearbeitet haben, sind dann sehr schnell im Hartz-IV-Bezug.
Was sie dort erwartet, geht ebenfalls aus dem Koalitionsvertrag hervor. Die Unterstützung von Langzeitarbeitslosen (Hartz IV) sei "aus dem Ruder gelaufen". SPD und Union wollen bei ihnen vier Milliarden jährlich einsparen. Bei Lebenspartnerschaften sollen schärfere Kriterien zwecks Leistungskürzungen eingeführt werden. Insbesondere den unter 25-Jährigen geht es an die Unterstützung. "Künftig sollen unverheiratete, volljährige, unter 25-jährige Kinder grundsätzlich in die Bedarfsgemeinschaft der Eltern einbezogen werden", also höchstens 276 Euro monatlich erhalten.
Die massiven Kürzungen beim Arbeitslosengeld II sollen insbesondere durch eine Bekämpfung des angeblichen "Missbrauchs" durchgesetzt werden. Die Broschüre des scheidenden Wirtschafts- und Arbeitsministers Wolfgang Clement (SPD) "Gegen Missbrauch,,Abzocke’ und Selbstbedienung im Sozialstaat", in der Hartz-IV-Leistungsempfänger im Nazi-Jargon als "Parasiten" bezeichnet werden, hat die ideologische Grundlage für diesen Feldzug gegen die Ärmsten der Armen gelegt. Die schon jetzt eingesetzte Rasterfahndung - der Abgleich von Daten der Bundesagentur mit den Daten von Rentenversicherern, Krankenkassen und Banken, um "Missbrauchsfälle" zu ermitteln - soll viermal jährlich stattfinden.
Die Arbeitslosen sollen nach den Plänen der Großen Koalition in ein riesiges Heer von rechtlosen Billiglohnarbeitern verwandelt werden. Während der Legislatur sollen Konzepte für den Niedriglohnbereich wie der "Kombilohn" entwickelt werden. Außerdem sollen die Arbeitslosen auch die Billigarbeiter aus dem Osten, die bislang alljährlich bei der Spargel- oder Obsternte aushelfen, ersetzen. "Der in den letzten Jahren erreichte Umfang der mittel- und osteuropäischen Saisonkräfte muss deutlich reduziert und soweit wie möglich durch Vermittlung inländischer Arbeitskräfte ersetzt werden", haben SPD und Union vereinbart.
Die Bundesagentur für Arbeit lässt diese Überlegungen bereits in ihrem Haushaltsplan für das kommende Jahr einfließen. Die BA geht zwar von einer um 100.000 höheren Erwerbstätigenzahl aus. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sinkt aber nach den Erwartungen der BA um eine weitere halbe Million, d. h., der Anstieg der Gesamtzahl der Erwerbstätigen ist der Ausweitung der Mini- und Ein-Euro-Jobs geschuldet.
Beruhigungsmittel
Um die Opposition gegen die Kürzungen zu dämpfen, sind einige symbolische Beruhigungsmittel in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden. Damit soll der Schein erweckt werden, dass die Kürzungen, die "absehbaren Unvermeidlichkeiten" (Frankfurter Rundschau), nicht vorwiegend zu Lasten der Niedrig- und Durchschnittsverdiener gehen, sondern auch die Reichern treffen. "Fast allen wird genommen" titelte die Süddeutsche Zeitung, "Sparwelle trifft alle" die Westdeutsche Allgemeine Zeitung.
Einen besonderen Platz unter diesen "Symbolen" nimmt die sogenannte Reichensteuer ein. Ab 2007 sollen Reiche, die im Jahr 250.000 (Alleinstehende) bzw. 500.000 Euro (Verheiratete) verdienen, einen um drei Prozent höheren Steuersatz zahlen, nämlich 45 statt 42 Prozent. Dieser Spitzensteuersatz liegt weit unter dem von 1998 (53 Prozent) und gilt nur für das Einkommen, das über die angegebenen Beträge hinausgeht. Dabei versteuern nur die wenigsten Reichen ihr volles Einkommen. Sie verfügen über zahlreiche Möglichkeiten, ihre Steuerlast durch die Gründung von Personengesellschaften, die Abschreibung von Mindereinnahmen durch Vermietung und Verpachtung usw., klein zu rechnen.
Es werden auch diese Schichten sein, die von einer anderen Neuregelung im Steuerrecht profitieren. "Der private Haushalt wird zunehmend zu einem wichtigen Feld für neue Beschäftigungsmöglichkeiten" schreiben die Großkoalitionäre. "Deshalb werden wir bereits im nächsten Jahr haushaltnahe Dienstleistungen, private Aufwendungen für Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen im Haushalt und Kinderbetreuungskosten in einem Gesamtvolumen von 5 Mrd. Euro stärker als bislang steuerlich fördern."
Die "Reichensteuer" ist nichts anderes als der Versuch, Sand in die Augen der Bevölkerung zu streuen. Wenn sie überhaupt jemandem dient, dann dem Berufsstand der Steuerberater.
