Die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz diente, wie die WSWS berichtete, der unmittelbaren Verschärfung der laufenden Kriege und geopolitischen Spannungen. In diesem Zusammenhang wurde auch diskutiert, dass Forschung und Lehre an den Hochschulen noch stärker in den Dienst des deutschen Militarismus gestellt werden sollen. Neben der ideologischen Kriegsvorbereitung geht es in wachsendem Maße um konkrete Waffenentwicklung. Dafür soll die sogenannte Zivilklausel, das Verbot von Militärforschung an den Universitäten, abgeschafft werden.
Auf dem Panel „Conversation on Research Security“ (dt. „Konversation über Forschungssicherheit“) vom 16. Februar betonte Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger (FDP) zwei Punkte: Forschung ein geopolitischer Faktor und deshalb sicherheitsrelevant, und die starke Wand zwischen „civil and military research“ (ziviler und militärischer Forschung) müsse aufgebrochen werden.
Forschung sei nicht nur ein geopolitischer Faktor, sondern mehr noch ein integraler Bestandteil der deutschen Sicherheit, erklärte die Ministerin, weshalb sie die Diskussion auf der Münchener Konferenz stark begrüße. Neue Technologien schüfen neue ökonomische Abhängigkeiten und Staaten würden hierdurch ihre Macht demonstrieren, schlussfolgerte sie. Starke Wirtschaften bedeuteten starke Staaten.
Weil sich die „regelbasierte Ordnung“ und internationale Kooperationen verändert hätten, müsse in Deutschland die starke Wand zwischen ziviler und militärischer Forschung an den Institutionen abgeschafft werden. Der Blick nach Israel und in die USA zeige, dass im Zuge der Aufrüstungswelle, der sogenannten „Zeitenwende“, Deutschland seine „Instrumente“ in Stellung bringen müsse. Der Militarismus und die ideologische Kriegsführung sollen an die Hochschulen zurückgebracht werden.
Die Bundesbildungsministerin schloss ihren Beitrag mit dem „Open Science“-Prinzip der EU: „As open as possible, as closed as necessary“ (so offen wie möglich, so geschlossen wie nötig).
In den Wochen darauf führte Stark-Watzinger die Ansichten der Bundesregierung in einigen Interviews noch genauer aus.
„Als Bundesforschungsministerin möchte ich zu einer verstärkten Kooperation zwischen ziviler und militärischer Forschung in geeigneten Bereichen ermutigen“, sagte sie der dpa. „Dabei geht es darum, Synergien zu heben und unsere Innovationskraft zu stärken. Andere Wertepartner wie Israel und die USA machen es uns erfolgreich vor. Wir dürfen darauf nicht länger verzichten. Ohnehin verschwimmen die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Forschung mit zunehmendem technologischem Fortschritt immer stärker.“
Die „Wertepartner“ Israel und US, die aktuell den von Deutschland unterstützten Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung in Gaza verüben, wurden hier nicht zufällig als Vorbild gewählt.
Laut dem Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der Bundesregierung für 2023 und 2024 soll Deutschland sich an der US-amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) und der israelischen Militäreinheit 8200 orientieren. Spillovers (Übertragungseffekte) und Dual Use (doppelter Verwendungszweck) sollen dem deutschen Militarismus zugutekommen.
DARPA wurde bereits 1958 als Antwort auf den Sputnik-Schock gegründet. Ausgerüstet mit einem Jahresbudget von 4,1 Milliarde US-Dollar dient es der Entwicklung neuer risikoreicher und kostenintensiver Militärtechnologien. Das sind in etwa 3,7 Milliarden Euro und entsprechen damit annähernd dem dreifachen des derzeitigen Bundesbudgets für Umwelt- und Naturschutz.
Die israelische Militäreinheit 8200 gilt als zentraler Faktor für den IT-Sektor in Israel, da viele Ex-Soldaten zivil im Tech-Bereich arbeiten. Die Einheit wird in den Bereichen „Informations- und Kommunikationstechnologien, Informatik und Cybersicherheit“ ausgebildet und ist vor allem in geheimen Militäroperationen tätig, z.B. Spionageabwehr, Aufklärung, Überwachung, Cyberkriegsführung und Codeentschlüsselung. Die Etablierung und der Ausbau solcher Projekte schweben auch der deutschen Bundesregierung vor.
