Frankreich: Neue Volksfront bekennt sich im Wahlprogramm zu Krieg und Polizeistaat

Die Neue Volksfront (NFP), die von Jean-Luc Mélenchons „populistischer“ Partei La France insoumise (LFI, Unbeugsames Frankreich) gegründet wurde, hat ihr Programm für die vorgezogenen Wahlen in Frankreich am 30. Juni und 7. Juli in einer Sonderausgabe der stalinistischen Tageszeitung L'Humanité veröffentlicht.

Jean-Luc Mélenchon bei einer politischen Kundgebung am Samstag, den 25. Mai 2024, in Aubervilliers in der Nähe von Paris [AP Photo/ Aurelien Morissard]

Die zentralen Themen in der vorgezogenen Neuwahl, die Macron nach einem deutlichen Zuwachs für die Rechtsextremen in der Europawahl am 9. Juni angesetzt hatte, sind Krieg und die Gefahr einer rechtsextremen Regierung. Der rechtsextreme Rassemblement National (RN, Nationale Sammelbewegung) steht an den Toren der Macht, wobei Umfragen derzeit zeigen, dass er eine Mehrheit in der Nationalversammlung nur knapp verfehlt. Unmittelbar nach den vorgezogenen Neuwahlen in Großbritannien am 4. Juli und den französischen Neuwahlen am 7. Juli wird die Nato am 9. Juli in Washington ein Gipfeltreffen abhalten, um eine massive Eskalation des Kriegs mit Russland vorzubereiten.

In diesen entscheidenden Fragen bietet die NFP den Arbeitern keine Alternative zu Macrons Polizeistaatsregime oder dem RN. Die NFP selbst behauptet, es sei ein „Programm, das mit der Politik von Emmanuel Macron bricht“ und verurteilt die „rassistische soziale Sparpolitik der extremen Rechten“. Allerdings ist die NFP ein Bündnis aus der LFI, der Parti socialiste (PS, Sozialistische Partei) des Großkapitals, der stalinistischen Parti communiste français (PCF, Kommunistische Partei Frankreichs) den Grünen und der pablistischen Nouveau Parti anticapitaliste (NPA, Neue Antikapitalistische Partei).

Das von der Neuen Volksfront verabschiedete Programm bestätigt, dass sich diese Parteien an der rechten Neugestaltung der französischen Politik beteiligen, welche die herrschende Klasse durch die vorgezogenen Neuwahlen durchsetzen will, um die militärische Eskalation im Ausland und den Klassenkampf im Inland vorzubereiten. Das Programm fordert die Entsendung von Truppen in die Ukraine und die Stärkung des Militärs, der Polizei und der Geheimdienste.

Das Programm der NFP spiegelt nicht die Interessen der Arbeiterklasse wider, sondern die der Klassenbasis ihrer Mitgliedsparteien. Die NFP ist nicht die Volksfront der 1930er-Jahre, zu der die sozialdemokratische und eine stalinistische Partei gehörten, die beide eine Massenbasis in der Arbeiterklasse hatten. Die soziale Basis der NFP ist ein Bündnis zwischen der Bourgeoisie und begüterten Schichten des Kleinbürgertums im akademischen Milieu und der Gewerkschaftsbürokratie, deren Grundlage Identitätspolitik auf der Basis von Ethnie und Gender ist.

In dem halben Jahrhundert seit dem Ausverkauf des Generalstreiks vom Mai 1968 durch die PCF hat die herrschende Klasse gewaltige Mittel aufgewendet, um diese Kräfte als die „Linke“ zu propagieren. Doch die PS, die PCF und die Grünen haben wiederholt (1981–1995, 1997–2002 und 2012–2017) Regierungen gebildet, die Krieg geführt und den Lebensstandard gesenkt haben. Die Gründung der Neuen Volksfront ist eine Warnung: Pseudolinke Nachkommen der Renegaten vom Trotzkismus wie LFI und die NPA sind ebenfalls bereit, dieses Programm umzusetzen, einschließlich des Kriegs gegen Russland, der zum Einsatz von Atomwaffen zu führen droht.

Der Imperialismus steuert auf eine Katastrophe zu. Unter Arbeitern und Jugendlichen in Frankreich und allen Nato-Staaten herrscht tief verwurzelte Opposition gegen die Eskalation des Kriegs gegen Russland, den Völkermord in Gaza und gegen die neofaschistische Herrschaft. Egal welche Regierung aus den französischen Neuwahlen hervorgeht, selbst wenn die NFP daran beteiligt sein sollte, sie wird auf Kollisionskurs mit der Arbeiterklasse gehen.

