Es bedürfte eines Schriftstellers vom Range eines Balzacs oder Thomas Manns, um den Aufstieg und Fall des Immobilienspekulanten René Benko zu schildern, dessen Signa-Holding am Mittwoch Insolvenz anmeldete. Benko ist das Produkt und die Verkörperung einer kranken Gesellschaft, in der Profit und Reichtum alles gelten, das Schicksal und selbst das Leben einfacher Menschen dagegen nichts.
Es handelt sich um die größte Pleite in der Geschichte Österreichs. Benkos wirtschaftliche Aktivitäten beschränkten sich aber nicht auf das Alpenland. Er war weltweit und vor allem in Deutschland im Geschäft. Sein Absturz könnte ein Erdbeben auslösen.
Zehntausende Arbeitsplätze sind in Gefahr – in Kaufhausketten wie Galeria (Kaufhof und Karstadt), Globus und Selfridges, die sich Signa einverleibt hat, und in der Bauindustrie, wo stillstehende Großbaustellen und ausbleibende Zahlungen zahlreiche Firmen gefährden. 2022 arbeiteten weltweit rund 40.000 Personen in Unternehmen, die Signa gehörten. Innenstädte drohen zu veröden, falls die riesigen Immobilien der Holding leer bleiben.
Auch einige der 120 Banken, die Benko in der Hoffnung auf raschen Profit ihr Geld anvertrauten, könnten ins Schleudern geraten. JPMorgan schätzt, dass Signa seinen Kreditgebern insgesamt mindestens 13 Milliarden Euro schuldet. Bei der Schweizer Privatbank Julius Bär steht die Holding mit mehr als 600 Millionen Franken in der Kreide, bei der österreichischen Raiffeisen Bank International mit 750 Millionen Euro. Auch die Schweizer UBS, die französische Natixis, die italienische UniCredit, die Bank of China sowie mehrere deutsche Landesbanken sind mit dreistelligen Millionensummen betroffen.
Im Immobiliensektor droht eine Kettenreaktion. Benko war nicht der einzige, der die Kombination aus niedrigen Zinsen und steigenden Immobilienpreisen nutzte, um ein Vermögen anzuhäufen. Er war nur forscher und skrupelloser als andere. Die Erhöhung der Zinsen und der damit einhergehende Rückgang der Immobilienpreise haben diesem Modell den Boden entzogen. Nach der Signa-Pleite wird es für Immobilienkonzerne zudem schwerer, neue Kredite zu erhalten.
In den Medien wird jetzt viel darüber debattiert, ab wann man die Signa-Pleite hätte voraussehen können, ob Benko ein Blender war, der lediglich Luftschlösser baute, und ob kriminelle Machenschaften im Spiel waren. Bisher ermittelt die Staatsanwaltschaft, soweit dies bekannt ist, zwar noch nicht gegen Benko. Es stehen ihm allerdings Klagen wegen Konkursverschleppung ins Haus.
Doch unabhängig davon, ob es zu Prozessen und Urteilen kommt, haben dieselben gesellschaftliche Verhältnisse, die Betrüger wie den Krypto-Guru Sam Bankman-Fried und die Wirecard-Chefs Markus Braun und Jan Masalek begünstigten, auch Benkos Karriere beflügelt.
Benko, der erst 46 Jahre alt ist, konnte in kürzester Zeit Milliardär werden, weil sich die gesamte etablierte Politik seit langem auf die Bereicherung der Reichen konzentriert. An den Börsen, im Finanz- und Immobiliensektor, in Industrie- und IT-Monopolen werden phantastische Gewinne erzielt und gigantische Managergehälter bezahlt, während die Steuern gesenkt, die Ausbeutung verschärft und Bildung, Gesundheit und öffentliche Infrastruktur kaputtgespart werden.
Der Schulabbrecher aus einfachen Verhältnissen hatte als 17-Jähriger angefangen, in Innsbruck Dachböden ausbauen zu lassen, die er dann als teure Wohnungen weiterverkaufte. „Kaufen, luxussanieren und die Mieten hochtreiben: Das ist das Erfolgsmodell, mit dem der Innsbrucker René Benko vom 17-jährigen Schulabbrecher zum Immobilientycoon geworden ist,“ schrieb Die Zeit vor einem Jahr.
