90 Jahre seit dem Putsch von Pilsudski

Die Strategie des Intermariums

Teil 3: Das Intermarium und die Rolle Polens im Kriegsbündnis der USA gegen Russland

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Vom 12. bis 14. Mai jährte sich zum 90. Mal der Putsch von Józef Piłsudski in Polen. Mit dem Putsch versuchte die polnische Bourgeoisie ihre Herrschaft vor der Gefahr einer sozialistischen Revolution zu schützen. Heute wird Piłsudski von großen Teilen der polnischen Bourgeoisie und den US-Eliten verherrlicht.

Das hat viel mit Piłsudskis Strategie des sogenannten Intermarium zu tun, die sich heute wachsender Beliebtheit erfreut. Das Intermarium war eine pro-imperialistische Allianz von rechten, nationalistischen Regimen in Osteuropa, die sich in erster Linie gegen die Sowjetunion richtete. Das wiedererwachte Interesse am Intermarium ist Bestandteil der Vorbereitungen auf einen neuen Weltkrieg, die, wie das IKVI in seiner Resolution Sozialismus und der Kampf gegen Krieg schrieb, von einem Wiederaufleben der Geopolitik unter den Ideologen des Imperialismus begleitet werden.

Diese Artikelserie behandelt die Geschichte der Intermariums-Strategie. Ihre Grundlagen wurden noch vor dem Ersten Weltkrieg als bürgerlich-nationalistischer Gegenentwurf zu den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entwickelt, für die der russische Revolutionär Leo Trotzki eintrat.

Polen und die Einkreisung Russlands durch die USA

Mit der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie im Jahr 1991 und der Zerstörung der stalinistischen Staaten in Osteuropa fiel dem polnischen Staat in der Strategie der imperialistischen Mächte gegenüber Russland und Osteuropa erneut eine zentrale Rolle zu. Bei allen Differenzen über die Außenpolitik orientierte sich nun die große Mehrheit der polnischen Bourgeoisie auf die imperialistische Macht der USA. Inzwischen ist Polen ähnlich wie in der Zwischenkriegszeit zu einem Bollwerk des Weltimperialismus gegen Russland in Osteuropa geworden.

Die Restauration des Kapitalismus in der UdSSR und in Osteuropa haben dem Imperialismus zwar den Zugang zu enormen Rohstoffquellen und großen Mengen an Arbeitskräften geebnet, bis heute befinden diese sich jedoch nicht unter seiner uneingeschränkten Kontrolle. Deswegen haben die USA Russland im Verlauf des letzten Vierteljahrhunderts systematisch militärisch und politisch eingekreist. Washington verfolgt das Ziel, durch einen erzwungenen Regimewechsel oder durch Krieg ein Marionetten-Regime einzusetzen, das ihm vollkommen hörig ist.

Die World Socialist Web Site erklärte dazu im Jahr 2004 während der so genannten „Orangenen Revolution“ in der Ukraine:

„Schon 1991 untergrub der erste Irakkrieg weitgehend den Einfluss Moskaus im Nahen Osten. Dasselbe leistete der Jugoslawienkrieg 1999 auf dem Balkan. 2001 errichteten die USA im Rahmen des Afghanistankriegs erstmals Militärbasen in ehemaligen Sowjetrepubliken und nisteten sich in Zentralasien ein. Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisien und zum Teil auch Aserbaidschan sind seither Verbündete der USA. Vor einem Jahr verhalfen sie dann in Georgien einem rabiat prowestlichen Regime an die Macht. Und in Europa sind mittlerweile die meisten Mitglieder des früheren Warschauer Pakts, einschließlich der ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken, der Nato und der EU beigetreten. Wechselt nun auch noch die Ukraine ins westliche Lager, wäre Russland weitgehend isoliert.“

Die Grundideen des Intermariums hatten einen bedeutenden Einfluss auf diese Politik. Teile der herrschenden Eliten in den USA machen sich seit langem für eine Wiederbelebung des Intermariums stark. Dabei haben polnisch-amerikanische Politiker, allen voran Zbigniew Brzeziński, eine der einflussreichsten Figuren in der amerikanischen Außenpolitik, eine Schlüsselrolle gespielt. Wie Brzezinski selbst in einer Rede vor dem Center of Eastern Studies des Think Tanks CSIS (Center for Strategic and International Studies) im Jahr 2003 erklärte, ist sein geopolitisches Denken stark von den Konzeptionen der Prometheus-Liga geprägt.

