Unter Studierenden der Humboldt-Universität (HU) wächst die Opposition gegen den Genozid, den die israelische Regierung mit der aktiven Unterstützung der Nato-Mächte an der palästinensischen Bevölkerung verübt. Die einseitige Solidarisierung der Berliner Universitäten mit der israelischen Regierung und ihr Schweigen zu den tausenden Toten im Gaza-Streifen werden von unzähligen Studierenden verurteilt.
Dies zeigte sich am Dienstag auch während der konstituierenden Sitzung des Studierendenparlaments (StuPa). Dort brachte die Fraktion der Juso-Hochschulgruppe einen Antrag ein, der die Kriegspolitik der israelischen Regierung unterstützt, Opposition dagegen als „antisemitisch“ verleumdet und die mörderische Politik der israelischen Regierung als legitime „Verteidigung“ bezeichnet.
Die Hochschulgruppe der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) an der HU hatte zuvor ein Flugblatt veröffentlicht und massenhaft auf dem Campus verbreitet, das den Antrag scharf zurückweist.
Gregor Kahl, StuPa-Abgeordneter der IYSSE, plädierte gleich zu Beginn der Sitzung dafür, den Antrag der Juso-Hochschulgruppe vorzuziehen und rief alle Abgeordneten auf, ihn abzulehnen: „Weltweit demonstrieren Millionen Menschen gegen den Genozid der israelischen Regierung an den Menschen im Gaza-Streifen. Auch die große Mehrheit der HU-Studierenden ist von den schrecklichen Bildern aus Gaza geschockt und lehnt die deutsche Unterstützung für den Mord an unschuldigen Männern, Frauen und Kindern entschieden ab.“
Der Antrag der SPD-Nachwuchspolitiker ziele unter diesen Bedingungen darauf ab, die weit verbreitete Opposition einzuschüchtern und jede Kritik an der Kriegspolitik der deutschen und israelischen Eliten zu unterdrücken. „Das dürfen wir nicht zulassen“, schloss Kahl.
Die IYSSE-Fraktion brachte daraufhin einen Änderungsantrag ein, der auch an alle StuPa-Abgeordneten und Gäste ausgeteilt wurde. Er sieht vor, den Inhalt des Juso-Antrags zu streichen und durch den folgenden Text zu ersetzen:
Das Studierendenparlament lehnt die völlig einseitige Stellungnahme der Humboldt-Universität auf Seiten Israels ab. Es verurteilt den Genozid an der palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen, der von der deutschen Regierung unterstützt wird, auf das Schärfste.
Kritik an der verbrecherischen Politik der rechten Netanjahu-Regierung hat nichts mit Antisemitismus zu tun, sondern ergibt sich gerade als Lehre aus den schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, die in diesem Land begangen wurden. Die Humboldt-Universität ist ein Zentrum der Verharmlosung dieser Verbrechen. Sie stellt sich nach wie vor hinter Professoren wie Jörg Baberowski und Ruud Koopmans, die gegen Geflüchtete hetzen und den Nazi-Terror verharmlosen. Während Koopmans arabische Gebetsrufe als „100% äquivalent wie das ‚Sieg heil!‘ der Nazis“ bezeichnet, behauptet Baberowski, dass Hitler „nicht grausam“ und der Holocaust „im Grunde das Gleiche“ wie Erschießungen im russischen Bürgerkrieg gewesen sei.
Das StuPa ruft alle Studierenden auf, gegen diese Geschichtsfälschung und gegen jede Form von Rassismus, insbesondere von antiarabischem Rassismus und Antisemitismus, vorzugehen und gegen den Genozid in Gaza zu protestieren.
Ein Antrag der IYSSE, der Diskussion über das Statement der Juso-Hochschulgruppe auf der Tagesordnung Priorität einzuräumen, wurde von einer Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt, sodass die Debatte auf eine Sondersitzung des StuPa verschoben wurde. Wir rufen alle HU-Studierenden und Interessierten auf, an dieser StuPa-Sondersitzung am 21. November um 18:30 Uhr teilzunehmen, den Genozid zu verurteilen und unseren Antrag zu unterstützen!
Der Antrag der SPD-Nachwuchspolitiker wendet sich spezifisch gegen eine Petition von Studierenden und Wissenschaftlern der Berliner Universitäten, denen er „antisemitische Narrative“ unterstellt, ohne dies auch nur ansatzweise nachzuweisen.
Tatsächlich hat die Petition, die unter Studierenden breite Unterstützung gefunden hat, mit Antisemitismus nicht das Geringste zu tun. Die Autoren kritisieren darin das anhaltende Bestreben der Berliner Universitäten, „die akademische Debatte über Themen wie Menschenrechte, Internationales Recht und gewaltlosen Widerstand zu verhindern, insbesondere sobald diese im Zusammenhang mit der Situation von Palästinenser*innen in Palästina*Israel stehen“. Damit „wenden diese Universitäten die Grundsätze der Menschenrechte und des Völkerrechts selektiv an, das bedeutet, dass die Menschenrechte für einige gelten und für andere nicht.“
Ende Oktober hatte die Humboldt-Universität der IYSSE-Hochschulgruppe verboten, eine Veranstaltung unter dem Titel „Stoppt den Genozid in Gaza“ durchzuführen, wogegen zahllose Studierende und Leser der WSWS protestierten.
