Der Terroranschlag auf die Konzerthalle Crocus City Hall nahe Moskau am 22. März hat nicht nur die Bevölkerung Russlands, sondern auch den Rest der Welt erschüttert. Bei dem barbarischen Anschlag wurden mindestens 144 Menschen getötet und fast 700 verletzt.
Die Junge Garde der Bolschewiki-Leninisten (YGBL) spricht den Familien der Opfer ihr aufrichtiges Beileid aus. Wir verurteilen den Anschlag, der die Handschrift der Nato und ihres Stellvertreterregimes in Kiew trägt. Allerdings lehnen wir auch die reaktionäre Antwort der russischen Oligarchen ab. Das russische Parlament und die rechtsextremen Oligarchen haben eine pogromartige Stimmung gegen Immigranten angezettelt und spielen damit den imperialistischen Mächten in die Hände, die einen Regimewechsel und einen Bürgerkrieg schüren wollen.
Die Arbeiterklasse muss auf unabhängiger Grundlage in die Krise intervenieren, um eine Katastrophe zu verhindern. Dies erfordert ein politisches Verständnis der historischen Sackgasse, in der sich die Arbeiterklasse aufgrund der stalinistischen Zerstörung der Sowjetunion und der Wiedereinführung des Kapitalismus befindet.
Ein Terroranschlag made in Washington und Kiew
Alles an dem Anschlag in der Landeshauptstadt deutet darauf hin, dass es sich bei den Tätern um Söldner handelt. Die vier verhafteten Terroristen waren allesamt junge Arbeitsmigranten aus Tadschikistan, einer völlig verarmten ehemaligen Sowjetrepublik in Zentralasien. Zwei von ihnen waren nur wenige Wochen zuvor in der Türkei ausgebildet worden. Für ihre Tat sollten sie 500.000 Rubel erhalten, d.h. etwas mehr als 5.400 Dollar. Berichte der russischen Medien deuten darauf hin, dass die Terroristen während ihres Massakers unter Drogen standen, mit denen sie ihre Angst mindern wollten.
Dass die ukrainische Regierung und das Weiße Haus sofort jede Beteiligung geleugnet haben, ist nicht glaubwürdig.
Die Nato-freundlichen Medien wiederholen diese Dementis und weisen darauf hin, dass die aus Afghanistan agierende Terrororganisation IS-K (Khorasan) die Verantwortung für den Anschlag übernommen hat. Wenn dies stimmt, bekräftigt es nur einmal mehr die offensichtliche Schlussfolgerung, dass diese vier Personen im Auftrag der amerikanischen und ukrainischen Geheimdienste gehandelt haben. Der IS-K ist, genau wie sein Vorgänger, der IS (Islamische Staat), weitgehend ein Geschöpf des US-Imperialismus. Ihm gehören bekanntermaßen von den USA ausgebildete Geheimdienstler und Soldaten an, die vorher in Afghanistan für die Nato gekämpft und sich nach dem Abzug der US-Truppen dem IS-K angeschlossen haben, um gegen die heute herrschenden Taliban zu kämpfen.
Die Bewertung des politischen Kontextes und der Strategie der Nato im Krieg gegen Russland deutet sogar noch stärker auf eine direkte Beteiligung Kiews und Washingtons hin als der technische Aspekt des Terroranschlags. Für die Ukraine ist die Lage an der Front mittlerweile geradezu katastrophal geworden. Sie leidet unter starkem Mangel an Soldaten und Munition und verliert weiterhin Gebiete an die russischen Truppen.
Als Reaktion auf die jüngsten beträchtlichen militärischen Rückschläge haben Kiew und seine imperialistischen Hintermänner den Krieg an zwei Fronten eskaliert: zum einen durch eine immer direktere Militärintervention in der Ukraine, einschließlich des französischen Vorhabens, Nato-Truppen zu schicken. Zum anderen haben sie in Russland eine zweite Front eröffnet, um das Putin-Regime zu destabilisieren.
