Die Propagandamaschine der USA und Israels hat ein neues Argument zur Verteidigung des israelischen Massenmords im Gazastreifen ins Spiel gebracht: die Behauptung, dass die Hamas Massenvergewaltigungen an israelischen Frauen begangen habe. Diese hätten sich im Zuge des Aufstands und der Angriffe vom 7. Oktober ereignet, die dem aktuellen Krieg vorausgingen.
Dass es keine direkten Beweise für diese Anschuldigungen gibt, ist für die Täter und Verteidiger des Völkermords in Gaza nicht von Bedeutung. Die plötzlich in den Medien verbreitete Behauptung dient dazu, die öffentliche Aufmerksamkeit von der katastrophalen Eskalation der israelischen Militäroperationen gegen die Bevölkerung des Gazastreifens nach der vorübergehenden „Waffenruhe“ abzulenken, die mit dem Austausch von Geiseln der Hamas gegen in Israel inhaftierte Palästinenser einherging.
Mehr als 1.000 Palästinenser wurden am Wochenende durch israelische Bomben und Raketen getötet. Etwa 2 Millionen Palästinenser wurden in einem winzigen Winkel des Gazastreifens zusammengepfercht, einer Enklave, die flächenmäßig nur wenig größer ist als die Stadt Bremen, in der aber viel mehr Menschen leben. Das Ziel der israelischen Militäroperationen wird immer deutlicher: Die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens soll über die ägyptische Grenze in die Sinai-Wüste getrieben werden, um den Gazastreifen zu räumen und ihn für jüdische Siedler verfügbar zu machen.
Als die israelischen Streitkräfte am Montag einen großangelegten Bodenangriff auf Chan Junis, die größte Stadt im südlichen Gazastreifen, flogen, hielt gleichzeitig eine Gruppe von 150 wohlhabenden und einflussreichen Unterstützern Israels eine Kundgebung am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York City ab, um den Vorwürfen der Massenvergewaltigung durch die Hamas Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die ehemalige demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton sprach aus der Ferne zu der Gruppe, während die Milliardärin und ehemalige Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg zusammen mit der demokratischen Senatorin aus New York, Kirsten Gillibrand, ebenfalls ihre Unterstützung ausdrückte.
In ihrer vorab aufgezeichneten Erklärung sagte Hillary Clinton: „Es ist empörend, dass einige, die behaupten, für Gerechtigkeit zu stehen, ihre Augen und Herzen vor den Opfern der Hamas verschließen.“ Clinton hatte als Außenministerin der Obama-Regierung den brutalen US-Nato-Krieg gegen Libyen geführt. Sie sagte nichts über die Zehntausende von Opfern, die jener Krieg in Libyen gefordert hatte. Darunter sind tausende Frauen, die unter den rivalisierenden reaktionären Juntas, die seit dem Krieg um die Macht ringen, in die sexuelle Sklaverei verkauft worden sind. Ebenso wenig erwähnte Clinton die zehntausenden Opfer des israelischen Angriffs auf den Gazastreifen, die durch Bomben und Raketen, die aus den USA stammen, getötet und verstümmelt worden sind.
Die Veranstaltung in New York City wurde von der Ständigen Vertretung Israels bei der UN gesponsert und brachte angebliche Zeugenaussagen und Dokumente zusammen, die alle von der israelischen Regierung und den israelischen Streitkräften (Israel Defense Forces, IDF) stammen. Eine UN-Untersuchungskommission, die Kriegsverbrechen im Gazastreifen untersucht, hat zwar erklärt, sie werde alle Beweise für sexuelle Gewalt an den Internationalen Strafgerichtshof weiterleiten, doch die US-Regierung erkennt diesen Gerichtshof nicht an, da sie eine Verfolgung der eigenen Kriegsverbrechen der USA fürchtet. Auch Israel arbeitet nicht mit dem Gerichtshof zusammen und behauptet, er sei anti-israelisch voreingenommen, weil er auch für Beweise für israelische Kriegsverbrechen im besetzten Westjordanland offen ist.
Am Tag nach der Kundgebung in New York City griff Präsident Joe Biden die Vergewaltigungsvorwürfe bei einer Benefizveranstaltung in wieder Boston auf. „In den vergangenen Wochen haben Überlebende und Zeugen der Angriffe schreckliche Schilderungen von unvorstellbaren Grausamkeiten geteilt“, sagte Biden vor dem Millionärspublikum, das sich im Westin Hotel versammelt hatte. Zuvor hatte der US-Präsident die Schilderungen palästinensischer „Überlebender und Zeugen“ im Gazastreifen, darunter die von Dutzenden von Ärzten, über massenhafte Opfer von israelischen Bombenangriffen zurückgewiesen. Man könne sich nicht auf sie verlassen, so der Präsident, da sie aus Quellen der Hamas stammten.
Am selben Abend sendete NBC News einen fünfminütigen Bericht über die Vergewaltigungsvorwürfe als Top-Story in den „Nightly News“, woraufhin eine Medienlawine losbrach. Die Titelseiten der New York Times und der Washington Post sowie andere Fernsehsender brachten ähnliche Berichte. Die „mächtige Musikbox“ („Mighty Wurlitzer“) der amerikanischen Regierungspropaganda, wie es ein Historiker der CIA-Medienoperationen einmal nannte, war in voller Lautstärke angesprungen.
