John Pilger ist ein preisgekrönter australischer Enthüllungsjournalist und Dokumentarfilmer. Er hat seit 1970 mehr als 60 Dokumentarfilme produziert, darunter Breaking the Silence: Truth and Lies in the War on Terror (2003), The War You Don't See(2010), Utopia (2013) und The Coming War on China (2016).
Pilger ist einer der wenigen Journalisten weltweit, die den WikiLeaks-Gründer Julian Assange energisch verteidigen und seine sofortige Freilassung aus dem britischen Gefängnis Belmarsh fordern. Pilger hat im Juni 2018 und im März 2019 auf Kundgebungen der Socialist Equality Party in Sydney gesprochen und Julian Assanges Freilassung gefordert.
Die WSWS veröffentlicht auf Pilgers Wunsch im Folgenden die gekürzte Version einer Rede, die John Pilger am 10. März in Sydney hielt. Anlass war die Aufstellung einer Skulptur in Australien von Davide Dormino zu Ehren der drei „mutigen Persönlichkeiten“ Julian Assange, Chelsea Manning und Edward Snowden.
* * *
Ich kenne Julian Assange, seit ich ihn 2010 in London erstmals interviewt habe. Sein trockener, düsterer Sinn für Humor, den er oft mit einem ansteckenden Kichern begleitete, war mir sofort sympathisch. Er ist ein stolzer Außenseiter: scharfsinnig und nachdenklich. Wir wurden Freunde, und ich saß in vielen Gerichtssälen und hörte zu, wie die Vertreter des Staates versuchten, ihn und seine moralische Revolution des Journalismus zum Schweigen zu bringen.
Mein persönliches Highlight war, als sich ein Richter am Royal Courts of Justice über den Richtertisch beugte und mich anknurrte: „Sie sind genauso ein umherziehender Australier wie Assange.“ Mein Name stand auf einer Liste von Freiwilligen, die für Julian eine Kaution hinterlegen wollten, und dieser Richter erkannte in mir denjenigen, der über seine eigene Rolle im berüchtigten Fall der vertriebenen Bewohner des Chagos-Archipels berichtet hatte. Ungewollt machte er mir damit ein Kompliment.
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich Julian in Belmarsh getroffen. Wir sprachen über Bücher und die bedrückende Idiotie des Gefängnisses: die penetrant fröhlichen Parolen an den Wänden, die kleinlichen Bestrafungen – man lässt ihn immer noch nicht den Fitnessraum benutzen. Wenn er Sport treiben will, muss er das in einer Art Käfig machen, wo es ein Warnschild gibt, laut dem man den Rasen nicht betreten darf, obwohl es keinen Rasen gibt. Wir lachten, und für einen kurzen Moment schien manches gar nicht so schlimm.
Das Lachen ist natürlich nur ein Schutzmechanismus. Als die Wächter mit ihren Schlüsseln klapperten, wie sie es gerne tun, um uns zu signalisieren, dass die Zeit vorbei sei, wurde er still. Als ich den Raum verließ, hielt er die geballte Faust hoch, wie er es immer tut. Er ist die Verkörperung von Mut.
Zwischen ihm und der Freiheit stehen diejenigen, die das Gegenteil von Julian verkörpern: Für sie sind Mut, Prinzipien und Ehre Fremdwörter. Damit meine ich nicht das Mafia-Regime in Washington, dessen Verfolgung eines aufrechten Mannes eine Warnung an uns alle sein muss, sondern vielmehr diejenigen, die noch immer behaupten, in Australien stünden sie für eine gerechte Demokratie.
Anthony Albanese hat schon lange vor seiner Wahl zum australischen Premierminister letztes Jahr seine Lieblingsplattitüde: „Genug ist genug“ verbreitet. Er hat vielen von uns, darunter Julians Familie, große Hoffnungen gemacht. Als Premierminister kamen dann Ausflüchte, er „sympathisiere“ nicht damit, was Julian getan hat. Anscheinend sollten wir verstehen, dass er aus Rücksicht auf einen Ordnungsruf aus Washington seine Haltung zurückstellen müsse.
