Krise im US-Repräsentantenhaus: Die Putschisten vom 6. Januar 2021 machen weiter

Gestern vor zwei Jahren haben der damalige Präsident Donald Trump und eine Mehrheit der Republikaner im Kongress versucht, die Präsidentschaftswahlen 2020 rückgängig zu machen, die Verfassung zu kippen und eine Diktatur zu errichten.

Was seitdem an Informationen herausgekommen ist – durch Anhörungen, Memoiren und auf anderen Wegen – hat sowohl den weitreichenden Charakter der Verschwörung als auch die Tatsache bestätigt, dass sie kurz davor stand, erfolgreich zu sein. Doch außer einer Handvoll Fußsoldaten wurde niemand zur Rechenschaft gezogen, geschweige denn verhaftet.

Der Jahrestag des Staatsstreichs vom 6. Januar wird durch seine Fortsetzung in Form einer Krise um die Nominierung des Sprechers des Repräsentantenhauses gekennzeichnet. Am Donnerstag blockierte ein Kern faschistischer Abgeordneter aus der Republikanischen Partei den dritten Tag in Folge die Wahl eines Kammerpräsidenten. Die Gruppe fordert weitreichende Verfahrensänderungen, um das gesamte politische System gewaltsam nach rechts zu verschieben.

Nach elf Abstimmungsrunden hat der nominelle Führer der Republikaner, der kalifornische Abgeordnete Kevin McCarthy, die erforderliche Mehrheit von 218 Stimmen noch immer nicht erreicht. Das letzte Mal, dass das US-Repräsentantenhaus nach mehr als neun Wahlgängen keinen Sprecher wählen konnte, war 1859, zwei Jahre vor Ausbruch des Bürgerkriegs.

Paul Gosar, Andy Biggs, Scott Perry und andere Mitglieder des rechtsextremen House Freedom Caucus, der von dem Trump-Mitverschwörer Mark Meadows mitbegründet wurde, fordern eine noch nie dagewesene Kontrolle über Ausschüsse und die Befugnisse des Speakers selbst. Dazu gehören auch Sitze im mächtigen Geschäftsordnungsausschuss, der die Arbeitsweise des gesamten Repräsentantenhauses bis zu den nächsten Wahlen festlegt.

McCarthy, der selbst von Trump unterstützt wird und gegen die Zertifizierung der Wahlen 2020 gestimmt hatte, hat darauf mit einer Reihe von Zugeständnissen reagiert. Was auch immer bei den Hinterzimmerverhandlungen herauskommt – wenn es überhaupt eine Lösung gibt –, wird auf Kosten der breiten Masse der Bevölkerung gehen. Ziel ist es, die besten Voraussetzungen für einen massiven Angriff auf Sozialprogramme, Angriffe auf Migranten, höhere Militär- und Polizeiausgaben und Steuersenkungen für die Finanzoligarchie zu schaffen.

Zwar gelang beim Staatsstreich vom 6. Januar nicht, die Wahlen zu kippen, doch zwei Jahre später sehen sich die dahinter stehenden Kräfte ermutigt und gehen in die Offensive. Diese Tatsache fand ihren symbolischen Ausdruck in der Nominierung von Trump selbst zum Sprecher des Repräsentantenhauses durch den Abgeordneten Matt Gaetz während der Abstimmung am Donnerstag. Die Putschisten sprechen für einen bedeutenden Teil der herrschenden Klasse und des Apparats aus Militär und Geheimdienst, der sich darauf vorbereitet, autoritäre Formen der Herrschaft durchzusetzen.

Die Reaktion der Demokraten und der Regierung Biden auf den Konflikt im Repräsentantenhaus steht im Einklang mit ihrer gesamten Reaktion auf den Staatsstreich vom 6. Januar. Als Trumps Mob das Kapitol stürmte, saß Biden stundenlang dabei und appellierte schließlich an den aufstrebenden Diktator selbst, im nationalen Fernsehen ein Ende des Aufstands anzuordnen.

In den zwei Jahren nach dem Staatsstreich hat sich die Regierung Biden der Rehabilitierung der Republikanischen Partei gewidmet. Sie bestand auf der Notwendigkeit einer „starken“ Opposition und rief zur „Überparteilichkeit“ auf, vor allem bei der Weiterführung des Krieges gegen Russland.

