Ein halbes Jahr nach der niederländischen Parlamentswahl haben sich drei ultrarechte Parteien – die Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders, Neuer Gesellschaftsvertrag (NSC) von Pieter Omtzigt und die Bauer-Bürger-Bewegung (BBB) von Caroline van der Plas – sowie die Liberalen (VVD) des amtierenden Ministerpräsidenten Mark Rutte auf eine neue Regierungskoalition verständigt. Sie wird die rechteste niederländische Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg sein.
Wilders und die Vorsitzenden der drei anderen Parteien werden der Regierung selbst nicht angehören. Die Entscheidung über den Regierungschef und die Verteilung der Ministerposten soll bis Mitte Juni fallen. Doch auch wenn er persönlich kein Ministeramt übernimmt, wird Wilders der starke Mann hinter der neuen Regierung sein. Seine PVV ist mit 37 von insgesamt 88 Abgeordneten die stärkste Kraft im Regierungsbündnis, und Wilders kann als formal einziges Mitglied der PVV frei über deren Politik und Personal bestimmen.
Wilders zählt zu den bekanntesten und übelsten Rechtsextremisten in Europa. Er ist berüchtigt für seine Hetze gegen den Islam und unterhält enge Verbindungen zu neofaschistischen Kreisen im In- und Ausland. So trat er bereits 2015 auf einer Pegida-Demonstration in Dresden auf. Vor vier Wochen beteiligte er sich gemeinsam mit 3000 Rechtsextremen aus der ganzen Welt an einer Konferenz in Budapest.
Die 26-seitige Koalitionsvereinbarung mit dem Titel „Hoffnung, Mut, Stolz“ ist eine Kampfansage an die Arbeiterklasse und jede Form sozialer und linker Opposition. Im Mittelpunkt stehen zwei Ziele – die Einführung des „härtesten Asylrechts aller Zeiten“ und der Aufbau eines Polizeistaats. Hier trägt es eindeutig die Handschrift von Wilders.
In der Außen- und Sicherheitspolitik verlangte die niederländische Bourgeoisie dagegen Garantien, dass die neue Regierung nicht vom bisherigen Nato- und EU-Kurs abweicht. Das Koalitionspapier bekennt sich uneingeschränkt zur Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland und zur Europäischen Union. Beides hatte Wilders bisher in Frage gestellt. In Gaza gehört der Islamgegner dagegen seit jeher zu den vehementesten Befürwortern des israelischen Genozids.
Unmissverständliche Botschaft
Die Botschaft, die vom Regierungsprogramm ausgeht, ist unmissverständlich. Angesichts wachsender sozialer Spannungen und heftiger Proteste gegen den Genozid an den Palästinensern holt die herrschende Klasse die Rechtsextremen in die Regierung, um jede Opposition einzuschüchtern und zu unterdrücken.
Nachdem sie bereits in den vergangenen Wochen brutal gegen Anti-Genozid-Proteste vorgegangen ist, hält die niederländische Bourgeoisie Wilders, der Kriegs- und Völkermordgegner als antisemitischen Abschaum bezeichnet, für bestens geeignet, diese mit harter Hand zu unterdrücken.
Demselben Ziel dient die Verschärfung des Asylrechts. Asylsuchende und Migranten werden zum Sündenbock für die soziale Krise gestempelt und ihrer Rechte beraubt. So wird die Zerschlagung aller demokratischen und sozialen Rechte der Arbeiterklasse vorbereitet.
Das Koalitionspapier verspricht die Einführung „des strengsten Zulassungsregimes für Asyl und das umfassendste Paket zur Kontrolle der Migration, das es je gab“. Es macht Flüchtlinge und Einwanderer für sämtliche sozialen Missstände verantwortlich. Die Niederlande seien „eines der am dichtesten besiedelten Länder Europas“, in dem sich die erheblich gestiegene und ständig zunehmende Migration „stark auf die Wohnungs-, Gesundheits-, Bildungs- und Finanzsituation sowie den sozialen Zusammenhalt in unserem Land auswirkt“, heißt es in dem Papier.