Das in den letzten Tagen vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen kolportierte Vorhaben, Besitzer von Aktien, Wertpapieren und Immobilien vom 1. Januar 2007 an mit einer pauschalen Steuer von 20 Prozent auf sämtliche Veräußerungsgewinne zu belasten, fand nun doch keinen konkreten Eingang in den Koalitionsvertrag. "In dieser Legislaturperiode werden wir eine Neuregelung der Besteuerung von Kapitalerträgen und privaten Veräußerungsgewinnen realisieren", heißt es lediglich nebulös im Koalitionsvertrag.
Auch das viel gepriesene Elterngeld, das ab 2007 das bisherige Erziehungsgeld ersetzen soll, erweist sich bei näherer Betrachtung als Augenwischerei und unsozial. Statt des bisherigen zweijährigen Erziehungsgeldes in Höhe von maximal 300 Euro monatlich sollen Väter oder Mütter, die eine berufliche Babypause einlegen, ein Jahr lang 67 Prozent ihres Nettoverdienstes vom Staat bekommen - maximal 1.800 Euro.
Wohlfahrtsverbände liefen Sturm gegen dieses Vorhaben. Der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Ulrich Schneider sagte: "Es kann nicht sein, dass die Erziehungsleistung von Akademikern und Gutverdienern gänzlich anders bewertet wird als die einer Kassiererin oder Arbeitslosen. Da sträuben sich einem die Nackenhaare." Eine "Umverteilung von unten nach oben", sieht darin auch der Deutsche Caritasverband.
Ein Akademikerpaar, so rechneten die Verbände vor, hätte durch das neue Elterngeld 1.300 Euro im Monat mehr als derzeit. Da das Elterngeld bei "sozialen Transferleistungen", z. B. beim Arbeitslosengeld II, als Einkommen angerechnet wird, würden arbeitslose Eltern beim Elterngeld faktisch leer ausgehen. Zudem wurde ein diskutierter Mindestbetrag von monatlich 750 Euro wieder verworfen. Er beträgt nun nur noch 300 Euro per Monat.
Neben den Großverdienern gewinnen auch die Unternehmen durch geplante Änderungen. Als erstes profitieren Unternehmen durch die Absenkung des Beitragssatzes der Arbeitslosenversicherung um zwei Prozentpunkte auf 4,5 Prozent. Sie werden zudem ab 2008 durch eine Steuerreform entlastet. Großzügige Abschreibungsregeln für Investoren sind ebenso vorgesehen, wie Entlastungen bei der Erbschaftssteuer bis hin zu deren Wegfall bei Fortführung eines Betriebes über zehn Jahre. "Die Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft haben ein Gesamtvolumen von 6,5 Mrd. Euro."
Verschärfte Agenda 2010
Die Politik der Großen Koalition entpuppt sich somit als verschärfte Version der Agenda 2010 der abgewählten Bundesregierung von SPD und Grünen unter Kanzler Gerhard Schröder - nämlich als gewaltige Umverteilung von unten nach oben.
Dabei gelten nicht die Einnahmeausfälle, die durch die rot-grünen Steuergeschenke für Reiche und Unternehmen entstanden sind, sondern die angeblich wachsenden Ausgaben für Arme und Arbeitslose als Grund für die Löcher im Haushalt angeführt.
"Die Lage ist ernst, und der Konsolidierungsdruck ist hoch, wenn wir der nachfolgenden Generation tragfähige Staatsfinanzen übergeben wollen", schreiben SPD und Union in den Koalitionsvertrag. "Seit Jahrzehnten wird kontinuierlich die Illusion geschürt, der Staat könne immer neue und umfassendere Leistungswünsche befriedigen. Die Aufgaben- und Ausgabendynamik hat eine Verschuldungsspirale in Gang gesetzt, die durchbrochen werden muss."
Das ist schon eine dreiste Verdrehung der Tatsachen.
Der Koalitionsvertrag verabschiedet sich offiziell von der Vorstellung, die Politik könne grundlegende Fragen der Gesellschaft regeln und elementare Bedürfnisse der Bevölkerung sichern. Es wird noch nicht einmal dem Schein nach so getan, als könne die Große Koalition das dringendste Problem, die Massenarbeitslosigkeit, beheben. Es geht ausschließlich um die Sanierung des Haushalts im Interesse der Wirtschaft.
Von der Nachkriegsdoktrin, dass der Kapitalismus oder die Marktwirtschaft zum sozialen Ausgleich fähig seien, findet sich keine Spur. Die Worte "soziale Marktwirtschaft" kommen nur einmal im 191-seitigen Vertrag vor - in der Überschrift "Rechtspolitik für eine soziale Marktwirtschaft".
