Die South-Stream-Gaspipeline wird nicht gebaut. Das gab der russische Präsident Wladimir Putin am Montagabend auf einer Pressekonferenz in der türkischen Hauptstadt Ankara bekannt. Gazprom-Chef Alexej Miller bestätigte: „Das war es, das Projekt ist am Ende.“
Die 40 Milliarden Euro teure Leitung sollte russisches Gas unter Umgehung der Ukraine von der russischen Schwarzmeerküste nach Bulgarien und von dort über Serbien und Ungarn nach Österreich, bzw. über Griechenland nach Italien liefern. Sie war auf eine Jahreskapazität von 63 Milliarden Kubikmeter ausgelegt. Das entspricht einem Zehntel des gesamteuropäischen Gasbedarfs. Gazprom hat bereits 8 Milliarden Euro in das Projekt investiert.
Putin machte die Europäische Union für die Einstellung des Projekts verantwortlich. „Wenn Europa dieses Projekt nicht will, dann wird es nicht verwirklicht“, sagte er. „Wir werden dann unsere Energiequellen in andere Regionen der Welt leiten.“
Die EU-Kommission hatte den Bau von South Stream seit langem torpediert. Sie betrachtete das Projekt als Versuch, die europäische Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu erhöhen und osteuropäische Staaten, insbesondere Bulgarien und Serbien, unter russischen Einfluss zu bringen.
Um South Stream zu verhindern, hatte Brüssel in enger Zusammenarbeit mit Washington jahrelang das Nabucco-Projekt verfolgt. Es sollte Europa über die Türkei und Georgien Zugang zu den ergiebigen Gasfeldern Zentralasiens verschaffen und Russland als Transitland ausschalten. Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer arbeitete zeitweilig als Lobbyist für das Projekt. Doch 2013 wurde Nabucco aus Kostengründen eingestellt.
2009 erließ die EU-Kommission eine Regelung, die die Bündelung der Förderung, des Transports und des Verkaufs von Gas unter einem Dach untersagt. Sie richtete sich speziell gegen Gazprom und wurde systematisch genutzt, um dem Bau von South Stream Hindernisse in den Weg zu legen.
Mit dem Ausbruch der Ukraine-Krise ging die EU-Kommission dann energisch gegen South Stream vor. Sie setzte Bulgarien und Serbien massiv unter Druck, den Bau der Pipeline einzustellen. Im Juni stoppte der bulgarische Übergangspremier Orescharski die Bauarbeiten, und sein Nachfolger Bojko Borissow hielt nach der Parlamentswahl an dieser Linie fest. Putin warf Bulgarien deshalb in Ankara vor, es sei „außerstande, sich wie ein souveräner Staat zu benehmen“.
Neben dem politischen Druck der EU haben auch ökonomische Faktoren zur Einstellung des Projekts geführt. Sie hängen teilweise aber ebenfalls mit der Ukrainekrise zusammen. So ist es für Gazprom wegen der gegen Russland verhängten Sanktionen schwierig, die nötigen Gelder für die hohen Investitionskosten des Projekts aufzubringen.
Hinzu kommt, dass der an den Ölpreis gekoppelte Gaspreis in den letzten Monaten massiv gesunken ist, so dass die Wirtschaftlichkeit des Projekts in Frage steht. Und der Gasbedarf in Europa ist wegen der anhaltenden Rezession wesentlich geringer als ursprünglich angenommen. Das Oxford Institute of Energy Studies in London sagt voraus, dass er von 594 Milliarden Kubikmetern im Jahr 2010 auf 564 Milliarden im Jahr 2020 zurückgehen und bis 2030 nur leicht auf 618 Milliarden steigen wird.