Das Dokument schlägt Maßnahmen vor, um alle Formen der Migration drastisch zu reduzieren. Die Zulassungsverfahren sollen verschärft, die Grenzkontrollen intensiviert und geltende EU-Regeln missachtet werden, um die Niederlande „weniger attraktiv für Asylsuchende“ zu machen. Die automatische Familienzusammenführung soll auf unbestimmte Zeit gestoppt und der Nachzug erheblich eingeschränkt werden. Die Asylverfahren sollen gestrafft, unbefristete Asylgenehmigungen abgeschafft, der Zugang zu Rechtsbeistand eingeschränkt und die Verfahren verkürzt werden. „Rückführungen“ sollen verstärkt, und wer nicht kooperiert, soll hart bestraft werden. Die Zulassung von Arbeitsmigranten und Studierenden aus Nicht-EU-Ländern soll erheblich eingeschränkt werden. So geht es seitenlang weiter.
Hatten einige Mitglieder der neuen Regierungskoalition im Wahlkampf noch versucht, die Unzufriedenheit über die akute Wohnungskrise, niedrige Renten, unzureichende Gesundheitsversorgung und die chronisch unterfinanzierte öffentliche Bildung für sich auszuschlachten, findet sich davon im Koalitionsprogramm kaum etwas wieder. Und wenn, handelt es sich – wie bei der versprochenen Absenkung der Krankenkassenbeiträge und der Kita-Gebühren – um leere Zusagen, für die es keine Finanzierung gibt.
Bezeichnenderweise soll der offizielle Mindestlohn trotz Inflation und steigenden Lebenshaltungskosten unverändert bleiben. Die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld soll von 24 auf 18 Monate sinken.
Das zweite dominierende Thema der Koalitionsvereinbarung ist die Militarisierung der Gesellschaft und die Aufrüstung des staatlichen Sicherheitsapparats. Von den insgesamt zehn Kapiteln ist eines mit „Gute Regierungsführung und starke Rechtsstaatlichkeit“ und eines mit „Nationale Sicherheit“ überschrieben. Sie sehen eine massive Aufstockung des Polizeiapparats und weitreichende Mittel und Befugnisse zur Errichtung eines Polizeistaats vor.
„Unser demokratischer Rechtsstaat wird durch den islamischen Terrorismus bedroht und durch das organisierte Verbrechen direkt untergraben,“ heißt es darin. „Unsere Sicherheit steht unter dem Druck gesellschaftlicher Polarisierung und Unzufriedenheit. Sicherheit und eine widerstandsfähige Gesellschaft haben oberste Priorität. Dies erfordert ein scharfes Vorgehen gegen jeden, der Freiheit und Sicherheit bedroht. Für eine wirksame Sicherheitspolitik sind Prävention und Repression zwei Seiten derselben Medaille.“
Es folgt eine lange Liste von Repressionsmaßnahmen und neuen Vollmachten der Sicherheitsbehörden, die staatlicher Willkür und Provokation freien Lauf lassen. Dazu gehören „schärfere Haft nach italienischem Vorbild“, „Ausweitung der Arbeit unter Pseudonym für Polizei, Staatsanwälte und Ermittlungsrichter“ sowie die „Verstärkung der sichtbaren Präsenz und der Polizeistationen in den Stadtteilen, Gemeinden und Regionen“.
Die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten, digitale Kommunikation auszuspionieren, sollen deutlich ausgeweitet werden. Der Straftatbestand der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung soll ausgedehnt und das Strafmaß erhöht werden. In Erwartung einer breiteren Radikalisierung der Jugend heißt es in dem Dokument, dass „die Jugendgerichtsbarkeit für 14- bis 16-Jährige verschärft wird, einschließlich einer Erhöhung der Höchststrafen“.
Angesichts der zunehmenden sozialen Unzufriedenheit und der jüngsten Studentenproteste plant die Koalition eine massive Einschränkung des Demonstrationsrechts. Es soll schärfer „zwischen (friedlichen) Demonstrationen und Störaktionen“ unterschieden werden. Weiter heißt es: „Ruhestörungen, Drohungen gegen andere und öffentliche Gewalt werden nicht toleriert. Die Staatsanwaltschaft, die lokalen Behörden und die nationale Polizei werden aufgefordert, entschieden einzugreifen, wenn Demonstranten die Grenzen des Gesetzes überschreiten.“
Die europäische „Brandmauer gegen rechts“ verschwindet
Der Einzug von Wilders‘ PVV in die niederländische Regierung entlarvt das Gerede von einer europäischen „Brandmauer“ oder einem „Cordon sanitaire“ gegen rechts als das, was es wirklich ist: Als Betrug, als Versuch, der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen und jeden ernsthaften Kampf gegen den Faschismus zu sabotieren. Eine solche Brandmauer hat es faktisch nie gegeben, nun wird sie auch offiziell beseitigt.
