In Frankreich hat ein offener Brief von ehemals führenden Offizieren eine politische Krise ausgelöst. Mehr als zwanzig Generäle a.D. drohen darin mit einem Militärputsch. Seit seiner Veröffentlichung am 21. April haben ihn mehr als 7.000 Militärangehörige unterzeichnet.
Das politische Establishment und die Mainstreammedien versuchen, die Bedeutung des Briefs herunterzuspielen und sowohl die Existenz von faschistischen Netzwerken auf den höchsten Ebenen des Staats- und Militärapparats wie auch deren Diktaturpläne zu vertuschen.
Die landesweit meistgelesene Zeitung Le Monde schrieb fast nichts über den Brief, nachdem sie ihn zunächst über Tage hinweg völlig totgeschwiegen hatte. Ihr erster Artikel erschien am 26. April auf Seite 10 der gedruckten Ausgabe und konzentrierte sich auf die Antwort von Marine Le Pen, der Vorsitzenden des rechtsextremen Rassemblement National. Le Pen begrüßte den offenen Brief und rief die Generäle auf, ihren Wahlkampf im Jahr 2022 zu unterstützen. Seither hat Le Monde nur zwei Artikel darüber veröffentlicht.
Das politische Establishment verharmlost die Vorgänge bewusst. Senatorin Héléne Conway-Mourat von der Parti Socialiste (PS), die im außenpolitischen Ausschuss des Senats sitzt, gab mit ihrer Behauptung, der Brief sei ein „Sturm im Wasserglas“, den Ton vor. Weiter erklärte sie: „In einer Welt, in der jede kleine Änderung als Umwälzung angesehen wird, ist es wichtig, die Dinge in Zusammenhang miteinander zu bringen. In Frankreich wird kein Putsch vorbereitet.“
Jean-Marc Todeschini, Senator der PS für das Departement Moselle und ehemaliger Staatssekretär für Veteranenangelegenheiten, bezeichnete den Brief als „Problem, vor allem wegen seiner Auswirkungen auf das Image der Streitkräfte“.
Präsident Emmanuel Macron hat noch kein Wort über den Brief verloren und beschränkte sich darauf, Ministern zu gestatten, sich dazu zu äußern. Kein Mitglied seiner Regierung hat gefordert, die Verfasser wegen ihrer Putschdrohung anzuklagen. Niemand verlangt, zu ermitteln, welche Netzwerke bereits bestehen und welche Vorbereitungen bereits getroffen wurden.
Als erstes Mitglied der Regierung äußerte sich am Sonntagabend die Verteidigungsministerin Florence Parly. Das war vier Tage, nachdem der Brief veröffentlicht worden war, und mehr als einen Tag nach Marine Le Pens öffentlichem Appell. Parly kritisierte in ihrer Stellungnahme Le Pen im Wesentlichen von rechts: Ihr Appell beeinträchtige den Militärapparat und seine Fähigkeit, die weltweiten Interessen des französischen Imperialismus zu verteidigen.
Parly schrieb: „Madame Le Pens Worte sind Ausdruck eines ernsthaften Missverständnisses hinsichtlich der Institution Militär. Das ist bedenklich für eine Person, die Oberbefehlshaberin der Streitkräfte werden will. (...) Die Politisierung der Streitkräfte, die Madame Le Pen vorschlägt, würde unsere militärische Stärke und damit Frankreich schwächen.“
Um die politische Bedeutung des Briefs herabzuspielen, hat Parly mehrfach hervorgehoben, dass die Unterzeichner aus dem aktiven Dienst ausgeschieden seien. Allerdings ist allgemein bekannt, dass „ehemalige“ Generäle und hohe Offiziere weiterhin enge Beziehungen zu ihren aktiven Kollegen unterhalten. Gerade bei solchen öffentlichen politischen Erklärungen treten sie im Namen des Militärs auf. Am Montag kündigte Parly in einem weiteren Kommentar auf France Info Sanktionen gegen alle aktiven Offiziere an, die den Brief unterzeichnet haben.
Die Website Place Armes, die von dem öffentlich bekannten Herausgeber des Briefs, dem ehemaligen Hauptmann Jean-Pierre Fabre-Bernadac, betrieben wird, enthält eine Liste der ersten 1.500 Unterzeichner. Weiter wird behauptet, die Zahl der Unterzeichner habe sich seit der Veröffentlichung auf über 7.000 erhöht.