Doch der Krieg, der Aufstieg des RN und dessen Förderung in den kapitalistischen Medien müssen als Warnung verstanden werden: Spontaner Widerstand in Form von Streiks und Protesten wird die nächste Regierung nicht besiegen. Die herrschende Klasse arbeitet unermüdlich daran, sicherzustellen, dass die Neofaschisten von den Verrätereien der PS, LFI und ihrer Verbündeten und der Verbitterung profitieren, die sie in der Arbeiterklasse auslösen. Die Arbeiterklasse steht einer herrschenden Klasse gegenüber, die entschlossen ist, gegen den Willen der Bevölkerung Krieg zu führen und einen faschistischen Polizeistaat einzusetzen, um den Widerstand der Bevölkerung zu unterdrücken.

Die Neue Volksfront preist den Frieden, befürwortet aber den Krieg gegen Russland

Das Programm der NFP proklamiert die „Dringlichkeit von Frieden“, unterstützt jedoch Macrons Forderung, französische Truppen in die Ukraine zu schicken, die von der großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. Es verspricht, „den Angriffskrieg von Wladimir Putin schachmatt zu setzen“ und fordert die „Verteidigung der Souveränität und Freiheit des ukrainischen Volks und die Unverletzlichkeit seiner Grenzen“. Sie fordert die „notwendige Lieferung von Waffen [an die Ukraine] und die Entsendung von Friedenstruppen, um Atomkraftwerke zu verteidigen“.

Das ist ein zynischer Versuch, die Öffentlichkeit in Sicherheit zu wiegen, während die Nato eine katastrophale Eskalation des Kriegs vorbereitet. Laut einer Umfrage der Eurasia Group wollen 94 Prozent der Amerikaner und 88 Prozent der Westeuropäer den Krieg in der Ukraine durch eine Verhandlungslösung beenden. Doch genau wie die herrschende Klasse versucht die NFP, für die geplanten Plünderungskriege der Nato einen Deckmantel zu finden, wie z. B. „Friedenssicherung“.

Sollten französische Truppen in die Ukraine entsandt werden, dann werden sie nicht zur Friedenssicherung eingesetzt. Sie werden sich an einem verheerenden Krieg beteiligen, der bereits mehr als eine halbe Million Menschenleben gefordert hat, während Macron und seine Nato-Verbündeten die imperialistische Neuaufteilung der Welt vorantreiben, die sie in der gesamten postsowjetischen Ära durchsetzen wollten.

Die PS und die PCF können auf eine lange Geschichte des Militarismus zurückblicken, seit die stalinistische Auflösung der Sowjetunion 1991 das wichtigste politisch-militärische Hindernis für neokoloniale Kriege beseitigt hat. Dazu gehören die Teilnahme am Golfkrieg gegen den Irak 1991, die Nato-Invasion in Afghanistan 2001 und die Kriege in Libyen, Syrien und Mali in den 2010er-Jahren. Bezeichnenderweise schweigt sich das Programm der NFP darüber völlig aus, obwohl Frankreich seit über einem Jahrzehnt in Militäroperationen in Syrien und Afrika verwickelt ist.

Putins Einmarsch in die Ukraine war zweifellos reaktionär und muss abgelehnt werden, aber die Arbeiterklasse kann nicht entscheiden, wie sie auf den Nato-Krieg gegen Russland reagieren soll, wenn sie nur fragt, wer den ersten Schuss abgegeben hat. Um eine noch größere Katastrophe zu verhindern und den Krieg zu beenden, muss sie sich vor allem einer weiteren Eskalation durch die imperialistischen Nato-Mächte widersetzen.

Die Behauptung der NFP, in diesem Krieg gehe es um den Schutz der „Freiheit“ in der Ukraine, ist eine Lüge. Das ukrainische Regime ist eine von der Nato unterstützte Diktatur. Sein Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Wahlen ausgesetzt, und sein Regime besteht aus Verehrern des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera aus dem Zweiten Weltkrieg. Oppositionsparteien sind verboten, und das Militär betreibt Zwangsrekrutierung von Zivilisten. Die Nato kämpft in der Ukraine nicht für Freiheit, sondern benutzt die Ukraine für ihren imperialistischen Krieg gegen Russland.

