Bei der Eröffnung ihrer neuen Ausstellung mit dem Titel „This Will Not End Well“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin hielt die US-amerikanische Künstlerin Nan Goldin am Freitagabend eine Rede und verurteilte sowohl Israel als auch Deutschland für deren Rolle im Völkermord im Gazastreifen und dessen Ausweitung auf den Libanon.
Zu Beginn ihrer 14-minütigen Rede vor einem vollbesetzten Saal (Auszüge hier) rief Goldin zu vier Schweigeminuten auf, um der Opfer des Konflikts in den palästinensischen Gebieten und im Libanon sowie der in Israel getöteten Zivilisten zu gedenken.
Mit Blick auf ihre eigene jüdische Herkunft erklärte Goldin: „Meine Großeltern entkamen den Pogromen in Russland. Ich bin mit dem Wissen über den Holocaust der Nazis aufgewachsen. Was ich in Gaza sehe, erinnert mich an die Pogrome, vor denen meine Großeltern geflohen sind.“
Einen Tag, nachdem der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen hatte, stellte Goldin fest, dass der IStGH, die Vereinten Nationen und sogar der Papst erklärt haben, dass es sich bei den Vorgängen in Gaza um einen Völkermord handelt.
In Deutschland müsse jedoch jeder, der diese Wahrheit ausspreche – ob palästinensisch, israelisch oder deutsch – mit einer Kündigung rechnen. „Aber wir dürfen nicht von Völkermord sprechen. Habt ihr Angst, das zu hören, Deutschland?“, rief Goldin aus.
Goldin wandte sich auch direkt gegen die Behauptung, jede Kritik an Israel und dem Zionismus sei Antisemitismus. „Antizionismus hat nichts mit Antisemitismus zu tun“, sagte sie und wies darauf hin, dass die Kampagne, beides in einen Topf zu werfen, zunehmend Juden gefährde, die Deutschland bisher als Zufluchtsort vor Antisemitismus betrachtet hätten.
Sie fuhr fort, dass Islamophobie in Deutschland, der „Heimat der größten palästinensischen Diaspora in Europa“, ignoriert werde. Doch Proteste werden mit Polizeihunden, Abschiebung und Stigmatisierung beantwortet“, fuhr sie fort.
Sie setzte ihre Kritik an der deutschen Regierung fort, die zusammen mit den USA weiterhin Waffen an Israel liefert und die mit Faschisten besetzte Netanyahu-Regierung unermüdlich unterstützt. Unter großem Beifall des Publikums erklärte Goldin: „Nie wieder bedeutet nie wieder für alle“ und bezog sich dabei auf den Satz „Nie wieder“, die zentrale Schlussfolgerung, die in Deutschland aus der Vernichtung von 6 Millionen Juden durch die Nazis im Zweiten Weltkrieg gezogen wurde.
Nach Goldins Rede am Freitag versuchte Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie, Goldins Botschaft sofort zu kontern. Er betrat die Bühne und erklärte, er respektiere zwar Goldins Recht, ihre Meinung zu äußern, doch die Hauptverantwortung für das Leid in Gaza liege bei der Hamas. Seine Rede wurde von den Rufen des Publikums nach „Free Palestine“ jedoch weitgehend übertönt.
Nan Goldins mutige Rede in Berlin hat Schockwellen durch das politische und kulturelle Establishment in Deutschland und darüber hinaus gesendet. Wie der Junge, der aufzeigt, dass der Kaiser keine Kleider trägt, sprach Goldin in ihrer Rede alle wesentlichen Lügen und abscheulichen Verleumdungen an, die von der israelischen und der deutschen Regierung entwickelt worden sind, um das Massaker an palästinensischen Männern, Frauen, Kindern und Babys in Gaza zu vertuschen.
Bereits vor der Eröffnung von Goldins Ausstellung – einer Retrospektive ihres Lebenswerks – hatte das Berliner Museum, das sich der kritischen Haltung der Künstlerin zu Israel bewusst war, ein Symposium zu organisieren versucht, das eindeutig der Schadensbegrenzung diente.
Ohne Goldins Wissen schlug das Museum eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Art and Activism in Times of Polarization: A Discussion Space on the Middle East Conflict“ (später geändert in den nebulösen Titel „Vagueness and Avoidance in Times of Genocide“).
Als klar wurde, dass auf dem Podium des Symposiums prominente Anhänger Israels und des Zionismus sitzen würden, sprach sich Goldin gegen das Symposium aus, und eine Reihe geplanter Redner sagte ab.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Nach Goldins Rede am Freitag gab das politische Berlin einmal mehr rituelle Denunziationen von sich. Kulturbeauftragte Claudia Roth, eine führende Figur in der offiziellen Kampagne zur Knebelung von Völkermordgegnern, prangerte Goldin wegen ihrer „unerträglich einseitigen politischen Ansichten“ an. Roth, die offenkundig nicht über den Massenmord an Zivilisten in Gaza und im Libanon entsetzt ist, erklärte, sie sei „entsetzt“ über die Art und Weise, wie Menschen im Publikum Slogans wie „Free Palestine“ skandierten.
Roths Äußerungen wurden von Joe Chialo, dem Kultursenator des Berliner Senats, aufgegriffen, der ebenso wie Roth an vorderster Front für die Kürzung der Mittel für antizionistische Künstler eingetreten ist und derzeit enorme Kürzungen des Kulturetats in der deutschen Hauptstadt beaufsichtigt.
Grünen-Chefin Roth ist Teil einer Regierung, die sich mitschuldig an Völkermord und Kriegsverbrechen macht – Verbrechen, die in Gaza begangen werden und kürzlich von der Gruppe Human Rights Watch als ethnische Säuberung eingestuft wurden.
Auf die Frage, ob die deutschen Behörden dem am vergangenen Donnerstag erlassenen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Kriegsverbrecher Benjamin Netanjahu nachkommen würden – zu dessen wichtigsten Geldgebern Deutschland gehört – machte ein Sprecher von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) deutlich, dass die deutsche Regierung dies ablehnen würde, und antwortete: „Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass in Deutschland auf dieser Grundlage Verhaftungen durchgeführt werden könnten.“
Goldins mutige Rede am Freitag spiegelt die Empörung von unzähligen Menschen auf der ganzen Welt wider, die von den täglichen Bildern der völligen Verwüstung und des Leids im Gazastreifen schockiert sind. Millionen gehen dagegen in Protesten und Demonstrationen auf die Straße.
Jahrzehntelang wurden junge Menschen in Nachkriegsdeutschland nach dem Holocaust belehrt, dass sich die vorsätzliche und systematische Vernichtung eines ganzen Volkes nicht wiederholen dürfe und könne. „Nie wieder!“ lautete die Parole. Doch es findet wieder statt – in Gaza, mit voller Zustimmung der USA, Deutschlands und zahlreicher anderer Regierungen. Nur die internationale Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms kann dem kapitalistischen System, der Wurzel von Völkermord und Faschismus, ein Ende setzen.