Die meisten westlichen Medien haben das Ende von South Stream begrüßt. Die New York Times bezeichnete es als „diplomatische Niederlage“ Putins, die Frankfurter Allgemeine überschrieb einen Kommentar mit „Putins Niederlage“, und Bloomberg bemerkte: „Mit der erfolgreichen Blockade von South Stream hat die EU der Ukraine politische Unterstützung signalisiert und ihre wirtschaftlichen Aussichten verbessert“.
Es gab aber auch besorgte Stimmen. Und zwar nicht nur aus Ländern, die – wie Ungarn, Österreich, Serbien und Bulgarien – durch Transitgebühren und Versorgungssicherheit von dem Projekt profitiert hätten, oder von Firmen, die – wie die italienische Eni, die französische EdF und die deutsche Wintershall – an dem Projekt beteiligt waren. Alarm löste vor allem der Umstand aus, dass Russland das Ende von South Stream mit einer außenpolitischen Neuorientierung verbindet und ein enges Bündnis mit dem Nato-Mitglied Türkei anstrebt. Die Zeit schreibt in diesem Zusammenhang von einem „geopolitischen Erdbeben“.
Putin und Gazprom-Chef Miller haben in Ankara eine Absichtserklärung über die Erweiterung der Unterwasserpipeline Blue Stream, die Russland direkt mit der Türkei verbindet, sowie den Bau einer zusätzlichen Leitung unterzeichnet. Sie sollen dieselbe Kapazität haben wie das gescheiterte South-Stream-Projekt. Von dem gelieferten Gas soll nur ein Viertel in der Türkei verbleiben. Der Rest soll über die griechische Grenze nach Europa fließen.
Türkische Zeitungen haben dies als russisch-türkische „Energieallianz“ gefeiert. Die Türkei würde so zur Drehscheibe für russische Gasexporte. Davon betroffen wären auch die Transanatolische und die Trans-Adria-Pipeline (TANAP und TAP), die von der Türkei als Ersatz für das gescheiterte Nabucco-Projekt gebaut werden. Sie sollten ursprünglich die Abhängigkeit Europas von russischem Gas mindern. Nun könnten sie eingesetzt werden, um russisches Gas nach Europa zu transportieren. „Die Partnerschaft mit Erdogan ist für Putin die Möglichkeit, seinen Einfluss auf Europas Energieversorgung zu behalten“, kommentiert Die Zeit.
Das Energieabkommen mit der Türkei ist Bestandteil einer größeren strategischen Umorientierung. Bereits im Sommer hatte Russland ein umfangreiches Gaslieferungsabkommen mit China unterschrieben. Nun hat es mit der Türkei neben dem Gasabkommen auch den Bau des ersten türkischen Atomkraftwerks und eine massive Ausweitung des gegenseitigen Handels vereinbart. Die Türkei profitiert so direkt von den Sanktionen der EU und der USA gegen Russland.
Es gibt allerdings nach wie vor erhebliche Spannungen zwischen Russland und der Türkei. So unterstützt Russland in Syrien Präsident Assad, während die Türkei ihn stürzen will. Und die turksprachigen Krimtataren verfügen in der Türkei über eine starke Lobby, die den Anschluss der Krim an Russland ablehnt. Es ist zu erwarten, dass Brüssel und Washington diese Spannungen gezielt schüren werden, um die Annäherung Russlands und der Türkei zu stoppen.
Noch eine weitere Folge des Endes von South Stream bereitet den europäischen Regierungen Sorgen. Sie haben den Putsch in Kiew unterstützt und das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine vereinbart, um das Land in den Einflussbereich der Nato zu ziehen und Russland zu isolieren. Sie hatten aber nie vor, die Ukraine finanziell zu unterstützen. Nun sind sie weiterhin von der Versorgung mit Gas abhängig, dass durch die maroden Leitungen in der Ukraine fließt. „Die EU wird schon um ihrer Versorgungssicherheit Willen mehr Geld und politisches Kapital in dieses Land stecken müssen als vor dem Majdan-Aufstand je geplant war“, klagt die F.A.Z.