Die ökonomische Krise und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen
1. Das kapitalistische Weltsystem ist fest im Würgegriff seiner tiefsten Krise seit der Großen Depression der 1930er Jahre. Die finanziellen Turbulenzen, die im September 2008 mit dem plötzlichen Zusammenbruch von Wall-Street-Ikonen begannen, haben sich zu einem weltweiten wirtschaftlichen Zusammenbruch ausgeweitet. Jahrzehntelang haben die Fürsprecher des Kapitalismus verkündet, „freies Unternehmertum“ im amerikanischen Stil sei die perfekteste Form wirtschaftlicher Organisation. Sie ignorierten die vielen Anzeichen der heraufziehenden Krise, während die von Konzernen kontrollierten Medien die rücksichtslose Finanzspekulation und die verantwortungslose Selbstbereicherung feierten, die die Geschäftsaktivitäten und den persönlichen Lebensstil der herrschenden Klasse charakterisieren. Als die Katastrophe 2008 schließlich eintrat, sprang die US-Regierung ein und pumpte in einer verzweifelten Rettungsaktion hunderte Milliarden Dollar in das Bankensystem, um es vor dem Zusammenbruch zu retten. Der Präsident der Vereinigten Staaten gab öffentlich zu, dass das Überleben des kapitalistischen Systems in Gefahr war. Die Rettungsaktion schützte den Wohlstand reicher Investoren, schaffte es aber nicht, die Krise einzudämmen.
2. Die Behauptung der Obama-Administration, sie habe “der Rezession das Rückgrat” gebrochen, ist eine Schutzbehauptung. Sie wird von zynischen Politikern verbreitet, die glauben, man könne den Menschen alles erzählen. Die Wirklichkeit wachsenden sozialen Elends lässt sich nicht so leicht vertuschen. Etwa 26 Millionen Menschen in den USA sind arbeitslos oder nicht in der Lage, Vollzeit-Jobs zu finden. Die Hälfte derer, die in den offiziellen Arbeitslosenstatistiken auftaucht, ist seit sechs Monaten oder länger ohne Arbeit. Dies ist die höchste Langzeitarbeitslosenquote seit den 1930er Jahren. Junge Menschen sind durch Schulden belastet, die sie aufgenommen haben, um ihre Ausbildung zu finanzieren. Nach dem Universitätsabschluss finden sie entweder keinen vernünftig bezahlten Job oder gar keine Arbeit.
3. Zwangsversteigerungen treiben pro Jahr eine Million Arbeiter aus ihren Häusern. Das Einkommen amerikanischer Arbeiter, das seit den 1970ern gesunken war, stürzt ins Bodenlose. Seit dem Einsetzen der Rezession hat es eine Welle von Lohnkürzungen gegeben. Millionen von Arbeiterfamilien wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Die, die nicht in der Lage sind, ihre Rechnungen zu bezahlen, werden mit unmenschlicher Brutalität behandelt. In Städten wie Detroit stellen die Versorgungsunternehmen den verarmten Arbeitern routinemäßig Gas und Strom ab, was im ganzen Land zu zahllosen Todesfällen geführt hat.
4. Praktisch jeder Bundesstaat und jede Kommunalverwaltung ist von der Finanzkrise betroffen. Die Antwort der Konzerneliten heißt: Den Gürtel enger schnallen. Dieselben Politiker, die gestern noch die Banken gerettet haben, verkünden heute, „es gibt kein Geld“ für lebenswichtige soziale Programme. Renten werden verweigert, Schulen geschlossen, und zahllose soziale Dienste, die für das Wohl lokaler Gemeinden lebenswichtig sind, werden drastisch zurückgeschraubt oder abgeschafft. Unter dem Deckmantel der „Reform“ wird der Zugang zur medizinischen Versorgung immer größeren Einschränkungen unterworfen.
5. Die Angriffe auf die Arbeiterklasse in den USA sind Teil eines globalen Prozesses. Der wirtschaftliche Zusammenbruch, der im September 2008 begann, ist vergleichbar mit dem Wall-Street-Crash von 1929. Wie vor achtzig Jahren begann die Krise in den USA und breitete sich rasch nach Europa und um die ganze Welt aus. Im September 2008 standen die Wall-Street-Banken und die Investmenthäuser vor dem Bankrott. Im Frühjahr 2010, als die Zahlungsfähigkeit europäischer Staaten in Zweifel gezogen wurde, verkündete eine Regierung nach der anderen ihre Entschlossenheit, schmerzhafte Sparmaßnahmen durchzusetzen.
6. Im Gefolge des Zusammenbruchs der Wall Street von 1929 wiederholten Regierung und Presse endlos den Refrain: “Der Wohlstand ist nicht mehr weit!“ Aber die Depression, die mit dem Zusammenbruch des Aktienmarktes begann und sich dann über die ganze Welt ausbreitete, dauerte mehr als ein Jahrzehnt und führte zu nie dagewesenem Leid und nie gekannter Zerstörung, zu Militärdiktaturen, Faschismus und Weltkrieg.
7. Das Gespenst vergangener Tragödien zieht deutlicher als je zuvor wieder auf. Am Vorband des Zweiten Weltkrieges beschrieb Leo Trotzki, der größte Stratege des revolutionären Sozialismus im zwanzigsten Jahrhundert, die Weltkrise als „den Todeskampf des Kapitalismus“. Er warnte, dass eine „Katastrophe die gesamte Kultur der Menschheit bedrohe“. Seine Worte wurden durch das darauffolgende Grauen aufs Schlimmste bestätigt.