Der polnische Präsident Andrzej Duda hat beim letzten Ukraine-Gipfel in der Schweiz die Ziele der Nato im Krieg gegen Russland ganz offen dargelegt. Unter dem betrügerischen Banner des Kriegs gegen „Kolonialismus“ erklärte er, in der modernen Welt gäbe es „keinen Platz mehr“ für Russland, und forderte seine Aufteilung in 200 Kleinstaaten, die vom Imperialismus beherrscht werden könnten. Duda erklärte:

Russland wird oft das Gefängnis der Nationen genannt, und das mit gutem Grund. In dem Land leben mehr als 200 Ethnien, von denen die meisten aufgrund ähnlicher Methoden zu Einwohnern Russlands wurden, wie das Land sie heute in der Ukraine anwendet. Russland ist auch heute noch das größte Kolonialreich der Welt, hat aber im Gegensatz zu den europäischen Mächten nie den Prozess der Entkolonialisierung durchlaufen und war nie in der Lage, sich mit den Dämonen seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. In der heutigen Welt gibt es keinen Platz mehr für Kolonialismus.

Damit wird das reaktionäre kapitalistische Regime, das in Russland durch die stalinistische Auflösung der Sowjetunion entstanden ist, nicht von links, sondern von rechts kritisiert.

Die Nato, die in ihren Dokumenten eine „strategische Niederlage“ Russlands fordert, verfolgt eine verzweifelte Strategie zur Eroberung der Welt. Sie versucht durch Krieg den seit langem anhaltenden Niedergang der wirtschaftlichen Position der imperialistischen Nato-Mächte auszugleichen. Zu diesem Zweck will sie in Moskau einen Regimewechsel erzwingen, Russland aufteilen, sein Öl und seine strategischen Mineralien plündern, es zur Rücknahme seiner militärischen Unterstützung für Syrien und andere von der Nato ins Visier genommene Länder zwingen und es als Basis für einen neokolonialen Krieg gegen China benutzen.

Weder der französische, noch der europäische Kapitalismus hat den Prozess der Entkolonialisierung durchgemacht oder sich „mit den Dämonen seiner Vergangenheit“ auseinandergesetzt. Die neokoloniale Kriegsoffensive der europäischen imperialistischen Mächte an der Seite Washingtons geht Hand in Hand mit der Verankerung von Neofaschismus und der Unterstützung von Völkermord im Zentrum der offiziellen europäischen Politik. Arbeiter und Jugendliche müssen vor der Gefahr einer Eskalation gewarnt werden und sowohl den Krieg der Nato gegen Russland als auch die Unterstützung der Neuen Volksfront dafür entschieden ablehnen.

Völkermord in Gaza: Mélenchon distanziert sich von seiner Kritik

Die völlig reaktionäre Haltung der NFP zum Völkermord in Gaza ist das Ergebnis von Mélenchons Strategie der endlosen Zugeständnisse an die PS und den Imperialismus. Als er die NFP ankündigte und der PS öffentlich ein Bündnis anbot, verkündete er: „[Wir] werfen unsere Differenzen über Bord.“ Ein Ergebnis davon ist die völlig reaktionäre Position der NFP zum Völkermord in Gaza, die sich mit der langjährigen Unterstützung der PS-Regierungen für das israelische Regime deckt.

Das Programm der NFP erkennt nicht an, dass in Gaza ein Völkermord stattfindet. Zudem setzt es auf zynische Weise das Vorgehen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und der unterdrückten Bevölkerung von Gaza gleich. Es hält am Kurs aller Parteien der NFP fest und lehnt Aufrufe zur internationalen Mobilisierung der wirtschaftlichen Stärke der Arbeiterklasse ab, um die Lieferung von Waffen an Israel zu stoppen und den Völkermord zu beenden.

Es verurteilt „die terroristischen Massaker der Hamas, deren theokratisches Programm wir ablehnen“ und unterstützt die „Anklagen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Führer der Hamas und der Netanjahu-Regierung“. Es fordert:

Mit der schuldhaften Unterstützung der französischen Regierung für die rechtsextreme chauvinistische Regierung von Netanjahu zu brechen, einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza durchzusetzen und die Beschlüsse des Internationalen Strafgerichtshofs durchzusetzen, die eindeutig die Gefahr eines Völkermords beschwören.

Aber die Behauptung, in Gaza bestehe die „Gefahr“ eines Völkermords, ist falsch. Der Völkermord in Gaza findet bereits statt. Das israelische Regime bombardiert wehrlose Zivilisten, lässt Kranke und Verwundete in den wenigen noch verbliebenen Krankenhäusern des Gazastreifens von Todesschwadronen ermorden und verweigert zwei Millionen Menschen die Versorgung mit Nahrung, Wasser, Strom und medizinischer Behandlung.

