Perspektive

Der Waffenstillstand zwischen Israel und Hisbollah im Libanon und der Drang des US-Imperialismus nach Vorherrschaft im Nahen Osten

Am Dienstagnachmittag verkündete US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus einen 60-tägigen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hisbollah. Das Abkommen soll die Bedingungen für eine verschärfte Konfrontation mit dem Iran in der gesamten Region schaffen. Die Vereinbarung kam zustande, nachdem das rechtsextreme zionistische Regime bei seinen Angriffen auf den südlichen Libanon und Beirut mehr als 4000 Menschen getötet und die Führung der Hisbollah weitgehend ausgelöscht hat.

Trauernde tragen die Särge von Hisbollah-Kämpfern, die bei den Kämpfen gegen israelische Truppen in den vergangenen zwei Monaten getötet wurden, im Dorf Maarakeh im Südlibanon am Freitag, 29. November 2024 [AP Photo/Hussein Malla]

Die Art und Weise, wie der Waffenstillstand angekündigt wurde, macht deutlich, dass Washington beiden Seiten die Bedingungen diktiert hat. Netanjahus faschistisches Regime und die Hisbollah erklärten nicht etwa öffentlich, dass sie einen Waffenstillstand ausgehandelt haben, wie es sonst beim Abschluss von Waffenstillstandsvereinbarungen in einem Konflikt üblich ist. Stattdessen wurden die Rahmenbedingungen des Abkommens allein von Biden im Weißen Haus vorgestellt. Der Präsident verkündete, die israelische und die libanesische Regierung hätten einen „Vorschlag“ Washingtons „akzeptiert“, der vorsieht, dass die Hisbollah ihre Truppen südlich des Flusses Litani zurückzieht und Israel sein Militär in den nächsten 60 Tagen „schrittweise“ aus dem Südlibanon abzieht. Die Hisbollah ist nicht einmal formell Partei in dem Abkommen, da Washington sie als „Terrororganisation“ einstuft, mit der keine direkten Verhandlungen stattfinden dürfen.

Bidens Äußerungen zeigen, dass die Entscheidung alles andere als ein Schritt zum „Frieden“ ist. Vielmehr soll sie nur die Bedingungen schaffen, damit Washington seinen Kurs für den Sturz des iranische Regimes vorantreiben kann. Die 60-tägige Waffenruhe läuft passenderweise zeitgleich mit der Amtsübernahme Trumps aus, der sein Kabinett mit anti-iranischen Kriegstreibern besetzt hat.

Biden erklärte: „Israel hat sich auf dem Schlachtfeld mutig geschlagen. Der Iran und seine Stellvertreter haben einen hohen Preis bezahlt. Jetzt muss Israel genauso mutig seine taktischen Vorteile gegen den Iran und seine Stellvertreter zu einer kohärenten Strategie umgestalten, die Israels langfristige Sicherheit gewährleistet und für einen umfassenden Frieden und für Wohlstand in der Region sorgt.“

Für Biden und die Kriegstreiber in Washington ist es lediglich ein „taktischer Vorteil“, dass Israel in Gaza mehr als 200.000 Menschen abgeschlachtet sowie die Hamas dezimiert und im Libanon auf Kosten des Lebens von Tausenden Zivilisten der Hisbollah erheblichen Schaden zugefügt hat. Mit diesen Angriffen, die nur durch die ununterbrochene Lieferung von hoch leistungsfähigen US-Waffen möglich sind, konnten Washington und sein Klientelstaat Israel nicht nur die mit dem Iran verbündeten Organisationen Hisbollah und Hamas erheblich schwächen, sondern auch den Interessen der Islamischen Republik in Syrien und dem Iran selbst schaden. In welcher gefährlichen Lage sich das iranische Regime befindet, zeigten die Raketenangriffe auf iranische Militäreinrichtungen am 26. Oktober sowie die provokative Ermordung des politischen Hamas-Führers Ismael Haniyeh im Juli, als er offizieller Gast in Teheran war.

Zu der „Strategie“, die Biden in seiner Rede am Dienstag vorschlug, gehören „eine Reihe von historischen Abkommen mit Saudi-Arabien“, darunter ein „Sicherheitspakt“, „wirtschaftliche Zusicherungen“ und „die vollständige Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel“. Letzteres hat das despotische saudische Regime ausgeschlossen, bis Israel seinen Angriff auf Gaza beendet – jedoch nicht aus Sorge um die Rechte der Palästinenser, sondern weil es die politischen Konsequenzen unter den arabischen Massen fürchtet. Washington hatte im Jahr 2023 extrem feindlich auf eine Initiative Chinas zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Riad und Teheran reagiert, weil es befürchtete, dies könnte Pekings Stellung im Nahen Osten stärken. Die Region ist von zentraler Bedeutung für die Wirtschaftsstrategie „Neue Seidenstraße“, mit der China seinen globalen Handel ausweiten und den Zugang zu Rohstoffen sichern will.