8. Eine neue Warnung muss mit aller Dringlichkeit ausgesprochen werden. Die gegenwärtige Krise wird nicht einfach wieder verschwinden. Es gibt keinen friedlichen und schon gar keinen einfachen Weg aus der wirtschaftlichen und sozialen Sackgasse, in die der Kapitalismus die Menschheit geführt hat. Das Programm der Socialist Equality Party – die solidarisch mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale zusammenarbeitet – ist keine Ansammlung von Mitteln zur Linderung der Krise und kein Gemisch halbherziger Maßnahmen. Das Ziel dieser Partei und ihrer geistigen Weggefährten in der Vierten Internationale ist nicht die Reform des amerikanischen oder des internationalen Kapitalismus. Wenn es irgendetwas aus den Tragödien des 20. Jahrhunderts zu lernen gibt, dann, dass die noch schrecklichere Wiederholung dieses Grauens im 21. Jahrhundert nur durch den revolutionären Kampf der amerikanischen und der internationalen Arbeiterklasse für den Sozialismus verhindert werden kann.
Der historische Niedergang des amerikanischen Kapitalismus
9. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen der gegenwärtigen Krise und der Großen Depression. Trotz der Tiefe der Krise blieben die USA der 1930er Jahre eine aufstrebende globale Wirtschaftsmacht. Der amerikanische Kapitalismus, der sich im vorangehenden halben Jahrhundert explosiv entwickelt hatte, verfügte noch immer über den mächtigsten, technologisch fortgeschrittensten und effizientesten Industrie- und Produktionsstandort der Welt. Am Ende des Zweiten Weltkrieges nahmen die USA unangefochten den ersten Platz unter den weltweit größten Industrienationen und den des wichtigsten Gläubigers ein. Dies war die Grundlage für die Stabilisierung des Weltkapitalismus und den raschen Anstieg des Lebensstandards amerikanischer Arbeiter während des Vierteljahrhunderts, das dem Kriegsende folgte. Die Erholung Europas und Japans untergrub jedoch in den 1950er und 1960er Jahren nach und nach die Vorherrschaft des amerikanischen Kapitalismus. Die Verschlechterung der Handelsbilanz verschärfte den Druck auf den US-Dollar, der nach dem Krieg als Stütze des internationalen Währungssystems gedient hatte. Die betriebliche und gesellschaftliche Militanz der amerikanischen Arbeiterklasse rang der herrschenden Klasse Zugeständnisse ab, die den amerikanischen Kapitalismus weiter belasteten. Die atemberaubenden Kosten des reaktionären und erfolglosen Krieges, den die USA gegen das vietnamesische Volk führten, brachte die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die in den 1960er Jahren angewachsen waren, ans Tageslicht. Am 15. August 1971 beendete die Nixon-Administration die internationale Gold-Dollar-Bindung (zu einem Tauschkurs von 35 US-Dollar pro Unze) – eine unausgesprochene Anerkennung der Tatsache, dass die Ära der unumschränkten globalen wirtschaftlichen Vorherrschaft der USA zu Ende gegangen war.
10. Die vergangenen vier Jahrzehnte sind Zeugen der Stagnation und des Zerfalls des amerikanischen Kapitalismus. Seit den frühen 1970er Jahren ist der Wert des US-Dollars im Vergleich zu den Währungen der wichtigsten Konkurrenten der USA in Europa und Japan drastisch gefallen. Die USA sind inzwischen die größte Schuldnernation der Erde. Die monatlichen Handels- und Zahlungsbilanzdefizite belaufen sich auf zweistellige Milliardenbeträge. Der Zerfall des Industrie- und Produktionsstandortes Amerika – Ergebnis des Wechselspiels zwischen internationalem Wettbewerb und schwindender Profitabilität – bildet den Boden für das massive Anwachsen des finanziellen Parasitentums. Vor dreißig Jahren machte der Anteil der Finanzindustrie an den Konzernprofiten gerade einmal sechs Prozent aus. Heute werden mehr als vierzig Prozent der Konzernprofite durch Kreditvergabe, Aktienspekulation und ähnliche Formen des Finanzschwindels erzeugt. Und wenn die Finanzaristokratie in die Produktion innerhalb der USA oder international investiert, dann nur aus dem Grund, um in kürzest möglicher Zeit den größtmöglichen Profit und daraus resultierend den höchstmöglichen persönlichen Wohlstand zu schaffen. Dies ist die wirtschaftliche Ursache des ständigen Strebens nach der Vernichtung von Arbeitsplätzen, der Kürzung von Löhnen, der Steigerung der Produktivität und der Streichung von Sozialausgaben. Die amerikanische Finanzaristokratie steht an der Spitze eines globalen Systems, das soviel Profit wie irgend möglich aus dem Fleisch, den Knochen und den Sehnen eines jeden Arbeiters herauszupressen versucht.
11. Nicht nur die blanke Geldgier und das Streben nach grenzenlosem persönlichem Wohlstand treibt die herrschende Klasse der USA an, die Ausbeutung weiter zu verschärfen. Letztlich ist der sich hinziehende wirtschaftliche Verfall des amerikanischen Kapitalismus die Hauptursache für den Angriff auf den Lebensstandard und die sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse. Die USA können sich nicht länger als das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ präsentieren. In Wahrheit war dieser berühmte Ausspruch immer ein Mythos, der eine hässlichere und kältere Wirklichkeit verhüllte. Aber in den 1930er Jahren war es dem amerikanischen Kapitalismus unter der Führung von Franklin Roosevelt immer noch möglich, den Arbeitern einen „New Deal“ anzubieten. Doch selbst damals, als eine reformbereite Administration an der Regierung war, musste die Arbeiterklasse harte Kämpfe ausfechten, um Roosevelts vage und oft unaufrichtige Versprechen einzufordern. Heute hat die Obama-Administration keinen „New Deal“ anzubieten. Die „Yes we can“-Demagogie seiner Wahlkampagne hat sich in die„No, we can’t“-Realität seiner Präsidentschaft verwandelt.
