Spaniens PSOE-Podemos-Regierung verteidigt im Lancet eine Politik der „Herdenimmunität“

Anfang Dezember, als die Corona-Pandemie auch in Spanien wütete, schrieb Fernando Simón, ein hoher Gesundheitsberater der PSOE-Podemos-Regierung, einen Brief an die medizinische Fachzeitschrift The Lancet, um den politisch kriminellen Umgang seiner Regierung mit der Pandemie zu verteidigen.

Simón ist Direktor der für die Pandemie zuständigen Behörde des Gesundheitsministeriums namens Centro de Coordinación de Alertas y Emergencias Sanitarias (CCAES). Der Brief trägt seine eigene Unterschrift und diejenige seiner Stellvertreterin María José Sierra Moros, sowie weiterer 11 Unterzeichner aus dem CCAES.

In dem Brief wird zunächst „der frühe Beginn der zweiten Welle der Covid-19-Epidemie in Spanien im Vergleich zu anderen europäischen Ländern“ beklagt: Dies habe „offene Kritik an der Art und Weise hervorgerufen, wie das Gesundheitsamt reagierte“. Dieser Kritik wird entgegen gehalten, dass Spanien angeblich nach der ersten Corona-Welle seine „Reaktionskapazitäten“ „stark ausgeweitet“ habe.

Podemos-Parteichef Pablo Iglesias (links) und Ministerpräsident Pedro Sanchez (PSOE) im Parlament in Madrid, Dienstag, 12. November 2019 (AP Photo/Paul White)

Simóns Entschuldigung kam am 7. Dezember zu einem Zeitpunkt, als die Zahl der Corona-Neuinfektionen wieder stark zu steigen begann, nachdem sie einen Monat lang zurückgegangen war. Im November konnte ein Höchststand von Anfangs rund 25.000 täglichen Neuinfektionen bis zum Ende des Monats auf etwa 7.000 pro Tag reduziert werden. Doch in der Vorweihnachtszeit wurden die Einschränkungen gelockert, und prompt stieg auch die Zahl der positiv Getesteten wieder an.

Mit über 1,85 Millionen positiver Fälle und bisher 50.000 Todesfällen steht Spanien weltweit an neunter Stelle. Spanien hat 106,5 Todesfälle pro 100.000 Einwohner und weist damit etwa einen Todesfall pro tausend Einwohner auf.

Simóns Brief bezeugt, dass die Regierung über die wachsende politische Radikalisierung erschrocken ist. Er ist ein erbärmlicher Versuch, ihre Verantwortung für die Zehntausenden Corona-Toten zu vertuschen, indem er auf unehrliche Weise behauptet, Spanien habe seine „Reaktionskapazitäten nach der ersten Welle dieses Virus stark erhöht“.

„Alle Strategien und Protokolle wurden in einen aktualisierten Frühwarnplan integriert“, heißt es weiter. Im Juli seien Maßnahmen verabschiedet worden wie zum Beispiel „neue Bestimmungen zur Erhöhung der epidemiologischen Überwachung, Verfahren zum Testen, zur Kontakteverfolgung und zur Isolierung und die Bereitstellung strategischer Reserven und Kapazitäten im Gesundheitswesen“.

Simón lobt sich selbst wegen der Maßnahmen, die nach der ersten Welle der Pandemie eingeführt wurden, aber er erwähnt nicht die hohen Infektionen, die Spanien in den ersten Monaten von 2020 heimsuchten, und die daraus resultierenden entsetzlichen Verluste an Menschenleben. Die Krankenhäuser waren mit dem Ansturm des Virus überfordert, alte Menschen wurden in Pflegeheimen dem Tod überlassen, und die Leichenhallen waren mit Covid-19-Opfern überfüllt.

Nach offiziellen Regierungsangaben starben allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2020 rund 29.000 Menschen an dem Virus. In diesen Zahlen sind nur diejenigen enthalten, die nach einem positiven Test auf das Virus gestorben sind. Da systematische Corona-Tests zu Beginn der Pandemie kaum verfügbar waren, ist die Dunkelziffer hoch, und das wahre Ausmaß der Katastrophe wird bewusst und vorsätzlich untertrieben.

Tatsächlich starben nach Angaben der spanischen nationalen Statistikstelle INE allein in der ersten Welle der Pandemie 45.684 Menschen an vermutetem oder bestätigtem Covid-19, die meisten davon zwischen März und Mai dieses Jahres.

Weitere 4.218 Todesfälle traten laut INE in demselben Zeitraum auf, bei denen das Coronavirus nicht die Hauptursache war, aber dennoch als Komorbidität zum Tod beitrug. Dazu gehören Menschen, die an Krankheiten wie Krebs gelitten hatten und schließlich an Komplikationen starben, die mit dem Coronavirus in Verbindung standen.

Zusammengenommen zeigen diese Zahlen, dass allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2020 rund 50.000 Todesfälle mit Covid-19 in Verbindung gebracht werden können. Damit ist das Virus die führende Todesursache in Spanien in diesem Zeitraum. Die INE-Daten zeigen, dass das Virus in Spanien so viele Menschen tötete wie alle Krebsarten zusammen. Es verursachte doppelt so viele Todesfälle wie die Atemwegserkrankungen, sowie etwa siebenmal so viele Todesfälle wie äußerliche Ereignisse wie Morde, Verkehrsunfälle, Selbstmorde und Unfälle.