Eine solche Einschränkung des Diskurses, so die Petition, „legt nahe, dass Tötungen je nach politischer Agenda selektiv wahrgenommen und bewertet werden. Die Anerkennung der Menschlichkeit der Palästinenser*innen ist so gut wie verschwunden. Wissenschaftliche Institutionen haben erneut versäumt, den Mord an unschuldigen Zivilist*innen zu verurteilen. Wir haben gesehen, wie dieser Drang zur Entmenschlichung die Medien und politische Diskurse durchdrungen hat, und wir sehen die sehr realen Schäden, die er verursacht. Die Abwertung jeglichen Lebens muss entschieden abgelehnt werden. Hier haben die genannten Universitäten in Berlin versagt.“
Zahlreiche Studierende folgten dem Aufruf der IYSSE, an der StuPa-Sitzung teilzunehmen, um der Kriegspropaganda und den Verleumdungen der Juso-Fraktion entgegenzutreten. Unter ihnen war auch Udi Raz, die zu den Initiatoren der Petition zählte und vom Jüdischen Museum Berlin entlassen wurde, nachdem sie die Verhältnisse im Westjordanland unter Verweis auf die Menschenrechtsorganisation Amnesty International als „Apartheid“ bezeichnet hatte. Im Gespräch mit IYSSE-Mitgliedern sagte Udi:
„Die Art und Weise, wie gerade mit Antisemitismusvorwürfen umgegangen wird, ist an sich schon antisemitisch. Die Behauptung, dass jüdische Menschen nicht in der Lage seien, sich eine Zukunft vorzustellen, in der sie auch mit palästinensischen Menschen in Frieden leben, ist ein Beispiel dafür, warum ich denke, dass so eine Einstellung eigentlich antisemitisch ist. Deutsche Nationalisten behaupten oft, dass Islamisten nicht in der Lage seien, zwischen jüdischen Menschen und Israel zu differenzieren. Das stimmt, aber das tun Israel und Deutschland genauso wenig. Auch sie sehen keinen Unterschied zwischen jüdischen Menschen und Israel und differenzieren nicht.“
Nour, die Journalismus studiert und die IYSSE-Kampagne unterstützt, sagte: „Ich finde es erbärmlich, dass außer euch niemand im StuPa die Taten Israels verurteilt hat. Ich habe das Gefühl, dass die Regierung uns zum Schweigen bringen möchte. Dabei haben wir noch nicht einmal eine Stimme.“
Ahmed studiert Wirtschaftsingenieurwesen an einer Berliner Hochschule. Er erklärte: „Es überrascht mich nicht, wie sich die HU positioniert hat. Auch die FU hat Proteste für Gaza verboten. Was die Medien jetzt machen, ist das Allerletzte. Dinge werden verdreht und andere Sichtweisen werden ausgeblendet. Die Zeitung Welt hat zum Beispiel behauptet, auf Demonstrationen werde gefordert, Israel zu bombardieren. Dabei haben die Leute gerufen: ‚Israel bombardiert, Deutschland finanziert‘. Wenn man eine bestimmte Regierung kritisiert, ist das nicht gegen das jeweilige Volk gerichtet.“
Die wachsende Opposition zeigte sich bereits am Dienstagmittag in einer kurzfristig organisierten stummen Demonstration vor dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität, an der sich rund einhundert Studierende beteiligten.
Die Studierenden verurteilten das Schweigen und die „einseitige Solidarität“ der Universitätsleitung, die sich in öffentlichen Statements an die Seite israelischer Studierender und Wissenschaftler gestellt hatte, ohne die tausenden Opfer der israelischen Bombardements auch nur zu erwähnen.
Angehörige der Fachschaftsinitiative Islamische Theologie, die zum Protest aufgerufen hatten, berichteten zudem von einem Brandanschlag auf den größten Seminarraum des Instituts. Dort hatten Unbekannte in der Nacht zum Donnerstag vergangener Woche zwei große Müllcontainer angezündet, die vollständig abbrannten und das Institutsgebäude beschädigten.
Ein Statement der Fachschaftsinitiative sieht für den Anschlag „vor allem die Politik und Medienmacher in der Verantwortung“, da deren „hitzig geführte öffentliche Debattenkultur“ dazu geführt habe, „dass sich Teile der Bevölkerung zunehmend radikalisieren und die Angst von religiösen Minderheiten wächst“.
Im Gespräch mit IYSSE-Mitgliedern erklärte HU-Studentin Emine, die an der Demonstration teilnahm: „Es findet gerade die größte Polarisierung auf der ganzen Welt statt. Alle Regierungen positionieren sich gegen uns. Ich habe Angst, mich politisch zu engagieren und öffentlich zu äußern, weil ich nicht die deutsche Staatsbürgerschaft habe.“ Wenige Tage zuvor hatte Vizekanzler Robert Habeck gedroht, dass Muslime, die sich nicht „klipp und klar von Antisemitismus distanzieren“, jeden „Anspruch auf Schutz vor rechtsextremer Gewalt“ verlören und mit dem Verlust ihrer Aufenthaltsgenehmigung rechnen müssten.
Unter dem Titel „Stoppt das Massaker in Gaza!“ laden die IYSSE am kommenden Dienstag, den 14. November um 18 Uhr gemeinsam mit der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) zu einer Veranstaltung in das Oyoun Kulturzentrum ein (Lucy-Lameck-Str. 32). Kommt mit Freunden und Kommilitonen und diskutiert mit uns eine sozialistische und internationalistische Perspektive gegen den Genozid in Gaza.
Wir rufen außerdem alle HU-Studierenden und Interessierten auf, an der StuPa-Sitzung am 21. November um 18:30 Uhr teilzunehmen und den Genozid in Gaza zu verurteilen und auch eigene Redebeiträge dazu vorzubereiten. Der Sitzungsort wird unter iysse.de bekanntgegeben, sobald er feststeht.