Am Montag hat Israel mit seinem seit langem geplanten Angriff auf Rafah begonnen. Die Bevölkerung dieser südlichsten Stadt des Gazastreifens wurde aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Gleichzeitig wurde die Stadt auch schon intensiv bombardiert.
Mehr als 1,2 Millionen Flüchtlinge, darunter mehr als 600.000 Kinder, hausen derzeit in Rafah unter erbärmlichen Bedingungen. Ihnen fehlt es an Wasser, ausreichender Nahrung, Hygiene und Medikamenten. Die große Mehrheit dieser Flüchtlinge wurde schon mehrfach vertrieben.
Israel hat am Montag Wohnhäuser im gesamten Gazastreifen bombardiert und Dutzende von Menschen – vor allem Frauen und Kinder – getötet. Erneut wurden weitere Dutzende verwundet und unter den Trümmern begraben. Am Dienstag besetzte Israel den Grenzübergang bei Rafah und verschloss damit eine wichtige Lebensader, über die die hungernde Bevölkerung des Gazastreifens zuletzt versorgt worden war.
In den USA stellte sich Präsident Joe Biden am Dienstag auf die Seite Israel und unterstützte den Angriff auf die Stadt. Zynisch versuchte er, den Holocaust zu instrumentalisieren, um die Unterstützung der USA für den Genozid des israelischen Staates an den Palästinensern zu rechtfertigen.
In seinen Ausführungen sagte Biden:
Dieser uralte Judenhass hat nicht mit dem Holocaust begonnen (...) Dieser Hass sitzt weiterhin tief in den Herzen allzu vieler Menschen (...) Dieser Hass wurde am 7. Oktober 2023 zum Leben erweckt.
Mit dem Holocaust wird gemeinhin die industrielle Vernichtung von über sechs Millionen Juden durch Nazi-Deutschland, die damals mächtigste kapitalistische Macht Europas, bezeichnet. Bidens Versuch, die Ereignisse des 7. Oktober mit dem Holocaust gleichzusetzen, ist eine völlige Geschichtsfälschung.
Die einzige Parallele, die zwischen dem Holocaust und den vergangenen sechs Monaten besteht, ist die Art und Weise, in der das rechtsextreme zionistische Regime die Verbrechen des deutschen Faschismus gegen das jüdische Volk wieder aufgreift – diesmal gegen die Palästinenser in Gaza.
Die Palästinenser sind in keiner Weise für den Holocaust verantwortlich. Und die Ereignisse des 7. Oktober, dieser Aufstand eines unterdrückten, eingesperrten und enteigneten Volkes, ähneln viel eher dem Aufstand im Warschauer Ghetto von 1943 gegen die Nazi-Besatzung.
In seinen Ausführungen erwähnte Biden mit keinem Wort das Leid und den Tod der Menschen in Gaza oder die 75 Jahre der Enteignung und israelischen Verbrechen an den Palästinensern, darunter seit 1948 zahlreiche Massenmorde durch den israelischen Staat.
Bidens Rede spiegelte im Wesentlichen die Äußerungen Benjamin Netanjahus bei einer Holocaust-Gedenkfeier wider. Am Freitag gelobte der rechtsextreme israelische Ministerpräsident, Rafah anzugreifen und den gesamten Gazastreifen zu unterwerfen, da dies das einzige Mittel sei, „um unsere Existenz und unsere Zukunft zu sichern“.
In seinen Ausführungen am Dienstag bekräftigte Biden die uneingeschränkte Unterstützung seiner Regierung für den israelischen Völkermord in Gaza. Er erklärte: „Mein Engagement für (...) die Sicherheit Israels und sein Recht, als unabhängiger jüdischer Staat zu existieren, ist eisern, auch wenn wir nicht einverstanden sind.“
Bidens Behauptung, er sei mit der Invasion in Rafah „nicht einverstanden“, ist in Wirklichkeit eine Lüge. Indem das Weiße Haus öffentlich erklärt, dass es keine Konsequenzen für das israelische Regime geben werde, stellt es praktisch einen Blankoscheck für das Massaker an der Bevölkerung von Gaza aus.