Biden setzt mit seiner Politik das Abraham-Abkommen fort, das während der ersten Präsidentschaft Donald Trumps unterzeichnet wurde. Allerdings haben sich jetzt die regionalen und globalen Spannungen verschärft. Damals wie heute ist es das Ziel des US-Imperialismus, ein militärisch-strategisches Bündnis zwischen Israel, Saudi-Arabien und den übrigen Golf-Scheichtümern aufzubauen, um den Iran wirtschaftlich, diplomatisch und militärisch zu isolieren und sein bürgerlich-klerikales Regime durch Krieg oder andere Mittel zu Fall zu bringen. Die größeren Ziele sind China und Russland, gegen die die USA und die Nato eine umfassende militärische Eskalation in Gang gesetzt haben, indem sie Kiew den Einsatz von Langstreckenraketen erlauben.

Mit seinem Geschwätz von „Frieden und Wohlstand“ in der Region meint Biden nichts anderes als die Sicherung der unangefochtenen Vorherrschaft Washingtons über den energiereichen Nahen Osten, die Errichtung eines Marionettenregimes in Teheran und das Kaltstellen seiner wichtigsten wirtschaftlichen und geopolitischen Rivalen China und Russland. Die gleiche „demokratische“ Rhetorik haben schon die US-Präsidenten zuvor verwendet, die im Laufe der letzten 35 Jahre die gesamte Region in Schutt und Asche legten – vom ersten Golfkrieg 1991 über die Invasion in Afghanistan 2001, den Überfall auf den Irak 2003 bis hin zum anhaltenden Bürgerkrieg in Syrien und der Intervention in den Bürgerkrieg im Jemen.

Diese ununterbrochene Reihe von regionalen Kriegen verdichtet sich nun zu einer Strategie für einen globalen Flächenbrand: einen Mehrfrontenkrieg um die Neuaufteilung der Welt. Dazu gehört auch der Krieg der USA und der Nato in der Ukraine gegen Russland, das seine militärisch-strategischen Beziehungen zum Iran rapide ausweitet und eine bedeutende Militärpräsenz in Syrien unterhält. Teil dieser Kriegsentwicklung sind auch die weit fortgeschrittenen wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Vorbereitungen auf einen Krieg gegen China im asiatisch-pazifischen Raum – ob er nun wegen Taiwan, Territorialstreitigkeiten mit Indien oder unter irgendeinem anderen Vorwand ausgelöst wird. Da der Iran ein enger Verbündeter Chinas ist und billiges Öl für Pekings Wirtschaft liefert, wäre der Sturz des iranischen Regimes ein großer Meilenstein in die Richtung eines Kriegs gegen China.

Diese Konflikte beruhen auf den unlösbaren Widersprüchen des Weltkapitalismus zwischen dem Nationalstaatensystem und der globalisierten Produktion sowie zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktivkräfte und dem Privateigentum an den Produktionsmitteln durch die Finanzoligarchie. Diese Widersprüche befeuern die Konflikte zwischen den Groß- und Regionalmächten und treiben die Arbeiterklasse in allen Ländern in den Kampf gegen die herrschende Klasse, was die Instabilität aller beteiligten Regime erhöht.

Der Waffenstillstand im Libanon führt aller Welt vor Augen, dass Israel als Washingtons Kampfhund im Nahen Osten den Interessen des US-Imperialismus untergeordnet ist. Allerdings ist noch lange nicht klar, ob der von den USA auferlegte Waffenstillstand halten wird.

Netanjahu hatte keine Mühe, das Abkommen zu akzeptieren. Und das nicht nur, weil es dem israelischen Militär erlaubt, seine stark dezimierten Vorräte an Raketen und anderen Waffen wieder aufzufüllen und einem Teil der überstrapazierten Truppen etwas Ruhe zu ermöglichen, wie er selbst prahlt.

Laut der BBC umfasst das Abkommen eine Zusatzvereinbarung, in der die USA Israel das Recht zu „Militäraktionen“ geben, falls „die Hisbollah einen Angriff vorzubereiten scheint“. Damit verschaffen sich Israel und die USA faktisch einen gemeinsamen Mechanismus, den Krieg gegen die Hisbollah wieder aufzunehmen, wenn beide Seiten dies als vorteilhaft erachten.

Noch wichtiger ist, dass das Abkommen Israel freie Hand gibt, den Völkermord in Gaza fortzusetzen. Am Donnerstag wurden bei Luftangriffen und einem Vorstoß mit Bodentruppen auf das Flüchtlingslager Nuseirat Dutzende Palästinenser getötet.