Die Entscheidung, die PVV in die Regierung zu holen, wurde auf höchster politischer Ebene getroffen. Ohne die Zustimmung Mark Ruttes wäre die Koalitionsvereinbarung nicht möglich gewesen.
Rutte ist nicht nur in den Niederlanden, die er seit 14 Jahren regiert, sondern auch in der EU und der Nato bestens vernetzt. Er ist eine der führenden Figuren im Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU, und gilt als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge Jens Stoltenbergs als Nato-Generalsekretär. Seine Partei, die VVD, ist Mitglied der liberalen Fraktion Renew Europe, der auch die Renaissance des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und die FDP des deutschen Finanzministers Christian Lindner angehören.
Das Bündnis zwischen Rutte und Wilders bestätigt, wovor die WSWS seit langem warnt: Die extreme Rechte wird von der herrschenden Klasse gezielt aufgebaut, um den Klassenkampf und den Widerstand gegen ihre Kriegspolitik einzuschüchtern und zu unterdrücken. Die Rechtsextremen sind kein Fremdkörper in einem ansonsten gesunden Organismus, sondern Ausdruck und Ergebnis des Rechtsrucks der gesamten herrschenden Klasse.
Diese Entwicklung ist in ganz Europa weit fortgeschritten. Die EU bereitet sich darauf vor, den Rechtextremen nach der Europawahl vom Juni eine wichtige politische Rolle einzuräumen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits Ende April ihre Bereitschaft bekundet, sich mit den Stimmen der extremen Rechten für eine zweite Amtszeit wählen zu lassen. Der Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, bemüht sich seit langem um eine engere Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen.
Auch in Deutschland bereiten sich die herrschende Kreise darauf vor, die rechtsextreme AfD, die Schwesterpartei der PVV, spätestens nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September an den Landesregierungen zu beteiligen. Ein Kommentar der Frankfurter Allgemeinen lässt daran keinen Zweifel. Die Zeitung bezeichnet die Integration von Wilders und seiner PVV in die Regierung als „einzigen logischen Schluss aus den Wahlergebnissen der letzten Jahre“ und stellt fest: „Brandmauern halfen nicht, im Gegenteil.“
Die F.A.Z. versucht, ihre Leser mit der Versicherung zu beruhigen, „dass die Beteiligung an der Macht eine zivilisierende Wirkung entfaltet“. Doch das Gegenteil ist der Fall. Am Sonntag versammelte die spanische Vox-Partei, die in der Tradition des faschistischen Diktators Franco steht, zehntausend Anhänger in einer Madrider Stierkampfarena. Marine Le Pen, Giorgia Meloni, Viktor Orbán, Mateusz Morawiecki sowie weitere Vertreter ultrarechter Parteien sprachen direkt oder per Video zur Versammlung.
Gefeierter Stargast war der argentinische Präsident war der argentinische Präsident Javier Milei, der mit einer faschistischen Tirade Begeisterungsstürme entfachte. „Der Sozialismus ist das Krebsgeschwür der Menschheit,“ sagte er. „Der Sozialismus ist der Feind. Wir sollten nicht zulassen, dass die dunkle, schwarze, satanische, ekelhafte, abscheuliche, krebserregende Seite – die der Sozialismus ist – uns besiegt.“
Eine Hauptverantwortung für den Aufstieg der Rechten tragen die nominell linken Parteien. Sozialdemokraten, Grüne und auch die Gewerkschaften unterstützen die Kriege in Gaza und der Ukraine, schotten Europa gegen Flüchtlinge ab und organisieren den Abbau von Arbeitsplätzen, Sozialleistungen und Reallöhnen. Ihre Politik unterschiedet sich im Kern nicht von jener von Ultrarechten wie der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni. Das gilt auch für die Linkspartei und andere pseudolinke Organisationen. Das versetzt die Rechtsextremen in die Lage, die Frustration über die offizielle Politik zum Teil auf ihre reaktionären Mühlen zu lenken.
Der Kampf gegen die Rechtsextremen erfordert eine klare politische Perspektive. Er kann nur erfolgreich sein, wenn er sich gegen alle Parteien richtet, die die kapitalistische Ordnung verteidigen. Die Streiks gegen Lohn- und Sozialabbau und die Proteste gegen Israels Genozid müssen zu einer mächtigen Bewegung gegen den Kapitalismus und für eine sozialistische Gesellschaft vereint werden. Das wird den Faschisten den Boden entziehen. Dafür kämpft die Sozialistische Gleichheitspartei bei den Europawahlen.