Die Entscheidung der NFP, die Realität des Völkermords in Gaza herunterzuspielen, muss als Warnung verstanden werden: Wenn eine NFP-Regierung an die Macht käme, würde sie versuchen, die – in ihren eigenen Worten – „schuldhafte Unterstützung“ Frankreichs für das zionistische Regime fortzusetzen. Arbeiter und Jugendliche in Frankreich müssen auf die Situation in Spanien aufmerksam gemacht werden, wo die Sozialdemokraten zusammen mit Mélenchons Verbündeten in der Partei Sumar regieren. Madrid hat leere Erklärungen abgegeben, in denen der Völkermord verurteilt und ein unabhängiger palästinensischer Staat gefordert wird, während es Israel weiterhin mit Waffen beliefert.

Um Krieg und Völkermord zu beenden, muss die Arbeiterklasse in Frankreich und der Welt unabhängig von den Parteien und Gewerkschaftsbürokratien, die die NFP unterstützen, mobilisiert werden.

Die Verteidigung des Lebensstandards der Arbeiter erfordert Widerstand gegen Weltkrieg, Völkermord und Kapitalismus

Das Programm der NFP und die Diskussionspunkte, die sie an ihre Mitglieder verteilt hat, enthalten zahlreiche legitime soziale Maßnahmen. Dazu gehören Vorschläge wie „höhere Subventionen für alle Familien, um zu gewährleisten, dass die Häuser vollständig isoliert sind“ oder „Gewährleistung von Ein-Euro-Mahlzeiten in Universitätskantinen“. Wenn der RN Stimmen von Arbeitern gewinnen kann, dann liegt das zum Großteil daran, dass die Arbeiter auf eine lange Erfahrung mit PS-geführten Regierungen zurückblicken können, die ihre Versprechen nach dem Wahlsieg innerhalb eines Jahres oder sogar einiger Wochen gebrochen haben.

Die wichtigsten sozialen Maßnahmen im Wahlprogramm der NFP sind diejenigen, die sich direkt mit dem derzeitigen historischen Angriff auf Löhne und soziale Rechte befassen. Dazu gehören „Blockieren von Preiserhöhungen bei lebenswichtigen Gütern wie Lebensmittel, Energie und Treibstoff“, eine „Erhöhung der Einkommen durch die Anhebung des [monatlichen] Mindestlohns auf 1.600 Euro netto“ und die „sofortige Rücknahme von Macrons Dekret zur Erhöhung des Rentenalters auf 64 Jahre“.

Der Bankrott dieses Programms ergibt sich aus seiner nationalen Orientierung. In einer globalisierten kapitalistischen Wirtschaft werden die Preise für Lebensmittel und Energie von den Weltmärkten bestimmt, die von den internationalen Großbanken dominiert werden. Diese haben durch die verheerenden Preisanstiege der letzten vier Jahre, der größten Inflationswelle seit einem halben Jahrhundert, riesige Profite eingefahren. Arbeiter können ihren Lebensstandard nicht ohne einen Kampf gegen das kapitalistische Eigentum verteidigen; dazu müssen sie international zusammenarbeiten, um der Kapitalistenklasse die Kontrolle über diese Ressourcen zu entreißen.

Um die Abwärtsspirale des Lebensstandards zu stoppen, müssen vor allem die Kriege beendet werden, welche die NFP unterstützt. Die Entscheidung der Nato, ihre Importe von russischem Öl und Gas zu begrenzen und die Exporte von russischem Getreide über die Ostseehäfen zu unterbrechen, hat eine zentrale Rolle in der globalen Inflationswelle gespielt und auch unmittelbar zu den drakonischen Angriffen auf grundlegende soziale Rechte geführt.

Letztes Jahr hatte Macron Streiks und Massenproteste provoziert, indem er ohne Abstimmung im Parlament Rentenkürzungen durchsetzte, die von der großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wurden. Damit wurde den Rentnern ein zweistelliger Milliardenbetrag weggenommen, um eine gewaltige Erhöhung der Militärausgaben um 100 Milliarden Euro für den Rest des Jahrzehnts zu finanzieren. Doch die Gewerkschaftsbürokratien, die anfangs aufgrund der massiven Empörung über Macrons Kürzungen und seine undemokratischen Methoden zu Protesten aufgerufen hatten, beendeten ihre Proteste plötzlich und übten auch keine Kritik an der Erhöhung der Militärausgaben.