Das EFI-Gutachten lobt besonders die 2020 gegründete Cyberagentur (Agentur für Innovation in der Cybersicherheit). Mit Sitz in Halle (Sachsen-Anhalt) wurde hier bereits eine Organisation geschaffen, die die Trennung von ziviler und militärischer Forschung überschreitet. Die Kommission fordert nun von der Bundesregierung die Erweiterung des Spielraums der Agentur. Das Sondervermögen der Bundeswehr soll Mittel für die Bereiche Cybersicherheit und künstliche Intelligenz (KI) bereitstellen. Unter dem Deckmantel der „digitalen Transformation“ soll so der deutsche Imperialismus gestärkt werden.
Da im internationalen Ranking China und die USA im Bereich der KI-Entwicklung führend sind, warnt das EFI davor, dass Deutschland und Europa in „einseitige Abhängigkeiten“ geraten und technologisch nicht mehr „souverän“ auftreten können. Im EFI-Gutachten 2023, welches als Grundlage für die Diskussionen auf der Münchener Sicherheitskonferenz diente, wurden dazu zahlreiche anti-chinesische Maßnahmen vorgeschlagen, die an der im letzten Jahr veröffentlichten China-Strategie der Ampel-Koalition anknüpfen.
Die EU soll Deutschland dabei als Instrument dienen, um seine technologischen Kompetenzen zu verbessern. Schlüsseltechnologien, eine Chiffre für Militärforschung, sowie Standardisierungs- und Normierungsaktivitäten sollen in Zusammenarbeit mit EU-Partnern entwickelt werden. Um sogenannten „Wissensabfluss“ nach China zu verhindern, werden hohe Auflagen für gemeinsame Projekte mit chinesischen Akteuren, die Warnung von Akteuren des deutschen Wissenschaftssystems und sogar die Einrichtung einer eigenen „China-Kompetenzstelle“ für deutsch-chinesische Kooperationen gefordert.
Die Zivilklausel ist der herrschenden Klasse bei diesen monströsen Aufrüstungsplänen seit langem ein Dorn im Auge. Wie vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg will sie die Universitäten wieder in Zentren des Militarismus verwandeln.
Bei den Zivilklauseln handelt es sich um selbstauferlegte Verpflichtungen, an deutschen Hochschulen nur zu friedlichen Zwecken zu forschen. Das schließt u.a. Drittelmittelannahme aus der Rüstungsindustrie aus. Als Reaktion auf die Aufrüstungsspirale des Kalten Kriegs trat erstmal 1986 an der Universität Bremen eine Zivilklausel in Kraft. Seither haben sie etwa 70 Hochschulen übernommen. Die Klausel folgt der starken Überzeugung der Bevölkerung, dass nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust niemals wieder Krieg und Zerstörung von deutschem Boden ausgehen sollen.
Das EFI hingegen kommt zum Schluss: „Die strikte Trennung, wie sie jahrzehntelang in Deutschland praktiziert wurde, gilt es grundsätzlich zu überdenken und – wo sinnvoll – aufzulösen.“
Weiter: „Die Expertenkommission hat bereits in ihrem letzten Gutachten darauf hingewiesen, dass infolge dieser Trennung die knappen Ressourcen für Forschung und Innovation zur Lösung von gesellschaftlich wichtigen Problemen, wie etwa die Sicherung von Datennetzen und kritischer Infrastruktur, nicht effizient eingesetzt werden.“ Dabei geht es nicht darum, kritische Infrastruktur zu sichern, sondern an Hochschulen den Weg für die Rückkehr des deutschen Militarismus freizuräumen.
Bereits im Herbst 2023 forderte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, Deutschland brauche „einen Mentalitätswechsel“. Die Ampelkoalition meint damit nicht nur die beispiellose militärische Aufrüstung im Bereich Munition und Kriegsgerät, sondern fordert auch die deutsche Hochschullandschaft auf, sich in den Dienst des deutschen Imperialismus zu stellen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
„Aber, ganz wichtig, auch der Mentalitätswechsel in der Gesellschaft ist richtig. Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte, und das heißt, wir müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen“, so Pistorius.