Tatsächlich spielen Terroranschläge und die Mobilisierung diverser faschistischer Elemente seit langem eine wichtige Rolle im Krieg des Imperialismus gegen Russland. Dazu gehören die anhaltenden und immer dreisteren Bombenangriffe auf die russische Region Belgorod, der Autobombenanschlag auf rechtsextreme Putin-Anhänger wie Daria Drugina, der Terroranschlag auf die Kertsch-Brücke und der Bombenanschlag auf die Gaspipeline Nord Stream.
Nur wenige Tage vor dem Anschlag auf die Crocus City Hall und mitten in den russischen Präsidentschaftswahlen, waren Neonazi-Kräfte mit Panzern in russisches Gebiet eingedrungen. Die New York Times lobte den Angriff als „verwegen“ und äußerte die Hoffnung, er werde „das Gefühl der Stabilität in Russland untergraben und die militärischen Ressourcen des Landes von der Ukraine ablenken“. Wie die Times zugab, wurden die Neonazi-Kräfte hinter diesen Angriffen „offen vom ukrainischen Militärgeheimdienst unterstützt“. Wenige Tage später höhnte die Times mit ähnlichen Worten, der Anschlag auf die Crocus City Hall sei „ein Schlag für Putins Aura als Führer, für den die nationale Sicherheit an erster Stelle steht“.
Wie die WSWS am 25. März in einer Perspektive zu dem Anschlag auf die Crocus City Hall schrieb, verfolgen die USA und die Nato drei Ziele:
Erstens, die Opposition gegen das Putin-Regime innerhalb der Oligarchie und des Staatsapparats zu stärken; zweitens, eine militärische Antwort des Kremls zu provozieren, die als Vorwand für eine weitere Eskalation des Krieges durch die Nato dienen kann; und drittens, ethnische und religiöse Spannungen innerhalb Russlands zu schüren, die das Regime destabilisieren und die Aufteilung der gesamten Region durch die imperialistischen Mächte erleichtern würden.
Die Krise des Putin-Regimes
Bereits jetzt hat der Anschlag die von der Nato unterstützten Kräfte und die ultrarechte Fraktion der russischen Oligarchie und des Staatsapparats unter dem Putin-Regime ermutigt.
Einer dieser von der Nato unterstützten Oppositionellen in der Oligarchie ist Ilja Ponomarjow, der seit 2015 in Kiew lebt. Ponomarjow ist auch ein langjähriger Freund des oppositionellen Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski, der ebenfalls von der Nato unterstützt wurde. Vor kurzem lobte Ponomarjow die Terroristen in einem Interview als „Genossen aus Tadschikistan“, die seine frühere „Vorhersage“ bestätigt hätten, dass Moskau relativ leicht militärisch eingenommen werden könne.
Ponomarjows Äußerungen sind bedeutsam: Er spielt eine wichtige Rolle bei den Vorstößen auf russisches Gebiet, den Drohnenangriffen und der Entwicklung eines Gegenaufstands innerhalb Russlands. Ponomarjow tritt offen für den Sturz des Putin-Regimes und die Aufteilung Russlands nach ethnischen Kriterien ein, die sich auf eine Mobilisierung von Teilen des Staatsapparats stützt. Er leitet von Kiew aus die Operationen des neofaschistischen Russischen Freiwilligenkorps und der Legion Freiheit Russlands, die die Vorstöße auf russisches Gebiet angeführt haben.