Die LFI, die mittlerweile die größte Kraft in der NPF ist hat deutlich gemacht, dass sie die Fortsetzung der Umverteilung von Geldern für die Aufrüstung unterstützt. Der LFI-Funktionär François Ruffin, der als erstes in den sozialen Medien zur Gründung der Neuen Volksfront aufgerufen hat, erklärte gegenüber Le Monde, seine Politik gegenüber Russland bestehe aus der Stärkung der französischen Kriegsmaschinerie:

Beginnen wir ganz einfach mit dem Aufbau unserer Rüstungsindustrie. Europa muss seine Souveränität in Bezug auf Waffen, Kanonen, Kampfflugzeuge, die gesamte Palette an Waffen, Material und Technologie zurückgewinnen. Es sollte nicht länger von den Amerikanern abhängig sein, und dafür muss es sich selbst die Mittel geben. ... Für die Kriegsanstrengungen müssen wir sorgfältig über die Einheit der Nation wachen.

Arbeiter und Jugendliche können ihre sozialen Rechte nicht durch nationale Einheit mit kriegstreiberischen Regierungen verteidigen, die gegen die Bevölkerung regieren. Daher muss aufs Schärfste in Bezug auf die sozialen Versprechen im Programm der NFP gewarnt werden. Arbeiter können für diese Forderungen nur kämpfen, indem sie sich dem imperialistischen Krieg widersetzen – einschließlich der militaristischen Politik einer Regierung unter Beteiligung der NFP.

Kleinbürgerliche Identitätspolitik und die Unterstützung des kapitalistischen Polizeistaats

Ein wichtiges Element der offiziellen Neudefinition „linker“ Politik in der postsowjetischen Ära bestand darin, den Fokus weg von der Klasse ausschließlich auf Fragen von Ethnie und Gender zu verlagern. Ein Großteil des Programms der NFP zielt darauf ab, Bürokratien zu finanzieren, die der kapitalistische Staat unterstützt, um gegen rassistische und sexistische Vorurteile zu kämpfen. Es ist kein Zufall, dass ein beträchtlicher Teil der NFP-Mitglieder in diesen Bürokratien oder bei den Gewerkschaftsbürokratien beschäftigt ist.

Das Programm der NFP fordert den französischen Staat auf, ein „Kommissariat für Gleichberechtigung“ einzurichten, das „mit einer Beobachtungsstelle für Diskriminierungen“ ausgestattet ist, um „Verfasser rassistischer, islamophober und antisemitischer Äußerungen oder Taten zu sanktionieren“. Ferner schlägt es ein „organisches Gesetz zum Kampf gegen sexistische und sexuelle Gewalt“ vor, „mit dem das Budget auf 2,6 Milliarden Euro steigen würde“.

Es fordert außerdem zusätzliche Positionen für Gewerkschaftsbürokraten im Konzernapparat: „Die Arbeiter müssen zu echten Akteuren des wirtschaftlichen Lebens werden, indem mindestens ein Drittel der Sitze in den Betriebsräten für sie reserviert wird“, d.h. für die Gewerkschaftsfunktionäre, die in den Betriebsräten sitzen.

Diese Vorschläge werfen ein Schlaglicht auf eine entscheidende Tatsache der französischen und europäischen Politik: Die herrschende Klasse gibt Milliarden für das aus, was sie als „linke“ Politik darstellt. Wie viel sie tatsächlich für die Bezahlung diverser Bürokraten aufwendet, ist ein Staatsgeheimnis, das so sorgfältig gehütet wird wie die Flugbahnen und Sprengkraft von Frankreichs Atomraketen. Doch er geht in die Milliarden. Im Jahr 2012 enthüllte der geleakte Perruchot-Bericht über die Finanzierung der Gewerkschaften, dass mehr als 90 Prozent des rund vier Milliarden Euro schweren Budgets der Gewerkschaften aus Subventionen des Staates und der Unternehmen stammt, da die Zahl der Beiträge zahlenden Mitglieder wegen der jahrzehntelangen Verrätereien eingebrochen ist.

Das Programm der Neuen Volksfront stellt seine Forderungen nach staatlicher Finanzierung als Teil des Kampfs für Demokratie innerhalb der bestehenden kapitalistischen Institutionen dar. Es schlägt vor, „Generalstände für öffentliche Freiheiten zu organisieren [und] die Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zu verteidigen und zu stärken“. Es kritisiert die Polizeigewalt und fordert das „Verbot von Gummigeschossen und scharfen Granaten sowie die Auflösung der BRAV-M“, der Motorradtruppe der Polizei, die für ihre Brutalität gegenüber Demonstranten, auch bei Gewerkschaftsprotesten, berüchtigt ist.