Das Scheitern der Obama-Administration
12. Millionen arbeitender Menschen haben für Barack Obama gestimmt. Sie hofften, dass seine Administration die reaktionäre Politik von George W. Bush herumreißen würde. Die Erfahrung hat diese Hoffnungen zunichte gemacht. Unter dem verlogenen Banner des „Kriegs gegen den Terror“ verfolgt auch die Obama-Administration die globale imperialistische Agenda der amerikanischen herrschenden Klasse. Die Truppen verbleiben im Irak und der Krieg in Afghanistan und Pakistan ist ausgeweitet worden. Der Einsatz von „Drohnen“ und das „gezielte Töten“ afghanischer und pakistanischer Zivilisten sind an der Tagesordnung. Gleichzeitig erhöht die Obama-Administration ständig den Druck auf den Iran und bereitet unter dem einen oder anderen Vorwand den Boden für einen militärischen Angriff vor, der katastrophale Konsequenzen hätte. Letztlich glaubt Obama wie seine Vorgänger, dass amerikanische Militärmacht die Auswirkungen des wirtschaftlichen Niedergangs der USA wettmachen könne.
13. Die Fortschritte in der Kommunikations- und Informationstechnologie haben die materiellen Grundlagen für die globale Integration aller Bereiche des Wirtschaftslebens geschaffen. Aber die fortschrittlichen Eigenschaften und das Potential der ökonomischen Globalisierung werden durch die fortgesetzte Aufteilung der Welt in Nationalstaaten zunichte gemacht. Das politische Leben des Planeten wird von diesem Widerspruch beherrscht. Die Geschichte hat bereits in zwei Weltkriegen die furchtbaren Folgen des Kampfes zwischen konkurrierenden kapitalistischen Nationen gezeigt. Die Gefahr eines neuen globalen Flächenbrandes wächst rapide. Die Vereinigten Staaten beobachten mit Unbehagen das wirtschaftliche Wachstum potentieller Rivalen in allen Teilen der Welt. Insbesondere Chinas schnelle wirtschaftliche Entwicklung hat im amerikanischen politischen und militärischen Establishment eine breite Diskussion über die Möglichkeiten und Folgen eines Krieges mit diesem Land entfacht.
14. Das Ergebnis eines solchen Krieges wäre ohne Frage eine Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß. Doch das heißt nicht, dass er ausgeschlossen ist. Die Logik des Imperialismus führt zu militärischem Konflikt und es sind harte ökonomische und geo-strategische Erwägungen, die zu so einem Krieg führen. Außerdem ist China nicht der einzige Gegner. Interessenskonflikte und Ambitionen in Zentralasien, um das Schwarze Meer herum, auf dem Balkan und in Osteuropa führen zu andauernden Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland. Es gibt klare Anzeichen dafür, dass wachsende Differenzen in ökonomischen Fragen zu einem Wiederaufleben alter Antagonismen zwischen den USA und Deutschland und anderen europäischen Ländern führen. Innerhalb seiner „eigenen“ Hemisphäre verschlechtern sich die Beziehungen zwischen Washington und den Staaten Lateinamerikas.
15. Die Entschlossenheit des amerikanischen Imperialismus, seine vorherrschende Position im globalen kapitalistischen System zu verteidigen, schafft unter Einbeziehung vieler Staaten zahllose Szenarien, die zu militärischen Konflikten führen. Irgendeines dieser Szenarien oder irgendeine unvorhersehbare Variante wird am Ende eintreten. Dies erwartet jedenfalls das amerikanische Militär. Die offizielle Analyse des „Joint Operating Environment“ (JOE) für 2010, vom Kommando der Vereinigten Streitkräfte der USA veröffentlicht, erklärt in seiner Einleitung unverblümt: „Der Krieg ist im Verlauf der Geschichte eine Hauptantriebskraft des Wechsels und es gibt keinen Grund zur Annahme, dass sich das in Zukunft ändern wird.“ Es gibt nur eine Art, auf die ein weiterer katastrophaler Weltkrieg verhindert werden kann und der führt über die internationale politische Mobilisierung der Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus. Die amerikanische Arbeiterklasse muss und wird in diesem globalen Kampf eine zentrale Rolle spielen.
16. Die Unfähigkeit der Obama-Administration, irgendwelche nennenswerten Maßnahmen zur Linderung der wirtschaftlichen Not von zig Millionen amerikanischen Arbeitern zu ergreifen, verdeutlicht die Realität des politischen Lebens in den USA: die totale Kontrolle, die die Großkonzerne und die Superreichen in allen Bereichen der Regierung und des Zwei-Parteien-Systems ausüben. Die Exekutive, der Kongress, die Judikative, Staatsregierungen und Kommunen dienen allesamt den Konzerninteressen. Es wird kein Gesetz auf den Weg gebracht und keine Maßnahme ergriffen, die die Kapitalistenklasse als Bedrohung ihrer Interessen und ihres Wohlstandes ansieht. Die amerikanische Demokratie ist mehr denn je eine unverhüllte Regierung der Reichen, durch die Reichen und für die Reichen. Das Wachstum und die Konzentration von persönlichem Wohlstand in den vergangenen dreißig Jahren, die zu einem höheren Maß an sozialer Ungleichheit als in irgendeinem anderen entwickelten kapitalistischen Land geführt haben, sind das Ergebnis von Steuersenkungen und der Abschaffung von Gesetzen und Regulierungen, die die ausbeuterischen Aktivitäten der Konzerne früher einmal eingedämmt haben.