Unterdessen reagierten rechtsextreme Oligarchen innerhalb Russlands auf den Anschlag mit der Forderung, das Putin-Regime solle den Krieg verschärfen und härter gegen Immigranten vorgehen. Der Milliardär Konstantin Malofjew, Gründer des offen reaktionären religiösen Senders Zargrad, schrieb: „Die Angelsachsen haben eine zweite Front gegen Russland eröffnet“, um das Land zu spalten und zu unterwerfen. Weiter hieß es: „Aber wir sind weder eine britische Kolonie, noch eine Bananenrepublik. Wir sind Großrussland, Erbe des Dritten Römischen Reichs. ... Wir sind dank des einzigartigen imperialen Geistes des russischen Volkes der größte Staat in der Geschichte der Menschheit geworden. Wir haben gekämpft und werden bis zum Sieg gegen unsere wahren Feinde in Washington und London kämpfen.“
In dem gleichen Artikel verurteilte Malofjew die Terroristen als „vier dreckige Drogensüchtige“ und schrieb, der Anschlag habe „die düstersten Warnungen vor der Gefahr von ,Arbeitsmigranten‘ aus Zentralasien für Russlands nationale Sicherheit wahr werden lassen“.
Das russische Parlament (Duma) und die Polizei haben ebenfalls dazu beigetragen, eine progromartige Atmosphäre gegen Immigranten zu schaffen. In Russland leben 14 bis 20 Millionen Muslime und etwa 17 Millionen Arbeitsmigranten, überwiegend aus Zentralasien und dem Kaukasus.
Dass die vier Terrorverdächtigen nachweislich gefoltert und misshandelt wurden, bevor sie vor Gericht gezerrt wurden, war eindeutig eine Ermutigung zu Gewalt gegen Immigranten und Muslime. In den Medien fordern ultrarechte Chauvinisten die Wiedereinführung der Todesstrafe.
Die Duma hat im Eiltempo zwei immigrantenfeindliche Gesetzentwürfe verabschiedet. Mit dem einen wird die Zeit, die Arbeitsmigranten im Land bleiben dürfen, auf zwei Jahre verkürzt; mit dem zweiten wird der bezahlte Mutterschaftsurlaub für Migrantenfamilien abgeschafft. Putin goss noch Öl ins Feuer, indem er erklärte, die Zahl der „Verbrechen“ durch „illegale“ Arbeitsmigranten habe sich angeblich im Jahr 2023 um 75 Prozent erhöht. Er kündigte an, die Regierung werde „präventive Maßnahmen zur Abwehr von Verbrechen im Bereich Migration entwickeln“.
Unmittelbar nach der Verhaftung der Täter wurde den etwa eine Million tadschikischer Arbeiter in Russland geraten, am Abend zu Hause zu bleiben. In Blagoweschtsensk wurde ein von tadschikischen Staatsbürgern betriebenes Geschäft in Brand gesetzt. In Moskau, St. Petersburg und anderen Städten kam es zu umfangreichen gegen Immigranten gerichteten Kampagnen in Wohnhäusern und Fabriken.
Menschenrechtsorganisationen haben die wahllosen Misshandlungen und Folterungen von verhafteten Immigranten in St. Petersburg beschrieben. In den sozialen Netzwerken kursierten Listen mit den Namen tadschikischer Taxifahrer, um zum Boykott zu ermuntern. Ein Immigrant, der brutal zusammengeschlagen wurde, erklärte gegenüber einer Zeitung: „Wir sind die Wehrlosesten. Ich bin nicht einmal zur Polizei gegangen, weil ich Angst habe. Dort hat man mich verprügelt, es tat weh und war demütigend. Aber wenn ich zur Polizei gehe, werde ich vielleicht auch verhaftet.“ Das tadschikische Arbeitsministerium berichtete, dass unter den tadschikischen Immigranten eine Atmosphäre von „Angst“ und „Panik“ herrscht, die viele dazu veranlasst hat, aus Russland zu fliehen.
Die YGBL weist diese Propagierung immigrantenfeindlicher Stimmung ausdrücklich zurück. Sie steht in der Tradition des großrussischen Chauvinismus, den der Zar und das stalinistische Regime gegen die Arbeiterklasse einsetzten. Unter dem Zar hat die Regierung systematisch Antisemitismus geschürt, um die revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse zu spalten. Auch der Stalinismus setzte auf nationalen Chauvinismus, einschließlich der offenen Propagierung von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, um die Arbeiterklasse zu desorientieren und rechte Kräfte zur Unterstützung der Bürokratie zu mobilisieren. Auch heute richtet sich die Förderung von immigrantenfeindlichem Chauvinismus im Wesentlichen gegen die Arbeiterklasse und soll ihre Vereinigung über ethnische, religiöse und nationale Grenzen hinweg verhindern.