Die Süddeutsche Zeitung bemerkte dazu in einem aufschlussreichen Kommentar: "Der politische Pragmatismus, der hier durchschlägt und voraussichtlich die künftige Regierung tragen wird, folgt einer Logik, die ebenso paradox wie folgerichtig ist. ... Jede Politik, die sich der wirtschaftlichen und sozialen Krise widmet, kann auf absehbare Zeit nur noch eine Gestaltung von Asymmetrien sein. Keine politische Rezeptur schafft es noch, das immer dramatischere Auseinanderklaffen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu verhindern, keine schafft es mehr, die zunehmende Fragmentierung der Gesellschaft aufzuhalten, gar nicht zu reden von den Asymmetrien zwischen den reichen und den armen Ländern, von denen der gewaltige weltweite Umverteilungsdruck ausgeht."
Das ist auch eine Absage an jede Form von Demokratie. Wenn sich das "das immer dramatischere Auseinanderklaffen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse" nicht verhindern lässt, dann lässt sich auch die Demokratie nicht aufrecht erhalten. Eine solche Politik ist nur mit autoritären Herrschaftsmethoden durchzusetzen.
Nicht zufällig ist die vorgezogene Bundestagswahl wie eine Art Staatstreich inszeniert worden - auf Druck der Wirtschaftsverbände und unter Beugung der Verfassung. Die Kriegserklärung an die arbeitende Bevölkerung, die der Koalitionsvertrag darstellt, ist das Ergebnis dieser illegitim herbeigeführten Neuwahl.
Aufrüstung des Staates und Abbau demokratischer Rechte
Die Große Koalition ist sich der Auswirkungen ihrer Pläne sehr bewusst und bereitet sich dementsprechend auf kommende Konfrontationen mit der Bevölkerung vor. Demokratische Rechte werden eingeschränkt, der Staatsapparat wird aufgerüstet. Die Geheim- und Polizeidienste erhalten größere Machtbefugnisse. Die neue Regierung kann sich hier auf die Vorarbeit der rot-grünen Bundesregierung, insbesondere auf ihren Innenminister Otto Schily (SPD) stützen.
Die Anti-Terror-Gesetze, die nach den Anschlägen des 11. September 2001 verabschiedet worden waren, werden überprüft und - so wird es angedeutet - eher ausgeweitet. "Wir werden überprüfen, inwieweit rechtliche Regelungen, etwa des Datenschutzes, einer effektiven Bekämpfung des Terrorismus und der Kriminalität entgegenstehen", so der Koalitionsvertrag. Biometrische Verfahren für Pässe und Personalausweise sollen ausgebaut werden. 2007 soll geprüft werden, "ob die DNA-Analyse aus kriminalpolitischen Gründen ausgeweitet werden muss".
Der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist fest eingeplant. Hier warten die Koalitionäre aber noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz ab. Sollte sich das oberste Gericht im Rahmen dieses Verfahrens gegen einen Einsatz der Bundeswehr im Innern entscheiden, ist man sich einig, das Grundgesetz zu ändern.
Die oberste Polizeibehörde, das Bundeskriminalamt, soll präventive Vorfeldermittlungen zur Terrorabwehr aufnehmen dürfen, was bisher Sache der Länderpolizeien war.
Im Bereich Justiz herrschte ebenfalls weit reichende Einigung. So wurde die Wiedereinführung der 1999 ausgelaufenen Kronzeugen-Regelung beschlossen, mit der Straftäter mit der Aussicht auf Strafmilderung ermutigt werden auszusagen. Nachdem bereits in den 70er Jahren als Reaktion auf den RAF-Terrorismus versucht worden war, eine Kronzeugenregelung einzuführen, wurde ein entsprechendes Gesetz erst 1989 zeitlich befristet eingeführt und 1999 von der damaligen rot-grünen Regierung nicht verlängert.
Damals argumentierte die Schröder-Regierung noch, mit Angeboten eines Strafnachlasses werde ein "Anreiz zu falschen Verdächtigungen und Denunziationen" gegeben. Auch verfassungsrechtliche Bedenken wegen der Einschränkung des Legalitätsprinzips (die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, wenn sie Kenntnis von einer Straftat erlangt haben) bestimmten die Nichtverlängerung dieser Regelung. Nun hatten die Koalitionäre keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken mehr.
Angesichts der Rebellion der Jugend in Frankreich ist eine Koalitionsvereinbarung besonders bemerkenswert. Nicht nur psychisch kranke und unheilbare Sexualstraftäter sollen nachträglich in "Sicherungsverwahrung" genommen, das heißt ohne zeitliche Befristung eingesperrt werden können. SPD und Union beschlossen, diese barbarische Regelung auch auf Jugendliche auszudehnen. "Eine Voraussetzung für die Verhängung wird zudem sein, dass sich die besondere Gefährlichkeit des Täters während des Strafvollzugs ergeben hat." Diese Vereinbarung öffnet Schleusen: Während der Haftstrafe können sich Gründe für das langjährige oder gar jahrzehntelange Wegsperren von jugendlichen Straftätern ergeben.