17. Die Konzentration atemberaubender Geldsummen in den Händen eines kleinen Teils der Bevölkerung und die Folgen des Privatbesitzes an den Produktionsmitteln sind nicht nur gesellschaftlich obszön. Sie sind, und das ist noch bedeutender, wirtschaftlich zerstörerisch und mit den gesellschaftlichen Bedürfnissen nicht zu vereinbaren, nicht in den USA und nicht international. Dies ist das Zeitalter global integrierter Massengesellschaften. Etwa sieben Milliarden Menschen leben auf unserem Planeten. Dreihundert Millionen leben in den Vereinigten Staaten. Alle großen sozialen Probleme, vor denen die moderne Gesellschaft steht – die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Grundnotwendigkeiten, Ausbildung, medizinische Versorgung, Wohnungsbau, soziale Infrastruktur, die Entwicklung natürlicher Ressourcen – erfordern ihrem Wesen nach kollektive und keine individuellen Lösungen. Es ist dringend notwendig, die globalen wirtschaftlichen Ressourcen und ihre Nutzung vernünftig und im Interesse der Weltbevölkerung zu organisieren. Technischer Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum sind notwendig, um die Armut abzuschaffen und den immer weiter anwachsenden sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Menschen entgegenzukommen. Sie können nur auf der Grundlage eines wissenschaftlich begründeten Verständnisses der komplexen und lebensbedrohlichen Probleme erzielt werden, vor denen die Umwelt unseres Planeten steht.
18. Keines dieser Probleme kann in einem Land allein und in einer Welt gelöst werden, in der alle wichtigen ökonomischen Entscheidungen von Konzernen getroffen werden, die sich in Privatbesitz befinden. Der Spekulationsrausch in Subprime-Hypotheken, der zum weltweiten Finanzcrash von 2008 führte, hat gezeigt, dass die Weltwirtschaft dem räuberischen und gesellschaftlich kriminellen Streben nach persönlicher Bereicherung auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Sollte diese Lektion nicht ausreichen, dann ist die ökologische Katastrophe im Golf von Mexiko – in den hunderte Millionen Gallonen Rohöl geströmt sind – eine historische Entlarvung des gesellschaftlich vergiftenden Charakters privater Konzerne. Es steht inzwischen fest, dass BP in seinem Streben nach Profit sogar die grundlegendsten Sicherheitsvorkehrungen entweder absichtlich missachtet oder schlicht und einfach ignoriert hat. Das kriminelle Verhalten von BP wurde von mehreren US-Regierungen, Republikanern und Demokraten gleichermaßen, begünstigt.
19. Trotz des Ausmaßes der Katastrophe, die durch die Explosion der Ölplattform Deep Water Horizon des BP-Konzerns ausgelöst wurde, verharrt die Obama-Administration wie gelähmt angesichts der massiven wirtschaftlichen und politischen Macht, die BP und andere transnationale Konzerne ausüben. In einer entlarvenden und vorhersehbaren Demonstration seiner Willfährigkeit vor der Macht der Konzerne, erklärte der Präsident, er habe nicht die Absicht, die finanzielle Lebensfähigkeit von BP zu untergraben. So, wie die Finanzgrößen der Wall Street nie für den wirtschaftlichen Schaden, den sie durch ihre rücksichtslose Spekulation angerichtet haben, zur Rechenschaft gezogen wurden, ist auch BP vor den Folgen seines Handelns in Schutz genommen worden. Wichtiger als das Schicksal von BP und seinen Vorstandsmitgliedern sind die tieferen ökonomischen Wurzeln dieser Katastrophe. Die Ursache nicht nur der Katastrophe im Golf von Mexiko, sondern auch der zahllosen anderen Formen, die die Wirtschaftskrise annimmt, liegt in der rücksichtslosen Unterordnung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen der Massen arbeitender Menschen unter das Profitstreben und die Anhäufung persönlichen Wohlstandes durch kapitalistische Konzerne, die die Produktionsmittel besitzen und kontrollieren.
Der Bankrott des Liberalismus und die Demokratische Partei
20. Die Wirtschaftkrise, die im Herbst 2008 explodiert ist, geht weiter, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Die Obama-Administration hat versucht, die Ineffektivität ihrer erbärmlichen halbherzigen Maßnahmen durch hohle Phrasen zu kaschieren. Ihre Antwort auf die Krise erinnert zunehmend an die Herbert Hoovers nach dem Crash von 1929. Damals kommentierte eine liberale Wochenzeitschrift: „Seit achtzehn Monaten sorgt die Arbeitslosigkeit für Armut und akute Not sowohl in industriellen, wie auch in landwirtschaftlichen Bereichen. Niemand weiß bisher, wann das gegenwärtige wirtschaftliche Desaster ein Ende finden wird. Die Jahre der Illusionen sind angsterfüllter wirtschaftlicher Unsicherheit und weit verbreiteter Verzweiflung gewichen. Diese achtzehn Monate haben die Heuchelei des Präsidenten enthüllt, der Zusammenarbeit bei der Wiederherstellung wirtschaftlicher Sicherheit zugesagt hatte. Die Administration versuchte, die Depression herunterzuspielen, machte vollmundige Zusagen, dass in Kürze Schritte unternommen würden, die den Wohlstand wieder bringen sollten, und legte ein bedauerlich erfolgloses Programm zur Stimulierung privater Agenturen oder lokaler Behörden auf, damit sie Aufgaben übernähmen, vor denen die Administration sich drücken wollte.“
21. Diese 1931 geschriebenen Worte waren eine Anklage der Politik der Hoover-Regierung. Sie könnten genauso gut die Antwort der Obama-Administration auf die wirtschaftliche und soziale Katastrophe beschreiben. Das Versagen ist nicht nur das eines Präsidenten, sondern das eines ganzen politischen Systems und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Es gibt nicht wenige liberale Demokraten, die entgegen allen Wahrscheinlichkeiten darauf hoffen, dass die Administration ihren Kurs plötzlich ändern und mit entsprechendem Tamtam die Rückkehr von Roosevelts „New Deal“ verkünden wird. Sie träumen vergebens. Die Finanz- und Konzernoligarchie, die den Demokraten und den Republikanern die Politik aufdiktiert, verlangt die Durchsetzung immer härterer Sparmaßnahmen.