Doch letzten Endes lehnt die kleinbürgerliche Schicht, die die wichtigste soziale Grundlage der NFP darstellt, den Polizeistaat nicht grundsätzlich ab. Dies äußert sich u.a. in der bemerkenswerten Forderung des NFP-Programms nach einer Stärkung des Polizeiapparats. Es befürwortet „den Erhalt aller Einheiten der Militärpolizei und eine Aufstockung des Personals der ermittlungstechnischen, technischen und wissenschaftlichen Polizei und der Geheimdienste“.

Während sich die herrschende Klasse darauf vorbereitet, den Krieg im Ausland und den Klassenkrieg im Inland gegen den Willen der Bevölkerung zu eskalieren, muss aufs Schärfste vor der antimarxistischen Politik der NFP gewarnt werden. Die mit Pseudolinken besetzten Polizeikommissariate und Rassen- und Genderkommissariate werden letztlich von der gleichen herrschenden Klasse finanziert. Beide unterdrücken auf eigene Art und Weise den Widerstand der Arbeiterklasse gegen den imperialistischen Krieg und den Kapitalismus.

Die Behauptungen der NFP über ihren Kampf gegen die extreme Rechte können sich schnell und leicht in Luft auflösen: Ein Funktionär, der heute im Wahlkampf Vorurteile gegen Muslime kritisiert, könnte morgen Solidaritätsbekundungen mit Gaza als „antisemitisch“ bezeichnen und drastische Strafen dafür fordern.

Die Neue Volksfront unterstützt den Kapitalismus

Das Programm der NFP fordert zwar die „Abschaffung der Privilegien der Milliardäre“. Es erwähnt kurz die Rolle, die die obszöne soziale Ungleichheit für das Wachstum des Neofaschismus spielt, da Milliardäre wie Vincent Bolloré rechtsextreme Medienimperien aufbauen. Es schlägt eine „strenge Begrenzung der Konzentration der Medien und der Kulturbranche in den Händen einiger weniger Besitzer“ vor und will „Medien, die Hass schüren oder die Würde von Menschen bedrohen, von staatlicher Förderung ausschließen“.

Ihre Perspektive besteht jedoch nicht darin, die Arbeiterklasse im Kampf gegen die extreme Rechte, den Krieg oder zur Abschaffung der grotesken sozialen Ungleichheit unter dem Kapitalismus zu mobilisieren, die ein solches Ausmaß angenommen hat, dass acht Personen mehr Vermögen besitzen als die Hälfte der Menschheit. Sie legt stattdessen ein Programm für eine kapitalistische Regierung vor, die sie unter Macron bilden könnte. Sie schlägt sogar einige Steuerreformen vor: „Erhöhung der Progression der Einkommenssteuer auf 14 Stufen... Wiedereinführung der Vermögenssteuer ... und Unterdrückung ineffektiver Steueroasen“.

Doch die Schließung einiger der bekanntesten Steuerschlupflöcher reicht nicht aus, um die Privilegien der Milliardäre abzuschaffen. Dass Bedingungen existieren, in denen eine einzige Person mehr als eine Milliarde Euro besitzen kann, enthüllt ebenso wie die Gefahr der rechtsextremen Herrschaft, dass die gesamte Gesellschaftsordnung völlig bankrott ist. Die groteske Ungleichheit, die durch diese Vermögen entsteht, entlarvt den reaktionären Charakter der kapitalistischen Aneignung der Profite durch die Großkonzerne, die Massen von Arbeitern weltweit ausbeuten.

Die einzige progressive Antwort darauf ist die Enteignung der Kapitalisten durch die Arbeiter in einer sozialistischen Revolution, welche die NFP ablehnt.

Die Unterstützung der NFP für die Kapitalistenklasse wurde vor zwölf Jahren von ihrem derzeitigen Kandidaten in Corrèze, dem ehemaligen PS-Präsidenten François Hollande, am deutlichsten dargelegt. Er hatte in London vor französischen Bankern, die seinen Präsidentschaftswahlkampf finanzierten, erklärt:

Heute gibt es in Frankreich keine Kommunisten mehr. Die Linke hat die Wirtschaft liberalisiert und die Märkte für das Finanzwesen und die Privatisierung geöffnet. Es gibt nichts zu befürchten.

