Hisham Awartani, einer der drei Studierenden palästinensischer Herkunft von der Brown University, die am Samstag in Burlington (Vermont) angeschossen wurden, gab am Montag bei einer Mahnwache eine Erklärung ab, die von einem Professor verlesen wurde. Darin stellte er den von Hass motivierten Angriff auf ihn und seine Kommilitonen in den Kontext des weltweiten Kampfs für demokratische Rechte.
Die Studierendenzeitung Brown Daily Herald beschreibt Awartani als „klugen und polyglotten Menschen mit Talent für Archäologie und Mathematik, der sich intensiv um andere kümmert“. Er war am Samstagabend kurz vor 18:30 Uhr gemeinsam mit Kinnan Abdalhamid und Tasheen Ali Ahmad in der Nähe des Campus der University of Vermont angeschossen worden. Zwei von ihnen trugen Palästinensertücher, das traditionelle Symbol des palästinensischen Widerstands, und sprachen eine Mischung aus Arabisch und Englisch.
Awartanis Statement wurde von dem Nahost-Historiker Beshara Doumani verlesen, der an der Brown University die Mahmud-Darwisch-Professur für palästinensische Studien innehat. Darin heißt es: „Es ist wichtig, zu erkennen, dass dies Teil eines größeren Zusammenhangs ist. Dieses abscheuliche Verbrechen ist nicht im luftleeren Raum geschehen. So sehr ich jeden einzelnen von euch hier und heute schätze und liebe, bin ich nur ein Opfer in diesem viel größeren Konflikt.
Wäre ich im Westjordanland angeschossen worden, wo ich aufgewachsen bin, hätte die israelische Armee die medizinische Versorgung, die mir hier das Leben gerettet hat, wahrscheinlich verweigert. Der Soldat, der mich angeschossen hätte, wäre nach Hause gegangen und nie verurteilt worden. Ich verstehe, dass der Schmerz realer und unmittelbarer ist, weil viele von euch mich kennen. Aber jeder derartige Angriff ist schrecklich, egal ob hier oder in Palästina.
Deshalb solltet ihr, wenn ihr heute eure Wünsche äußert und Kerzen anzündet, nicht nur an mich als Einzelperson denken, sondern als stolzes Mitglied eines unterdrückten Volks.“
Laut dem Brown Daily Herald wiederholte Doumani nach der Verlesung von Awartanis Erklärung die Forderungen der Studenten, die Brown University solle ihre Investitionen in Waffenhersteller beenden. Ein Freund Awartanis erklärte: „Einer unserer Kommilitonen wurde angeschossen. Was muss passieren, damit Brown darauf reagiert?“
Awartanis eindrucksvolle Erklärung stieß bereits auf große Resonanz in Social Media und wurde von Hunderttausenden geteilt. Er stellt sich damit den Politikern, Medienexperten und Universitätspräsidenten entgegen, die seit dem 7. Oktober Pro-Kriegserklärungen für Israels „Recht auf Selbstverteidigung“ veröffentlicht haben. Die Folge des Massakers in Gaza sind nicht nur etwa 20.000 Tote, sondern auch eine Welle von gewaltsamen Angriffen auf Muslime und Araber in Amerika und der ganzen Welt, darunter die Ermordung des sechsjährigen Wadea al-Fayoume im Chicagoer Vorort Plainfield, Illinois.
Während Abdalhamid am Dienstag aus dem Krankenhaus entlassen wurde und Ahmad vermutlich genesen wird, erlitt Awartani eine schwere Verletzung. Seine Mutter Elizabeth Price erklärte in einem Interview mit CNN, ihr Sohn habe eine „unvollständige Rückgratverletzung“ erlitten. Das bedeutet, er kann seine Beine spüren, aber nicht mehr laufen. Sie erklärte, „dass er noch immer auf der Intensivstation liegt und ruhiggestellt wurde, damit die Schwellung abheilt“.
Neben der Kugel, die momentan noch in seiner Wirbelsäule steckt, erlitt Awartani einen Schlüsselbeinbruch und einen gebrochenen Daumen. Ihr Sohn werde wegen der Wirbelsäulenverletzung bis zu vier Wochen in Behandlung sein, so Price. Die Wirbelsäulenverletzung verhindere auch, dass er seine Körpertemperatur regulieren kann.
