Perspektive

Ein Offener Brief an die ukrainische Regierung: Lassen Sie Bogdan Syrotjuk frei!

Am heutigen Donnerstag, den 13. Juni, wird der folgende Offene Brief der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) und der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site an den Botschafter der Ukraine in Berlin, Oleksii Makeiev, übergeben. Ein gleichlautender Brief der Socialist Equality Party (US) wird an die Botschafterin in Washington übergeben.

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Herr Botschafter,

am 25. April 2024 hat der SBU (der Staatssicherheitsdienst der ukrainischen Regierung) Bogdan Syrotjuk verhaftet, den 25-jährigen Vorsitzenden der Jungen Garde der Bolschewiki-Leninisten, einer trotzkistischen Organisation, die in Russland, der Ukraine und anderen ehemals zur Sowjetunion gehörenden Ländern arbeitet. In den vergangenen sieben Wochen wurde Genosse Syrotjuk in einem Gefängnis in Mykolajiw in Isolationshaft gehalten. Es war ihm nicht möglich, sich einen angemessenen Rechtsbeistand zu besorgen, um gegen die verlogenen Anschuldigungen vorzugehen, welche die Regierung, die Sie vertreten, gegen ihn erhob. Mehrere Anwälte in Kiew und Mykolajiw, die Erfahrungen im Kampf gegen politisch motivierte Strafverfolgungen und Intrigen der ukrainischen Regierung aufweisen, haben ihr Angebot, Syrotjuk zu vertreten, wieder zurückgezogen, weil sie aufgrund von Androhungen von Vergeltungsmaßnahmen sonst um ihre persönliche Sicherheit hätten fürchten müssen.

Die Anschuldigungen gegen Bogdan Syrotjuk entbehren jeglicher sachlicher Grundlage. Die Behauptung, er habe Hochverrat begangen, stützt sich ausschließlich auf seine öffentliche Opposition gegen den Krieg zwischen der Ukraine und Russland, die er in Artikeln auf der World Socialist Web Site [wsws.org] zum Ausdruck gebracht hat.

Im verzweifelten Versuch, die Tatsache zu kriminalisieren, dass Syrotjuk sein demokratisches Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hat, behaupten die SBU–Verschwörungstheoretiker in ihrer Anklageschrift, dass die World Socialist Web Site eine „russische Propaganda- und Informationsagentur“ sei.

Bogdan Syrotjuk in seinem Büro

Es gibt nicht den geringsten Beweis für diese ungeheuerliche Behauptung. Die Absurdität dieser Lüge ist für jeden Leser der World Socialist Web Site offensichtlich, ganz zu schweigen von denjenigen, die mit der Geschichte und Politik des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) vertraut sind. Diese beruhen auf den sozialistischen internationalistischen Grundsätzen, welche die trotzkistische Bewegung seit ihrer Gründung im Jahr 1923 verteidigt hat.

In Hunderten von Artikeln, die seit dem Kriegsausbruch auf der World Socialist Web Site erschienen sind, hat das IKVI seine Ablehnung der Militärpolitik sowohl der ukrainischen als auch der russischen Regierung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Am 24. Februar 2022, dem Tag der russischen Invasion, erklärte die WSWS, die Stimme des Internationalen Komitees:

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die World Socialist Web Site verurteilen die russische Militärintervention in der Ukraine. Ungeachtet der Provokationen und Drohungen der USA und der Nato-Mächte muss der Einmarsch Russlands in die Ukraine von Sozialisten und klassenbewussten Arbeitern abgelehnt werden. Die Katastrophe, die durch die Auflösung der Sowjetunion 1991 in Gang gesetzt wurde, kann nicht auf der Grundlage des russischen Nationalismus abgewendet werden – einer durch und durch reaktionären Ideologie, die den Interessen der von Wladimir Putin vertretenen herrschenden Kapitalistenklasse dient.

Die ukrainische Staatspolizei weiß sehr genau, dass sie ihre Anklage wegen Hochverrats gegen diesen jungen und mutigen Sozialisten nicht begründen kann. Sie muss daher auf die Art von Lügen zurückgreifen, derer sich das stalinistische Regime der Sowjetunion in der Zeit des Großen Terrors und der Moskauer Prozesse bediente, als es seine trotzkistischen Gegner als Agenten Nazideutschlands denunzierte. Ungeachtet der Auflösung der Sowjetunion und der Restauration des Kapitalismus leben in der Ukraine die Methoden und der Geist der stalinistischen Polizeibehörden weiter.