Worin bestehen die tatsächlichen Beweise, die das systematische Sperrfeuer von Anschuldigungen gegen die Hamas stützen? Sämtliche Informationen stammen von der israelischen Regierung und den IDF; keine davon wurde von unabhängiger Seite bestätigt; es wurden keine Aussagen von Opfern oder Augenzeugen vorgelegt. Laut den Angaben israelischer Amtsträger seien die wenigen Vergewaltigungsopfer, die den Angriff vom 7. Oktober überlebt hatten, zu traumatisiert gewesen, um darüber zu sprechen. Der Chef der israelischen Polizei Yaakov Schabtai erklärte gegenüber der BBC, dass es vielen Überlebenden der Anschläge schwer falle, zu sprechen. Er glaube, dass einige von ihnen niemals über das, was sie gesehen oder erlebt haben, aussagen würden.
Die in der vergangenen Woche von der Hamas freigelassenen weiblichen Geiseln waren in guter körperlicher Verfassung, mit Ausnahme derjenigen, die von bereits zuvor älter und schwächer waren. Keine von ihnen berichtete von sexuellen Übergriffen während der Gefangenschaft. Mehrere erklärten jedoch, dass sie nur knapp israelischen Bomben- und Raketenangriffen entkommen sind, was Vertreter Israels dazu veranlasste, ihre Erinnerungen als „unzuverlässig“ abzutun. Es wird also nur denjenigen Zeugen Glauben geschenkt, die den Propaganda-Interessen der Netanjahu-Regierung dienen.
Laut der pro-palästinensischen Website Mondoweiss kam es bei einer Pressekonferenz der israelischen Polizei am 13. November, das angeblich neue Beweise für sexuelle Gewalt liefern sollte, zu einer Auseinandersetzung zwischen Polizeibeamten und Journalisten, weil „keine neuen Informationen und eindeutigen Beweise“ vorlagen. Der Polizeichef weigerte sich, Fragen zu beantworten, und der Medienbeauftragte der Polizei, Merit Ben Meir, diskutierte hitzig mit den Journalisten, wobei er die beabsichtigte Botschaft des Briefings deutlich machte: „Die Leichen lassen darauf schließen, dass es zu Vergewaltigungen gekommen ist, und es gibt keinen Spielraum dafür, diese Ereignisse in Frage zu stellen.“
Die Behauptungen über Massenvergewaltigungen folgen dem Muster früherer „großer Lügen“ der US-Regierung zur Manipulation der öffentlichen Meinung unter Bedingungen wachsender Massenopposition gegen imperialistischen Krieg. Die Bush-Regierung behauptete, dass der Irak über „Massenvernichtungswaffen“ verfüge, um ihre Entscheidung zu rechtfertigen, in das Land einzufallen und es zu zerstören. Obama und Hillary Clinton griffen zu dem Mittel, einen drohenden Massenmord in Benghazi an die Wand zu malen, um die Bombardierung Libyens durch die USA und die Nato zu rechtfertigen. Die Führer der vom US-Imperialismus ins Visier genommenen Länder – Noriega in Panama, Muammar Gaddafi in Libyen, Saddam Hussein im Irak, Assad in Syrien und heute Putin in Russland – wurden in den amerikanischen Medien stets als Monster dargestellt, die das Schlimmste verdienen.
Die Vergewaltigungsvorwürfe werden von faschistischen Kräften innerhalb des israelischen Staates verbreitet und von den fanatischen Anhängern des imperialistischen Militarismus in Amerika aufgegriffen. Ihr einziges Ziel besteht darin, jeden einzuschüchtern, der sich gegen den israelischen Völkermord in Gaza ausspricht. Die Vorwürfe entbehren jeder Glaubwürdigkeit.
Selbst wenn es wahr wäre, dass einige Hamas-Kämpfer während des Angriffs am 7. Oktober sexuelle Gewalt ausgeübt haben, wie würde dies das Abschlachten von Tausenden von Frauen und Kindern in Gaza durch das israelische Militär rechtfertigen? Die Behauptung von Massenvergewaltigungen durch die Hamas ist besonders zynisch angesichts der unbestrittenen Tatsache, dass Israel einen Krieg gegen Frauen und Kinder führt. Die WSWS hat dazu am vergangenen Montag eine Erklärung der Redaktion veröffentlicht.
Die Behauptungen von Biden, Clinton & Co., sie seien „entsetzt“ über die Ereignisse vom 7. Oktober, sind ebenfalls nicht glaubwürdig. Seit dem Sieg über Nazideutschland 1945 hat kein Land mehr Männer, Frauen und Kinder im Krieg abgeschlachtet als die Vereinigten Staaten. Was die Vergewaltigungsvorwürfe angeht, so sind massenhafte Vergewaltigungen ein unauslöschliches Merkmal von Gräueltaten wie dem Massaker von My Lai in Vietnam. Der Krieg im Irak hat die berüchtigten Bilder von sexueller Gewalt im Gefängnis Abu Ghraib hervorgebracht. Tausende ähnlicher oder weitaus schlimmerer Taten sind derweil nicht aufgezeichnet worden – außer in der Erinnerung der Opfer, sofern sie überlebt haben, sowie der Täter.
Der jüngste Versuch der Biden-Administration und der großen Medienkonzerne, die Realität des israelischen Völkermords in Gaza zu vertuschen, wird sich als kläglicher Fehlschlag erweisen. Er kann die wachsende weltweite Empörung über die Verbrechen, die Israel als Speerspitze des amerikanischen und europäischen Imperialismus im Nahen Osten begeht, nicht beschwichtigen. Die zentrale politische Aufgabe der Antikriegsbewegung bleibt die Hinwendung zur internationalen Arbeiterklasse, der einzigen gesellschaftlichen Kraft, die den Krieg in Gaza stoppen und dem kapitalistischen System, das die Quelle des imperialistischen Kriegs ist, ein Ende setzen kann.