Kaum hatten sich Benkos erste Erfolge rumgesprochen, wurde er mit Geld überhäuft. „Benkos Imperium lebt vor allem von reichen Geldgebern,“ berichtet Die Zeit in einem anderen Artikel. Zu den Geldgebern, die ihm halfen, sein milliardenschweres Immobilienimperium aufzubauen, gehörten der griechische Reeder Georgios Ikonomou, Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, Unternehmensberater Roland Berger, der Logistik-Milliardär Klaus-Michael Kühne und viele andere.
Benko setzte dabei bewusst auf Prunk und Glanz. Er kaufte repräsentative Bauten – wie das New Yorker Chrysler Building – sowie Luxuskaufhäuser – wie das Londoner Selfridges, das KaDeWe in Berlin, das Oberpollinger in München und das Alsterhaus in Hamburg. Er errichtete Prestigebauten wie den Elbtower in Hamburg, der nun als Bauruine vor sich hindämmert. Er besitzt einen Privatjet, eine Luxusvilla in Ischgl und lud zu Partys auf seine 62-Meter-Jacht Roma ein.
„Benko wisse offenbar, dass die Zurschaustellung von Reichtum noch mehr Reichtum anziehe,“ zitiert Die Zeit einen Geschäftspartner. Dabei umwarb er nicht nur Geldgeber, sondern auch Politiker. So unterhielt er enge Beziehungen zum damaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz, der ihm 2018 auf einer gemeinsamen Reise nach Abu Dhabi zu neuen Geldgebern verhalf.
Mit welchen skrupellosen Methoden Benko vorging, zeigt sein Einstieg bei den deutschen Kaufhausketten Kaufhof und Karstadt, die vorher knapp an der Pleite vorbeigeschlittert waren. Die Gewerkschaft Verdi feierte Benko als „Retter“, half ihm, 680 Millionen Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds der Bundesregierung zu kassieren, die beiden Ketten zu Galeria zusammenzulegen, Dutzende Filialen stillzulegen und die Löhne der Beschäftigten zu senken.
Für Benko war das ein glänzendes Geschäft. Er trennte die wertvollen Immobilien vom Warenhauskonzern und verlangte von diesem stark überhöhte Mieten für deren weitere Nutzung. Auf diese Weise erzielte die Immobiliensparte der Signa Holding im Coronajahr 2020 800 Millionen Euro Gewinn und zahlte 200 Millionen Euro Dividenden an die Aktionäre aus, während die verlustreiche Warenhauskette hunderte Millionen an Steuergeldern kassierte.
Zu Beginn dieses Jahres stimmte Verdi einem weiteren Sanierungsplan für Galeria zu, das im Vorjahr erneut Insolvenz angemeldet hatte. Ihm fielen weitere 4000 Arbeitsplätze zum Opfer. Nun droht den 12.000 verbliebenen Beschäftigten, deren monatliche Löhne wegen der vielen Zugeständnisse von Verdi bereits 500 Euro unter dem Flächentarifvertrag liegen, das endgültige Aus. Auf die Gewerkschaft Verdi, die Benko zu Füßen lag und ihm beim Abbau von Löhnen und Arbeitsplätzen half, können sie sich nicht stützen. Die Verteidigung der Arbeitsplätze erfordert den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees.
Die Erhöhung der Mieten für die Kaufhäuser füllte nicht nur die Kassen der Immobiliensparte von Signa, sondern steigerte auch den Papierwert der Immobilien, der nach den Mieteinnahmen berechnet wird. Benko konnte so immer höhere Kredite aufnehmen, für die er die Immobilien als Sicherheit bot.
Sein Signa-Imperium bestand am Schluss aus einem undurchschaubaren Geflecht von über tausend Einzelgesellschaften, die auch untereinander Geschäfte machten. Neben Immobilien, Warenhäusern und Luxushotels gehören auch Beteiligungen an Tageszeitungen (Funke Mediengruppe, Kronen Zeitung, Kurier) dazu.
Das Kartenhaus begann einzustürzen, als steigende Zinsen die Refinanzierung der hohen Schulden immer schwieriger machten. Die Europäische Zentralbank (EZB) leitete schließlich eine Sonderprüfung bei Banken ein, die Signa Kredite gegeben haben, und wies sie im August dieses Jahres an, ihre Risiken besser abzusichern. Anfang November stufte die Rating-Agentur Fitch Signa schließlich als „hohes Kreditrisiko“ ein.
Was die Folgen der Insolvenz für Benko persönlich sind, ist noch nicht klar. Berichten zufolge soll er sein Privatvermögen, das auf 5 Milliarden Euro geschätzt wird, gut abgesichert haben. Aber selbst wenn er einen Teil davon verlieren sollte, wird er im Luxus weiterleben.