22. Als der amerikanische Kapitalismus sich dem Zenit globaler Macht und weltweiten Einflusses näherte, gaben seine Führer zu, dass die in der US-Verfassung verbrieften politischen Rechte nicht ausreichten, um Gleichheit zu garantieren und das „Streben nach Glück“ zu ermöglichen. In seiner Ansprache an die Nation vom Januar 1944 erklärte Präsident Roosevelt: „Wir können nicht zufrieden sein… wenn ein Teil unseres Volkes… - ob ein Drittel, ein Fünftel oder ein Zehntel – schlecht ernährt, unzureichend gekleidet, nicht vernünftig untergebracht und in Unsicherheit lebt.“ Er sagte, es sei „selbstverständlich“, „dass wahre individuelle Freiheit nicht ohne wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit existieren könne.“ Als Teil seiner Bemühungen, den Kapitalismus zu erneuern, der durch die Große Depression so gründlich diskreditiert worden war, schlug Roosevelt die Annahme einer „zweiten Freiheitserklärung vor, in der Sicherheit und Wohlstand für alle garantiert werde – ungeachtet des Standes, der Hautfarbe und des Glaubens.“
23. In den zwanzig Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erreichten die USA und die globale Wirtschaft historisch nie dagewesene Wachstumsraten. Der Lebensstandard in den USA stieg beträchtlich an. Aber Roosevelts zweite Freiheitsurkunde blieb ein toter Buchstabe und die wirtschaftliche Sicherheit, die er als „Grundrecht“ verkündet hatte, wurde nicht einmal annähernd verwirklicht. Selbst in dieser blühenden Periode der amerikanischen Geschichte blieben zwanzig Prozent der Amerikaner im Sumpf der Armut stecken. 1964 verkündete Präsident Johnson seinen „Krieg gegen die Armut“. Aber die Versprechen seines Wahlkampfs wurden fallen gelassen, als die globalen und die inneren Widersprüche des amerikanischen Kapitalismus sich verschärften. Von den Siebziger Jahren an bewegte sich die Demokratische Partei beständig nach rechts und gab ihre frühere Politik liberaler Reformen auf. Dieser Prozess fiel zusammen mit dem Niedergang der weltweiten Vormachtstellung der USA. In den vergangenen vierzig Jahren ist der Lebensstandard der Arbeiterklasse beständig gesunken. Größere Rezessionen 1979-1980, 1981-83, 1991-93 und 2001-03 fügten den arbeitenden Menschen noch vor Einsetzen der letzten Katastrophe enormen wirtschaftlichen Schaden zu.
24. Der amerikanische Kapitalismus erwies sich in den Jahrzehnten seiner größten Erfolge als unfähig, sein Versprechen nach wirtschaftlicher Sicherheit und der Beseitigung der Armut einzuhalten. Was können wir dann von diesem System in einer Periode des Zusammenbruchs und der Krise erwarten?
Die amerikanischen Arbeiter und der Sozialismus
25. Es lässt sich nicht verleugnen, dass eine riesige Lücke zwischen dem historischen Charakter der politischen und gesellschaftlichen Aufgaben, vor denen die amerikanischen Arbeiter stehen, und ihrem gegenwärtigen Bewusstseinsstand klafft. Aber das Programm einer wirklich revolutionären Partei muss sich auf eine wissenschaftliche Analyse der objektiven Realität gründen und nicht auf impressionistische und üblicherweise falsche Einschätzungen dessen, was Arbeiter zu akzeptieren bereit sind oder nicht. Leo Trotzki, der Gründer der Vierten Internationale, sagte: „Unsere Aufgaben hängen nicht vom Bewusstseinsstand der Arbeiter ab. Die Aufgabe ist es, den Bewusstseinsstand der Arbeiter zu entwickeln. Das ist es, was das Programm formulieren und den fortgeschrittenen Arbeitern präsentieren sollte.“ Zudem weist die Socialist Equality Party eindringlich die von allen möglichen demoralisierten Skeptikern vorgebrachte Behauptung zurück, die amerikanische Arbeiterklasse sei unfähig, den Kapitalismus revolutionär herauszufordern, und werde die Notwendigkeit des Sozialismus niemals akzeptieren. Diese politisch bankrotte Haltung, durch den kranken Geist des Defätismus genährt, basiert auf einer Zurückweisung der Gesetze der Geschichte vergangener Kämpfe.