Laut Brzeziński sollte das Hauptziel des Centers beim CSIS darin bestehen, die Verbindungen mit Polen zu verbessern und Warschaus historische Verbindungen zu den Eliten in Osteuropa und dem Kaukasus zu nutzen. Von den 1960er bis in die1990er Jahre stand Brzezinski mit Jerzy Giedroyc im Briefkontakt und unterstützte seine Zeitschrift Kultura finanziell. [1] Als außenpolitischer Berater der Carter-Regierung in den 1970er Jahren zählte Brzezinski zu den Architekten der amerikanischen Politik, durch die Unterstützung nationalistischer Bewegungen den Zerfall der Sowjetunion voranzutreiben.

Am deutlichsten wird der Einfluss der Prometheus-Ideen in Brzezińskis Buch „Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft” aus dem Jahr 1997. In einer Passage, die an Piłsudskis strategische Überlegungen bei der Invasion der Ukraine 1920 erinnert, schreibt er:

„Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“ [2]

Seine strategische Vision für die Außenpolitik der USA formuliert Brzeziński dann folgendermaßen:

„Kurzfristig ist es in Amerikas Interesse, den derzeit herrschenden Pluralismus auf der Landkarte Eurasiens zu festigen und fortzuschreiben. Dies erfordert ein hohes Maß an Taktieren und Manipulieren, damit keine gegnerische Koalition zustande kommt, die schließlich Amerikas Vorrangstellung in Frage stellen könnte, ganz abgesehen davon, dass dies einem einzelnen Staat so schnell nicht gelänge. Mittelfristig sollte die eben beschriebene Situation allmählich einer anderen weichen, in der auf zunehmend wichtigere, aber strategisch kompatible Partner größeres Gewicht gelegt wird, die, veranlasst durch die Führungsrolle Amerikas, am Aufbau eines kooperativeren transeurasischen Sicherheitssystems mitwirken können. Schließlich, noch längerfristiger gedacht, könnte sich aus diesem ein globaler Kern echter gemeinsamer politischer Verantwortung herausbilden.“ [3]

Brzezińskis Ideen trafen zwar oft auf Widerstand, doch er stand damit bei weitem nicht allein. Laut dem ehemaligen Außenminister Robert Gates trat auch Dick Cheney, einer der Hauptkriegsverbrecher im Irak-Krieg, 1991 für die ethnische Spaltung der Sowjetunion ein. Gates schreibt:

„Als die Sowjetunion Ende 1991 zusammenbrach, wollte Dick, dass nicht nur die Sowjetunion und das Russische Reich, sondern auch Russland selbst zerschlagen wird, damit es nie wieder eine Bedrohung für den Rest der Welt werden könne.” [4]

In einer kürzlich veröffentlichten akademischen Studie heißt es, das Intermarium sei nie offizielle Politik der USA gewesen, so wie es nie offizielle Staatsraison Polens war. Doch Teile der herrschenden Eliten unterstützen es seit vielen Jahren. Neben Brzezinski gehören dazu unter anderem Madeleine Albright, US-Außenministerin von 1997 bis 2001, sowie Alexander Haig, der erst Außenminister unter Ronald Reagan und dann der oberste Kommandeur für die Truppen der NATO und USA in Europa. [5] Auch wenn die herrschende Klasse der USA über das Prometheus-Projekt gespalten war, trug dieses in den vergangenen Jahrzehnten stark zur Herausbildung der US-Außenpolitik bei.

