Die Vereinigten Staaten und Israel stehen am Rande eines direkten Angriffs auf den Iran, der weitreichende und katastrophale Folgen für den Nahen Osten und die ganze Welt hätte.
Das Weiße Haus hat den iranischen Angriff auf die militärische Infrastruktur Israels am 1. Oktober zum Vorwand genommen, um Israel einen Freibrief für einen illegalen Angriff auf das bevölkerungsreichste Land der Region auszustellen.
„Wir werden mit den Israelis besprechen, was sie tun werden, aber wir Sieben [gemeint sind die G7-Staaten] sind uns einig, dass sie das Recht haben zu reagieren“, sagte Biden am Mittwoch. Reuters kommentierte:„Die USA drängen Israel nicht, von Vergeltungsmaßnahmen abzusehen.“
Ein Jahr nach Beginn des Völkermords im Gazastreifen ist klar geworden, dass Israel die Ereignisse des 7. Oktober nutzt, um lang gehegte Pläne zur ethnischen Säuberung und Annexion aller palästinensischen Gebiete in die Tat umzusetzen. In einem regionalen Krieg im gesamten Nahen Osten erhebt der zionistische Staat Anspruch auf seine „biblischen Grenzen“.
Die Vereinigten Staaten wiederum nutzen dies als Gelegenheit, die imperialistische Kontrolle über die ölreiche Region des Nahen Ostens zu festigen und auch Zentralasien als feste Basis für US-Militäroperationen zu etablieren, von denen aus sie die Konfrontation mit Russland und China vorantreiben können.
Es ist höchste Zeit, mit dem Mythos aufzuräumen, Israel handle unabhängig von den Vereinigten Staaten. Israel ist in erster Linie ein Kettenhund und ein Instrument des amerikanischen Imperialismus in der Region.
Auch diesmal versuchen weder die US-Regierung noch die Medien, die Öffentlichkeit über die gewaltigen Folgen der aktuellen Pläne zu informieren.
Bei der Vizepräsidentschaftsdebatte zwischen dem Demokraten Walz und dem Republikaner Vance vor einigen Tagen wurden beide Kandidaten gefragt: „Würden Sie einen Präventivschlag Israels gegen den Iran unterstützen oder ablehnen?“
Walz erklärte: „Wir werden unsere Streitkräfte und unsere verbündeten Streitkräfte schützen, und es wird Konsequenzen geben.“ Vance ergänzte: „Es ist Sache Israels, was es unternehmen möchte, um die eigene Sicherheit zu gewährleisten. Und wir sollten unsere Verbündeten unterstützen, wo immer sie sind, wenn sie gegen die Bösen kämpfen.“
Die Moderatoren machten sich nicht die Mühe, darauf hinzuweisen, dass ein solcher Angriff erstens illegal wäre und zweitens monumentale Folgen für die ganze Welt hätte.
Ein amerikanisch-israelischer Krieg mit dem Iran droht die gesamte Region in Flammen aufgehen zu lassen. Der türkische Ministerpräsident Erdogan warnte diese Woche: „Die israelische Regierung lässt sich von der Illusion eines gelobten Landes und religiösem Fanatismus leiten. Nach Palästina und Libanon wird sie sich unser Heimatland vornehmen. Momentan läuft alles in diese Richtung.“ Erdogans Statement ist ein Hinweis darauf, wie sehr das Vorgehen Israels und der USA auf der ganzen Welt Unruhe auslöst. Überall gewinnt man den Eindruck, dass die Vereinigten Staaten und ihr israelischer Kettenhund außer Kontrolle geraten sind.
In den US-Medien wird der drohende Angriff Israels auf den Iran als Reaktion auf die Angriffe des Irans auf israelische Militärstützpunkte dargestellt. In Wirklichkeit war der iranische Angriff selbst eine Reaktion auf eine Serie von Bombenanschlägen, Morden und Terroranschlägen Israels und der USA.
Einen Tag vor dem iranischen Raketenangriff hatte Israel eine Bodenoffensive im Libanon gestartet, nachdem es zuvor tagelang Luftangriffe geflogen war, bei denen Tausende Menschen ums Leben kamen. Am 27. September ermordete Israel den Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah mit 85 zum Teil bunkerbrechenden Bomben, die Wohnhochhäuser vollständig zerstörten und Hunderte von Menschen töteten. Vorausgegangen war Ende Juli die Ermordung des politischen Führers der Hamas, Ismail Hanija, während er sich als offizieller Gast der iranischen Regierung in Teheran aufhielt.