Putin ist sich bewusst, dass die imperialistischen Mächte nationale Spaltungen im Land befeuern wollen und gab sich in seinen öffentlichen Äußerungen vorsichtiger als Personen wie Malofjew. Er betont weiterhin, dass Russland ein multinationales und multireligiöses Land ist. Nichtsdestotrotz ist er gezwungen, den rechtsextremen Elementen der Oligarchie und des Staatsapparats entgegenzukommen, und zwar wegen des Charakters und der historischen Ursprüngen seines Regimes, wegen dessen Feindseligkeit gegenüber der Arbeiterklasse und weil es sich immer mehr darauf stützt, großrussischen Nationalismus zu schüren.
Wie wir in unserer Erklärung zu den jüngsten Präsidentschaftswahlen erklärten, ist Wladimir Putin eine bonapartistische Figur, deren Regime aus der Wiedereinführung des Kapitalismus in der Sowjetunion hervorgegangen ist. Die Hauptaufgabe seines Regimes ist vor allem der Erhalt der Privilegien einer winzigen Schicht von Oligarchen, die sich durch die Plünderung des sowjetischen Staatseigentums zur neuen herrschenden Klasse entwickelt hat. Trotzki erklärte dazu:
Unter Bonapartismus verstehen wir ein Regime, in dem die wirtschaftlich dominante Klasse... sich gezwungen sieht, im Interesse der Wahrung ihres Besitzstandes über sich die unkontrollierte Herrschaft eines Militär- und Polizeiapparats zu tolerieren, an dessen Spitze ein „Erlöser“ sitzt. Eine solche Situation entsteht in Perioden einer besonderen Verschärfung der Klassengegensätze: der Bonapartismus soll deren Explosion verhindern. (Leo Trotzki: „Mehr über den Bonapartismus“, Bulletin der Opposition Nr. 43, April 1935, aus dem Englischen).
Um diese „Explosion“ der Klassenspannungen zu verhindern, versucht Putin verzweifelt, zwischen der Arbeiterklasse und der Oligarchie, zwischen den unterschiedlichen Fraktionen der Oligarchie und zwischen den nationalen und wirtschaftlichen Interessen der Oligarchie und denen des westlichen Imperialismus zu vermitteln. Doch die immer aggressivere Offensive des Imperialismus und das Schüren von internen Kämpfen innerhalb der Oligarchie sowie die Entwicklung des Klassenkampfs machen diesen Balanceakt immer schwieriger. Innerhalb der Oligarchie steht Putin von allen Seiten unter Beschuss. Der Druck auf ihn, den Krieg entweder zu eskalieren, vollständig vor dem Imperialismus zu kapitulieren oder durch einen Regimewechsel gestürzt zu werden, wächst mit jedem Tag.
Die Auflösung der Sowjetunion und die imperialistischen Bestrebungen zur Unterwerfung der Region
Die historische Sackgasse, mit der die Arbeiterklasse konfrontiert ist, kann nur im Kontext der stalinistischen Reaktion auf die Oktoberrevolution 1917 verstanden werden, deren Höhepunkt die Auflösung der Sowjetunion 1991 war. Zu Beginn des Überfalls auf die Ukraine griff Putin die Oktoberrevolution und Wladimir Lenin an, doch der katastrophale Kriegsverlauf hat de facto bestätigt, dass die Revolution die einzige gangbare Lösung für die großen historischen Probleme der Massen dieser Region war.