Was die Behauptung angeht, dass Spanien vorbildlich auf die erste Welle reagiert habe, so erlebte das Land in diesem Jahr den tödlichsten Herbst seit über vierzig Jahren. In den Monaten September, Oktober und November verzeichnete Spanien über 110.000 Todesfälle. Das ist die höchste Zahl in diesem Zeitraum seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1975, dem Ende des Franco-Regimes. In den 45 Jahren, die seither verflossen sind, wurden in Spanien in diesen Monaten sonst nie mehr als 100.000 Todesfälle registriert.

Tatsächlich fallen laut den Zahlen der staatlichen Mortalitätsüberwachung 28 der 30 Tage mit der höchsten Gesamtsterblichkeit seit 1975 in die Corona-Pandemie. Die Zahlen der INE zeigen darüber hinaus, dass es in diesem gesamten Jahr schon mehr als 75.000 „überzählige Todesfälle“ in Spanien gegeben hat, verglichen mit den durchschnittlichen jährlichen Todeszahlen des Zeitraums 2016–2019.

Dies ist das direkte Produkt der Weigerung der Regierung, ernsthafte Maßnahmen zur Eindämmung der zweiten Pandemiewelle zu ergreifen. Anfang November machte Simón in einer Pressekonferenz des Gesundheitsministeriums diese kriminelle Politik deutlich: „Wir haben in Spanien im Moment keinen Lockdown, und ein solcher wird wahrscheinlich auch nicht nötig sein.“

Er fuhr fort: „Würden wir eine echte und vollständige Abriegelung verhängen, bei der niemand sein Haus aus welchem Grund auch immer verlassen würde, dann hätten wir das innerhalb von etwa 15 Tagen unter Kontrolle – oder vielleicht in einem Monat. Aber das ist unmöglich. Es gibt Menschen, die arbeiten müssen, die Dinge kaufen müssen, die das Haus verlassen müssen (…) Eine totale Abriegelung ist unmöglich.“

Simón lobt in seinem Brief an den Lancet auch die „umfassende und transparente Information zur täglichen Epidemiekontrolle“, die die spanische Regierung zur Verfügung stelle. Sie basiere „auf erschöpfenden Einzelfallinformationen, die täglich auf nationaler Ebene eingehen“.

Die Zahlen der spanischen Regierung sind, wie die ihrer Kollegen in ganz Europa, weit davon entfernt, „umfassend“ und „transparent“ zu sein. In der Tat unterschätzt die offizielle Statistik die Gesamtzahl der Todesopfer um mehrere zehntausend. Die Regierung gibt die Gesamtzahl der Todesopfer in der ersten Welle der Pandemie mit 29.000 an, während die Statistikstelle INE mit etwa 50.000 Toten rechnet. Während die INE die Zahl der Todesopfer im Jahr 2020 auf über 75.000 beziffert hat, gibt die PSOE-Podemos-Regierung die Gesamtzahl der Covid-19-Toten bisher mit etwa 50.000 an.

Auch die Regionalregierungen verschleiern das Ausmaß der Katastrophe. Im Oktober tauchten Berichte auf, dass die Madrider Regionalregierung die täglichen Zahlen verfälsche. Sie ließ Tausende von Fällen aus ihren täglichen Zahlen weg, ehe sie zwei Wochen später die Infektionszahlen rückwirkend änderte, ohne die Öffentlichkeit darüber zu informieren.

Ebenfalls im Oktober kritisierten Fachleute aus katalanischen Forschungszentren und dem deutschen Max-Planck-Institut in einem Brief an The Lancet die spanische Regierung, weil sie keine detaillierten Daten über die Pandemie, aufgeschlüsselt nach Alter, Geschlecht und Region, zur Verfügung stelle. „In Spanien“, so der Brief, „sind die derzeit veröffentlichten Covid-19-Daten auf Landes- und Regionalebene nicht ausreichend, um die Dynamik von Covid-19 zu verstehen und Maßnahmen zu ergreifen.“

Mittlerweile räumt auch Simón in seinem Dezember-Brief ein: „Das System weist jedoch weiterhin Schwächen auf, mit chronisch unzureichenden Investitionen in die medizinische Grundversorgung, öffentliche Gesundheit, Digitalisierung, Forschung und Innovation, bürokratischen Abläufen und einer geringen Verfügbarkeit von ausgebildeten Fachkräften.“ Simón vermeidet es zu erwähnen, dass diese „Schwächen“ das Ergebnis einer jahrzehntelangen Sparpolitik sind, die alle Regierungen quer durch das politische Spektrum verfolgt haben. Sie haben Spanien erbärmlich schlecht auf die Covid-19-Pandemie vorbereitet.

Zum Schluss seines Briefs versucht Simón, die Schuld für Spaniens massive Todesfälle auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Er behauptet, dass das Versagen der Regierung, die Pandemie einzudämmen, in Wirklichkeit auf die „Pandemie-Müdigkeit“ der Bevölkerung zurückzuführen sei.

„Eine Politisierung und ein unglückliches Klima der Konfrontation herrscht in verschiedenen Bereichen vor“, schreibt er. „Dies macht eine effektive Krisenkommunikation schwierig und wird wahrscheinlich die Reaktionsbemühungen beeinträchtigen.“ Soll heißen: Die weit verbreitete, legitime Wut in der Arbeiterklasse über eine mörderische Politik der „Herdenimmunität“ wird nicht toleriert. Auf dieser Grundlage setzte die PSOE-Podemos-Regierung Anfang des Jahres Bereitschaftspolizei ein, um Stahlarbeiter anzugreifen, die für das Recht streikten, zu ihrem eigenen Schutz zu Hause zu bleiben.

Der Brief an den Lancet ist ein fauler Versuch, der PSOE-Podemos-Regierung Absolution zu erteilen für die kriminelle Politik, die sie in Wirklichkeit betrieben hat und noch betreibt.

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