Wie die World Socialist Web Site erklärt hat, ist die Einkreisung Russlands ein wesentlicher Bestandteil der Strategie der USA, ihre Vorherrschaft auf der ganzen Welt zu sichern. Den Territorien, die früher zur Sowjetunion und zu den deformierten Arbeiterstaaten gehörten, fällt in dieser Strategie eine zentrale Rolle zu. In der Sprache der Geopolitiker bilden sie einen großen Teil „Eurasiens“ – ein Begriff, der vom britischen Geostrategen Halford Mackinder im frühen 20. Jahrhundert geprägt wurde. Mackinder vertrat die Ansicht, dass die Herrschaft über Eurasien gleichbedeutend sei mit der Herrschaft über die gesamte Welt. In diesem Rahmen spielen die Mitglieder des angestrebten Intermariums eine strategische Rolle.

Für den US-Imperialismus sind das Schicksal Osteuropas und Russlands und die Intermariums-Strategie letztlich dem Ziel untergeordnet, die gesamte Welt zu beherrschen. Gerade spielt die eurasische Landmasse jedoch eine entscheidende Rolle. Brzezinski schrieb dazu:

„Seit den Anfängen der Kontinente übergreifenden politischen Beziehungen vor etwa fünfhundert Jahren ist Eurasien stets das Machtzentrum der Welt gewesen. (…) Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt aber davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird – und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann.“ [6]

Weiter heißt es bei Brzezinski:

„Eurasien ist somit das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird.“ [7]

Im vergangenen Vierteljahrhundert spielte Polen eine Schlüsselrolle bei der Verwirklichung dieser Politik. Vor allem die USA drängten auf die Aufnahme Polens und der baltischen Staaten in die NATO. Auch den Beitritt dieser Staaten zur Europäischen Union unterstützte Washington mit Nachdruck, in der nicht unberechtigten Hoffnung, sie würden eine wichtige Stütze der US-Außenpolitik in Europa abgeben und ein Gegengewicht zu Deutschland und Frankreich, den dominierenden imperialistischen Mächten der EU, bilden. Polen war auch die wichtigste Stütze der militärischen Expansion der NATO an die Grenzen Russlands. Warschau hat den Aufbau eines nuklearen Abwehrschildes, der sich direkt gegen Russland richtet, unterstützt und Truppen für die imperialistischen Kriege gegen Afghanistan und den Irak zur Verfügung gestellt.

Seit 1989 hat Polen mehr für das Militär ausgegeben als alle anderen neuen NATO-Mitglieder zusammengenommen. Diese schnelle Militarisierung wurde nicht zuletzt durch die Vereinigten Staaten ermöglicht. Insgesamt sind die Rüstungsgüter, welche die USA seit 1996, dem Jahr vor Polens NATO-Beitritt, an Warschau verkauft haben, rund 4,7 Milliarden US-Dollar wert. Dies geht aus einem Bericht des Congressional Research Service vom März 2016 hervor.

Darüber hinaus diente Polen als Dreh- und Angelpunkt für die Netzwerke, die in die sogenannten „Farbenrevolutionen” in der Ukraine und Georgien verstrickt waren und die pro-westliche Oppositionsbewegung in Weißrussland unterstützen. Diese „Demokratie“-Bewegungen sind nicht nur von zahlreichen Geheimdiensten durchsetzt, sondern auch eng mit der örtlichen Rechten verwoben, die in vielen Fällen enge historische Verbindungen zum „Prometheus-Projekt“ hat.