Das iranische Regime hat immer wieder mit Zurückhaltung auf diese Provokationen der USA und Israels reagiert. Auf die Ermordung des iranischen Generals Kassem Soleimani im Jahr 2020 gab es keine nennenswerte Reaktion, und das iranische Regime hat wiederholt die Ermordung von Wissenschaftlern und zuletzt einen israelischen Bombenanschlag in Teheran hingenommen. Der iranische Präsident Massud Peseschkian, der für die iranische herrschende Klasse spricht, hat bislang eine äußerst versöhnliche Haltung gegenüber den imperialistischen Mächten eingenommen. Diese Beschwichtigungsversuche sind nun gescheitert, und das iranische Regime gerät zunehmend unter Druck, Widerstand zu leisten und Vergeltung zu üben.
Die Führer des amerikanischen Imperialismus bilden sich ein, dass sie die Folgen der jahrzehntelangen Debakel des US-Imperialismus ungeschehen machen können, indem sie ein Blutbad der Gewalt im Nahen Osten anzetteln und alle „roten Linien“ überschreiten. Aber sie machen sich etwas vor. Was lässt sie glauben, dass ein Krieg mit dem Iran, einem Land mit 90 Millionen Einwohnern und einer hochentwickelten Gesellschaft, besser ausgehen wird als der Einmarsch im Irak?
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die World Socialist Web Site schrieb 2003, im Vorfeld des Irak-Krieges:
Unabhängig davon, wie die ersten Stadien dieses Konflikts ausgehen werden, steuert der amerikanische Imperialismus auf eine Katastrophe zu. Er kann die Welt nicht erobern. Er kann den Massen des Nahen Ostens keine neuen, kolonialen Fesseln anlegen. Er kann seine inneren Krankheiten nicht mit dem Mittel des Kriegs heilen. Im Gegenteil, vom Krieg hervorgerufene unerwartete Schwierigkeiten und wachsender Widerstand werden alle inneren Widersprüche der amerikanischen Gesellschaft verschärfen.
Diese Worte sind heute so wahr wie damals. Der vom amerikanischen Imperialismus angezettelte globale Krieg wird keines der Probleme lösen, mit denen er konfrontiert ist. Vielmehr wird er alle inneren Widersprüche verschärfen, die Staatskasse leeren, die Stellung des Dollars als Weltwährung untergraben und vor allem den Klassenkampf anheizen.
Die Eskalation der Kriegsvorbereitungen gegen den Iran ist ein Ausdruck der Verschärfung der Krise, nicht der Stärke des US-Imperialismus. Die Finanzkrise von 2008 und die darauf folgende massive Umverteilung des Reichtums von unten nach oben haben diese Krise erheblich verschärft. Mit dem Ausbruch der Coronapandemie im Jahr 2020 und der damit einhergehenden Rettung von Banken und Großkonzernen erreichte sie einen neuen Höhepunkt.
Der unmittelbare Kontext der amerikanisch-israelischen Eskalation gegen den Iran ist das Debakel, das die Vereinigten Staaten und die Nato in ihrem Krieg gegen Russland in der Ukraine erleben. Am 2. Oktober gab die Ukraine den Rückzug aus einer weiteren Stadt bekannt, zugleich beschleunigt sich der russische Vormarsch im Donbass. Die Antwort der Vereinigten Staaten auf das Desaster in der Ukraine ist eine Eskalation, wenn nicht direkt gegen Russland, so doch im Nahen Osten. Von der Katastrophe in der Ukraine gehen sie jetzt zu einer Katastrophe im Iran über.
Ein Jahr nach dem Beginn des Völkermords im Gazastreifen gilt es eine wichtige Lehre zu ziehen: Der eskalierende globale Krieg wird nicht durch Appelle und Proteste gestoppt werden. Dies kann nur durch den Aufbau einer Antikriegsbewegung geschehen, die sich auf die internationale Arbeiterklasse stützt.
Während die Vereinigten Staaten am Rande eines Krieges mit dem Iran stehen, sind Zehntausende von Hafenarbeitern an der Ost- und Golfküste der USA in den Streik getreten. An der Westküste streiken bereits Tausende Beschäftigte von Boeing. Es ist die Arbeiterklasse, die in dem von den imperialistischen Mächten angezettelten globalen Krieg kämpfen und sterben muss, und es sind die Arbeiter, die im Namen der Kriegsanstrengungen Opfer bringen sollen.
Die entscheidende Aufgabe im Kampf gegen Krieg besteht darin, den ökonomischen Kampf der Arbeiterklasse mit dem politischen Kampf gegen Krieg und für Sozialismus zu verbinden. Es gilt keine Zeit zu verlieren. Der vom US-amerikanischen und europäischen Imperialismus angezettelte globale Krieg, der bereits Hunderttausende von Opfern gefordert hat, steht kurz vor einer neuen, noch blutigeren Phase.