Indem Biden sich auf den Holocaust beruft, zielt er außerdem darauf ab, das harte Vorgehen seiner Regierung gegen Proteste im eigenen Land zu rechtfertigen. Er legitimiert damit eine Unterdrückung der Anti-Genozid-Bewegung, bei der auch Hunderte von Juden verhaftet werden, weil sie gegen den Völkermord in Gaza protestieren. Biden erklärte:
Wir erleben in Amerika und auf der ganzen Welt einen heftigen Anstieg des Antisemitismus. Bösartige Propaganda in den sozialen Medien. Juden werden gezwungen, ihre Kippahs unter Baseballmützen zu verstecken und ihre Judensterne einzustecken. Auf dem Campus werden jüdische Studenten, die zum Unterricht gehen, aufgehalten, belästigt und angegriffen. Antisemitische Plakate und Slogans, die die Vernichtung Israels, des einzigen jüdischen Staates der Welt, fordern. Zu viele Menschen leugnen, verharmlosen, rationalisieren und ignorieren die Schrecken des Holocaust und des 7. Oktober.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Auch dies ist alles völlig absurd. An den Massendemonstrationen in den Vereinigten Staaten haben sehr viele Juden teilgenommen. Vielfach wurden an prominenter Stelle jüdische Gottesdienste abgehalten, an denen auch Muslime, Christen und Atheisten teilnahmen.
Es ist eine Lüge, wenn Biden behauptet, seine Verteidigung des Genozids im Gazastreifen und sein hartes Durchgreifen gegen Antikriegsproteste seien durch seine Sorge über Antisemitismus motiviert. In den USA arbeitet Biden offen mit notorischen Antisemiten wie Majorie Taylor Greene und den Aufständischen vom 6. Januar 2021 zusammen. Seine Polizei greift Kriegsgegner an. In der Ukraine finanziert und bewaffnet Biden das faschistische Selenskjy-Regime, das den Holocaust-Kollaborateur Stepan Bandera als Nationalhelden verehrt.
Wirklich von Gewalt bedroht sind dagegen die Demonstrierenden, die Bidens Polizeikräfte in den letzten Tagen zu Hunderten verhaftet, verprügelt und mit Tränengas und Gummigeschossen traktiert haben. Am Wochenende drohte der Bürgermeister von New York City, Eric Adams, er werde die Proteste gegen den Völkermord im Gazastreifen „beenden“, und Senator Tom Cotton bezeichnete sie als „kleine Gazas“ und deutete damit an, dass die Polizei die Demonstrierenden so behandeln solle wie Israel die Menschen im Gazastreifen.
Wenn Biden den Widerstand gegen den Genozid als Antisemitismus verleumdet, wiederholt er damit die zionistische Lüge, welche die jüdische Identität mit Israel gleichsetzt. Diesem rechtsgerichteten Narrativ zufolge definieren sich amerikanische Juden durch ihre Religion, die wiederum mit dem israelischen Staat zusammenhängt.
Der zionistische Staat ist und war schon immer ein Instrument des Imperialismus. Historisch gesehen ist der Zionismus als reaktionäre Ideologie entstanden, die auf der falschen Behauptung beruhte, Antisemitismus sei ein unvermeidliches und dauerhaftes Merkmal der Gesellschaft, und er könne nur durch die Schaffung eines ethno-nationalistischen jüdischen Staates bekämpft werden.
Dies war und ist eine Ideologie, die auf erbitterter Feindschaft gegen die sozialistische Bewegung und ihr antikapitalistisches und internationales Programm beruht. Aber dieses Programm hat gerade unter den jüdischen Massen starke Unterstützung gefunden. In seinen ideologischen und historischen Ursprüngen reflektiert der Zionismus, der in der Neuzeit vor allem als Reaktion auf die sozialistische Arbeiterbewegung entstanden ist, wesentliche Merkmale des Faschismus und selbst des Antisemitismus.
Biden beruft sich auf den Holocaust, um die räuberischen Interessen des US-Imperialismus zu rechtfertigen. Darin erkennen Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zu Recht einen durchsichtigen Betrug. Der wahre Inhalt von Bidens Rede besteht darin, dass er als Sprecher der führenden imperialistischen Weltmacht den Völkermord als Instrument der Staatspolitik offen befürwortet. Dies macht die Absicht des Imperialismus deutlich, die größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts zu wiederholen.