IG Metall zementiert Lohnspaltung zwischen Ost und West und dehnt sie auf einzelne Betriebe aus

Letzte Woche hat die IG Metall die Tarifverhandlungen in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie sang- und klanglos beendet und die Lohnspaltung zwischen Ost- und Westdeutschland für mindestens weitere sechs Jahre zementiert. Mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung hat die Gewerkschaft die Angleichung der Löhne für die meisten Beschäftigten erneut auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.

In der ost- und westdeutschen Metall- und Elektroindustrie wird die gleiche Arbeit weiterhin ungleich bezahlt. Im Osten gilt die 38-, im Westen die 35-Stunden-Woche. Dadurch erhalten die ostdeutschen Metaller 8,5 Prozent weniger Lohn. Seit drei Jahrzehnten steht die IG Metall für diese Spaltung. Die Empörung über diese Ungleichheit ist mit der Belastung durch die Corona-Pandemie weitergewachsen.

Die IG Metall hat versucht, diese Empörung mit der Forderung nach vier Prozent mehr Lohn bei gleichzeitiger Angleichung der Arbeitszeit in Ostdeutschland aufzufangen. In den vergangenen Monaten haben mehr als 100.000 Arbeiter mit Warnstreiks für diese Forderungen gekämpft. Betroffen waren große Autohersteller und Zulieferer, die den Osten als verlängerte Werkbank nutzen – BMW und Porsche in Leipzig, Volkswagen in Zwickau und Dresden, Daimler in Ludwigsfelde und Berlin, ZF in Brandenburg an der Havel, Bosch in Sebnitz, Mahle in Wustermark, Schaeffler in Luckenwalde, u.a.. Nun hat die IG Metall diese Bewegung abrupt abgewürgt.

Die Arbeitgeberverbände hatten jede Angleichung der Löhne kategorisch abgelehnt. Die IG Metall reagierte darauf in jeder neuen Verhandlungsrunde mit weiteren Zugeständnissen. Anfang Mai legte sie schließlich dem Berlin-Brandenburger Arbeitgeberverband (VME) einen Vorschlag vor, der auf die volle Angleichung der Arbeitszeit verzichtete und erst 2025 eine Verkürzung auf 37 Wochenstunden vorsah.

Die Beschäftigten sollten diese Verkürzung selbst finanzieren, und zwar mit dem so genannten „Transformationsgeld“, das Ende März im nordrhein-westfälischen Pilotabschluss vereinbart worden war. Diese Einmalzahlungen in Höhe von 18,4 Prozent eines Monatsentgelts für 2022 und 27,6 Prozent ab 2023 erhalten die Beschäftigten bundesweit, wenn das jeweilige Unternehmen sich nicht in finanziellen Schwierigkeiten oder „im Umbruch“ befindet.

Im Osten sollte nun das Transformationsgeld die Reduzierung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde in vier Jahren finanzieren. Doch selbst diese Kapitulation der Gewerkschaft lehnten die Unternehmen ab. Stattdessen schlug der Arbeitgeberverband eine Vereinbarung vor, die es den Unternehmen ermöglicht, „in freiwilligen Betriebsvereinbarungen Entgeltbestandteile in Zeit umzuwandeln“, die Löhne also nominell zu kürzen. Birgit Dietze, Verhandlungsführerin und Bezirksleiterin der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen, bezeichnete das als „Tauschgeschäfte“.

Letzte Woche wurden die Verhandlungen dann aufgespalten. In Sachsen vereinbarte die IGM für die fast 190.000 Beschäftigten der dortigen Metall- und Elektroindustrie die Übernahme des nordrhein-westfälischen Pilotabschlusses. Für die Lohnangleichung bereitet sie bis Ende Juni 2021 mit dem sächsischen Arbeitgeberverband (VSME) einen Rahmenvertrag vor, der die Angleichung den einzelnen Betrieben überlässt.

Dietze erklärte, wenn es bis Ende Juni „zu keiner tragfähigen Einigung kommen“ sollte, werde die IG Metall „das Ziel der Angleichung weiterverfolgen und dafür unsere Strategie Haus für Haus ausrichten“. Die Gewerkschaft wird dann also versuchen, wie von den Unternehmen vorgeschlagen auf betrieblicher Ebene Vereinbarungen zu treffen. Für die meisten Arbeiter wird dies heißen, dass die Angleichung der Löhne noch viele weitere Jahre ausbleibt.

Mit einer Tarifeinigung bei der VW Sachsen GmbH hat die IG Metall gleichzeitig bewiesen, dass sie nichts gegen „Tauschgeschäfte“ einzuwenden hat, diese dürfen nur nicht so plump formuliert sein, wie es der Arbeitgeberverband vorschlug. Auch die Gewerkschaft ist der Meinung, dass die Beschäftigten die Kosten für die Angleichung selbst tragen müssen.