Die israelische Bodenoffensive im Südlibanon stieß auf erbitterten Widerstand, die Israelischen Verteidigungskräfte erlitten beträchtliche Verluste. Im Rahmen des Abkommens soll die Hisbollah gezwungen werden, viele der gut befestigten Stellungen an oder nahe der israelischen Grenze aufzugeben und ihre Kräfte nördlich des Flusses Litani zurückzuziehen. Damit würde Israel auf diplomatischem Weg erreichen, was es auf dem Schlachtfeld nicht geschafft hat.

Doch Teile der israelischen Elite, vor allem im Norden, kritisieren die Vereinbarung als Fehlschlag, da Netanjahu und seine Regierung trotz dieser bedeutenden Zugeständnisse ihr oft wiederholtes Versprechen, die Hisbollah als militärische Kraft auszuschalten, nicht halten konnten.

Genau wie Israels Konflikt mit der Hisbollah im Jahr 2006 hat der jetzige Krieg gezeigt, dass das zionistische Regime auf ein direktes Eingreifen der USA angewiesen ist, wenn es sein Versprechen umsetzen will, die Karte der Region neu zu zeichnen.

Im Nahen Osten gehen die Militäroperationen gegen den Iran und die mit ihm verbündeten Kräfte ununterbrochen weiter. Am Donnerstag flogen amerikanische und britische Kampfflugzeuge mindestens zwei Angriffe auf Ziele im Jemen. In Syrien haben islamistische Milizen, die seit langem von den USA und Israel unterstützt werden, am Donnerstag einen der größten Angriffe seit Monaten auf Assad-treue Truppen in der Nähe von Aleppo durchgeführt, bei denen ein hochrangiger General der iranischen Revolutionsgarde getötet wurde.

Das krisengeschüttelte Regime in Teheran hat keine progressive Antwort auf die systematischen Angriffe der imperialistischen Mächte. Innerhalb des bürgerlich-klerikalen Regimes herrscht Uneinigkeit. Eine Fraktion glaubt noch an die Möglichkeit eines Deals mit dem Imperialismus, während die Hardliner für eine schärfere Konfrontation eintreten, die auch den Erwerb von Atomwaffen beinhaltet. Die bürgerlich-klerikalen Herrscher fürchten vor allem die Möglichkeit einer Massenbewegung der Arbeiter im Iran und der gesamten Region, die sich sowohl gegen den Imperialismus als auch gegen den bürgerlichen Nationalismus richtet.

Teheran hat Druck auf die Hisbollah ausgeübt, den Waffenstillstand anzunehmen, zweifellos um sich bei der künftigen Trump-Regierung beliebt zu machen und sich als Kraft für „Ordnung“ und „Stabilität“ in der Region zu inszenieren. Ein weiterer Schritt in diese Richtung war das Treffen zwischen Elon Musk, dem reichsten Mann der Welt, der Trumps engstem Kreis angehört, und dem iranischen UN-Botschafter letzte Woche. Trump war in seiner ersten Amtszeit provokativ gegen den Iran aufgetreten und hatte u. a. das Atomabkommen torpediert, durch das die Sanktionen gegen den Iran gelockert wurden. Im Gegenzug hatte der Iran damals externe Inspektionen seines Atomprogramms zugelassen.

Die Haltung des Iran entlarvt den Bankrott der bürgerlich-nationalistischen Regime in der gesamten Region. Konfrontiert mit der anhaltenden Kampagne für einen „Regimewechsel“ kann die iranische Führung nur wehleidige Appelle für eine Übereinkunft mit den Imperialisten anbieten, die ihrerseits jedoch fest entschlossen sind, das Regime in Teheran zu beseitigen, weil es ein Hindernis für ihre uneingeschränkte Vorherrschaft über den Nahen Osten darstellt. Aufgrund seines bürgerlichen Klassencharakters ist das iranische Regime unfähig, an die Arbeiter in der gesamten Region zu appellieren, geschweige denn an die Arbeiterklasse in den imperialistischen Zentren, wo die Opposition gegen den imperialistischen Krieg und die damit verbundenen Sparmaßnahmen zu Lasten der Bevölkerung zunimmt.

Diese Opposition muss zu einem bewussten politischen Kampf der internationalen Arbeiterklasse für ein Ende des imperialistischen Kriegs und Völkermords entwickelt werden. Nur wenn die Arbeiterklasse in den imperialistischen Zentren Nordamerikas und Europas sowie im Nahen Osten auf der Grundlage eines sozialistischen Programms mobilisiert wird, kann das Abgleiten der Menschheit in Weltkrieg und Barbarei beendet werden. Für dieses Programm kämpfen die World Socialist Web Site und das Internationale Komitee der Vierten Internationale. Wir rufen alle, die diesen Kampf aufnehmen wollen, dazu auf, sich unserem Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung unter der Führung der Arbeiterklasse anzuschließen.

Loading