26. Die Geschichte der amerikanischen Arbeiterklasse ist die schwieriger und unbarmherziger Kämpfe. Die Geschichte ihres langsamen Voranschreitens angesichts brutalen Widerstands der Kapitalistenklasse ist in Blut geschrieben. Von den ersten Klassenkämpfen der Eisenbahnarbeiter in den 1870ern und dem Kampf für den Acht-Stunden-Tag in den 1880ern bis zur Schaffung von Massengewerkschaften in den 1930ern, vergoss die Arbeiterklasse ihr Blut und opferte ihre Märtyrer der nackten Tyrannei der Arbeitgeber. Nach dem Zweiten Weltkrieg rang die große Welle von Streiks, die durch alle Sektoren der Industrie fegte, den Arbeitgebern Zugeständnisse ab, die zu einem schnellen Anstieg des Lebensstandards führten. Diese Kämpfe wiederum inspirierten die großen Bürgerrechtskämpfe der afroamerikanischen Arbeiter in den 1950ern und 1960ern, die unter Werktätigen und Jugendlichen breite Unterstützung fanden.
27. Aber die Achillesferse der Arbeiterklasse war das Nichtvorhandensein einer unabhängigen sozialistischen, von marxistischer Theorie geführten Massenbewegung. Selbst in der Periode der gewaltsamsten Klassenkämpfe blieb die Arbeiterklasse wegen ihrer Loyalität zur Demokratischen Partei unter der politischen Kontrolle der Kapitalistenklasse. Von Anbeginn an tat die amerikanische Gewerkschaftsbewegung (AFL) alles in ihrer Macht stehende, um die politische Unterordnung der Arbeiterklasse unter die Parteien des großen Geldes aufrecht zu erhalten. Dies blieb die Politik der Gewerkschaften während und nach den Massenkämpfen für gewerkschaftliche Organisierung, die die Vereinigten Staaten in den 1930er Jahren überzogen.
28. Es gibt viele Faktoren, die dem Unvermögen der amerikanischen Arbeiter, eine politisch unabhängige sozialistische Massenbewegung gegen den Kapitalismus ins Leben zu rufen, zugrunde liegen: die schiere Größe des amerikanischen Kontinents, die heterogene Zusammensetzung einer Arbeiterklasse, die aus allen Teilen der Welt in die USA gekommen ist, der skrupellose Einsatz des Rassismus durch die Arbeitgeber, um „zu teilen und zu herrschen“, die berüchtigte Korruption und das Verbrechertum großer Teile der Gewerkschaftsbürokratie und die Härte, mit der die Regierung, das große Geld und die Gewerkschaften ihre Kommunistenhetze betrieben haben. Darüber hinaus haben die Verbrechen der stalinistischen Bürokratie in der Sowjetunion der Attraktivität des Sozialismus in den Augen amerikanischer Arbeiter schwer geschadet.
29. Letztendlich aber waren der gewaltige Wohlstand und die Macht des amerikanischen Kapitalismus die bedeutendste objektive Ursache der Unterordnung der Arbeiterklasse unter das von den Konzernen kontrollierte Zwei-Parteien-System. So lange die USA eine aufsteigende Wirtschaftsmacht waren - von den eigenen Bürgern als „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ wahrgenommen, in dem ein ausreichender Anteil am nationalen Wohlstand verfügbar war, um den Lebensstandard zu erhöhen - waren die amerikanischen Arbeiter nicht von der Notwendigkeit einer sozialistischen Revolution überzeugt.
30. Die Veränderung in den objektiven Bedingungen wird allerdings zu einer Veränderung in den Köpfen der amerikanischen Arbeiter führen. Die Realität des Kapitalismus wird den Arbeitern viele Gründe liefern, für einen fundamentalen und revolutionären Wandel in der wirtschaftlichen Organisation der Gesellschaft zu kämpfen. Die jüngeren Generationen der Werktätigen – jene, die in den 1980ern, 1990ern und dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts geboren sind, wissen nicht und werden nie erfahren, was kapitalistischer „Wohlstand“ ist. Sie sind die erste Generation von Amerikanern in der jüngeren Geschichte, die keinen der Elterngeneration ebenbürtigen oder gar besseren Lebensstandard erwarten kann. Junge Autoarbeiter, die 1990 geboren wurden, erhalten weniger als die Hälfte des Lohns, der ihren Eltern für dieselbe Arbeit gezahlt wurde. Was die Eltern angeht, so haben viele ihre Jobs und ihre Renten verloren. Die amerikanischen Werktätigen werden in den globalen Strudel eines sich entwickelnden Klassenkampfes hineingezogen und bemerken den erwachenden Geist gesellschaftlichen Widerstands in aller Welt, von Griechenland bis Bangladesch. Jahrzehntelang wurde amerikanischen Arbeitern erzählt, asiatische Arbeiter seien ihre Feinde, Hersteller von Niedrigpreis-Produkten, die sie ihrer Jobs beraubten. Aber jetzt lesen und hören sie von Streiks in China und erkennen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in China nicht ihre Gegner, sondern ihre Brüder und Schwestern sind.
31. Es existiert eine neue Weltordnung. Die Kämpfe der Arbeiterklasse müssen sich auf das Verständnis der objektiven Realität gründen – das heißt, auf ein wissenschaftliches Verständnis der kapitalistischen Krise und die Lehren der Geschichte. Die amerikanische Arbeiterklasse braucht eine neue Perspektive, ein neues Programm und eine neue Führung.
32. In seiner Zusammenfassung der materialistischen Geschichtsauffassung schrieb Karl Marx, der Begründer des modernen Sozialismus: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen... Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein.“ Diese Produktivkräfte, die nicht nur Fabriken, Büros, Werkzeuge und wissenschaftliches Knowhow umfassen, sondern auch die Arbeiterklasse selbst, werden durch die gesellschaftlichen Beziehungen des Kapitalismus abgewürgt – das Privateigentum und die Einteilung der Welt in Nationalstaaten. Die globale Finanzkrise, der Rückgang der Produktion, das Schrumpfen des Welthandels, die monumentalen Haushaltsdefizite, die Instabilität nationaler Währungen, die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Ländern, das Anwachsen des Militarismus und vor allem der fallende Lebensstandard der Arbeiterklasse – all diese miteinander verbundenen Prozesse deuten auf den Beginn einer neuen Ära sozialen Aufruhrs hin. Die Bedürfnisse der Massengesellschaft können nicht im Rahmen eines Systems befriedigt werden, das sich auf den Privatbesitz an Produktionsmitteln gründet. Die globale Entwicklung der Produktivkräfte wird durch das kapitalistische System der Nationalstaaten erstickt.