Die Strategie des Putin-Regimes, durch militärischen Druck einen Deal mit den imperialistischen Mächten zu erzwingen, ist gescheitert. Jeder Versuch des Kremls, eine Einigung zu erzielen, wird von der Nato als Schwäche ausgelegt und ausgenutzt. Und jetzt, wo den Stellvertretertruppen der Nato in der Ukraine ein militärisches Debakel droht, ist die Antwort der imperialistischen Mächte, eine weitere Kriegsfront innerhalb Russlands selbst zu eröffnen und die Entsendung von Nato-Truppen in die Ukraine vorzubereiten. Eine „rote Linie“ nach der anderen wurde überschritten. Die Nato befindet sich im Krieg mit Russland, der zweitgrößten Atommacht der Welt.
Die imperialistischen Mächte werden bei dieser scheinbar irrationalen und wahnsinnigen Eskalation des Kriegs von tiefen historischen und wirtschaftlichen Kräften angetrieben.
Die Zerstörung der Sowjetunion im Jahr 1991 bildete den Auftakt zu einer neuen Periode imperialistischer Kriege und sozialer Revolution. David North, der Vorsitzende der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site und der amerikanischen Socialist Equality Party, erklärte im August 1990 über die sich anbahnende Krise im Persischen Golf:
[Sie] kennzeichnet den Beginn einer abermaligen imperialistischen Neuaufteilung der Welt ... Mit dem „Scheitern des Sozialismus“ verkündet die imperialistische Bourgeoisie – in Taten, wenn auch noch nicht in Worten -- auch das Scheitern der nationalen Unabhängigkeit. Angesichts ihrer zunehmenden Krise sehen sich die großen imperialistischen Mächte gezwungen, sich die Kontrolle über strategisch Rohstoffquellen und Märkte zu sichern. Ehemalige Kolonien, die eine gewisse politische Unabhängigkeit erlangt hatten, müssen erneut unterworfen werden. Mit seinem brutalen Überfall auf den Irak lässt der Imperialismus die Absicht erkennen, seine uneingeschränkte Herrschaft über die rückständigen Länder aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wiederherzustellen. (David North „August 1990. Am Vorabend des ersten Irakkriegs der USA“, 30 Jahre Krieg. Amerikas Griff nach der Weltherrschaft, 1990-2020, Mehring Verlag 2020, Seite 60).
Wenige Monate später begannen die USA mit Billigung der Sowjetbürokratie mit der Bombardierung des Irak. Doch mit ihrer Unterstützung für den Imperialismus ebnete die Sowjetbürokratie den Weg für die koloniale Unterwerfung der ganzen Region. Die Oktoberrevolution und die Entstehung der Sowjetunion hatten riesige Ressourcen der Erde jahrzehntelang der direkten imperialistischen Kontrolle und Ausbeutung entzogen. Die Wiederherstellung von direktem Zugang zu diesen Ressourcen wurde zu einer der wichtigsten Prioritäten in den geopolitischen und wirtschaftlichen Kalkulationen der imperialistischen Mächte. Im Mai 1991 warnte das Internationale Komitee der Vierten Internationale:
Der Imperialismus bekräftigt mit zunehmender Dreistigkeit, und mit Duldung des Kremls, sein Recht auf die Kontrolle über die immensen Territorien der UdSSR. Die Imperialisten können unmöglich die wirtschaftliche Bedeutung der Rohstoffe, des immensen Produktionspotenzials und den riesigen Markt der Sowjetunion ignorieren.
Bei einem Vortrag in Kiew im Oktober 1991 erklärte David North vorausschauend in Bezug auf die nationalen Republiken der ehemaligen Sowjetunion wie der Ukraine:
Indem die Nationalisten ihre „Unabhängigkeit“ von Moskau erklären, werden sie lediglich alle wichtigen Entscheidungen über die Zukunft ihrer neuen Staaten in die Hände von Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Japan und den USA legen. ... Die Rückkehr zu Kapitalismus, für den die chauvinistische Agitation der Nationalisten nur Fassade ist, kann nur zu einer neuen Form von Unterdrückung führen.