Wir wussten, dass es von Albanese außergewöhnlichen politischen, wenn nicht gar moralischen Mut erfordert hätte, sich im australischen Parlament – das im Mai vor Biden antreten wird – hinzustellen und zu sagen:
„Als Premierminister obliegt es meiner Regierung, einen australischen Staatsbürger nach Hause zu holen, der eindeutig Opfer einer großen, rachsüchtigen Ungerechtigkeit ist: einen Mann, der für die Art von Journalismus verfolgt wird, die einen wahren Dienst an der Öffentlichkeit darstellt. Einen Mann, der nicht gelogen oder getäuscht hat, wie so viele seinesgleichen in den Medien, sondern der den Menschen die Wahrheit darüber gesagt hat, wie es auf der Welt zugeht.“
Ein mutiger und moralischer Premierminister Albanese könnte sagen: „Ich fordere die Vereinigten Staaten auf, ihren Auslieferungsantrag zurückzuziehen, die bösartige Farce zu beenden, welche die einstmals bewunderten britischen Gerichte befleckt, und die bedingungslose Freilassung und Rückkehr von Julian Assange zu seiner Familie zu erlauben. Julian weiter in seiner Zelle in Belmarsh zu belassen, ist ein Akt der Folter, wie es auch der Berichterstatter der Vereinten Nationen klar benannt hat. So verhält sich eine Diktatur.“
Leider stößt mein Wunschtraum, Australien könnte für Julian Gerechtigkeit schaffen, an seine Grenzen. Dass Alabanese Hoffnungen geweckt hat, kommt jetzt einem Verrat nahe, den die Geschichte nicht vergessen wird. Viele werden ihm das nicht verzeihen. Worauf wartet er denn?
Erinnert euch, dass Julian im Jahr 2013 vor allem deshalb von der ecuadorianischen Regierung politisches Asyl erhielt, weil seine eigene Regierung ihn im Stich gelassen hatte. Das alleine gereicht der Verantwortlichen, der Labor-Regierung von Julia Gillard, zur Schande.
Gillard war so darauf erpicht, die Amerikaner dabei zu unterstützen, WikiLeaks für die Verbreitung der Wahrheit zum Schweigen zu bringen, dass sie Assange durch die australische Bundespolizei [AFP] verhaften und ihm den Reisepass wegnehmen lassen wollte – sie sprach von seinen „illegalen“ Veröffentlichungen. Die AFP wies darauf hin, dass sie dazu keine Befugnis habe, da Assange kein Verbrechen begangen habe.
Offenbar ist Australiens Art und Weise, Julian Assange zu behandeln, ein Maßstab für die Aufgabe der australischen Souveränität. Gillards Kriecherei vor beiden Häusern des US-Kongresses ist auf YouTube ein beschämendes Theater. Sie erklärte wiederholt, Australien sei Amerikas „großer Freund“ – oder war es „kleiner Freund“?
Ihr Außenminister war Bob Carr, ein weiterer Politiker aus dem Labor-Apparat, den WikiLeaks als amerikanischen Informanten und nützlichen Burschen Washingtons in Australien entlarvt hat. In seinen veröffentlichten Tagebüchern erklärt Carr stolz, er kenne Henry Kissinger; tatsächlich hat der große Kriegstreiber ihn zu einem Campingausflug in die Wälder Kaliforniens eingeladen, wie wir erfahren.