Das revolutionäre Potential der Arbeiterklasse
33. Die Krise kann nur durch den Kampf der Arbeiterklasse, der revolutionären Hauptkraft in der modernen Gesellschaft, mittels der Abschaffung des Kapitalismus progressiv gelöst werden. Die Arbeiterklasse ist revolutionär, weil sie 1. die wichtigste Produktivkraft der Gesellschaft ist und weil 2. die historische und politische Logik ihres Widerstands gegen die kapitalistische Ausbeutung zur Abschaffung des Privatbesitzes an den Produktionsmitteln und zur Ersetzung des Profitmotivs durch die Befriedigung sozialer Bedürfnisse als Triebfeder des Wirtschaftslebens und der Realisierung echter sozialer Gleichheit unter allen Menschen führt und weil es sich 3. um eine internationale Klasse handelt, deren Sieg die Grenzen aller Nationalstaaten aufheben und zur Vereinigung der Menschheit in einer wirklich globalen Gemeinschaft auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Heimat, der Erde, führen wird.
34. Nie zuvor in der Geschichte hat die Arbeiterklasse einen so großen Teil der Weltbevölkerung umfasst. In Ländern, in denen die moderne Industrie noch vor fünfzig Jahren kaum existierte, vor allem in Asien, hat der massive Zufluss von Kapital zu einem immensen Wachstum in der industriellen Infrastruktur und zu einer gewaltigen Zunahme der Arbeiterklasse geführt. In den historisch fortgeschrittenen Zentren des Kapitalismus in Europa und Nordamerika stellt die Arbeiterklasse die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung. Technologische Fortschritte, Veränderungen in der internationalen Teilung der Arbeit und der Rückgang der Produktion in den USA haben die Zusammensetzung der Arbeiterklasse verändert. Aber die ökonomischen und sozialen Veränderungen in den USA haben die Arbeiterklasse entweder vergrößert oder zu neuen Kategorien von Arbeitern geführt. 1960, als John F. Kennedy zum Präsidenten gewählt wurde, bildeten Frauen noch einen kleinen Teil der Arbeiterklasse. Die „Dienstleistungsindustrie“ steckte noch in den Kinderschuhen. „Programmieren“ beschränkte sich auf eine kleine Zahl von Spezialisten, niemand sprach von „IT“-Beschäftigten.
35. Die Größe der traditionellen Mittelklasse – bestehend aus “unabhängigen” kleinen Geschäftsleuten und Farmern – hat drastisch abgenommen. Wichtiger noch ist, dass ihre kollektive wirtschaftliche Bedeutung nur noch einen geringen Teil dessen ausmacht, was sie vor 50 oder gar vor 80 Jahren ausmachte. Die amerikanische Gesellschaft ist in erheblichem Maße „proletarisiert“ worden. Die große Mehrheit der Bevölkerung – ob sie in Fabriken oder auf Baustellen oder in Büros, Krankenhäusern, Einkaufszentren, an Grund- oder weiterführenden Schulen, an Universitäten oder in wissenschaftlichen Labors arbeitet, ob sie LKWs, Busse und Bahnen fährt oder kommerzielle Flugzeuge fliegt – sie lebt von Lohnzahlung zu Lohnzahlung. Diese Werktätigen teilen die gleichen Probleme und stehen einem gemeinsamen Feind gegenüber: den gigantischen Konzernen und Finanzinstituten, die sie heuern, feuern oder im Streben nach Profit ausbeuten.
36. Es gibt einen ungeheuren Widerspruch zwischen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung der Arbeiterklasse und ihrem geringfügigen Einfluss auf die politische Führung der Gesellschaft. Die Konzentration von Wohlstand wird immer von der Konzentration politischer Macht begleitet. Innerhalb der Vereinigten Staaten hat die Finanz- und Konzernoligarchie die politische Macht in einem Ausmaß in ihren Händen konzentriert, das in keinem anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Land erreicht wird. Es ist der amerikanischen Arbeiterklasse nie gelungen, eine eigene politische Massenpartei ins Leben zu rufen. Die gegenwärtige Krise hat den enormen Preis enthüllt, den die Arbeiterklasse für ihre Unterordnung unter die Demokratische Partei zahlt.
37. Im Verlauf der großen Streiks der 1930er Jahre, die die Besetzung von Fabriken und Schlachten mit der Polizei in vielen größeren Städten einschloss, schufen die amerikanischen Arbeiter eine mächtige nationale Gewerkschaftsorganisation, die CIO. 1955, nach der Fusion mit der älteren Föderation der Standesgewerkschaften, waren fast ein Drittel der Arbeiter in der Privatindustrie Mitglieder des AFL-CIO. Dennoch wurde die AFL-CIO in ihrer Blütezeit nach dem Zweiten Weltkrieg – die mit der internationalen wirtschaftlichen Vorherrschaft der USA zusammenfiel – durch ihre reaktionäre Politik gelähmt. Die AFL-CIO akzeptierte rückhaltlos die Legitimität des kapitalistischen Profitsystems, war dem Sozialismus gegenüber gnadenlos feindselig, und versuchte, ihre Gewerkschaften oft unter Einsatz von Gewalt von linken, antikapitalistischen Einflüssen zu säubern. In Übereinstimmung mit ihrer Loyalität zum Kapitalismus orientierte sich die AFL-CIO an der Demokratischen Partei und widersetzte sich mit ganzer Kraft allen Bemühungen, die Gewerkschaften von der politischen Beherrschung durch das Big Business zu befreien. Schließlich waren die Gewerkschaften auch noch heftig nationalistisch und identifizierten die Interessen der Arbeiterklasse voll und ganz mit der imperialistischen Politik der herrschenden Klasse.