Entgegen der Behauptung, Bogdan Syrotjuk und die WSWS  seien Agenten der russischen Propaganda, wird in der SBU-Anklageschrift eingeräumt, dass die World Socialist Web Site „die wichtigsten gesellschaftspolitischen Probleme auf der ganzen Welt vom Standpunkt der revolutionären Opposition gegen das kapitalistische Marktsystem aus behandelt, mit dem Ziel, durch eine sozialistische Revolution den Weltsozialismus zu errichten“.

Diese sachliche Beschreibung des marxistisch-trotzkistischen Programms der WSWS – welches Putins kapitalistischem Regime ein Gräuel ist – entlarvt den betrügerischen Charakter der Inhaftierung und Verfolgung von Bogdan Syrotjuk.

Er wird verfolgt und mit lebenslanger Haft bedroht, weil er zur Einheit der ukrainischen und russischen Arbeiterklasse aufruft, um gegen den Krieg Widerstand zu leisten, der den Interessen der oligarchischen kapitalistischen Eliten beider Länder dient.

Bogdan Syrotjuk Mitte April 2024

Ihre Regierung verherrlicht erz-reaktionäre Ideologien und Programme, wie sie für die bürgerlichen, ukrainisch–nationalistischen Bewegungen seit den Tagen von Skoropadskij, Petljura und – am schlimmsten – dem Nazifreund Stepan Bandera und seiner Organisation Ukrainischer Nationalisten typisch sind. Sie fürchtet das Wiederaufleben sozialistischer Gesinnung innerhalb der ukrainischen Arbeiterklasse, das sich unweigerlich im Streben nach Einheit mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern in Russland äußern und die Form der Ablehnung des Krieges annehmen wird. Aus diesem Grund folgte auf Bogdan Syrotjuks Verhaftung die staatliche Direktive vom 3. Juni 2024, die den Internetzugang zur World Socialist Web Site in der gesamten Ukraine verbot.

Es ist allgemein bekannt, dass das Selenskyj-Regime, das Wahlen abgesagt hat und auf der Grundlage des Kriegsrechts regiert, alle linken und sozialistischen Organisationen in der Ukraine illegalisiert hat. Selbst das US-Außenministerium sah sich in einem im Mai veröffentlichten Bericht seines Bureau of Democracy, Human Rights and Labor gezwungen, auf den brutal repressiven Charakter Ihrer Regierung aufmerksam zu machen.

Zu den Menschenrechtsverletzungen, die in dem Bericht genannt werden, gehören insbesondere das „Verschwindenlassen; Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftung oder Inhaftierung; schwerwiegende Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, auch für Mitglieder der Medien, einschließlich Gewalt oder Gewaltandrohung gegen Journalisten ...“

Bogdan Syrotjuk ist ein Opfer der Gesetzlosigkeit Ihrer Regierung. Zu der Zeit, als er am 25. April verhaftet wurde, gingen zahlreiche Berichte durch die internationalen Medien über den wachsenden Widerstand gegen den Krieg unter ukrainischen Arbeitern und Jugendlichen. Es ist offensichtlich, dass ein Schauprozess gegen Syrotjuk unter dem Vorwurf des Hochverrats darauf abzielt, die Gegner des Krieges einzuschüchtern, den Ihre Regierung im Interesse der kapitalistischen Elite der Ukraine und ihrer imperialistischen Verbündeten führt.

Die Verhaftung und strafrechtliche Verfolgung von Bogdan Syrotjuk hat in der ganzen Welt empörten Widerstand hervorgerufen. Fortschrittliche und sozialistische Organisationen prangern diese politische Verschwörung an.

Die internationale Kampagne für seine Freiheit gewinnt jeden Tag an Kraft. Tausende von Menschen aus der ganzen Welt – Arbeitende, Jugendliche, Künstler und Akademiker – haben eine Petition unterzeichnet, die ein Ende der Verschwörung und die sofortige Freilassung von Bogdan Syrotjuk aus dem Gefängnis fordert.

Geehrter Botschafter, wir bitten Sie, diesen Brief und unsere Forderung nach der Freiheit von Bogdan Syrotjuk an Ihre Regierung weiterzuleiten.

Mit den entsprechenden Grüßen,

Christoph Vandreier

Vorsitzender der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP)

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