Der mutmaßliche Schütze James J. Eaton (48) wurde am Sonntagabend verhaftet und befindet sich derzeit wegen drei versuchten Morden ohne Kaution in Haft. Seine Mutter beschrieb ihn gegenüber der Zeitung Daily Beast als „zutiefst religiösen Mann“. Wenn er wegen Mordes schuldig gesprochen wird, drohen Eaton zwischen 20 Jahren und lebenslänglicher Haft. Die Polizei hat noch kein Motiv festgestellt, doch auf seinen Social-Media-Accounts hat Eaton Waffen und die amerikanische Flagge verherrlicht und beschreibt sich selbst als Libertären.
Laut der Polizei wurden bei einer Durchsuchung von Eatons Wohnung, die sich auf der anderen Straßenseite des Tatorts und weniger als vier Kilometer vom Haus eines Verwandten der Studenten befindet, die halbautomatische Pistole des Kalibers 380, die bei dem Verbrechen benutzt wurde, sowie zwei Schrotflinten und ein Gewehr des Kalibers 22 sichergestellt.
Auf seinem Linkedln-Account teilte Eaton Bibelzitate und Dutzende Bilder gegen die Corona-Impfung und schrieb über die Vorzüge der „natürlichen Immunität“. Er hat mehrere Jahre in der Finanzbranche bei CUSO Financial Services in Williston (Vermont) gearbeitet und war am 8. November, weniger als drei Wochen vor der Tat, entlassen worden.
Das tragische Attentat von Samstag hat die breite Empörung über den anhaltenden Völkermord im Gazastreifen und das gesamte politische Establishment, das diesen unterstützt, weiter verschärft.
Bevor Awartanis Statement am Montag verlesen wurde, versuchte die Präsidentin der Brown University, Paxson, vor Hunderten Studierenden ihre eigene unaufrichtige und unverbindliche Erklärung zu verlesen, auf die viele Anwesende wütend reagierten.
Die Studenten der Brown University protestieren seit Wochen gegen das Massaker im Gazastreifen und die Komplizenschaft der Universität. Paxson versucht, genau wie viele College-Präsidenten, Israels „Recht auf Selbstverteidigung“ zu unterstützen, ohne den zionistischen Völkermord oder Washingtons uneingeschränkte Komplizenschaft zu verurteilen.
Universitätsleitungen haben Studentenorganisationen wie die Students for Justice in Palestine und Jewish Voice for Peace suspendiert und demonstrierende Studenten von der Polizei verhaften lassen. Anfang November weigerte sich Paxson während einer friedlichen Demonstration, die von BrownU Jews for Ceasefire organisiert worden war, sich zur Kündigung der Kooperation der Brown University mit Rüstungskonzernen zu verpflichten oder einen Waffenstillstand zu fordern. Stattdessen ließ sie 20 jüdische Studierende wegen Hausfriedensbruch verhaften.
Die Universität hat die Anklagen gegen die Studenten erst am Montag, kurz vor Beginn der Mahnwache, fallengelassen.
Am Montagabend erklärte Paxson voller Selbstgefälligkeit vor den Studierenden: „Leider können wir nicht kontrollieren, was auf der Welt und im ganzen Land passiert. Wir sind ohnmächtig, und können nicht alles tun, was wir gerne tun würden...“
Sie wurde von Studenten unterbrochen, die „Schande!“ riefen. Daraufhin wies die Präsidentin die Studenten zurecht und erklärte: „Wir versuchen, hier eine Mahnwache für euren Freund abzuhalten, unseren Studenten.“
Die Studierenden buhten jedoch weiter und skandierten „Divest Brown“ (womit das Ende der Investitionen in Waffenherstellern gemeint ist), „Schützen Sie Ihre Studenten!“ und „Schande!“
Darauf antwortete die Präsidentin gereizt: „Wollen Sie so Ihren Freund ehren?“ „Ja!“ riefen die Studenten, und der Ruf „Divest Brown!“ war überall auf dem Campus zu hören. Als Paxson das Podium verließ, skandierten die Studierenden erneut „Schande!“
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