38. Gestützt auf diese verrotteten Grundlagen haben die Gewerkschaften sich als unfähig erwiesen, selbst die minimalsten Interessen der Arbeiterklasse zu verteidigen, gar nicht zu sprechen von einer Verbesserung des Lebensstandards. Seit dreißig Jahren hat ihre Politik den Arbeitern nichts als Niederlagen eingebracht. Der Prozentsatz von Gewerkschaftsmitgliedern im privaten Sektor hat den niedrigsten Stand seit einhundert Jahren erreicht! Aber die Einnahmen der Gewerkschaftsbürokratie, die sich aus kleinbürgerlichen Funktionären zusammensetzt, werden durch die Dienste garantiert, die sie für die Konzerne leisten. Was ihre Politik und ihre Ziele angeht, so gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Konzernen und den Gewerkschaften.
39. Zu hoffen, diese korrupten, von den Konzernen kontrollierten Organisationen könnten nach Jahrzehnten des Verrats in Instrumente des gesellschaftlichen Kampfes umgewandelt werden, hieße, sich nutzlosen Illusionen hinzugeben. Das Versagen der AFL-CIO zeigt letztendlich den Bankrott ihres nationalistischen und kapitalistischen Programms der Klassenzusammenarbeit. Der Arbeiterkampf kann nur auf der Grundlage eines Programms wiederbelebt werden, welches das Versagen des kapitalistischen Systems anerkennt. Die Antwort auf diese Krise liegt nicht in Appellen an die Bereitschaft von Konzernen und die von ihnen kontrollierten Politiker, den Kapitalismus zu reformieren. Vielmehr besteht die Socialist Equality Party auf dem Kampf um die Arbeitermacht und die sozialistische Reorganisation der Gesellschaft, in den USA und international.
Der Sozialismus ist der einzige Weg vorwärts
40. Der Kapitalismus hat die Arbeiterklasse der USA und der gesamten Welt in den Abgrund gerissen. Es ist an der Zeit, dass die Arbeiterklasse für eine neue wirtschaftliche Organisation der Gesellschaft kämpft. Die einzig gangbare Alternative zum Kapitalismus ist der Sozialismus: Die Reorganisation des gesamten Wirtschaftslebens unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiterklasse mit dem Ziel, sozialen Bedürfnissen und nicht privatem Profit zu dienen.
41. Aber der Sozialismus kann nur durch die Errichtung der Arbeitermacht erreicht werden. Der Weg dorthin erfordert einen schwierigen Kampf. Aber das „endgültige Ziel“ des Sozialismus – die Abschaffung wirtschaftlicher Ausbeutung, aller Formen der Ungleichheit, der Unterdrückung einer Gruppe von Menschen durch eine andere und als Folge die Beseitigung aller Einschränkungen individueller Kreativität und das Erblühen menschlicher Kultur – ist nicht das Ergebnis phantastischen Strebens. Die Revolution, die den politischen Grundstein für den Sozialismus legen wird, wird im Verlauf zahlloser Kämpfe der Arbeiterklasse in den USA und international vorbereitet. Das Ziel ist die Verteidigung ihrer Interessen und der Widerstand gegen die Bemühungen der Finanz- und Konzernaristokratie, die Last der Krise auf die Massen abzuwälzen. Der Sozialismus ist kein Geschenk, das der Arbeiterklasse gemacht wird. Die Arbeiterklasse muss ihn sich hart erkämpfen.
42. Das Programm der Socialist Equality Party beginnt mit den dringendsten Nöten der Arbeiterklasse. Die Forderungen und die Politik der SEP gehen nicht davon aus, was der Kapitalismus „sich leisten“ kann, sondern davon, was die Arbeiterklasse und unsere komplexe globale Massengesellschaft brauchen. Die SEP schneidert ihr Programm auch nicht auf das zurecht, was kleingeistige Opportunisten und Pragmatiker für unmittelbar „durchsetzbar“ halten. Was immer in einer gegeben Situation gewonnen oder nicht gewonnen werden kann, wird durch den Kampf entschieden. Diejenigen, die nicht bereit sind zu kämpfen, werden nie etwas erreichen. Die Forderungen der SEP spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des gesellschaftlichen und politischen Bewusstseins der Arbeiterklasse und daraus folgend bei der Stärkung ihrer Kampfbereitschaft.
43. Die Forderungen der SEP sind nicht vom Ziel der sozialistischen Revolution zu trennen. Vielmehr stellt jede einzelne von ihnen eine Herausforderung an die materiellen Interessen der Konzernaristokraten dar. Wenn sie auf den Widerstand der Konzerne und des kapitalistischen Staates treffen, werden die Werktätigen die Notwendigkeit einer revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft immer klarer erkennen. Der Kampf für diese Forderungen stärkt die Arbeiterklasse, vereinigt ihre vereinzelten Kämpfe und stellt in jedem einzelnen Fall die Frage nach der Machtübernahme und der Errichtung des Sozialismus in den Vereinigten Staaten als Teil der sozialistischen Reorganisation der Weltwirtschaft.