Dass die Hochschulen jetzt ins Blickfeld der Kriegstreiber geraten, bestätigt die Warnungen der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), die seit über zehn Jahren gegen die Umwandlung der Universitäten in Zentren des Militarismus kämpfen.
Schon im Jahr 2014 hatte die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), ein zentraler Think-Tank der deutschen Bourgeoisie, in Zusammenarbeit mit dem German Marshall Fund of the United States (GMF) das Dokument „Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch“ veröffentlicht. Darin heißt es zur Rolle der Hochschulen:
In einem komplexeren Umfeld mit stark verkürzten Reaktionszeiten werden auch bessere kognitive Fähigkeiten verlangt. Wissen, Wahrnehmung, Verständnis, Urteilsvermögen und strategische Vorausschau: Das alles kann gelehrt und trainiert werden. Aber es erfordert Investitionen – auf der Seite des Staates, aber auch bei den Universitäten, Forschungseinrichtungen, Stiftungen und außenpolitischen Institutionen. Ziel muss eine ‚Denklandschaft’ sein, die nicht nur politische Kreativität ermöglicht und pflegt, sondern auch imstande ist, politische Optionen schnell und in operationalisierbarer Form zu entwickeln.
Seither wird militaristische und rechte Ideologie an den Universitäten systematisch salonfähig gemacht. Kurz nachdem die Bundesregierung 2014 das Ende der außenpolitischen Zurückhaltung verkündet hatte, begannen die Professoren Herfried Münkler und Jörg Baberowski in ihren Vorlesungen an der Humboldt Universität rechtsextreme, revisionistische Thesen zu proklamieren. Deutschland müsse als „Zuchtmeister“ in Europa führen, so Münkler.
Diese Politik erfordert eine Relativierung der Nazi-Verbrechen, denn ihre „wahrscheinlich schwerwiegendste Verwundbarkeit“, so Münkler, sei „die durch die deutsche Geschichte, der jederzeit mögliche Verweis auf den Aufstieg des Nationalsozialismus mitsamt seiner Rassenideologie, die von Hitler seit 1938 betriebene Politik der Erpressung und Annexionen, die Angriffskriege seit September 1939, die Verbrechen der Wehrmacht vor allem im Krieg gegen die Sowjetunion und schließlich die Ermordung der europäischen Juden.“
Während Münkler versuchte, die Rolle Deutschlands im Ersten Weltkrieg herunterzuspielen, fiel Baberowski die Aufgabe zu, die schlimmsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit, das faschistische NS-Regime, den Holocaust und den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zu rechtfertigen und zu relativieren. Das fand seinen damaligen Höhepunkt in dem berüchtigten Spiegel-Bericht „Der Wandel der Vergangenheit“, in dem Baberowski Hitler bescheinigte nicht grausam gewesen zu sein.
Als die IYSSE diese Geschichtsfälschung kritisierten, wurde sie von der Universitätsleitung, Vertretern sämtlicher Bundestagsparteien und den meisten Medien wüst angegriffen, unter Studierenden und Arbeitern gewann sie hingegen große Unterstützung.
Nun sollen die Universitäten nicht nur ideologisch, sondern auch praktisch auf Krieg umgestellt werden. Die Zivilklauseln wurden zwar schon lange hintergangen und Militärkooperationen mit Hochschulen umgesetzt, doch die neuen Pläne gehen weit darüber hinaus. Geht es nach der Bundesregierung, sollen die Universitäten nicht Bildung und Wissen vermitteln, sondern Deutschland kriegstüchtig machen.
Die IYSSE rufen alle Studierenden auf, das nicht zuzulassen. Die einzige Möglichkeit, den Wahnsinn eines Weltkriegs und seine Vorbereitung an den Universitäten zu stoppen, ist die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms. Für diese Orientierung und Perspektive müssen Studierende kämpfen.