Die australischen Regierungen haben wiederholt erklärt, Julian habe die volle konsularische Unterstützung erhalten, was sein Recht ist. Doch als sein Rechtsanwalt Gareth Peirce und ich den australischen Generalkonsul in London, Ken Pascoe, trafen, fragte ich ihn: „Was wissen Sie über den Fall Assange?“ Daraufhin lachte er und sagte: „Nur was ich in der Zeitung gelesen habe.“
Heute bereitet Premierminister Albanese dieses Land auf einen absurden Krieg gegen China unter Führung der USA vor. Milliarden Dollar für eine Kriegsmaschinerie aus U-Booten, Kampfflugzeugen und Raketen sollen ausgegeben werden, um China zu erreichen. Das Kriegsgeschrei der „Experten“ in der ältesten Zeitung des Landes, dem Sydney Morning Herald, und in der Melbourner Age ist eine nationale Peinlichkeit oder sollte es sein. Australien ist ein Land ohne Feinde, und China ist sein größter Handelspartner.
Dieser geistesgestörte Kotau vor der Aggression kommt in einem außergewöhnlichen Dokument zum Ausdruck: dem US-Australia Force Posture Agreement. Darin heißt es, amerikanische Truppen hätten „exklusive Kontrolle über den Zugang zu [und] den Einsatz von Waffen und Material, die in Australien bei einem Angriffskrieg eingesetzt werden können“.
Dazu gehören mit ziemlicher Sicherheit auch Atomwaffen. Albaneses Außenministerin Penny Wong „respektiert“ Amerika in dieser Hinsicht, sie hat aber offenbar keinen Respekt vor dem Recht der australischen Bevölkerung, dies zu erfahren.
Eine solche Unterwürfigkeit gab es schon immer – sie ist nicht untypisch für eine Nation von Siedlern, die noch immer keinen Frieden mit den Ureinwohnern und Besitzern ihres Landes gemacht haben. Heute jedoch ist sie gefährlich.
China als „Gelbe Gefahr“ passt zu Australiens rassistischer Geschichte wie die Faust aufs Auge. Allerdings gibt es noch einen anderen Feind, über den sie nicht reden. Das sind wir, die Öffentlichkeit. Wir haben das Recht, Bescheid zu wissen, und auch das Recht, Nein zu sagen.
Seit 2001 wurden in Australien 82 Gesetze verabschiedet, um die spärlichen Rechte auf Meinungsäußerung und abweichende Meinungen einzuschränken und die Kalte-Kriegs-Paranoia eines zunehmend geheimen Staates zu schützen, in dem der Leiter des wichtigsten Geheimdienstes ASIO Vorträge über „Australische Werte“ hält. Es gibt Geheimgerichte und geheime Beweise und geheime Justizirrtümer. Australien ist für seinen Herrn auf der anderen Seite des Pazifiks eine Inspiration.
Bernard Collaery, David McBride und Julian Assange – zutiefst moralische Männer, die die Wahrheit gesagt haben – sind die Feinde und Opfer dieser Paranoia. Sie sind unsere wahren Nationalhelden, nicht die Soldaten, die für König Edward marschierten.
Gegenüber Julian Assange zeigt der Premierminister zwei Gesichter. Eins lockt uns mit der Hoffnung, dass seine Intervention bei Biden zu Julians Freiheit führen werde. Das andere Gesicht biedert sich dem „POTUS“ an und erlaubt den Amerikanern, mit ihrem Vasallen zu tun, was sie wollen: Ziele festzulegen, die zu einer Katastrophe für uns alle führen könnten.
Wird sich Albanese in Bezug auf Julian Assange hinter Australien oder hinter Washington stellen? Wenn er „aufrichtig“ ist, wie es die naiven Anhänger der Labor Party behaupten, worauf wartet er dann? Wenn er Julians Freilassung nicht erreichen kann, wird Australien kein souveräner Staat mehr sein. Wir werden kleine Amerikaner sein – offiziell.
Hier geht es nicht um das Überleben einer freien Presse. Es gibt keine freie Presse mehr. Es gibt Zufluchtsseiten im Samisdat, wie diese Seite. Es geht in erster Linie um Gerechtigkeit und unser wertvollstes Menschenrecht: frei zu sein.