Die Verfasser des Briefs drohen darin offen mit einem Militärputsch und verbinden ihren Hass auf Muslime mit ihrem Hass auf die Bewohner der Arbeiterviertel. Sie warnen: „Islamismus und die Horden in den Banlieues“ [Arbeitervororten] führten zu zahlreichen „Glaubensspaltungen innerhalb der Nation und verwandeln sie in Territorien, in denen Ideologien herrschen, die unserer Verfassung widersprechen.“
Weiter heißt es, Angehörige des Militärs dürften als „Diener der Nation, die immer bereit sind, ihre Haut für ihr Tun zu riskieren, wie es ihr Status als Soldat erfordert, keine passiven Zuschauer solcher Vorgänge sein“.
Und weiter: „Wenn nichts unternommen wird, dann wird sich die Nachlässigkeit unweigerlich in der gesamten Gesellschaft ausbreiten und schließlich eine Explosion und die Intervention unserer aktiven Kameraden auslösen. Sie werden die gefährliche Aufgabe haben, die Werte unserer Zivilisation und unsere Landsleute auf dem nationalen Territorium zu schützen.
Wir erkennen, dass die Zeit des Zögerns vorbei ist, andernfalls wird morgen der Bürgerkrieg dem wachsenden Chaos ein Ende bereiten. Es wird Tausende Tote geben, für die Sie verantwortlich sind.“
Das heißt, sie drohen offen mit einem Militärputsch. Das ist nur möglich, weil auf den höchsten Ebenen des Staatsapparats über einen Putsch diskutiert und die Vorbereitungen dafür getroffen werden. In Deutschland ist bereits herausgekommen, dass faschistische Netzwerke im Militär weitreichende Vorbereitungen für einen „Tag X“ getroffen haben. So wurden u.a. Todeslisten von linken Politikern zusammengestellt und Waffen, Vorräte und Leichensäcke gehortet.
Die Macron-Regierung fürchtet einen faschistischen Staatsstreich viel weniger als eine Bewegung der Arbeiterklasse. Deshalb ist sie entschlossen, die Bedeutung des Briefs der Generäle zu vertuschen. Zudem basiert der faschistische Brief größtenteils auf der anti-muslimischen Hetze der Macron-Regierung. Die Behauptung der Generäle über eine angebliche Gefahr muslimischer „separatistischer“ Bewegungen in Frankreich erinnert an Macrons „Separatismusgesetz“, das sich gegen die mehr als fünf Millionen Muslime in Frankreich richtet.
Macrons Kampagne gegen Muslime zielt darauf ab, angesichts der Pandemie die Arbeiterklasse zu spalten und die Aufmerksamkeit von der eigenen mörderischen Politik abzulenken. Die Regierung lässt die unkontrollierte Ausbreitung des Virus zu und versucht, alle Einschränkungen für die Profitinteressen der Konzerne zu verhindern.
Die Macron-Regierung selbst treibt den Aufbau eines Polizeistaats energisch voran. Sie hat vor kurzem ihr „globales Sicherheitsgesetz“ verabschiedet, das Strafverfahren gegen Zivilisten ermöglicht, die Fälle von Polizeibrutalität aufzeichnen und veröffentlichen. Während des Jahres 2018 hatte die Bereitschaftspolizei immer wieder Tränengas, Blendgranaten, Gummigeschosse und Kampfhunde gegen Demonstranten der „Gelbwesten" eingesetzt. Macron selbst lobte den faschistischen Diktator Pétain als „großen Soldaten“.
Im politischen Establishment gibt es keine progressive Fraktion, die sich der Hinwendung zur Diktatur entgegenstellen würde. Überall bricht die kapitalistische Demokratie angesichts der beispiellosen sozialen Ungleichheit zusammen. In den USA versuchte Ex-Präsident Trump am 6. Januar, einen Staatsstreich zu inszenieren, um das Ergebnis der Präsidentschaftswahl zu kippen. In Spanien fordern ehemalige Generäle offen eine Militärregierung und die Ermordung von „26 Millionen“ linken Wählern und ihren Familien.
Die einzige Antwort auf diesen Kurs hin zu Diktatur ist die gemeinsame Mobilisierung der Arbeiterklasse für einen internationalen Kampf für Sozialismus. Am 1. Mai veranstaltet die World Socialist Web Site eine internationale Onlinekundgebung. Sie wird darin ein Aktionsprogramm skizzieren, mit dem die Arbeiterklasse gegen die mörderische Pandemie-Politik der Herrschenden und ihren Kurs auf Diktatur kämpfen kann. Wir rufen alle Leser auf, sich zu registrieren und daran teilzunehmen.