Die Entwicklungen der letzten 30 Jahre haben diese Warnungen auf brutale und tragische Weise bestätigt. Große Teile des Nahen und Mittleren Ostens wurden durch die imperialistische Aggression verwüstet, Millionen Menschen getötet. Die ehemaligen Sowjetrepubliken wurden in kapitalistische Nationalstaaten verwandelt, die von kriminellen Oligarchien regiert und von ethnischen, religiösen, nationalen und Stammes-Konflikten zerrissen werden sowie von extremer sozialer Ungleichheit geprägt sind.
Die so genannte „Unabhängigkeit“ der Ukraine diente der Selbstbereicherung einer winzigen Schicht von Oligarchen und privilegierten Schichten des Kleinbürgertums. Für die Arbeiterklasse des Landes war sie eine Katastrophe. Die Ukraine, die in zwei Weltkriegen von Deutschland besetzt worden war, ist zum Ausgangspunkt für einen weiteren imperialistischen Krieg gegen Russland geworden. Hunderttausende von Ukrainern wurden bereits getötet. Diejenigen, die bis jetzt überlebt haben, sind mit sozialem Elend konfrontiert.
Tadschikistan, das Heimatland der mutmaßlichen Terroristen, ist ein weiteres tragisches Beispiel für die doppelte Katastrophe der Wiedereinführung des Kapitalismus und der Explosion imperialistischer Kriege. Es ist die ärmste aller ehemaligen Sowjetrepubliken, und fast die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Wasser. Die Hälfte des BIP stammt aus Überweisungen aus dem Ausland. Die katastrophale Lage Tadschikistan wurde maßgeblich durch die US-Interventionen im benachbarten Afghanistan beeinflusst. Afghanische islamistische Mudschahiddin-Kämpfer, die in den 1980ern von den USA finanziert wurden, um einen Krieg gegen die Sowjetarmee zu führen, spielten eine direkte Rolle in dem Bürgerkrieg, der Tadschikistan von 1992 bis 1997 verwüstete.
Die imperialistischen Kriege der letzten drei Jahrzehnte und die zunehmende Umzingelung Russlands und Chinas haben mittlerweile ein qualitativ neues Stadium erreicht. Angesichts interner Krisen und dem rapiden Niedergang der Position des US- und des europäischen Imperialismus im Weltmaßstab, vor allem gegenüber China, starten die imperialistischen Mächte einen neuen Versuch zur Neuaufteilung der Welt. Aus ihrer Sicht sind die Ressourcen der ehemaligen Sowjetunion unverzichtbar für den bevorstehenden Krieg gegen China.
Die Arbeiterklasse der ehemaligen Sowjetunion ist mit einer existenziellen Bedrohung konfrontiert. Wenn die herrschende Oligarchie die Kontrolle über die Lage behält, sind die Alternativen ein direkter Konflikt mit der Nato, bei dem der Einsatz von Atomwaffen droht, oder die Aufteilung der gesamten Region durch eine Serie von Bürgerkriegen und Regimewechsel-Operationen.
Die Arbeiter und Jugendlichen in der gesamten ehemaligen Sowjetunion können gegen die existenzielle Gefahr durch den imperialistischen Angriff nur dann erfolgreich kämpfen, wenn sie auf den Weg von 1917 zurückkehren, d.h. auf den Weg des Klassenkampfs und der sozialistischen Revolution. Sie brauchen eine Partei, die völlig unabhängig von allen Fraktionen der Oligarchie und der imperialistischen Mächte für die historischen Interessen der internationalen Arbeiterklasse kämpft. Nur die trotzkistische Weltbewegung, die vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale verkörpert wird, repräsentiert eine solche Partei. Daher ist ihr Aufbau die dringendste Aufgabe im Kampf zur internationalen Vereinigung der Arbeiter hinter dem Programm der sozialistischen Weltrevolution.