Nach seiner Amtsübernahme begann Hollande einen Krieg in Mali, löste durch die Abschiebung von Roma-Kindern aus Frankreich Massenproteste aus und unterdrückte gewaltsam die Proteste gegen sein Arbeitsgesetz, das Massenentlassungen erleichterte. Er spielte eine wichtige Rolle dabei, den Neofaschismus zu fördern und den französischen Polizeistaat aufzubauen. Nach den Terroranschlägen in Paris im Jahr 2015 lud er RN-Führerin Marine Le Pen in den Élysée-Palast ein und verhängte einen zweijährigen Ausnahmezustand, unter dem demokratische Rechte ausgesetzt wurden.

Hollande kann heute nur deshalb kandidieren, weil Mélenchon die NFP gegründet hat, um die PS zu unterstützen. Hollande, der in Privatgesprächen die zahlreichen Menschen in Frankreich, die sich die exorbitanten Kosten für Zahnbehandlungen nicht leisten können, als „Zahnlose“ verspottet, war so verhasst, dass er es im Jahr 2017 nicht wagte, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, sondern Macron unterstützte. Dass Mélenchon und die pablistische NPA sich mit einem so unverhohlenen Verteidiger des Kapitalismus zusammentun, wird zu einer vorhersehbaren Katastrophe für die Arbeiter führen.

Gegen die Neue Volksfront – Baut die trotzkistische Bewegung auf!

Die zentrale Aufgabe, die sich der Arbeiterklasse stellt, ist die Überwindung der Hindernisse, die der Stalinismus und die diversen Nachkommen von Renegaten des Trotzkismus dem Kampf gegen imperialistischen Krieg, Neofaschismus und Kapitalismus entgegenstellen. Das Programm der NPF stellt ein neues Stadium der Befürwortung des Kapitalismus durch die französischen Stalinisten und alle kleinbürgerlichen Nachkommen der Kräfte dar, die mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI), der Führung der weltweiten trotzkistischen Bewegung, gebrochen haben, um sich mit dem Stalinismus und der Sozialdemokratie zu verbünden.

Die pablistische NPA, deren politische Vorfahren den Trotzkismus abgelehnt und 1953 mit dem IKVI gebrochen haben, um sich mit dem Stalinismus und bürgerlichen Nationalismus zu verbünden, haben ihre anti-trotzkistische Politik zu ihrem logischen Abschluss gebracht. Die NPA bezeichnet sich als „antikapitalistisch“, und die kapitalistischen Medien stellen sie ständig und wahrheitswidrig als „trotzkistische“ Partei dar. Sie hat sich jedoch der NFP angeschlossen, einem Bündnis unter Führung der bürgerlichen PS, um unter dem „Präsidenten der Reichen“, Macron, eine kapitalistische Regierung zu bilden.

Mélenchon begann seine Karriere in Pierre Lamberts Organisation communiste internationaliste (OCI), die von 1953 bis 1971 die französische Sektion des IKVI war. Allerdings trat er der OCI kurz nach ihrer Abspaltung vom IKVI bei, um die „Union der Linken“ zwischen der neu gegründeten PS und der PCF sowie ihr Programm für eine kapitalistische „Volksregierung“ zu unterstützen. Er trat 1976 in die PS ein und wurde schließlich Minister in der von der PS geführten Regierung der „Pluralen Linken“ von 1997 bis 2002.

Die Wahlkrise im Jahr 2002 entlarvte den Bankrott dieser Orientierung. Millionen von Arbeitern protestierten, als die Präsidentschaftswahl in eine Stichwahl zwischen dem rechten Kandidaten Jacques Chirac und dem Neofaschisten Jean-Marie Le Pen mündete, weil die Stimmen für die PS massiv einbrachen, deren Wähler angewidert waren von ihrer Spar- und Kriegspolitik. Die PS, die PCF und die pablistische LCR (die Vorgänger in der NPA) reagierten darauf, indem sie Chirac als Verteidiger der Demokratie gegen Le Pen unterstützten. Damit überließen sie der extremen Rechten faktisch die Rolle als wichtigste Opposition gegen das politische Establishment.