Auf den Konflikt um den Sprecher des Repräsentantenhauses, der von Personen angeführt wird, die im Gefängnis sitzen sollten, reagieren die Demokraten mit Nichtstun. Es wird kein Versuch unternommen, Widerstand zu mobilisieren. Das ganze Thema wird wie ein Witz behandelt, als habe es keine wirkliche Bedeutung. Doch wie die WSWS festgestellt hat, hat der Sprecher des Repräsentantenhauses kein bloßes zeremonielles Amt. Der Sprecher ist der oberste politische und administrative Leiter des Repräsentantenhauses. Er nimmt außerdem nach dem US-Vizepräsidenten die zweite Position in der Reihe der Amtsnachfolger für den US-Präsidenten ein.

Um die Fassade der nationalen Einheit aufrechtzuerhalten, hat Biden gestern den zweijährigen Jahrestag des Staatsstreichs mit einer Rede und einer Zeremonie begangen. Er verlieh zwölf Personen die Freiheitsmedaille des Präsidenten, von denen mehr als die Hälfte aktuelle oder ehemalige Polizisten sind.

Im Einklang mit der Schönfärberei des Abschlussberichts vom Sonderausschuss zum 6. Januar hat Biden auch Medaillen an „gute Republikaner“ verliehen, die sich einigen Aspekten von Trumps Coup widersetzt haben, darunter der ehemalige Sprecher des Repräsentantenhauses von Arizona, Russell „Rusty“ Bowers.

Am Donnerstag machte das Weiße Haus ein wichtiges politisches Zugeständnis an die Republikanische Partei und die faschistische Rechte. Die Regierung Biden kündigte an, die Abschiebungen von kubanischen, haitianischen und nicaraguanischen Migranten an der Grenze zwischen den USA und Mexiko massiv auszuweiten. Der eskalierende Angriff auf Migranten erfolgt im Rahmen von Titel 42, den Trump im März 2020 erstmals anwandte.

Die Demokratische Partei repräsentiert eine Fraktion der herrschenden Elite, deren Opposition gegen Trump sich immer auf die Außenpolitik konzentrierte. Der Regierung Biden geht es in erster Linie darum, dass nichts unternommen wird, was den seit fast einem Jahr andauernden Krieg gegen Russland gefährden könnte, den sie am Donnerstag mit der Ankündigung von Panzerlieferungen in die Ukraine massiv eskaliert hat.

Die Demokraten sind sich auch der explosiven Zunahme der sozialen Opposition von unten bewusst, die sie unbedingt eindämmen oder unterdrücken wollen. Zu den wichtigsten Ergebnissen ihrer „Überparteilichkeit“ im vergangenen Jahr gehörte die Verabschiedung eines Gesetzes, das einen Streik von mehr als 100.000 Eisenbahnern verbot.

Einen Tag nach dem Putschversuch vom 6. Januar schrieb die World Socialist Web Site geschrieben dass der faschistische Aufstand „ein Wendepunkt in der Geschichte der Vereinigten Staaten“ sei:

Die ohnehin abgenutzte Verherrlichung der Unverwundbarkeit und Ewigkeit der amerikanischen Demokratie wurde restlos als hohler politischer Mythos entlarvt und diskreditiert. Der berühmte Ausspruch „Das ist bei uns nicht möglich“, der dem Titel von Sinclair Lewis‘ zu Recht berühmtem Werk „It Can‘t Happen Here“ über den Aufstieg eines imaginären amerikanischen Faschismus entstammt, wurde von den Ereignissen überholt. Ein faschistischer Putsch ist „bei uns“ nicht nur möglich. Es ist passiert – am Nachmittag des 6. Januar 2021.

Zwei Jahre später sind die sozialen und politischen Bedingungen, die zu dem Staatsstreich geführt haben, noch immer nicht verschwunden. Die bestehenden Institutionen der herrschenden Klasse brechen unter den Auswirkungen extremer sozialer Ungleichheit, den Folgen der anhaltenden Corona-Pandemie, einer sich verschärfenden Wirtschafts- und Finanzkrise und einem nicht enden wollenden Krieg zusammen, der sich inzwischen zu einem globalen Konflikt entwickelt hat.

Die Verteidigung der demokratischen Rechte in den Vereinigten Staaten kann nicht den Demokraten und dem sklerotischen politischen Establishment der USA überlassen werden. Sie erfordert die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage des Widerstands gegen das kapitalistische System, das die Wurzel der sozialen Ungleichheit und der Diktatur ist.

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