Die IG Metall hat vereinbart, dass die tarifliche Arbeitszeit an den VW-Standorten Zwickau, Chemnitz und Dresden 2022 in einem ersten Schritt auf 37 Stunden sinkt. Bis 2027 soll die wöchentliche Arbeitszeit der rund 10.000 VW-Arbeiter im Osten dann schrittweise an die im Haustarif geltende 35-Stunden-Woche angepasst werden. Die VW Sachsen GmbH wird zeitgleich in die Volkswagen AG überführt. Ähnliche Vereinbarungen soll es auch bei ZF Getriebe Brandenburg, SAS Automotive Systems und einigen anderen Betrieben geben. Vereinbarungen bei BMW und Porsche in Leipzig sollen folgen.

Bezahlen sollen dies die Arbeiter durch eine massive Steigerung der Arbeitshetze. „Dabei ist uns bewusst, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte nicht gefährden wollen,“ begründete dies der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der Volkswagen Sachsen GmbH, Jens Rothe. „Wir haben deshalb ein umfangreiches Kompensationspaket vereinbart.“

Ralf Brandstätter, Vorstandsvorsitzender der Marke Volkswagen PKW, wurde deutlicher. „Wir haben uns darauf verständigt, die Mehrkosten der Arbeitszeitverkürzung durch standortbezogene Kompensationsmaßnahmen auszugleichen“, sagte er. „Auf dieser Basis werden wir die Produktivität in unseren Werken schrittweise um bis zu 30 Prozent steigern.“

Zu den vorgesehenen Maßnahmen zählen „unter anderem Effizienz- und Produktivitätssteigerungen, eine Flexibilisierung beim Mitarbeitereinsatz, eine Neuausrichtung der Fertigungsorganisation sowie konsequente Kostensenkungen durch Synergien mit den Strukturen und Prozessen der Volkswagen AG“, schreibt der VW-Konzern.

„Mit der Integration optimieren wir unsere Strukturen, verbessern die Zusammenarbeit und heben Effizienzen in der Verwaltung,“ ergänzt der ehemalige IGM-Funktionär und heutige Personalvorstand des VW-Gesamtkonzernes Gunnar Kilian. Dieser Manager-Jargon bedeutet, dass auch Arbeitsplätze in der Verwaltung eingespart werden.

Mit dieser Vereinbarung hat die IG Metall auf gesamter Breite kapituliert und die gewerkschaftliche Spaltungspolitik der letzten drei Jahrzehnte weitergeführt.

In der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie gilt die 35-Stunden-Woche seit 1995. In Ostdeutschland, wo die Industrie nach der Wiedervereinigung fast vollständig abgewickelt worden war, profitierten die großen Konzerne von der Massenarbeitslosigkeit sowie den niedrigeren Löhnen und der längeren Wochenarbeitszeit, die sie mit den Gewerkschaften vereinbarten. Die niedrigeren Arbeitskosten in Ostdeutschland dienten dann wiederum als Hebel, um auch im Westen Zugeständnisse zu erzwingen.

Dagegen hat sich immer wieder Opposition entwickelt, die die Gewerkschaften regelmäßig unterdrückt und abgewürgt haben. So brach die IG Metall im Jahr 2003 einen vierwöchigen Arbeitskampf zur Ausdehnung der 35-Stunden-Woche auf Ostdeutschland ohne Ergebnis ab.

Im Herbst 2018 verständigte sich der Berlin-Brandenburger Arbeitgeberverband VME schließlich mit der IG Metall auf eine Stufenvereinbarung zur Angleichung der Arbeitszeit bis 2030. Doch selbst das wurde vom bundesweiten Dachverband Gesamtmetall abgelehnt.

Die IG Metall und auch zahlreiche Medien behaupten ständig, die schlechteren Arbeitsbedingungen im Osten seien darauf zurückzuführen, dass die Gewerkschaft dort zu wenig Mitglieder habe. Das ist falsch. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Die Politik der Gewerkschaften ist der Grund dafür, dass sie nur in den großen Betrieben überhaupt nennenswert vertreten sind.

Die Gewerkschaften und speziell die IG Metall haben die Abwicklung der ostdeutschen Industrie in den 1990er Jahren organisiert und anschließend niedrigere Löhne und längere Arbeitszeiten vereinbart. Sie und ihre Betriebsräte haben dafür gesorgt, dass die Konzerne ihre Gewinne ungeschmälert einfahren können.

Wenn der IG Metall wirklich an einer Angleichung der Löhne liegen würde, hätte sie gerade in der Autoindustrie mit ihrem hohen Organisationsgrad im Westen einen wirksamen Hebel in der Hand. Doch die Gewerkschaft lehnt es strikt ab, ihre Mitglieder bei BMW, Daimler und VW im Westen für eine Angleichung der Löhne im Osten zu mobilisieren.

Über 30 Jahre nach der deutschen Einheit ist offensichtlich, dass Arbeiter ihre eigenen unabhängigen Organisationen benötigen. Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei rufen zur Gründung von Aktionskomitees auf, um Arbeitsplätze, Löhne und Lebensbedingungen zu verteidigen. Die Spaltung der Gewerkschaften zwischen Stammbelegschaften und Zeitarbeitern, zwischen Ost und West und In- und Ausland muss zurückgewiesen werden. Schließt euch unserer Facebook-Gruppe Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze an.

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