Das IKVI veröffentlichte einen Aufruf mit dem Titel „Nein zu Chirac und Le Pen! Für einen Boykott der französischen Wahlen!“ Es schrieb:

Die World Socialist Web Site ruft alle Organisationen, denen es um die Verteidigung der Arbeiterklasse geht, zu einer aktiven Kampagne für einen Boykott der Präsidentschaftswahlen am 5. Mai auf. Keine politische Unterstützung für Le Pen oder Chirac! Mobilisiert die arbeitenden Menschen und die Jugendlichen in Frankreich gegen diese undemokratische Scheinwahl!“

Ein Boykott ist notwendig, um diesen Scheinwahlen ihre Legitimität abzusprechen. Er ist notwendig, weil er der Arbeiterklasse eine unabhängige politische Linie gibt und weil ein aktiver und kühner Boykott die besten Voraussetzungen für die politischen Kämpfe schaffen wird, zu denen es nach den Wahlen kommen wird...

Die Masse und besonders die jungen Leute, die durch den Schock von Le Pens Erfolg in der ersten Runde in Bewegung geraten sind, könnten auf diese Weise politisch erzogen werden.

Diese neuen Kräfte haben viel über Politik zu lernen. Sie müssen lernen, die Lügen des gesamten bürgerlichen Politikbetriebs zu durchschauen – Regierungs-Rechte wie -Linke und auch die Medien. Alle behaupten sie, eine Stimmabgabe für Chirac bedeute die Verteidigung der Demokratie, die Rettung von Frankreichs „Ehre“, die Schaffung einer „antifaschistischen Front“, usw.

Mélenchon lehnte einen Kampf zur unabhängigen Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen Neofaschismus und Krieg ab, obwohl er schließlich 2009 aus der PS austrat. Er tat dies auf der Grundlage einer offenen Zurückweisung des Sozialismus, um stattdessen den Populismus der „postmarxistischen“ Akademikerin Chantal Mouffe zu übernehmen. In seinem Buch L'Ere du peuple von 2014 schrieb er: „Das Volk nimmt den Platz ein, den die ,revolutionäre Arbeiterklasse‘ früher in der Politik der Linken innehatte.“

Er forderte „über den Sozialismus hinauszugehen“ und propagierte eine „Volksrevolution“, die „nicht die alte sozialistische Revolution ist“.

Als er mit seiner Kritik an Hollande und Macron Zugang zu den Massenmedien bekam, erhielt er in der Präsidentschaftswahl 2022 fast acht Millionen Stimmen. Allerdings lehnte er es ab, seine Wähler, vor allem in den Arbeitervierteln der großen Städte, zum Kampf gegen Macrons rechtswidrige Rentenkürzungen, den Völkermord in Gaza oder sonstige Fragen zu mobilisieren. Er ist ein bewusster Gegner des Sozialismus, weil er im Jahr 2022 seine Bereitschaft geäußert hat, unter Macron oder sogar einem neofaschistischen Präsidenten als Premierminister zu dienen.

Die Parti de l’égalité socialiste (PES, Sozialistische Gleichheitspartei), die 2016 gegründete französische Sektion des IKVI, lehnt die antimarxistische Politik und die theoretischen Grundlagen der NFP ab. Sie kämpft dafür, die Arbeiter in Frankreich und der Welt auf die immense und wachsende Gefahr von Krieg und faschistischer Herrschaft aufmerksam zu machen. Dabei stützt sie sich auf einen historisch begründeten revolutionären Optimismus hinsichtlich der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse.

Die Kriegsoffensive der imperialistischen Mächte wird auf tiefen und wachsenden Widerstand in der internationalen Arbeiterklasse stoßen, einer Klasse von Milliarden von Menschen, deren Zahl in den letzten Jahrzehnten durch die Globalisierung der Wirtschaft enorm gestiegen ist. Die „Gelbwesten“-Proteste von 2018 bis 2019, die in Frankreich über soziale Netzwerke organisiert wurden, haben das Potenzial für einen von den nationalen Bürokratien unabhängigen Kampf der Arbeiter gezeigt. Um eine internationale Bewegung gegen imperialistischen Krieg und Diktatur aufzubauen, können und müssen unabhängige Organisationen der Arbeiterklasse entstehen.

Ein solcher Kampf erfordert vor allem eine marxistische historische Perspektive und eine politische Führung. Die PES stützt ihren Kampf für den Sozialismus auf die ungebrochene Verteidigung der Kontinuität des Trotzkismus und der Oktoberrevolution durch das IKVI gegen den Pablismus, die Pseudolinke und die NFP. Die trotzkistische Opposition muss gegen die Neue Volksfront, die Gefahr einer rechtsextremen Diktatur und eines imperialistischen Kriegs aufgebaut werden.

Loading