Jerzy Giedroyc, der bis zum seinem Tod im Jahr 2000 politisch aktiv blieb, ist zu einer der einflussreichsten Figuren der polnischen Außenpolitik geworden. Im Jahr 2005 erklärte der polnische Sejm das Jahr 2006 zum „Jahr von Jerzy Giedroyc“ und feierte seine Ideen unter Hinweis auf die „Orangene Revolution“ in der Ukraine, die von Washington und Warschau unterstützt wurde. In der offiziellen Resolution des Sejms heißt es:

„Der Durchbruch, der während der ‘Orangenen Revolution’ in Kiew in den polnisch-ukrainischen Beziehungen erzielt wurde, sowie die Reaktionen der Polen auf den ukrainischen Kampf um das Recht auf Selbstbestimmung und demokratische Wahlen zählen zu den realen und nachhaltigsten Siegen des Redakteurs [Giedroyc].“

Die rechte, nationalistische Partei „Recht und Gerechtigkeit” (PiS) ergriff in ihrer ersten Regierungszeit von 2005 und 2010 eine Reihe von Initiativen zum Ausbau militärischer und politischer Netzwerke und zur Zusammenarbeit mit der Ukraine, Georgien, Weißrussland und den Staaten der Visegrad-Gruppe (Ungarn, Slowakei und Tschechische Republik). Die Pläne von Präsident Lech Kaczyński (PiS), der 2010 durch ein Flugzeugunglück ums Leben kam, das Intermarium wiederzubeleben, waren allgemein bekannt. Einer seiner wichtigsten Verbündeten war der georgische Präsident Michail Saakashvili, der 2003 von der „Rosenrevolution“, einer von den USA gesponserten Bewegung, an die Macht gebracht wurde. Kaczyński und Saakashvili demonstrierten öffentlich ihre Unterstützung für das Prometheus-Projekt, als sie am 22. November 2007 gemeinsam eine Prometheus-Statue in Tiflis enthüllten.

Paul Goble vom Institute of World Politics lobte die Politik Warschaus in einem Artikel mit dem Titel „Das Prometheus-Projekt ist wiedergeboren” mit den Worten:

„Erstens unterstützt Warschau weiterhin den demokratischen Wandel in Europa und eine Orientierung der Länder in der Peripherie von Russland auf den Westen statt auf Moskau. … Zweitens ist es zur führenden Kraft im „baltisch-nordischen Verband“ geworden, wie man ihn in Ermangelung eines besseren Begriffs nennen könnte, in einer von Polen und Estland angeführten Ländergruppe, die sicherstellen will, dass der nordöstliche Teil Europas enger an den Westen gebunden wird. … Und drittens erlangt Polen zunehmend Bedeutung als Zentrum für das Studium der Völker und der Politik Eurasiens. Wie es die Prometheus-Liga in der Vorkriegszeit getan hat, zieht es Akademiker und Journalisten aus Ost und West an, forscht und veröffentlicht Publikationen, die die Sichtweise der beiden Seiten aufeinander definieren.“

Wird fortgesetzt

Anmerkungen:

[1] Phillip Tadeusz Turner: The Evolution of Prometheanism: Józef Pilsudski’s Strategy and its Impact on Twentieth-First Century World Affairs [Die Entwicklung des Prometheanismus. Józef Pilsudskis Strategie und ihr Einfluss auf die Weltpolitik im 21. Jahrhundert], Thesis submitted in partial satisfaction of the requirements for the Masters of Arts in History at Boise State University (May 2015), S. 44. Das englische Original ist online verfügbar: http://scholarworks.boisestate.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1944&context=td

[2] Zbigniew Brzeziński: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Fischer Taschenbuch Verlag 2001, S. 74.

[3] Ebd., S. 282-83, Hervorhebung im Original.

[4] Phillip Tadeusz Turner: The Evolution of Prometheanism: Józef Pilsudski’s Strategy and its Impact on Twentieth-First Century World Affairs, (May 2015), S. 55.

[5] Ebd., S. 36.

[6] Zbigniew Brzeziński: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Fischer Taschenbuch Verlag 2001, S. 15.

[7] Ebd., S. 16.

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